Landtagswahl in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Wahlbeteiligung auf Rekordtief

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vom vergangenen Wochenende galten als wichtiger Stimmungstest für die Bundestagswahl 2002. Während in keinem der beiden Bundesländer - in Baden-Württemberg regiert die CDU mit der FDP und in Rheinland-Pfalz die SPD mit der FDP - ein Regierungswechsel erwartet wurde, versprach man sich vom Wahlresultat doch Aufschluss über das Kräfteverhältnis auf Bundesebene. Die Berliner Parteizentralen haben sich dementsprechend bemüht, das Ergebnis der Wahl in ihrem Sinne zu interpretieren.

Der SPD-Vorsitzende, Bundeskanzler Gerhard Schröder, wertete die Stimmengewinne seiner Partei in beiden Ländern als umfassenden Erfolg und Bestätigung seiner eigenen Politik. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sprach von einem "ausgezeichneten Tag für die CDU", obwohl die Christdemokraten nur in Baden-Württemberg Stimmen hinzugewannen und in ihrem Stammland Rheinland-Pfalz das niedrigste Ergebnis seit Kriegsende erzielten. Die FDP, die deutliche Stimmenverluste hinnehmen musste, tröstete sich damit, dass sie in beiden Ländern vor den Grünen liegt und weiter mitregieren wird. Lediglich den Grünen gelang es nicht, ihre verheerende Niederlage schönzureden.

Betrachtet man die Wahlergebnisse genauer, so bieten sie wenig Anlass für den parteiamtlichen Optimismus.

Als erstes fällt die für deutsche Verhältnisse extrem niedrige Wahlbeteiligung ins Auge. In beiden Ländern gingen lediglich 62 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Bis Anfang der neunziger Jahre waren es regelmäßig über 70, in Rheinland-Pfalz sogar über 80 Prozent gewesen. Trotz prozentualem Stimmenzuwachs haben die Parteien daher kaum neue Wähler hinzugewonnen.

So konnte sich die SPD in Rheinland-Pfalz zwar von 39,8 auf 44,7 Prozent verbessern, in absoluten Zahlen stagnierte aber ihre Wählerzahl, ja sie ging sogar leicht zurück. Ähnlich verhält es sich mit der CDU in Baden-Württemberg, die sich von 41,3 auf 44,8 Prozent verbesserte und damit die Wahl mit großem Vorsprung gewann.

Selbst in relativen Zahlen sind die Wahlergebnisse nicht so beeindruckend, wie sie in Berlin dargestellt werden. So konnte die SPD in Baden-Württemberg mit der 36-jährigen Spitzenkandidatin Ute Vogt zwar über 8 Prozent zulegen, aber mit 33 Prozent der Stimmen kehrte sie lediglich auf das Niveau zurück, dass die SPD bis Ende der achtziger Jahre stets erreicht hatte. Die CDU unter Ministerpräsident Erwin Teufel verbesserte sich zwar gegenüber den Landtagswahlen von 1992 und 1996, liegt aber weit unter dem Niveau früherer Jahre, als sie stets 50 Prozent oder mehr erreicht hatte.

Unbestritten ist, dass die beiden großen Parteien auf Kosten der kleineren gestärkt wurden. In Baden-Württemberg scheiterten die rechtsextremen Republikaner, die 1992 und 1996 mit jeweils rund 10 Prozent in den Landtag eingezogen waren, an der Fünf-Prozent-Hürde. Ihre Stimmen kamen weitgehend der CDU zugute. Die FDP verlor in beiden Länder mehr als einen Prozentpunkt und erreichte jeweils rund 8 Prozent. Die Grünen mussten drastische Einbußen hinnehmen. In Baden-Württemberg fielen sie von 12,1 auf 7,7 Prozent, während sie in Rheinland-Pfalz die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp überwanden.

Viele Kommentatoren haben diese Stärkung der großen Parteien auf die Personalisierung des Wahlkampfs zurückgeführt. In Baden-Württemberg setzte die Wahlkampfstrategie der SPD ganz auf das jugendliche, "unverbrauchte" Gesicht der stets lächelnden Ute Vogt, während die CDU das Image des erfahrenen, sorgenden und sparsamen Landesvaters Erwin Teufel ins Feld führte. In Rheinland-Pfalz spielte Kurt Beck (SPD) die Rolle des heimatverbundenen Landesvaters, während sich die CDU in dem Versuch, dieses Image anzukratzen, immer verzweifelter und aggressiver gebärdete - was sich schließlich als Bumerang erwies.

Es mag also durchaus sein, dass die Konzentration des Wahlkampfs auf ein Duell zwischen den jeweiligen Spitzenkandidaten zur Schwächung der kleineren Parteien beigetragen hat. Aber dieses Phänomen bedarf selbst einer Erklärung. Es ist Ausdruck derselben Entwicklung, die sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung zeigt - einer wachsenden Entfremdung zwischen der Masse der Bevölkerung und sämtlichen Parteien.

Während das tägliche Leben breiter Bevölkerungsschichten von zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit geprägt wird, hat keine Partei eine Antwort auf ihre Sorgen und Probleme. Ihre politischen Programme gleichen sich wie ein Ei dem andern und spiegeln ausschließlich die Interessen der Wirtschaft wieder. Dass zwei von fünf Wählen nicht mehr zur Urne gehen, hat einen einfachen Grund: Sie glauben nicht mehr daran, durch die Wahl etwas bewirken zu können. Die Parteien ihrerseits kompensieren den Mangel an politischen Alternativen, indem sie den Wahlkampf aus einer politischen Auseinandersetzung in einen Schönheitswettbewerb verwandeln, bei dem es nur noch um das Image, das Auftreten und den Eindruck der einzelnen Kandidaten geht.

Das gesamte politische Leben erhält so einen äußerst labilen Charakter. Zufälle, Skandale, belanglose Ereignisse, die von den Medien hochgespielt werden, können die öffentliche Stimmung kurzfristig beeinflussen und Wahlen entscheiden. Die Parteien ihrerseits konzentrieren ihre Wahlkampagnen weitgehend auf solche Äußerlichkeiten.

Typisch in dieser Hinsicht war das Verhalten der CDU in Rheinland-Pfalz. Sie versuchte aus der Nationalstolz-Kampagne der Bundes-CDU Kapital zu schlagen, indem sie Unterschriften für den Rücktritt von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sammelte. Trittin war unter öffentlichen Beschuss geraten, nachdem er CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer wegen dessen nationalistischen Äußerungen die Mentalität eines Skinheads bescheinigt hatte. Der Versuch, dies in Rheinland-Pfalz auszunutzen, schlug allerdings gründlich fehl. Die CDU büßte in dem Land, in dem Helmut Kohl einst Ministerpräsident war und dass sie 40 Jahre lang ununterbrochen regiert hatte, bevor sie es vor zehn Jahren an die SPD verlor, gegenüber 1996 ein Fünftel ihrer Wähler ein.

Darin, wie in der hohen Stimmenthaltung und dem Wahlergebnis insgesamt, kommt auch ein Element des Protests der Wähler gegen die Bundespolitik zum Ausdruck, dem allerdings jede positive Zielrichtung fehlt. Sowohl Erwin Teufel als auch Kurt Beck verdanken ihre Bestätigung als Ministerpräsident nicht zuletzt dem Umstand, dass sie sich als Landespolitiker ohne jegliche bundespolitischen Ambitionen darstellten. Insbesondere Teufel war im Wahlkampf deutlich auf Distanz zur Bundes-CDU und deren marktschreierischen Kampagnen gegangen.

Die Grünen bekamen dagegen die weitverbreitete Opposition gegen die Berliner Politik voll zu spüren. In Baden-Württemberg, wo sie seit 1980 im Landtag sitzen, verloren sie 230.000 Stimmen, weit über ein Drittel ihrer Wähler. Bei den Jungwählern erreichten sie gerade noch 10 Prozent, nur noch die Hälfte der 22 Prozent von 1996. Anfangs wurde Jürgen Trittins Skinhead-Äußerung für diese Verluste verantwortlich gemacht. Doch als das volle Ausmaß des Einbruchs deutlich wurde, rückte die Führung der Grünen schnell wieder von dieser Interpretation ab. Es ist zu offensichtlich, dass der Rechtsruck der Grünen in Berlin die eigenen Wähler verprellt hat.

Die Verluste der Republikaner sind darauf zurückzuführen, dass die Asylfrage in dieser Wahl kaum mehr eine Rolle spielte. 1992 und 1996 hatten Union und SPD diese Frage bundesweit hochgespielt und Kampagnen gegen das Asylrecht geführt, was letztlich den Republikanern zugute kam.

Welche bundespolitischen Schlussfolgerungen lassen sich aus der Wahl in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ziehen?

Zum einen wird es immer fraglicher, ob die rot-grüne Koalition angesichts des Niedergangs der Grünen die nächste Bundestagswahl überstehen wird. Durch ihre ständige Rechtsentwicklung haben sich die Grünen die eigene Basis abgegraben, ohne dass dafür ein Ersatz in Sicht wäre. Bundeskanzler Schröder hat es auf der Pressekonferenz nach der Wahl denn auch ausdrücklich abgelehnt, sich auf eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen festzulegen. Die Sozialdemokraten hätten mehrere Optionen, sagte er, und meinte damit eine Koalition mit der FDP oder der CDU.

Das von Schröder zur Schau getragene Selbstvertrauen ist, wie die Analyse des Wahlergebnisses zeigt, weitgehend illusorisch. Die momentane Stärke der SPD beruht auf der anhaltenden Krise der CDU und nicht auf einer verstärkten Unterstützung in der Bevölkerung. Im Auf und Ab der Wahlergebnisse bleibt dagegen eines konstant: die wachsende Kluft zwischen allen offiziellen Parteien und der Masse der Bevölkerung.

Siehe auch:
Die Bundesbedeutung der Hessenwahl
(21. März 2001)
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