51ste Berlinale: Teil 7

Die Fritz Lang gewidmete Retrospektive

" Ich frage mich, welche Art von Filmen ich heute machen würde, wenn ich könnte... So wie die Welt ist, denke ich, dass sie sehr kritisch wären - sehr aggressiv." - Fritz Lang in seinem letzten Lebensjahr

Zweifellos war die umfassende Retrospektive zum Werk des in Österreich geborenen Regisseurs Fritz Lang einer der Höhepunkte des Berliner Filmfestivals. Neben der Aufführung aller seiner mehr als 40 Kinofilme, die in über 40 Arbeitsjahren entstanden, zeigte das Festival auch eine Ausstellung, die seinem Werk gewidmet war, und erstmalig eine rekonstruierte Version seines Films Metropolis. Nach Jahren der Arbeit in Archiven auf der ganze Welt waren Filmenthusiasten in der Lage, eine Version von Metropolis zusammenzustellen, die der Originallänge des Films (4189 Meter) entspricht, so wie er bei seiner Premiere in Berlin 1927 gezeigt wurde. Die restaurierte Version des Stummfilms wurde bei der Aufführung vom Berliner Radiosymphonieorchester begleitet.

Langs Gesamtwerk ist beeindruckend. Als Drehbuchautor und Regisseur war er ein Pionier in der Behandlung von Themen, die im modernen Kino eine zentrale Rolle einnehmen: psychologische Thriller ( M - eine Stadt sucht einen Mörder, 1931), politische Spionagethriller ( Ministerium der Angst, 1944), Science-Fiction/Fantasy-Produktionen ( Die Frau im Mond, 1929), Kriminalabenteuer ( Heißes Eisen, 1953), Western ( Engel der Gejagten, 1952), wie auch Filme mit einer starken sozialen Aussage ( Fury, 1936, Gehetzt, 1937).

Wenn man zum ersten Mal Langs Gesamtwerk vor Augen hat, reagiert man ähnlich wie auf eine Kunstausstellung zu Max Ernst - man gewinnt den Eindruck, dass man es nicht mit einem einzelnen Künstler zu tun habe, sondern mit einer ganzen Schule oder gar mehreren Schulen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sein Werk in den Ländern, in denen er geboren wurde und seine Filmkarriere begann - Österreich und Deutschland - eine besondere Rezeption erfuhr. Nach seiner durch die Machtübernahme der Faschisten erzwungenen Übersiedelung nach Hollywood (mit einem kurzen Zwischenaufenthalt in Frankreich) litt Langs Ruf in Deutschland, wo er nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Filmemachen begonnen hatte. Von den Nazis wurde er als Überläufer angesehen und auch nach dem Krieg taten deutsche Kritiker seine Arbeit in Amerika oft als Hollywood-Ramsch ab.

Im Ergebnis wurde seine mehr als 20-jährige Arbeit in Amerika und sein früheres Werk in Deutschland gerade in dem Land größtenteils ignoriert, in dem er half das Kino zu revolutionieren. In einer Gesprächsrunde während des Festivals zum Werk Fritz Langs berichtete der Regisseur Volker Schlöndorff, einer von Langs überzeugtesten Anhängern in Deutschland, dass er die frühen, in Deutschland entstandenen Werke von Lang erst zu sehen bekam, als er als junger Mann nach Paris ging. Zu Beginn der 60-er Jahre wurde Lang mit Begeisterung von Regisseuren der französischen Nouvelle Vague (Neuen Welle) aufgegriffen - insbesondere von Jean-Luc Godard.

Eine umfassende Betrachtung von Langs filmischem Werk ist im Rahmen dieser Rezension nicht möglich. Ich möchte einen kurzen Überblick über Langs Werdegang geben und mich dann auf Langs Übergang von Deutschland nach Amerika konzentrieren und hierbei besonders auf drei Filme - M, Fury und Gehetzt - die alle in den 30-er Jahren entstanden und zu seinen besten Werken gehören.

Fritz Lang wurde 1890 in Wien geboren. Sein Vater war Architekt. Als junger Mann fühlte er sich ursprünglich zur Welt der Kunst und Literatur hingezogen. Den Wünschen seines Vaters entsprechend begann er Architektur zu studieren, brach dann aber sein Studium ab, um sich an Kunstakademien in Wien und später München einzuschreiben. Er fühlte sich von der künstlerischen Arbeit seiner Zeitgenossen Gustav Klimt und besonders Egon Schiele angezogen und sammelte im Laufe seines Lebens eine wertvolle Auswahl von Werken des Letzteren.

Der junge Lang genoss es, sich in den Kreisen der künstlerischen und intellektuellen Bohème Wiens, Paris und Berlins zu bewegen und fühlte sich von der Vitalität des Kabaretts der Vorkriegsperiode angezogen. Als junger Mann sah er in Wien die ersten populären Stummfilme, aber erst während seiner Europareisen am Vorabend des Krieges begeisterte er sich wirklich für das neue Medium. Bei der Vorführung eines Films in Belgien bemerkte er gegenüber einem Begleiter: "Man könnte auch mit Hilfe einer Kamera malen."

Er las viel - deutsche Philosophie und Literatur, Shakespeare wie auch die Taschenbuchausgaben der Abenteuergeschichten des äußerst populären Karl May. Während seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg wurde er verletzt, wodurch er ein Monokel tragen musste, das später zu seinem Markenzeichen werden sollte. Später in Hollywood rieten ihm Freunde, das Monokel gegen eine Brille zu tauschen, wenn es um Bewerbungen für eine Stelle ging. Lang entsprach mit seinem Monokel einfach zu sehr dem Stereotyp des herrischen preußischen Aristokraten.

Kurz nach dem Krieg bekam Lang in Berlin seine erste Chance, einen Film zu machen. Wenn man die derzeitige Ausstellung zu seinem Werk betritt, trifft man zunächst auf ein fettgedrucktes Zitat von Fritz Lang. Es stammt vom Jahresbeginn 1919, aus der Zeit des gescheiterten Spartakus-Aufstands in Berlin: "Auf dem Weg zum Studio wurde mein Auto wiederholt von bewaffneten Rebellen gestoppt, aber es hätte mehr als eine Revolution gebraucht, um mich davon abzuhalten, zum ersten Mal Regie zu führen." In einer Reihe von späteren Interviews gestand Lang, dass er erst nach Hitlers Machtübernahme ein wirkliches Interesse für Politik entwickelte. Nichtsdestotrotz war es für einen Künstler oder Intellektuellen unmöglich, dem anhaltenden sozialen Aufruhr, der die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen und die Weimarer Republik prägte, gleichgültig gegenüber zu stehen.

Lang drehte im Laufe der 20-er Jahre einige der außergewöhnlichsten deutschen Stummfilme. Der Einfluss des Expressionismus und besonders Gustav Klimts war sichtbar in seiner Verfilmung der klassischen deutschen Mythensage Die Nibelungen von 1924, und der Einfluss der Bauhaus-Schule durchdrang den szenischen Aufbau und die Architektur von Metropolis *. In den 20-er und 30-er Jahren arbeitete er eng mit Thea von Harbou zusammen, einer Drehbuchautorin, die später seine Frau wurde. Ihre Beziehung zerbrach zu Beginn der 30-er Jahre, als von Harbou sich den Nazis anschloss.

M - eine Stadt sucht eine Mörder

1931 drehte Lang den psychologischen Thriller M, eine fesselnde Studie über ein Verbrechen und die Gesellschaft, aus der es hervorgegangen ist. Lang selbst zählte den Film zu seinen besten und tatsächlich vermag er auch heute noch zu beeindrucken. In vielerlei Hinsicht war dieser Film der Versuch, sich ein neues Gebiet zu erschließen. Langs künstlerisches Auge war immer präsent beim präzisen Abdrehen von Szenen und ständigen Versuchen, die Schwerfälligkeit der damaligen Kameras zu überwinden, aber mit M wandte er sich sozialen Themen zu.

Der Film handelt von einem Kinderschänder und Mörder, Franz Becker, der von Peter Lorre großartig gespielt wird. Eine Stadt, wahrscheinlich Berlin, erlebt eine Reihe von Kindesentführungen und Morden. Die Jagd nach dem Täter ist eröffnet. Lang ergründet die Sphäre der Massenpsychologie. Ein angesehener Bürger wird auf der Straße gesehen, wie er einem jungen Mädchen eine harmlose Frage stellt. Innerhalb von Minuten ist er von einem Mob umringt, der den Mörder gefunden zu haben glaubt. Der Bürger kann von Glück reden, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Versuche der Polizei, dem Kriminellen auf die Spur zu kommen, erweisen sich als nutzlos.

Die Verbrecherorganisationen der Stadt entscheiden, den Mann ausfindig zu machen - schließlich sind die Hysterie auf den Straßen und die willkürlichen Polizeirazzien dem Geschäft abträglich. Verbrecherkönig Schraenker (gespielt von Gustaf Gründgens, der später als Vorbild für Klaus Manns Roman "Mephisto" diente) beschließt, seine über die ganze Stadt verstreute Bande von Bettlern zu mobilisieren, um den Missetäter zu finden. In einem abschließenden Showdown wird Becker in die Ecke gedrängt und dann vor Gericht gestellt von einer Massenversammlung der Berliner Unterwelt - Kriminellen, Bettlern und Elenden, darunter einige Mütter der Opfer von Becker. Sie haben kaum Sympathie mit dem Psychopathen, aber nichtsdestotrotz stellen sie ihm einen Anwalt. Dieser argumentiert, dass Becker krank ist und man "einen kranken Mann nicht dem Henker übergeben sollte, sondern einem Doktor".

Becker erhält auch die Erlaubnis, zu seiner eigenen Verteidigung zu sprechen, und in einer leidenschaftlichen Rede macht er seinen unterdrückten Trieben Luft, die ihn belasten und seine Handlungen bestimmten. In der Schlussszene warnt eine Mutter: "Wir sollten mehr auf unsere Kinder achten." Aus dieser Bemerkung folgt nicht nur, dass es notwendig ist, Kinder vor Belästigung zu schützen, sondern auch, dass Erziehung und Fürsorge die einzig angemessenen Mittel sind, um solche psychischen Störungen zu verhindern, die das Verhalten von Becker verursachten.

Als M zum ersten Mal in die Kinos kam, provozierte der Film eine stürmische Reaktion der Kritiker. The London Sunday Review schrieb: "Es ist fraglich, ob dieser brutal realistische Film wünschenswert ist... und noch zweifelhafter ist, ob das Lichtspielhaus der geeignete Ort für Propaganda gegen die Abschaffung der Todesstrafe ist." Als der Film in Amerika gezeigt wurde, schrieb The New Republican: "Der Film gehört zu den besten Dingen, die aus Deutschland gekommen sind... Es ist ein Film, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dass er in Hollywood hätte produziert werden können - in der Tat würde jeder amerikanische Regisseur, der eine solche Sache vorschlagen würde, vermutlich nach seinem Geisteszustand gefragt."

Erdacht und gedreht zu Beginn der 30-er Jahre war M eine starke Bestätigung des im Tonfilm enthaltenden Potenzials, sich komplexer psychologischer und gesellschaftlicher Themen anzunehmen.

Nach dem Erfolg von Die Nibelungen, Metropolis und M * galt Fritz Lang allgemein als Deutschlands führender Regisseur. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 erhielt Lang eine Audienz beim Nazi-Propagandaminister Josef Goebbels, der ihm die Leitung einer Abteilung anbot, die noch einzurichten sei und mittels derer Lang die Filmproduktion für das Dritte Reich anleiten sollte. Langs Biografen weisen darauf hin, dass Lang sich in seinem späteren Leben oft auf dieses Gespräch bezog und gerne einige Details ausführte. Fest steht, dass das Treffen stattfand, das Angebot gemacht wurde und ein extrem nervöser Lang versuchte, das Treffen so schnell wie möglich zu beenden. Lang hatte nicht die geringsten Absichten den Nazis zu dienen und traf eiligst Vorbereitungen Deutschland zu verlassen. Wie bereits erwähnt ließ er seine Frau Thea zurück, die von der Ideologie des Nationalsozialismus begeistert war und ihre Filmkarriere mit mäßigem Erfolg unter den Nazis fortsetzte.

Nach kurzem Aufenthalt in Frankreich kam Lang in Amerika an. Er hatte in Deutschland den Ruf eines autokratischen Filmemachers, der bei der Produktion eines Films auf buchstäblich jeder Ebene eingriff. In Amerika musste Lang seine Arbeitsmethode radikal den Hollywood-Studios anpassen. Gleichzeitig versuchte er von Beginn seines langen Exils an, sich mit der amerikanischen Moral und Lebensart vertraut zu machen. Seine Mitexilanten Klaus und Erika Mann schrieben 1939 über Lang in ihrem Buch Flucht ins Leben:

"In Hollywood erfuhr er eine geistige Entwicklung, die ihn zu einer der interessantesten und vielseitigsten Figuren im amerikanischen Film machte. Die Qualitäten, für die er bereits berühmt war - große technische Fähigkeiten, eine großartige Vorstellungsgabe - wurden durch andere bereichert. Fritz Lang begann, sich für menschliche Schicksale und gesellschaftliche Probleme zu interessieren, für die inneren Vorgänge in seinen Charakteren. Zuvor waren die Themen seiner Filme ein Flug zum Mond oder ein mechanisiertes Metropolis, heute beschäftigt er sich mit den Problemen menschlicher Geschöpfe in ihrem Zusammenleben, mit Fehlern, Schuld, Gerechtigkeit, Fortschritt."

Die Manns übertreiben vielleicht in Bezug auf Hollywoods Eigenschaft, die geistige Entwicklung von Menschen voranzutreiben. Jedoch kann nicht bestritten werden, dass die amerikanische Filmindustrie in den 30-er Jahren ein großes Reservoir an Talenten darstellte und enorm von der Welle der Exilanten profitierte, unter denen sich einige der begabtesten europäischen Künstler befanden. Mit seinem ersten amerikanischen Film Fury kehrte Lang zu einer Reihe von Themen aus M zurück.

Fury

M und Fury bedeuteten für Lang nicht nur einen Themenwechsel, sondern auch einen Wechsel der Prioritäten in seiner Filmästhetik. An Stelle der Eleganz seiner früheren deutschen Filme verlangte Lang beim Drehen von Fury von seinem Kameramann: "Ich will keine gefälligen Bilder - nichts Künstlerisches - ich will Wochenschau-Bilder." In seinen späteren amerikanischen Filmen plädierte Lang für eine beinahe dokumentarische Art der Aufnahme, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Charaktere lenken sollte.

Fury handelt von dem normalen Arbeiter Joe Wilson (gespielt von Spencer Tracy), der der Entführung eines Mädchens beschuldigt und in einer Kleinstadt in Illinois von der Polizei eingesperrt wird. Der einzige Beweis, der gegen ihn vorgebracht wird, sind Erdnüsse, die in seiner Tasche gefunden wurden. Erdnüsse wurden ebenfalls am Tatort gefunden. Trotz der dürftigen Beweislage werden die Bewohner der Stadt von einem Mann, der sich selbst als Streikbrecher bezeichnet, aufgeputscht und bilden einen Mob. Der Mob brennt das Gefängnis nieder und nimmt an, dass Wilson in den Flammen gestorben ist.

22 Anführer des Mobs werden vor Gericht gestellt und des Mordes an Joe überführt. Während des Prozesses erinnert der Staatsanwalt das Gericht daran, dass Lynchjustiz in den vergangenen 50 Jahren insgesamt 6.000 Menschen in Amerika das Leben gekostet hat. (Lang wurde vom Studio nicht erlaubt, einen Film über ein schwarzes Opfer eines Lynchmobs zu drehen, wie er es ursprünglich vorhatte.)

Tatsächlich hat Joe den Brand überlebt und hält sich mit dem Gedanken an Rache versteckt. Als die Schuldurteile gefällt sind, quält Joe plötzlich sein schlechtes Gewissen und er geht zum Gericht, um zu zeigen, dass er überlebt hat, und den Vorwurf des Mordes von den Verurteilten zu nehmen. In seiner Rede vor Gericht erklärt Joe: "Das Gesetz weiß nicht, dass viele Dinge, die mir wichtig waren - alberne Dinge, wie der Glaube an Gerechtigkeit, die Vorstellung, dass alle Menschen zivilisiert sind, und das Gefühl des Stolzes auf mein Land, das anders sei als all die anderen - das Gesetz weiß nicht, dass diese Dinge in jener Nacht in mir verbrannten."

In der Schlussszene ist Joe wieder bei seinem Schatz und küsst sie. Lang mochte diese Szene nie, die dem Film angehängt wurde, weil der Produktionschef darauf bestand. Der Streit mit den Studiobossen über den Kuss in Fury war nur einer von vielen, die Langs Beziehungen zum Hollywood-Establishmant belasten sollten.**

Gehetzt

Als Fury in den Kinos lief, arbeitete Lang bereits an seinem nächsten Projekt. Gehetzt beschäftigt sich wiederum mit dem Thema der Rache und damit, dass die Wendungen des Schicksals ein menschliche Leben aus der Bahn werfen oder zerstören können. Einige Themen aus Langs Filmen wurden später von Nicolas Ray in Sie leben bei Nacht, von Arthur Penn in Bonnie and Clyde und von Robert Altman in Diebe wie wir aufgegriffen.

Eddie Taylor (Henry Fonda) ist ein junger, gutaussehender Krimineller, der sich zu bessern versucht, aber ständig von einer Gesellschaft enttäuscht wird, die gegenüber einem ehemaligen Verbrecher keine Gnade zeigt. Taylor plant ein neues Leben mit seiner Frau Jo, als er fälschlicherweise für einen Banküberfall verantwortlich gemacht wird, bei dem es einen Toten gab. Taylor wird zum Tode verurteilt und wartet auf den elektrischen Stuhl. Jo und ihr Arbeitgeber, ein Anwalt und entschiedener Gegner der Todesstrafe, tun alles, was in ihrer Macht steht, um einen Aufschub für Taylor zu erreichen.

Bei seiner Flucht aus dem Gefängnis erschießt Taylor den Anstaltsgeistlichen. Nun ist er wirklich auf der Flucht vor der Justiz. Er trifft sich mit seiner Frau und zusammen beginnen sie eine haarsträubende Flucht vor der Polizei. Ihre Gesichter werden in allen Medien gezeigt und über Nacht ist das Paar für jedes Verbrechen verantwortlich, das in den Bundesstaaten begangen wurde, durch die sie gekommen sind. Lang hatte mehr Kontrolle über die Schlussszene von Gehetzt; der Film endet damit, dass das Paar von der Polizei erschossen wird. Während sie von Kugeln durchsiebt werden, umarmen sie sich ein letztes Mal.

Einige Details im Film strapazieren die Glaubwürdigkeit und neigen zum Melodramatischen. An einer Stelle während ihrer Flucht gebiert Jo das Kind des Paares, das dann ihrem Chef übergeben wird. Die Mutter, die seit Tagen oder Wochen im Auto gelebt hat, ist wohlauf und dem Baby geht es gut. Aber insgesamt erschafft der Film eine unheilvoll dunkle Atmosphäre der amerikanischen Gesellschaft in der Zeit der Großen Depression - eine rachsüchtige Gesellschaft, die einem armen Mann seine Fehler nicht vergeben will.

Nach dem Jubel des Publikums und der Kritik über Fury und Gehetzt war Lang ein gefragter Mann und in der Lage, in einer Reihe von Filmen seine Aufmerksamkeit dem Thema des Nationalsozialismus zu widmen: Menschenjagd, 1941, Auch Henker sterben, 1943 (basiert auf der Ermordung des österreichischen Gauleiters Heydrich - Lang arbeitete bei Drehbuch und Musik mit Bertold Brecht und Hans Eisler zusammen), und Ministerium der Angst, 1944.

Trotz des Erfolgs von Fury und Gehetzt wurde Lang, gemeinsam mit vielen anderen Flüchtlingen aus Hitlerdeutschland, selbst zum Opfer der staatlich organisierten Hexenjagd. Politisch schloss sich Lang dem New Deal des Roosevelt-Flügels der Demokratischen Partei an, aber er machte kein Geheimnis aus seiner Freundschaft zu Sympathisanten und Mitgliedern der Kommunistischen Partei, wie den Flüchtlingen Brecht und Eisler. 1940 gehörte Fritz Lang neben solch berühmten Schauspielern wie Frederic March, James Cagney und Humphrey Bogart zu einer kleinen Gruppe ausländischer Regisseure, die von einem Geschworenengericht in Los Angeles angeklagt waren, die "Sache der ‚Roten‘ in der amerikanischen Filmindustrie voranzutreiben". 1952 wurde Lang im Zuge der antikommunistischen Hexenjagd der Nachkriegszeit und der Gründung des parlamentarischen Ausschusses für antiamerikanische Umtriebe erneut als verdächtig betrachtet.

Zweifellos litt Lang unter dem Hollywood-Studio-System. Gelegentlich, wenn er dringend Arbeit suchte, nahm er sich einer Reihe schlecht vorbereiteter Projekten an, opferte gezwungenermaßen seine Unabhängigkeit gegenüber einem omnipotenten Produzenten und machte enttäuschende Filme. Aber wenn er in der Lage war, sich das richtige Team von Mitarbeitern zusammenzusuchen und sich bis zu einem gewissen Grade vom aufdringlichen Einfluss der Produzenten zu befreien, gelang es Lang, einige der interessantesten amerikanischen Filme der 40-er und 50-er Jahre zu drehen ( Gefährliche Begegnung, 1944; Scarlet Street, 1945; Heißes Eisen, 1953; Die Bestie, 1956).

Mehr und mehr gestört von den Beschränkungen des zunehmend kommerzialisierten und an Stars orientierten Hollywood-Systems, kehrte Lang 1958 nach Europa zurück, um an seinen letzten Filmprojekten zu arbeiten: Der Tiger von Eschnapur(1959) und ein Remake seines Stummfilmklassikers über die Machenschaften des größenwahnsinnigen Dr. Mabuse (diesmal, 1961, mit dem Titel Die 1000 Augen des Dr. Mabuse).

Tief verwurzelte humanistische Ideale prägten das Leben und Werk von Lang bis zuletzt. 1974, nur zwei Jahre vor seinem Tod, erhielt Lang eine Auszeichnung für sein Lebenswerk und sagte seinem Publikum: "Alle meine deutschen Filme und die besten meiner amerikanischen handeln vom Schicksal. Ich glaube nicht mehr an ein Schicksal. Jeder macht sein Schicksal selbst. Du kannst es akzeptieren, du kannst es zurückweisen und weitermachen. Es gibt kein mysteriöses Etwas, keinen Gott, der dir ein Schicksal auferlegt ... Du gestaltest dein Schicksal selbst."

Die Prinzipien, die sein Werk immer charakterisierten - eine Liebe zur und Sorge um die Menschheit, eine enorme Neugier, die Komplexität des Individuums und seiner gesellschaftlichen Umgebung zu ergründen, sein Bestreben, ehrliche, intelligente und provozierende Filme zu machen, und seine Bereitschaft, neue Wege zu gehen in Bezug auf thematisches Material - alle diese Qualitäten fehlen bedauerlicherweise in einem Großteil des modernen Filmbetriebs.

Trotz der Tatsache, dass er einen großen Teil seines Lebens in Gesellschaft der Reichen und Verwöhnten Hollywoods verbrachte, stand er dem Elend der großen Bevölkerungsmasse nicht gleichgültig gegenüber. Nachdem er die dramatischsten Erfahrungen des 20. Jahrhunderts selbst durchgemacht hatte, findet sich nicht die geringste Spur von Selbstzufriedenheit bei dem alten Lang, der in seinen letzten Jahren durch seinen schlechten Gesundheitszustand und beinah vollständigen Verlust des Augenlichts belastet wurde. Noch immer brannte das Feuer in ihm.

Anlässlich seines letzten Geburtstages am 5. Dezember 1976 reflektierte Lang: "Ich frage mich, welche Art von Filmen ich heute machen würde, wenn ich könnte... So wie die Welt ist, denke ich, dass sie sehr kritisch wären - sehr aggressiv."

Anmerkungen:

*Goebbels und Hitler drückten beide ihre Begeisterung über Die Nibelungen aus, obwohl der zweite Teil von den Nazis unterdrückt wurde, weil er zu "pessimistisch" sei. Beide Männer mochten auch Metropolis. Der Film spielt in einer High-Tech-Stadt der Zukunft und handelt von den extremen Formen der Ausbeutung, die in der kapitalistischen Gesellschaft gefunden werden können, endet aber mit einer versöhnlichen Note (die Kapitalisten schütteln den Anführern die Arbeiterrevolte die Hände), was gänzlich im Einklang mit der korporatistischen Auffassung der Faschisten stand. Lang selbst drückte seine Vorbehalte gegenüber dem Film aus, dessen Drehbuch in Zusammenarbeit mit Thea von Harbou entstanden war. 1965 kommentierte Lang den Film folgendermaßen: "Ich habe oft gesagt, dass ich Metropolis nicht mag, und zwar weil ich das Leitmotiv der Botschaft des Films nicht akzeptieren kann. Es ist absurd zu behaupten, dass das Herz die vermittelnde Instanz zwischen Hand und Kopf ist, das bedeutet natürlich zwischen Angestelltem und Arbeitgeber. Das Problem ist ein gesellschaftliches, kein moralisches."

**Lang hatte in Filmkreisen den Ruf, eine harter Anweiser zu sein. Seine Schauspieler beklagten vor allem das sichtbar anspruchsvolle Wesen des Regisseurs. Der Schauspieler Peter Lorre beschwerte sich bitter über die Dutzende Male, die er von einer Treppe fallen musste, um Langs Bemühungen Genüge zu tun, eine besonders gute Schlussszene für M zu bekommen. Lang war tatsächlich ein akribischer Arbeiter, der sich mit zahlreichen Aspekten seiner Filme befasste - Drehbuch, Produktion, Bühnenbild, Architektur. Eine Vitrine in der Berliner Ausstellung zeigt unter seinen Arbeitsunterlagen detaillierte Diagramme für Szenen, die alle von Lang persönlich für seinen Film Menschenjagd erstellt wurden.

Sämtliche Zitate in diesem Artikel wurden aus dem Englischen übersetzt.

Siehe auch:
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