Zu Naders Rede in Detroit:

Der Präsidentschaftskandidat der Grünen schweigt zu Bush

Eines der bemerkenswertesten Phänomene der letzten Monate war die politische Amnestie, die Präsident George Bush vom Präsidentschaftskandidaten der Grünen, Ralph Nader, eingeräumt wurde. Seit Bushs Amtsübernahme hat Nader, der während des Wahlkampfs als Gegner der wirtschaftlichen Vorherrschaft der beiden großen US-amerikanischen Parteien auftrat, noch keine Silbe darüber verloren, dass dies eine der rechtesten und wirtschaftsfreundlichsten Regierungen der amerikanischen Geschichte ist.

Ein Blick auf die jüngst erschienenen Zeitungsartikel und Veröffentlichungen im Land macht deutlich, dass Nader Bush und den Republikanern weiterhin politische Deckung verschafft. Letzten Monat trat er als Co-Autor einer Kolumne des Wall Street Journal an die Öffentlichkeit, in welcher die neue Regierung positiv beurteilt wurde. Der Artikel vom 7. März mit dem Titel "Abbau der bisherigen Sozialleistungen für Konzerne" lobte Bush für seinen Vorschlag, den Umfang dreier staatlicher Subventionsprogramme für Unternehmen zu kürzen (siehe: "Nader unterbreitet Bush ein Friedensangebot", WSWS, 3. April 2001).

Nach Auftritten in Los Angeles und anderen Städten hielt Nader am 2. April eine Rede an der Wayne State University in Detroit. An dieser einstündigen Rede, angekündigt zum Thema "Den Parteien-Dualismus aufbrechen", fiel vor allem ins Auge, dass jegliche Erwähnung Bushs oder der rechten Politik der neuen Regierung völlig fehlte.

Nader machte stattdessen nur einige allgemeine Bemerkungen über den dominierenden Einfluss der Unternehmen auf das politische System der USA. Mit keinem Wort ging er auf die Art und Weise ein, mit der die Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 entschieden wurden, nämlich mit einer von den Republikanern geführten Kampagne zur Unterdrückung der Stimmenzählung in Florida, die in der parteiischen und zutiefst undemokratischen Entscheidung des Obersten Gerichts der USA ihren Höhepunkt fand.

Nader ging auf Bush nur in seinen Antworten auf Fragen aus dem Auditorium ein. Hierbei musste er einräumen, dass Bush Unfallverhütungsvorschriften am Arbeitsplatz abschafft und die strengen Arsen-Grenzwerte für Trinkwasser aufweicht. Doch wählte er seine Worte so, als sei nicht Bush der Schuldige, sondern der ehemalige Präsidenten Clinton: "Bei all diesen Dingen, die Bush eliminiert - ergonomische und ökologische Schutzmaßnahmen - stellte Clinton ihm eine Falle und er tappte hinein."

In einer weiteren Antwort spielte er die Bedrohung der Umwelt durch Bush herunter. Es könne sein, so Nader, dass der republikanische Präsident die nationalen Wälder schädige, weil er sie abholzen lasse, doch könne er sich nicht erlauben, die Naturschutzgebiete Alaskas für die Ölförderung zu öffnen oder die Arsen-Grenzwerte für Trinkwasser noch weiter zu senken. Dies sei unmöglich, weil es einen "Konsens in diesem Land über saubere Luft, sauberes Wasser" gebe, der angeblich auch von den Konservativen geteilt werde.

Naders selbstgefällige Bemerkungen offenbaren seinen chronischen Mangel an politischer Urteilsfähigkeit und Weitsicht. Wieso soll man annehmen, dass eine Regierung, die durch die Unterdrückung des Wählerwillens die Macht ergriffen hat, sich der öffentlichen Meinung beugen und von ihrem rechten Programm abrücken würde?

Doch Naders Standpunkte fördern einen weiteren, grundsätzlicheren Aspekt zu Tage. Sie zeigen, dass es ihm und den Grünen an Ernsthaftigkeit fehlt, wenn es um die Frage geht, eine wirkliche Alternative zu den zwei kapitalistischen Parteien aufzubauen. In Wirklichkeit wollen die Grünen nur Druck auf die existierenden Parteien ausüben. Würde tatsächlich der öffentliche Konsens letzten Endes die Politik der Regierung bestimmen - und es bleibt ein Rätsel, wie dies in einem politischen System geschehen soll, das von zwei Parteien monopolisiert ist, die selbst nach Naders Ansicht vom Big Business kontrolliert werden -, dann müsste die entsprechende Strategie darauf abzielen, den öffentlichen Konsens - einschließlich den "der Konservativen" - zu prägen, indem man Druck ausübt, Reden hält, etc.

Die Grüne Partei wird von Nader und Konsorten als Hebel gesehen, um die Politik der herrschenden Elite und deren Parteien zu beeinflussen, oder, wie Nader sagt, sie "vor sich herzutreiben" und "herauszufordern". Sie wird nicht als ein unabhängiges Instrument der Massen gesehen, um die Kontrolle über die Regierung und die Gesellschaft als Ganzes zu übernehmen. "Was würde es die Menschen kosten, zu einer Kraft zu werden, die über die Regierung herrscht?" fragte Nader und unterstrich damit die banalen, reformistischen Vorstellungen, die seiner Politik zugrunde liegen. "Die Menschen müssten nur das Geld, das sie für Soft-Drinks ausgeben, in ein Kongress-Kontrollkomitee investieren, um die Gesetzgeber und ihre Stimmabgaben zu überwachen, das heißt pro Kongressabgeordneten ein Büro und einen Vollzeit-Mitarbeiter. Wäre das wirklich eine historische Anstrengung?"

Bezugnehmend auf eine weitere Zuhörerfrage sagte Nader: "Clinton und Gore haben keinen Finger für den Schutz der Umwelt gerührt"; und er stellte folgende Frage an das Auditorium zum Einzug Bushs ins Weiße Haus: "Wie viel habt ihr dadurch verloren?" Hiermit griff Nader seine Aussagen aus dem Wahlkampf wieder auf, es gäbe keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Parteien, da sie beide von Wirtschaftsinteressen kontrolliert seien. Diese radikal klingende Position ist in Wirklichkeit eine Art Anpassung an die rechtesten Teile des politischen Establishment, die durch die Republikaner repräsentiert werden. Sie ignoriert die Tatsache, dass die Clinton-Jahre einen politischen Kriegszug in Washington erlebten, wie es ihn seit der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg nicht mehr gegeben hat und der 1998 im ersten Amtsenthebungsverfahren gegen einen gewählten Präsidenten überhaupt gipfelte. Der Putschversuch des republikanischen Impeachments, das letztendlich am Freispruch des Senats für Clinton scheiterte, wurde in anderer Form fortgesetzt, als es den Republikanern gelang, die Wahlen 2000 zu stehlen.

Für Sozialisten beinhaltet die Opposition gegen die Republikaner und die reaktionären Kräfte, die hinter ihnen stehen, in keiner Weise eine politische Unterstützung für die Demokratische Partei. Wie die Ereignisse der vergangenen Jahre gezeigt haben, können sich Arbeiter zur Verteidigung ihrer demokratischen Rechte - einschließlich des Wahlrechts - gegen die Angriffe der rechtesten Teile der herrschenden Klasse nicht auf die Demokraten und Liberalen stützen. Ihre demokratischen Grundrechte können sie einzig und allein durch den Aufbau einer sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse verteidigen.

Unsere Opposition gegen Demokraten und Republikaner basiert nicht auf der falschen Annahme, zwischen ihnen existiere kein Unterschied, sondern auf fundamentalen Fragen politischer Prinzipien und Klasseninteressen. Sozialisten unterstützen die Interessen der Arbeiterklasse und erklären, dass diese Interessen in einem unversöhnlichen Konflikt mit der existierenden kapitalistischen Ordnung stehen, die von beiden kapitalistischen Parteien verteidigt wird. Wir kämpfen für den Aufbau einer unabhängigen Partei der Arbeiterklasse, die sich auf ein sozialistisches Programm stützt und für das Ende jeder Art der Klassenausbeutung kämpft.

Naders Gleichgültigkeit gegenüber den Angriffen auf demokratische Rechte ist mit seiner Weigerung oder Unfähigkeit verbunden, zwischen der Politik der beiden großen bürgerlichen Parteien zu unterscheiden. Tatsächlich hat Nader die Kampagne für das Amtenthebungsverfahren unterstützt, als er sagte, wäre er zu dieser Zeit Senator gewesen, hätte er für die Absetzung des Präsidenten gestimmt.

Während der Wahlkrise, als das Wahlrecht in Florida mit Füßen getreten wurde und das Eingreifen des Obersten Gerichts die Auszählung der Stimmen stoppte, hatte der grüne Präsidentschaftskandidat geschwiegen. Auf die Frage des Autors dieses Artikels wiederholte Nader seine Position, dass die Auseinandersetzung um die Wahl nichts weiter als ein Sturm im Wasserglas gewesen sei, die keine wesentliche Bedeutung für die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung habe. "Beide Parteien stehlen Wahlen", sagte er. "Wer stahl Nixon die Wahlen 1960? Die Demokraten tun es, wenn sie damit durchkommen, und die Republikaner machen dasselbe. Ich wünsche beiden die Pest an den Hals."

Naders wohlwollende Haltung gegenüber der Rechten in der Republikanischen Partei offenbart seine reaktionäre politische Linie. Während seiner Ausführungen über die Wahlkrise charakterisierte er den Obersten Gerichtshof von Florida, dessen Urteil, mit der Nachzählung der Stimmen in Florida fortzufahren, vom Obersten Gericht der USA annulliert worden war, bezeichnenderweise als "Demokraten-freundlich". Damit übernahm er die Wortwahl des Bush-Lagers und der Medien und die damit implizit verbundene Ansicht, dass es bei diesen Gerichtsurteilen weder um das Wahlrecht noch um die Volkssouveränität gegangen sei, sondern nur um eine geringfügige Änderung der Parteipolitik.

Als Sozialisten, die für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse kämpfen, sind wir die kompromisslosesten Gegner aller Angriffe auf demokratische Rechte und entlarven alle Versuche von Teilen der herrschenden Elite oder deren Parteien, diese Rechte zu unterhöhlen.

Nader und die Grünen sind gegen das Eintreten für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und verschleiern die grundlegenden Klassengegensätze innerhalb der Gesellschaft. Sie stehen dem revolutionären Kampf gegen das kapitalistische System feindlich gegenüber und sind stattdessen der Meinung, das System könne durch verschiedene Formen gesellschaftlichen Drucks auf die herrschende Elite reformiert werden. Aus diesem Grund sind Nader und die Grünen von der herrschenden Klasse und deren politischen Parteien nicht unabhängig. Ihr Anprangern der beiden Parteien ist hohl und scheinheilig. Letztendlich passen sie sich an die eine oder andere herrschende Gruppe und an die eine oder andere politische Partei an.

Weil Naders Opposition beiden Parteien gegenüber nicht auf politische Prinzipien gründet, ist er gezwungen, die Existenz relativer Unterschiede zwischen den Parteien zu bestreiten. Würde er anerkennen, dass Unterschiede bestehen - dass die Republikaner im allgemeinen weiter rechts stehen als die Demokraten - würde die Grundlage seiner unabhängigen Kampagne zusammenbrechen. Da er kein Gegner des Kapitalismus ist und nicht für den Aufbau der unabhängigen sozialistischen Partei der Arbeiterklasse eintritt, fehlt ihm die Grundlage, um eine Politik des "kleineren Übels" zu bekämpfen und eine Unterstützung für die Demokraten zurückzuweisen. Ein leichter, nur kosmetischer Wandel der Demokraten nach links - ein Anklang an ihre ehemalige Politik der sozialen Reformen - würde zu einer Massenabwanderung von Grünen zurück ins demokratische Lager führen. Tatsächlich hoffen die Grünen auf nichts anderes als die Rückkehr der Demokratischen Partei zur (sehr beschränkten) liberalen Reformpolitik des New Deal und der Great Society.

Während Nader jede Kritik an Bush in der Hoffnung auf zunehmenden Einfluss auf die republikanische Administration herunterspielt, ist er gleichzeitig in politische Manöver mit den Demokraten verwickelt. Laut einem kürzlich erschienenen Artikel im Magazin Nation traf sich der Führer der demokratischen Minderheitsfraktion, Richard Gephardt, im Februar mit Nader, um die Wahlpläne der Grünen zu diskutieren. Nader sagte, er hätte Gephardt daran erinnert, dass "die Grünen gegenwärtig eine besser begründete Plattform für die alte Demokratische Partei besäßen als die Demokraten selbst". Nader sagte dem Magazin, er hoffe, die Grünen seien ein "Wahl-Druckmittel von links" auf die Demokraten und es sei die Sache wert, wenn durch die Wahl von Kandidaten seiner Partei die Demokraten einige Sitze verlören, denn: "Manchmal muss man einen Baum beschneiden, um ihn gesund zu machen."

Siehe auch:
Nader unterbreitet Bush ein Friedensangebot
(3. April 2001)
Warum schweigt Ralph Nader?
( 28. November 2000)
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