Gewerkschaftsfunktionäre greifen streikende Piloten an

Am gestrigen Donnerstag setzten die Lufthansapiloten ihren Arbeitskampf fort und legten in einem 24 stündigen Streik einen Großteil des deutschen Flugverkehrs lahm. Eine Lufthansa-Sprecherin bestätigte, dass bereits bis zum frühen Nachmittag mehr als 600 der geplanten 1100 Flüge abgesagt werden mußten.

Wie bereits vor zwei Wochen hatte die Vereinigung Cockpit (VC), in der rund 4.200 Piloten organisiert sind, zusätzlich zu den Lienenflügen auch die Lufthansa-Töchter Condor und Condor Berlin (Ferienflüge) sowie das Frachtunternehmen Lufthansa Cargo bestreikt. Nach eigenen Angaben entsteht der Fluggesellschaft mit jedem Streiktag ein Verlust in Höhe von 50 Millionen Mark.

Ihre ursprüngliche Forderung haben die Piloten von einem ursprünglichen Gesamtvolumen von 32 Prozent in den jüngsten Verhandlungen reduziert und fordert nun eine Gehaltserhöhung von 24 Prozent, eine variable Vergütung je nach Konzernergebnis und eine Laufzeit von zwölf Monaten. Die Lufthansa bot in ihrem letzten Angebot Lohnerhöhungen von rund 10,6 Prozent bei einer Laufzeit von vier Jahren und einer jährlichen, variablen Zusatzvergütung. Nach Angaben der Vereinigung Cockpit entspräche dies einem jährlichen Lohnzuwachs von rund 5,5 Prozent und sei völlig inakzeptabel.

Die streikenden Piloten machen darauf aufmerksam, dass sie Anfang der neunziger Jahre mehrjährige Lohnzurückhaltung und sogar Lohnsenkung akzeptiert haben, um dem damals wirtschaftlich sehr angeschlagenen Unternehmen auf die Beine zu helfen. Die Gewerkschaften hatten 1992 im sogenannten "Sanierungstarifvertrag" für alle Lufthansabeschäftigten drastische Einkommenseinbußen und Mehrarbeit akzeptiert. Allein von 1991 auf 1992 wurden die Gehälter nach Angaben der Vereinigung Cockpit um 28 Prozent verringert. Außerdem wurde damals von den Gewerkschaften ÖTV und DAG der Abbau von 8.000 Arbeitsplätzen bei der Lufthansa vereinbart.

Gestützt auf diese Maßnahmen stiegen die Gewinne. Lufthansa-Chef Jürgen Weber betont bereits seit einiger Zeit, er leite eine der profitabelsten Fluggesellschaften der Welt. Der Konzern steigerte 2000 seinen Umsatz um 14 Prozent oder 1,1 Milliarden DM. Das Konzernergebnis vor Steuern wurde um 4,4 Prozent oder um 8,5 Millionen Euro gesteigert, was rund 17 Millionen Mark mehr Gewinn bedeutet, als im Jahr 1999.

Bereits seit einigen Jahren fordern die Piloten die Rückzahlung ihrer Lohneinbußen, doch die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) von der sie früher vertreten wurden, weigerte sich und blockte ihre Forderung ab. Daraufhin stützten sich die Piloten auf ihre Berufsvereinigung Cockpit und setzten 1999 deren Anerkennung als Gewerkschaft durch.

Die DGB-Gewerkschaften, allen voran die neue Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, in der auch die ÖTV und die DAG aufgegangen sind, haben sich in aller Schärfe gegen den Streik der Piloten ausgesprochen und auf die Seite der Lufthansa-Geschäftsleitung gestellt. Die stellvertretende Vorsitzende von Verdi, Margret Mönig-Raane, sagte, die Piloten setzten ihre Interessen ohne Rücksicht auf das Unternehmen und dessen Beschäftigte durch. Sie warf den Flugkapitänen in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters "Sozial-Darvinismus" vor.

In das selbe Horn stieß der DGB-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Dieter Kretschmer. Er sagte der Rhein-Zeitung, hier versuche eine Gruppe, "sich ein möglichst großes Stück aus dem Kuchen herauszuschneiden". Sollten sich die Piloten mit ihrer Forderung durchsetzen, gehe dies zu Lasten der übrigen Belegschaft. Deutlicher könnten sich die Gewerkschaften kaum als Streikbrecher und Anwalt der Geschäftsleitung darstellen.

Am Frankfurter Flughafen gingen Betriebsrat und Gewerkschaft so weit, einige hundert Beschäftigte der Lufthansa zu einer Protestaktion während der Mittagspause gegen den Pilotenstreik zu ermutigen und sie mit Schildern zu versorgen, auf denen das Kürzel der Vereinigung Cockpit VC mit "Viel Cash" wiedergegeben wurde.

Während die DGB-Gewerkschaften behaupten, die Piloten verfolgten mit ihrem Streik völlig egoistische und selbstsüchtige Interessen einer ohnehin privilegierten Minderheit, waren sie es, die von Anfang an den Arbeitskampf der Flugkapitäne isolierten. Am 24 März diesen Jahres schloß Verdi für die rund 50 000 Beschäftigten der Lufthansa einen Tarifvertrag ab, der eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent, bei einer Laufzeit von 19 Monaten festlegt. Sie wollten die Streikbereitschaft der Piloten auf keinen Fall nutzen, um für alle Beschäftigten deutlich höhere Einkommen und einen Ausgleich für den vergangenen Sanierungsbeitrag durchzusetzen.

Jetzt fürchten sie, dass durch den Streik der Piloten der Knebelcharakter ihres eigenen Tarifvertrags sichtbar wird, der die Beschäftigten mit einer minimalen Lohnerhöhung, bei einer 2,9 prozentigen Inflationsrate, zur Friedenspflicht zwingt. Denn nicht nur die Piloten, auch Fluglotsen, Techniker, Besatzungspersonal und so weiter, könnten weit höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen.

Auch der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel warnte, ein Abschluss in der Größenordnung von 30 Prozent könne "Nachschlagdebatten in anderen Branchen" auslösen. Dies hätte "nichts mehr mit dem Interesse des Gemeinwohls zu tun", betont er am Montag vor Journalisten.

Die Angst vor einer internationalen Ausweitung des Konflikts

Überraschend traten die Beschäftigten des Bodenpersonals der deutschen BA am Dienstag, den 15. Mai, in einen zweistündigen Warnstreik, um mehr freie Tage und die Begrenzung der monatlichen Flugzeit auf nicht mehr als 85 Stunden durchzusetzen. Der Streik von 140 der 331 Arbeiter führte zum Ausfall von sieben Flügen und Verspätungen, von denen hauptsächlich der innerdeutsche Flugverkehr dieser Linie betroffen war.

Doch neben der Ausweitung auf andere deutsche Fluglinien fürchten die Fluggesellschaften, dass sich der Arbeitskampf internationalisiert und damit eine viel größere Dimension erreichen könnte. Tatsächlich wird der Streik der Lufthansa-Piloten international interessiert verfolgt. Sowohl die Association of Star Alliance Pilots (ASAP - internationale Pilotenvereinigung), der auch die VC angehört, als auch die Air Canada Pilots Association (APAC - Pilotenvereinigung der Air Canada) sandten bereits Unterstützungsschreiben und weigern sich, Sonderflüge auf den ausgefallenen Lufthansa-Linien zu unternehmen.

Auch Beschäftigte anderer Fluggesellschaften beobachten die Tarifverhandlungen in Deutschland mit Interesse. Bei British Airways läuft der gegenwärtige Tarifvertrag zum Jahresende aus und die Piloten der spanischen Iberia haben ihren Bummelstreik von Anfang März dieses Jahres nur ausgesetzt, womit dem derzeitigen Tarifkonflikt Beispielcharakter zukommt.

Teure Ausbildung und unsichere Zukunft

Die Darstellung in Medienberichten, die Berufsgruppe verdiene im Allgemeinen Hundertausende, ist sachlich falsch. Insgesamt ist der Weg zum ausgebildeten Kapitän eines großen Passagierflugzeugs lang und teuer. Nach einem Berufsqualifizierenden und einem Firmenqualifizierenden Test, die rund 90 Prozent der Probanden nicht bestehen, beginnt eine 18 bis 24-monatige Ausbildung, die der angehende Pilot selbst finanzieren muss. Die Kosten belaufen sich je nach Qualität (was die Chancen auf einen Job bei einer grossen Airline maßgeblich beeinflusst) auf 80.000 bis 130.000 DM, wobei die Kosten für den Lebensunterhalt und die Unterkunft während dieser Zeit nicht beinhaltet sind. Teilweise verlangen Fluggesellschaften zusätzlich eine interne Musterberechtigung, die bis zu 50.000 DM zusätzlich verschlingt.

Somit starten viele Piloten ihre berufliche Karriere mit einem hohen Schuldenberg. Doch die Einstiegsgehälter sind vergleichsweise niedrig und beginnen -je nach Unternehmen- bei 3.500 bis 7.000 DM. Erst nachdem ein Pilot nach seiner Ausbildung als Erster Offizier bis zu zwölf Jahren als Co-Pilot erfolgreich absolviert hat, kann er zum Kapitän aufsteigen. Erst als Kapitän, also Hauptverantwortlicher für Hunderte Passagiere pro Flug, verdient er bei einer grossen Airline rund 14.000 Mark, bei kleineren aber nur um die 6.000 Mark monatlich als Grundgehalt. Auch bei der Lufthansa verdient ein Kapitän erst im 25. Dienstjahr über 300.000 DM und kommt damit erst kurz vor seinem Berufsende in die Gehaltskategorie, die in den Medien als Standardverdienst ausgegeben wird.

Doch ist eine sofort anschließende Anstellung nach der Ausbildung keineswegs sicher, selbst die Ausbildung in an Airlines angeschlossenen Zentren garantiert keine Übernahme. Die Situation an diesem Arbeitsmarkt schwankt ständig und kann ausgebildete, aber hoch verschuldete Piloten zu längeren Wartezeiten zwingen. Auch verlangen große Gesellschaften eine Mindestanzahl Flugstunden von Bewerbern, die zwischen ein- und zweitausend Stunden liegen, während ein Pilot durch seine Ausbildung auf gerade einmal 170 Flugstunden kommt.

Somit ist ein großer Teil der frisch ausgebildeten Piloten gezwungen, bei kleineren Unternehmen anzuheuern, deren Gehälter ausreichen die Schulden zu tilgen, aber sicherlich nicht dafür, das Luxusleben zu führen, dass den Piloten per se seitens der "empörten" bürgerlichen Medien zugeschrieben wird.

Die 1992 vorgenommenen Lohnkürzungen haben für die Piloten der Lufthansa außerdem zu einem Zurückbleiben hinter den Gehaltsentwicklungen anderer Fluggesellschaften geführt. Bei einer, im internationalen Vergleich, um fünf Prozent höheren Durchschnittsarbeitsleistung pro Jahr, verdienten die Lufthansa-Piloten 1999 um 27 Prozent weniger als im internationalen Durchschnitt und die Entwicklung ihrer Gehälter liegt seit 1991 um 30 Prozent hinter der Entwicklung des bundesdeutschen Durchschnittseinkommens.

Hohe körperliche und gesundheitliche Belastungen

Auf den Piloten kommt ausserdem eine enorme Arbeitsbelastung zu. Die Arbeitszeiten liegen zwischen zwölf Stunden am Stück über vier Tage in Folge, oder gar vierzehn Stunden am Stück zwei Tage hintereinander. Um Arbeitsplätze streichen zu können, verlagern die Fluggesellschaften berufsuntypische Arbeiten auf die Piloten. Bedurfte es vor nicht allzu langer Zeit einer dreijährigen Zusatzausbildung zum sogenannten Ramp Agent, der Beladung, das Catering und den Einstieg der Passagiere kontrollierte, so werden diese Tätigkeiten nun vermehrt auf die Piloten übertragen. Die müssen die nun zusätzlich anfallende Arbeit neben den Vorbereitungen auf den nächsten Flug, der Kontrolle der Betankung und Prüfung der technischen Sicherheit ihres Flugzeuges unternehmen. Die Folge davon sind immer kürzer werdende Pausen- und Regenerationszeiten, die, in Kombination mit den langen Arbeitszeiten, die Sicherheit des Flugverkehrs insgesamt gefährden.

Jederzeit droht einem Piloten das erzwungene Berufsende, wenn Beeinträchtigungen der Gesundheit eine Weiterarbeit unmöglich machen. Zur Feststellung ihrer Tauglichkeit müssen sich die Piloten jährlich, ab dem 40. Lebensjahr halbjährlich einem Gesundheitscheck unterziehen. Die Piloten haben nur die Möglichkeit sich gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit privat zu versichern und die hohen monatlichen Prämien zwischen 600 und 800 DM machen deutlich, dass die Versicherungen dieses Risiko als wahrscheinlich einstufen.

Insgesamt ist der Arbeitsplatz im Cockpit mit Gefahren für die Gesundheit verbunden. Die kosmische Strahlung (hochenergiereiche Neutronen, Elektronen, Gammastrahlung, etc.) stellt dabei ein enormes Erkrankungsrisiko dar. Je höher der Mensch sich in der Atmosphäre bewegt, umso weniger kann diese die kosmische Strahlung abschirmen. Dabei werden Menschen in Flughöhen der zivilen Luftfahrt um das 120fache stärker belastet, als auf der Erde. Die statistische durchschnittliche Strahlenbelastung der Flugzeugbesatzungen übersteigt die der Arbeiter in AKWs um das Fünffache (wobei keine Störfälle in Atomkraftwerken in diese Statistiken einfließen).

Diese Strahlung, die von der Aktivität der Sonne beeinflusst wird und außerdem nach geographischer Position über dem Globus variiert, hat eine sehr hohe biologische Schadwirkung. Schädigungen des Erbgut treten bei Flugzeugbesatzungen um das Acht bis Zehnfache häufiger auf als im Durchschnitt, ebenso diverse Krebserkrankungen, wie Haut-, Brust-, Knochenkrebs, Hirntumore oder Hodenkrebs, die bis zu 15mal häufiger auftreten als im Bevölkerungsmittel. Die Bestrahlung ist so hoch, dass ein einziger Transatlantikflug, je nach Route des Flugs und der Sonnenaktivität, der Belastung von zwei bis vier Röntgenaufnahmen der Brust (Thorax) entspricht. Die Jahresbelastung von Piloten und Flugzeugpersonal entspricht demnach durchschnittlich 150 bis 300 Röntgenaufnahmen.

Wenn angesichts dieser Tatsachen die Forderungen der Piloten als völlig überzogen und als eine Gefahr für die Existenz der Lufthansa dargestellt werden, ist dies offensichtlich falsch. Richtig ist, dass der Streik den vollständigen Bankrott der DGB-Gewerkschaften deutlich gemacht hat. Vor allem die, erst vor wenigen Monaten, mit großem Pomp und Medienwirbel aus der Taufe gehobene Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die sich gern als größte Einzelgewerkschaft der Welt bezeichnet, zeigt sich in wahrer Gestalt: als bürokratisches Monstrum und Zwangsjacke für die Beschäftigten.

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