Milosevic auf Betreiben der Vereinigten Staaten verhaftet

Die Verhaftung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic am Sonntag vergangener Woche illustriert die Macht und den Einfluss der Vereinigten Staaten über die gesamte Balkanregion.

Milosevics Verhaftung ist der Preis, den das serbische Regime unter Präsident Vojislav Kostunica an die Bush-Regierung für deren fortgesetzte Unterstützung entrichten muss. Kostunica konnte im Oktober vergangenen Jahres mit Unterstützung des Westens Milosevics Sozialistische Partei von der Macht verdrängen.

Am Freitag, dem 30. März, hatte der amerikanische Außenminister Colin Powell erklärt, dass er eine für den nächsten Tag angesetzte Entscheidung über einen Stopp der Hilfsgelder an Belgrad auf Montag, den 2. April, verschieben wolle. Eine Einstellung der Hilfszahlungen hätte zunächst 50 Millionen Dollar betroffen, die der Regierung in Belgrad im letzten Jahr fest zugesagt worden waren, und weitere 100 Millionen Dollar, die für dieses Jahr vorgesehen waren. Von der Entscheidung hing ebenfalls ab, ob Kredite des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar bereitgestellt werden würden.

Die Bush-Regierung machte ihre weitere Unterstützung und die Zahlung von Hilfsgeldern davon abhängig, inwiefern sich die neue Regierung in Belgrad den Wünschen Amerikas anpassen würde. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang war, ob Kostunica bereit sein würde, Milosevic dem Internationalen Tribunal zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Den Haag zu übergeben. Kostunica hat Milosevics Auslieferung bislang verweigert; der Grund dafür ist seine eigene serbisch-nationalistische Politik und die Tatsache, dass Milosevic noch immer eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung genießt, die ihm bei Wahlen im Jahre 1999 noch 30 Prozent der Stimmen einbrachte. Kostunica fürchtet auch, dass die Streitkräfte einen solchen Schritt vehement ablehnen könnten, da Milosevics Auslieferung einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und eine weitergehende Verfolgung derer, die vom Westen als Kriegsverbrecher angesehen werden, ermöglichen würde.

Washington war jedoch nicht bereit, irgendeine Form von Opposition zu dulden. Außenminister Powell sagte, seine Entscheidung über weitere Hilfsgelder würde "alle Handlungen mit einbeziehen, die die Regierung unternommen hat, um dem Gesetz Genüge zu tun... Wir werden sehen, was in den nächsten zwei Tagen passiert, und all das berücksichtigen, wenn ich mein Urteil darüber fälle, ob dies im Einklang mit dem Gesetz steht oder nicht." Bush seinerseits sagte, dass Milosevic "vor Gericht gestellt werden muss... Wir beobachten dies sehr genau."

Da die jugoslawische Wirtschaft in Folge der Bombardierungen durch die NATO und des Investitions- und Handelsboykotts durch den Westen in Trümmern liegt, blieb Kostunica im Grunde keine Wahl. Damit begann eine 36-stündige gespannte Pattsituation. Kostunica entsandte bewaffnete Eliteeinheiten, die Milosevic verhaften sollten; diese fanden jedoch mehrere Hundert Milosevic-Anhänger vor, die sich vor dessen Belgrader Residenz versammelt hatten, um die Verhaftung ihres Führers zu verhindern.

Am Samstag erklärte Milosevic seinen Haftbefehl öffentlich für ungültig, da dieser von "Lakaien der NATO und der USA" ausgestellt worden sei.

Ein erster Versuch, in die Residenz einzudringen, wurde von privaten Sicherheitskräften vereitelt, und Milosevic drohte, lebendig würde man ihn nicht kriegen. Doch schließlich führten nächtliche Verhandlungen zwischen der Regierung und der Sozialistischen Partei Serbiens zu einem unblutigen Ende der Belagerung. Milosevic wurde für die Dauer von 30 Tagen in Gewahrsam genommen. Er wird der Korruption und des Machtmissbrauchs beschuldigt, Anklagen, deren er sich für nicht schuldig erklärt, und sieht einem Gerichtsverfahren in Belgrad entgegen. Die Anklagen beziehen sich auf Veruntreuung, Finanzdelikte und den Missbrauch öffentlicher Gelder und haben somit keinen direkten Bezug zum Balkankrieg.

Doch dies entspricht nicht den Forderungen der Vereinigten Staaten und der europäischen Mächte, die Milosevic in Den Haag den Prozess wegen angeblicher Gräueltaten im Kosovo machen wollen und sich die Möglichkeit offen halten, weitere Klagen wegen serbischer Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien anzustrengen. In den Stunden nach der Verhaftung wurden zahllose Forderungen von europäischen Politikern erhoben, die in diese Richtung gingen.

"Es ist ein weiterer wichtiger Schritt, um Milosevic und seine Kumpanen für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu belangen", sagte der britische Außenminister Robin Cook.

"Wir haben lange auf diesen Tag gewartet. Jetzt muss Recht gesprochen werden", erklärte der französische Präsident Jacques Chirac. Die Bush-Regierung bestand nicht darauf, dass Milosevic umgehend Den Haag übergeben werden müsse, sondern erwartet von Jugoslawien "letzten Endes zu kooperieren".

Russland war das einzige Land, das nicht in diesen Chor einfiel. Vertreter der Putin-Regierung verhielten sich hinsichtlich der Verhaftung Milosevics neutral, bestanden aber darauf, dass er nicht an Den Haag übergeben werden solle. Dimitri Rogosin, der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Internationale Angelegenheiten, warnte davor, dass dies "den Vereinigten Staaten zupass käme, die ihn in Den Haag sehen wollen und damit ihre Handlungen im Frühjahr 1999 legalisieren und die NATO-Aggression gegen Jugoslawien rechtfertigen wollen." Ebenfalls in Bezug auf die Vereinigten Staaten warnte der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Jakowenko: "Im Zusammenhang mit diesen Fragen wäre jeder Druck von außen auf die jugoslawische Führung nicht nur eine Einmischung in die internen Angelegenheiten eines souveränen Staates, sondern könnte auch die Position der demokratischen Kräfte des Landes schwächen."

Man muss nicht mit der nationalistischen Politik Milosevics oder des Putin-Regimes in Moskau übereinstimmen, um zu erkennen, dass Washingtons Beharren auf einem Prozess gegen Milosevic nichts mit Sorge um Gerechtigkeit zu tun hat. Vielmehr wird ein solcher Prozess als unabdingbar erachtet, um das Vorgehen des amerikanischen Imperialismus in der strategisch wichtigen Balkanregion zu rechtfertigen.

Zweifellos war das Milosevic-Regime korrupt, und zweifellos haben serbische Truppen unter dem Kommando Milosevics Gräueltaten gegen Kosovo-Albaner und gegen Kroaten und Muslime in Bosnien begangen. Aber das ganze Leid der Bevölkerung auf dem Balkan ihm allein zuzuschreiben, dient nur dazu, die grundlegende Verantwortung der imperialistischen Mächte für die Entfesselung eines über ein Jahrzehnt anhaltenden blutigen ethnischen Konflikt zu vertuschen und so den Weg für weitere soziale Katastrophen zu bereiten.

Die Ursprünge der Konflikte in Bosnien und im Kosovo liegen im Aufbrechen des ehemaligen Jugoslawien in den späten 80-er und frühen 90-er Jahren. Dies war eine Folge der schweren wirtschaftlichen Erschütterungen, die durch die Strukturanpassungspläne des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank hervorgerufen wurden. Die immer schlimmere wirtschaftliche Katastrophe - galoppierende Inflation und gewaltige Arbeitsplatzvernichtung - führte zum Ausbruch einer Welle von Streiks und Protesten der jugoslawischen Arbeiterklasse. Um die zunehmenden Klassenkämpfe zu zerstreuen, begannen ehemalige stalinistische Bürokraten und nationalistische Demagogen, in der gesamten ehemaligen Republik Jugoslawien nationalistische Gefühle zu schüren, und wetteiferten dabei um die Unterstützung der westlichen Regierungen.

Die imperialistischen Mächte kamen zu dem Schluss, dass die Unterstützung verschiedener separatistischer Bewegungen und das sich daraus ergebende Auseinanderbrechen Jugoslawiens ihrem eigenen Interesse an einer wirtschaftlichen und politischen Beherrschung des Balkans entgegenkommen würde. Die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch Deutschland 1991 setzte den Zerfall Jugoslawiens in Gang und war der Startschuss für erbitterte ethnische Kämpfe. Unterstützt von den Vereinigten Staaten und anderen Großmächten zogen Bosnien-Herzegowina und Mazedonien nach und spalteten sich von Jugoslawien ab.

Obwohl sich der serbische Nationalismus Milosevics keineswegs prinzipiell von dem seiner kroatischen, muslimischen, slowenischen und ethnisch albanischen Rivalen unterschied, hatte die serbische Bourgeoisie das größte Interesse an der Erhaltung eines einheitlichen Staates, in dem sie die dominante Rolle einnahm. Milosevics Regime, das zuvor vom Westen als wichtigste stabilisierende Macht auf dem Balkan betrachtet wurde, bekam eine neue Rolle zugeteilt - die des regionalen Unterdrückers.

Selbst nach dem Bürgerkrieg in Bosnien 1995 waren die Westmächte noch entschlossen, Milosevic weiterhin als ihren Bündnispartner auf dem Balkan zu betrachten. Er galt als wichtigster Garant für das Abkommen von Dayton, durch das ein NATO-Protektorat in Bosnien eingerichtet wurde. Erst sein Widerstand gegen die weitere Zersplitterung Jugoslawiens - die durch die amerikanische Unterstützung für die separatistische Befreiungsarmee des Kosovo UCK auf die Tagesordnung gesetzt wurde - und seine ablehnende Haltung zu den Forderungen Washingtons bei den Gesprächen in Rambouillet im März 1999 - die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von NATO-Truppen auf jugoslawischem Territorium vorsahen - führten dazu, dass Milosevic zum Kriegsverbrecher erklärt wurde.

Die Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals (ICTY) gegen Milosevic wurde im Mai 1999 verfasst. Vor allem in Amerika und Europa sollte dadurch die Unterstützung für den Krieg gegen Serbien aufgebaut werden. Es wurde als erwiesen dargestellt, dass die serbische Bevölkerung angeblich mit den Kriegsverbrechen ihrer Führer übereinstimme - wie Deutschland unter den Nazis - und es daher verdiene, bis zur Unterwerfung bombardiert zu werden.

Die Legalität der Den Haager Anklageschrift ist zweifelhaft. Milosevic wird die Verantwortung für den Tod von 340 Kosovo-Albanern zugeschrieben, die im Verlauf der Auseinandersetzung mit der UCK angeblich von Serben getötet wurden. Allerdings hat Belgrad immer darauf bestanden, dass es sich dabei um eine legitime Polizeiaktion auf serbischem Territorium gehandelt habe. Es ist eine verbürgte Tatsache, dass die UCK seit dem Bosnienkrieg 1995 eine Strategie der Destabilisierung durch terroristische Aktionen in der serbischen Provinz Kosovo verfolgte. Sie setzte ihre Hoffnung darauf, dass die Vereinigten Staaten und die NATO intervenieren würden. Auch erhielt die UCK im fortgeschrittenen Stadium ihrer Destabilisierungskampagne Hilfe und Ausbildung durch die CIA.

Außerdem gibt es keinen Beweis für die zentrale Rechtfertigung des NATO-Angriffs, dass Serbien bereits vor Beginn der Bombardierungen durch den Westen systematisch ethnische Säuberungen durchgeführt habe. Im Nachhinein wurde die Zahl der während des gesamten Kriegs getöteten Kosovo-Albaner ständig nach unten korrigiert; inzwischen ist sie bei einem Zehntel dessen angelangt, was ursprünglich vom Westen behauptet worden war.

Damals hatten solche Überlegungen kein Gewicht, weil die Propagandamaschine der NATO zur Rechtfertigung des Kriegs gegen Serbien die UCK als heroische Freiheitskämpfer darstellte, die grausam von Belgrad unterdrückt würden.

Die Bush-Regierung ist offensichtlich der Meinung, dass, falls Milosevic nicht vor ein Gericht gestellt wird (dessen Ausrichtung die USA festgelegt haben und dessen Urteil weitgehend von ihnen bestimmt wird), sie mit weiteren Fragen zu dem militärischen Abenteuer von 1999 unter amerikanischer Führung rechnen müsse. Daher besteht Washington darauf, dass das ganze schmutzige Kapitel abgeschlossen werden soll.

Ironischerweise ist dies jetzt besonders dringlich geworden, da die Vereinigten Staaten ihre Balkanpolitik verändert haben, weil separatistische Kräfte der ethnischen Albaner eine wachsende Gefahr für die regionale Stabilität darstellen. Die "Freiheitskämpfer" der UCK der vergangenen Jahre werden heute - in Gestalt der Nationalen Befreiungsarmee von Mazedonien - von den Vereinigten Staaten und Europa allgemein als Terroristen betrachtet. Serbische Truppen patrouillieren an der Grenze des Kosovo gemeinsam mit NATO-Einheiten, um militärische Einfälle in das benachbarte Mazedonien und nach Südserbien zu unterbinden, die bereits zur Vertreibung von Zehntausenden Nicht-Albanern geführt haben. Da jede Rechtfertigung für den Krieg im Jahre 1999 sich in Luft aufgelöst hat, ist es um so mehr erforderlich geworden, Milosevic zum Sündenbock für all das zu machen, was letztlich der räuberischen Politik der Vereinigten Staaten und der europäischen Regierungen zuzuschreiben ist.

Siehe auch:
Wie der Westen den Sturz von Milosevic organisierte
(17. Oktober 2000)
Loading