Thomas Ostermeiers Inszenierung von Büchners Klassiker Dantons Tod an der Berliner Schaubühne

Zorniger junger Mann - ohne Ziel

Der erst 33 Jahre alte Thomas Ostermeier ist Leiter der Schaubühne, eines der führenden Berliner Theater. Vor etwas über einem Jahr war er an diese Bühne gerufen worden mit dem Ziel, ihren sinkenden Stern wieder aufzupolieren. Er hat sich seitdem darauf konzentriert, eine Reihe zeitgenössischer Stücke und Ballettaufführungen auf die Bühne zu bringen. Ostermeier selbst inszenierte Stücke der englischen Autoren Sarah Kane (Gier) und von Mark Ravenhill (Shopping und F**ken). Kane und Ravenhills Stücke handeln von sexueller und physischer Gewalt und setzen sich mit der Desintegration (oder der Unmöglichkeit) sozialer Beziehungen in den entwickelten Industrieländern auseinander.

Ihre Arbeiten berühren einen wesentlichen Aspekt der Gegenwartsgesellschaft - die Art und Weise, wie das Geld den menschlichen Wesen und ihren Beziehungen jede Tiefe und Würde rauben. Diese Stücke sind voller Wut und Zorn - und manches in ihnen richtet sich gegen den modernen Kapitalismus. Dennoch ist der Eindruck, den die Stücke dieser beiden Autoren hinterlassen, dass sie von etwas fasziniert sind, was sie als den bestialischen Charakter des Menschen ansehen. Sie konzentrieren sich auf den Schmerz und das Leiden und auf eine Art Zelebrierung der Katharsis durch den Tod, wie sie von Denkern wie Michel Foucault populär gemacht wurde.

Sonntags hat Ostermeier die Schaubühne für öffentliche Diskussionen mit Politikern und postmodernistischen Philosophen geöffnet. Ostermeiers eigene Inszenierungen von Texten sind auf verhalten kritische Resonanz gestoßen - die beliebtesten Aufführungen sind Tanzstücke. Mit seiner neusten Produktion Dantons Tod hat es Ostermeier erstmals gewagt, eines der bedeutendsten Stücke des deutschen Theaters des 19. Jahrhunderts aufzuführen. Ein Stück, welches fest zum Repertoire des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit vermochte Ostermeier ein neues, jüngeres Publikum für sein Theater zu gewinnen, aber in seiner Behandlung von Dantons Tod wird deutlich, dass er vollkommen an der Oberfläche geblieben ist.

Dantons Tod

Georg Büchner war gerade 22 Jahre alt, als er 1835 in nur fünf Wochen dieses Stück schrieb. Sein Thema ist die blutige zweite Phase der Französischen Revolution, und es handelt von fünf Tagen im Leben des Justizministers der Revolutionsregierung, Georges Danton. Danton hatte in den früheren Stadien der Revolution eine führende Rolle gespielt. Aber diese war jetzt in eine neue, radikalere Phase getreten. Gleichsam über Nacht erschien Dantons Radikalismus, verglichen mit den Zielen und der Rhetorik der Jakobiner und ihrem Führer Robespierre, geradezu gemäßigt. Büchners Text hat auch der polnische Regisseur Andrzej Waidja bearbeitet und zur Grundlage eines wunderbaren Films gemacht.

Dieser starke dramatische Text von Büchner, der sich mit dem Widerspruch zwischen den erklärten Zielen der Revolutionäre, das Los der Massen zu verbessern und der sich in Wirklichkeit verschlimmernden Lage des Volkes, auseinandersetzt, kommt gelegentlich über die Rampe. (Zu Ostermeiers Ehre sei vermerkt, dass er sich sehr eng an den ursprünglichen Text gehalten hat.) Aber ein Großteil seiner Inszenierungselemente stören. Zu oft werden Szenen durch unpassende Einschübe abgebrochen und Ostermeier scheint das Vertrauen in den Text und sein Thema zu verlieren.

Die Rolle von Dantons Frau wird von einem muskulösen jungen Mann gespielt; überhaupt werden fast alle Frauenrollen von Männern dargestellt. Sicher spielt die Frage der Sinnlichkeit in den Beziehungen der Geschlechter in Büchners Text eine große Rolle, aber es ist schwer nachzuvollziehen, welchen Aspekt Ostermeier durch die Einführung des Geschlechtertauschs und Elementen der Travestie dem Stück hinzuzufügen beabsichtigt.

Statt sich auf die Stärke von Büchners Text zu verlassen, bricht Ostermeiers Danton in einer Szene zusammen und wälzt sich melodramatisch in einem Anfall von Gewissensqualen auf der Bühne herum. Dröhnende Livemusik wird höchst primitiv eingesetzt, um das Chaos der Revolution anzudeuten. Die Figur des Robespierre wird als großspuriger Demagoge ohne jene politische Gewandtheit dargestellt, die ihn in Büchners ursprünglichem Text auszeichnet.

Anlässlich des Prozesses vor dem Revolutionstribunal gegen Danton (er selbst hatte diesen "Ausschuss für Öffentliche Sicherheit" mit ins Leben gerufen) macht Ostermeier offensichtlich einige Anspielungen auf die Moskauer Schauprozesse der dreißiger Jahre, indem er Danton seine Verteidigung in eines jener überdimensionalen Radiomikrophone grölen lässt, wie sie in dem Wochenschaufilm von dem stalinistischen Staatsanwalt Wyschinski benutzt werden.

Aber keines dieser Stilmittel scheint von dem Standpunkt aus durchdacht worden zu sein, was es dem Stück hinzufügen könnte. Der Eklektizismus vieler dieser Elemente in der Inszenierung deutet darauf hin, dass Ostermeier es nicht geschafft hat, die Bedeutung der historischen Ereignisse und der Debatten zu begreifen, wie sie sich aus der Entwicklung der Revolution selbst ergeben.

Die Geschichte ernst nehmen

In Büchners ursprünglichem Text beschreitet Danton einen schmalen Grad. Einerseits vertraut er auf seine Popularität und sein Ansehen, die ihn vor der Guillotine retten könnten. Andererseits versöhnt er sich in beredten Monologen auch mit der Möglichkeit seines Todes und grübelt über Bedeutung und Sinn des Lebens an sich nach.

Büchners Stück war Teil der Debatte deutscher Intellektueller und Künstler über die Französische Revolution in Deutschland. Die führenden deutschen Intellektuellen hatten die Ereignisse in Frankreich sehr genau verfolgt. Fast uneingeschränkt begrüßten sie den Ausbruch der Revolution und sahen die Volksbewegung in Frankreich und ihre radikalen Forderungen als ein Mittel an, das auch die verkrusteten Strukturen der Stagnation in Deutschland aufbrechen und seine Zersplitterung in zahllose kleine und kleinste mehr oder weniger feudale rückständige Zwergstaaten Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts überwinden könnte.

Konfrontiert mit einem konterrevolutionären Rückschlag zu Hause und der Gefahr einer Besetzung durch ausländische Truppen war die Revolution in Frankreich 1793-94 in ihr zweites, weit blutigeres Stadium getreten.

Büchners Behandlung der Revolution beleuchtet den Weg, den ihre wichtigsten Führungspersönlichkeiten einschlugen, um Stück für Stück die Ereignisse zu verstehen, die sie gerade erlebten, und sich zu fragen, in welchem Ausmaß sie die sozialen Prozesse, die sie in Gang gesetzt hatten, noch kontrollieren konnten. An einer Stelle des Stücks, als seine eigene Exekution immer wahrscheinlicher wird, bemerkt Danton: "Die Revolution... frisst ihre eigenen Kinder." Etwas später entgegnet Robespierre: "Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab." Beide Männer streben - jeder auf seine Weise - mit aller Kraft danach, die Dynamik der Revolution zu verstehen.

Die radikaleren Methoden, die der Flügel Robespierres, die Jakobiner, anwandten, um die Massen zu mobilisieren, führten zu einer Polarisierung unter den deutschen Intellektuellen, die die Revolution am Anfang unterstützt hatten. Das Zurückfluten der Revolution und der Massenbewegung, die sie ausgelöst hatte, machten völkisch-nationalistischen Moralpredigten Platz. Man zog sich auf das Seelenleben des Individuums zurück, eine Haltung, die unter den deutschen Romantikern und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer größere Bedeutung erlangte.

Andere, wie Johann Wolfgang von Goethe, machten keinen Hehl aus ihrem Abscheu vor den Methoden der Jakobiner, unterstützten die Diktatur Napoleons jedoch als das einzige Mittel, Europa zu stabilisieren und einige Errungenschaften der Revolution zu bewahren. Goethe verurteilte die deutschen Romantiker mit beißender Schärfe und bemerkte, dass diese Dichter alle schrieben: "als ob sie krank wären und die ganze Welt ein Hospital sei".

Büchner studierte die Ereignisse in Frankreich sehr gründlich - nicht nur von einem akademischen Standpunkt aus, sondern um sich und seiner Generation Klarheit über die Lehren aus der Revolution zu verschaffen. Er war erst 17 Jahre alt, als er aufmerksam die Ereignisse in Paris im Juli 1930 verfolgte. Damals führte ein erneuter Aufstand des Volkes zur Absetzung des Königs Charles X., ein neuer Monarch, Louis Philippe, kam an die Macht und eine liberalere Verfassung wurde eingeführt.

Die Ereignisse in Frankreich waren Katalysator einer breiten sozialen Bewegung in Deutschland, die sich gegen die hohe Besteuerung und Handelsbeschränkungen richtete. Sie fand schließlich im Hambacher Fest 1832 ihren Höhepunkt, wo sich 30.000 Menschen versammelten und Forderungen nach einem geeinten und republikanischen Deutschland erhoben.

In seinem kurzen Leben als Erwachsener war Büchner politisch aktiv und engagierte sich in Volksbewegungen wie der "Gesellschaft für Menschenrechte". Nach den zu dieser Zeit überall in Deutschland einsetzenden Unterdrückungsmaßnahmen, war der Dramatiker gezwungen, ins Exil zu fliehen. Die vielen Entbehrungen, die er durchmachen musste, trugen zu seinem frühen tragischen Tod im Alter von nur 23 Jahren bei. Nach Aussagen seines Bruders Ludwig sei Georg Büchner mehr "Sozialist als Republikaner" gewesen.

Dantons Tod widerspiegelt Büchners eigene Enttäuschung über den Verlauf der Französischen Revolution, aber anders als viele der deutschen Romantiker, die sich aus der Wirklichkeit zurückzogen und in ihren Gedichten eine mythisch-völkische Utopie zu beschwören versuchten, beschäftigte sich Büchner hauptsächlich damit, die Ereignisse und die Personen der Revolution so klar wie möglich zu erfassen und darzustellen. In Verlauf seiner Arbeit erkannte Büchner drei wesentliche Einflüsse an: das "Studium der Geschichte, die poetische Literatur und die Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um uns herum vorgeht." (zitiert in Jan Christoph Hauschilds ausgezeichneter Biographie: Georg Büchner, Propyläen Taschenbuch, S. 540)

Gegen diejenigen, die sein Werk als "unmoralisch" kritisiert hatten schrieb Büchner 1835 an seine Familie: " Was übrigens die sogenannte Unsittlichkeit meines Buch angeht, so habe ich Folgendes zu antworten: der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Gesichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden..." (ebd. S. 553)

Was die Französische Revolution selbst angeht, so hat sich die heftige Kontroverse über ihre Bedeutung im Laufe der Zeit sogar noch verschärft. Insbesondere in Frankreich selbst findet zunehmend eine Kampagne unter Intellektuellen und sogenannten Postmodernisten statt (von denen viele früher einmal der Kommunistischen Partei Frankreichs angehörten), in der die Revolution als reaktionäres Ereignis und Schandfleck der Geschichte verleumdet wird. (Der russische Marxist Georg Plechanow hat viele Argumente dieser jüngsten Gegner der Französischen Revolution vorweggenommen und 1890 in seinem brillanten Essay Wie sich die Bourgeoisie an ihre eigene Revolution erinnert beantwortet).

Was aus dem Eklektizismus und der Hohlheit von Ostermanns Inszenierung deutlich wird, ist sein Mangel an Zuversicht und die Unfähigkeit, derartige historische Themen zu begreifen. Eine enge Vertrautheit mit dem historischen Hintergrund und den Kontroversen um die Französische Revolution sollte nicht als Zwangsjacke für eine buchstabengetreue Interpretation von Büchners Text verstanden werden. Aber die Voraussetzung für einen ernsthaften Versuch, Büchners Stück neu zu interpretieren oder zu modernisieren, wäre ein Verständnis der Ereignisse, die vor mehr als zweihundert Jahren stattgefunden haben. Damit einhergehen müsste ein Gespür für ihre Bedeutung und Aktualität für die moderne Gesellschaft und das politische Theater. In dieser Hinsicht ist Ostermeiers jüngste Produktion bedauerlicherweise mangelhaft.

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