CDU-Rechte wittern Morgenluft

Die Bundesbedeutung der Hessenwahl

Bei den ersten Kommunalwahlen in Hessen nach der CDU-Finanzaffäre haben die Christdemokraten unter Leitung von Ministerpräsident Roland Koch am vergangenen Sonntag kräftig zugelegt. Zwar liegt das amtliche Endergebnis noch nicht vor und wird aufgrund eines neuen, komplizierten Wahlverfahrens erst in den nächsten Tagen erwartet. Doch in einer ersten Stellungnahme gab das Statistische Landesamt am Montag in Wiesbaden eine deutliche Trendmeldung bekannt. Danach erhöhte die CDU ihren Stimmenanteil um 6,6 Prozentpunkte auf 39,6 Prozent und löste aller Voraussicht nach die SPD als stärkste politische Kraft in den hessischen Kommunen ab.

Die SPD konnte im Landesdurchschnitt nur geringfügig um 0,2 auf 38,2 Prozent zulegen, büßte aber in einigen Großstädten, wie der Landeshauptstadt Wiesbaden, 1,5 Prozentpunkte ein. Dem Zwischenergebnis zufolge erzielte die CDU Gewinne in den Großstädten Frankfurt (4,9 Prozentpunkte), Darmstadt (7,1), Wiesbaden (3,2) und Kassel (3,4). In Darmstadt und Wiesbaden wurden die Christdemokraten stärkste politische Kraft in den Rathäusern, in der Main-Metropole Frankfurt baute sie ihre Mehrheit auf 41,2 Prozent aus. Leicht verbessern konnte sich auch die im Land mitregierende FDP. Nach 4,0 Prozent vor vier Jahren erzielte sie diesmal ein knappes Prozent mehr.

Hauptverlierer der Wahl waren die Grünen. Gerade in ihrer Hochburg Hessen, dort wo Joschka Fischer 1982 erster grüner Landesminister wurde, verlor die Partei, die sich früher gern als grün-alternativ bezeichnete, jeden vierten Wähler im Vergleich zu 1997 und rutschte um 2,3 Prozentpunkte auf 8,7 Prozent ab. In den Universitätsstädten und Dienstleistungszentren waren die grünen Verluste besonders hoch: 5,3 Prozentpunkte in Darmstadt, 4,8 in Marburg und 3,7 in Frankfurt.

Die politische Geschäftsführerin der Grünen und Landtagsabgeordnete Sarah Sorge aus Frankfurt bewertete das enttäuschende Ergebnis mit den Worten: "Vor einigen Jahren war ganz klar, dass unsere Klientel nahezu geschlossen zur Wahl geht, diesmal sind auch unsere Leute zuhause geblieben." (Süddeutsche Zeitung) Es sei eine neue Erfahrung für die Grünen, dass nun auch sie Briefe erhielten, die bisher den großen Volksparteien vorbehalten blieben. Der Inhalt: zerrissene Stimmzettel und Begleitbriefe, in denen mal in mehr, mal in weniger drastischen Worten stand, dass es keinen Sinn mehr habe zu wählen - es ändere sich doch nichts.

Bereits unmittelbar nach der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend meldeten sich besorgte Kommentatoren zu Wort, die darauf aufmerksam machten, dass die Wahlbeteiligung um zwölf Prozent niedriger lag als bei den letzten Kommunalwahlen in Hessen vor vier Jahren. Nur 54 Prozent der 4,6 Millionen Wahlberechtigten erschienen in den Wahllokalen. In vielen Städten verweigerten weit mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten die Stimmabgabe. Das bedeutet, dass in absoluten Zahlen alle Parteien starke Wählerverluste hinnehmen mussten.

Wahlforscher gaben als Begründung für die äußerst niedrige Wahlbeteiligung an, dass eine Wahlrechtsreform die Stimmabgabe komplizierter gemacht habe. Erstmals durften die hessischen Wähler bei der Abstimmung über die Zusammensetzung ihrer Gemeindeparlamente und Kreistage "kumulieren" und "panaschieren", das heißt, Kandidaten von mehreren Parteien wählen und einzelnen Kandidaten bis zu drei Stimmen geben. Doch das erklärt die hohe Wahlenthaltung nicht, denn die neuen Kombinationsmöglichkeiten waren nur ein Angebot und kein Muss. Man konnte die Stimmzettel auch in der gewohnten Weise benutzen.

Vielmehr drückt sich in der hohen Wahlenthaltung die wachsende politische Entfremdung großer Teile der Bevölkerung gegenüber den etablierten Parteien und dem ganzen offiziellen Politikbetrieb aus, eine Entwicklung, die in vielen Ländern zu beobachten ist und immer deutlichere Formen annimmt.

Vor zweieinhalb Jahren, als die lange Periode der Stagnation während der Kohl-Regierung zu Ende ging, hofften viele darauf, auch zukünftig mit Hilfe des Stimmzettels auf die Regierungspolitik Einfluss nehmen zu können. Doch derartige Hoffnungen sind längst verflogen. Dass die Schröder-Regierung weit drastischere Sozialkürzungen, Sparmaßnahmen und Erhöhung der Massensteuern durchführte, als ihre Vorgängerin, hatte bereits in den vergangenen zwei Jahren starke Stimmenverluste für SPD und Grüne bei allen Landtags- und Kommunalwahlen zur Folge. Immer wieder trat Kanzler Gerhard Schröder an Wahlabenden vor die Kamera und betonte, er lasse sich durch diese Wahlentscheidungen nicht beeinflussen. Wirkungsvoll wurde der Wähler entmündigt.

In Hessen wurde nun die weitverbreitete Stimmung in der Bevölkerung sehr deutlich: Macht euren Dreck alleine. Aber auch die Gefahren, die eine solche Entwicklung hervorbringt, wurden sichtbar, und hier geht die Bedeutung der Hessenwahl weit über die künftige Zusammensetzung der Kreis- und Landtage zwischen Main und Fulda hinaus.

Rechte Seilschaften in der CDU fühlen sich bestärkt und werden in Zukunft noch weitaus aggressiver auftreten. Vor zwei Jahren hatte Roland Koch mit einer ausgesprochen rassistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Landtagswahl gewonnen. Anschließend wurde aufgedeckt, dass die hessische CDU, deren Vorsitzender er ist, sich über viele Jahre hinweg aus illegalen schwarzen Konten im Ausland finanzierte und gefälschte Rechenschaftsberichte vorgelegt hatte.

Obwohl Koch eindeutig gegen das Parteiengesetz verstoßen und das Parlament belogen hatte, trat er nicht zurück. Stattdessen verwandelte er seine Verachtung gegenüber demokratischen Prinzipien und Gepflogenheiten in sein Markenzeichen und trat als Leitfigur rechter nationalistischer Kräfte innerhalb der CDU auf.

Große Teile der Bevölkerung stehen dieser Politik ablehnend und angewidert gegenüber. Aber die wachsende Opposition dagegen kann sich unter den gegenwärtigen Bedingungen nur negativ ausdrücken, das heißt durch Wahlenthaltung. Denn die Wahl der SPD oder der Grünen ist keine Alternative. Der Landesvorsitzende der SPD in Hessen ist Hans Eichel, der Bundesfinanzminister, der die Sozialkürzungen und Sparmaßnahmen der vergangenen Monate durchgesetzt hat.

Eichel begründet seinen sozialen Kahlschlag rein bürokratisch mit der Notwendigkeit von Kostensenkung im Interesse der internationalen Finanzmärkte. Weder die sozialen, noch die politischen Implikationen seiner Entscheidungen interessieren ihn. So leitet die unsoziale Politik der SPD das Wasser auf die Mühlen der Rechten in der CDU.

CDU-Generalsekretär Laurenz Mayer bezeichnete das vorläufige Ergebnis in Hessen als "grandiosen Sieg für die CDU". Im Deutschlandfunk sprach er am Montag morgen von einer außerordentlich guten Vorlage für das Abschneiden der CDU bei den kommenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg am nächsten Sonntag.

Unter Kochs Leitung hat die hessische CDU einen deutlichen Rechtsruck vollzogen. Auch das zeigte sich im Ergebnis der Kommunalwahlen. Während einige Kommentatoren die Stimmenverluste der rechtsradikalen Republikaner - mit 4,1 Prozentpunkten verloren sie fast zwei Drittel ihrer Wähler und erreichten nur 2,5 Prozent - als einzigen Lichtblick der Hessenwahl werteten, ist genau das Gegenteil der Fall. Die rechtsradikale Politik wurde nicht ausgegrenzt, sondern von der CDU übernommen und dadurch salonfähig gemacht.

Koch spürt Rückenwind, und seine ohnehin penetrante Arroganz wird in der nächsten Zeit noch weiter zunehmen. Schon in der Vergangenheit war seine rechte Bruderschaft in der CDU die Quelle der Attacken auf Außenminister Fischer und Umweltminister Trittin (beide Bündnis90/Grüne). Es sind hessische Staatsanwälte, die ein Ermittlungsverfahren gegen Fischer eingeleitet haben, und es ist ein enger Parteifreund Kochs, der als Staatssekretär im Justizministerium dieses Verfahren überwacht.

Während sich das politische Establishment immer weiter von der Bevölkerung abkoppelt, rückt es gleichzeitig deutlich nach rechts. Ein Blick über die Alpen zeigt diese Entwicklung in nahezu chemisch reiner Form. Dort hat Jörg Haider die wachsende Opposition in der Bevölkerung gegen die jahrzehntelange Korruption und Vetternwirtschaft einer sozialdemokratischen Regierung und Administration genutzt, um mit rassistischen Parolen und offen antisemitischer Hetze Einfluss zu gewinnen.

Nur durch den Aufbau einer neuen Partei, die die demokratischen und sozialen Rechte ernst nimmt und die Bedürfnisse der Bevölkerung dem Gewinnstreben der Wirtschaftsverbände überordnet, kann der Offensive der Rechten Paroli geboten werden.

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