Die Debatte um den Pilotenstreik bei der Lufthansa

Gehaltseinbußen und Dividendenanstieg

Mit dem Beginn der Schlichtungsgespräche zwischen der Deutschen Lufthansa (DLH) und der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) ist es von Seiten der Medien und der Großgewerkschaften ruhiger um die Auseinandersetzung geworden. Während der Streikphase jedoch war die VC hart attackiert worden. Zwar bestritt auch der Großteil der Medien die Legitimität einer zweistelligen Lohnforderung, doch die schärfsten Attacken kamen aus den großen Gewerkschaften.

IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sprach den Piloten ab, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln; die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane warf den Flugkapitänen "Sozialdarwinismus" vor. Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Jan Kahmann (zuständig für den Bereich Verkehr) sah die Sanierung der Luftfahrtgesellschaft von 1992 insgesamt gefährdet, wenn sich das Argument ausbreite, die damalige Hilfeleistung der Belegschaft müsse nun ausgeglichen werden.

Die VC berief sich bei ihren Forderungen auf den Sanierungstarifvertrag, der 1992 zwischen ÖTV, DAG und dem Unternehmen ausgehandelt worden war. Die Lufthansa machte Anfang der 1990er bei einem Umsatz von rund 16 Milliarden DM Verluste von über 500 Millionen DM. Die Gewerkschaften boten daraufhin ein breites Paket an, das Lohnsenkungen um 8 Prozent, eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit, der Ausweitung von Kurzarbeit und eine allgemeine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen umfasste. Insgesamt konnte das Unternehmen dadurch über 500 Millionen DM einsparen und einen rasanten Aufschwung einleiten.

In ihrem 10-Jahres-Bericht für ihre Aktionäre zeigt die Lufthansa auf, dass das Unternehmen seit 1991 (bis 2000) seinen Umsatz von 16,4 Milliarden DM auf über 30 Milliarden DM fast verdoppelte und sich der Verlust im gleichen Zeitraum in einen Gewinn in Höhe von knapp einer Milliarde DM wandelte. Ebenso stiegen sowohl die verkauften Frachtkilometer (von 9,3 Milliarden 1991 auf 16,9 Milliarden 2000), als auch die Personenkilometer (1991: 52,3 Milliarden - 2000: 92,1 Milliarden). Der Geschäftsbericht des Jahres 2000 weist eine Zunahme an Fluggästen von 17,5 Millionen im Vergleich zu 1991 aus (1991: 29,5 Millionen - 2000: 47 Millionen). Einzig die Anzahl der Beschäftigten sank von 61.791 im Jahr 1991 auf 54.867 im Jahr 1998. Durch die ab diesem Zeitpunkt aggressiv verfolgte Konzernstrategie, die Lufthansa als Global Player zu positionieren, und die damit verbundenen Unternehmenszukäufe stieg die Zahl der Beschäftigen wieder auf 69.523 im Jahr 2000. Ein Ende der Rationalisierungen und Stellenstreichungen war damit nicht verbunden.

Die Beschäftigten profitierten von diesem Aufschwung in keiner Weise. Während die Unternehmensgewinne (nicht nur bei der Lufthansa) stiegen, sanken zwischen 1993 und 1998 die Nettolöhne im gesellschaftlichen Durchschnitt. Doch die Gehälter bei der Kranichgesellschaft blieben sogar noch hinter der allgemeinen Entwicklung zurück und erreichten noch im Jahr 2000 nicht das Niveau, das Löhne und Gehälter vor dem Sanierungstarifvertrag gehabt hatten.

Die Differenz zwischen der von der Belegschaft erbrachten Arbeitsleistung und ihren Gehältern floss in andere Kanäle. Jeder Aktionär der DLH erhielt 2000 eine Dividende von sechs Euro, oder rund 12 DM für eine Aktie im Nennwert von 50 DM. Seit 1994, dem Beginn der Privatisierung der Lufthansa und ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft (die 1997 abgeschlossen war), steigerte sich die jährlich ausgeschüttete Dividende um insgesamt 300 Prozent! Die privaten und institutionellen Anteilseigner, die nichts anderes taten, als dem Konzern ihr Kapital zur Verfügung zu stellen, bekamen somit Jahr für Jahr Hunderte Millionen Mark, die aus der Arbeitskraft der Belegschaft geschöpft wurden. Im letzten vollständig veröffentlichten Bericht für das Jahr 2000 ist ausgewiesen, dass mit 460 Millionen DM fast so viel an die Aktionäre ausgeschüttet wurde, wie die Belegschaft 1992 an Lohneinbußen zur Sanierung der DLH hinzunehmen hatte.

Doch verdienten nicht nur die Kapitalgeber an der neu gewonnenen Konkurrenzfähigkeit der DLH. Seit 1995 (erster im Internet veröffentlichter Abschlussbericht des Konzerns), einem Jahr mit einem laut Bericht des Aufsichtsrates "schwierigen Umfeld" und verbunden mit "erheblichen Anstrengungen (...), um die Position der Gesellschaft (...) weiter zu stabilisieren", verdiente ein Mitglied des Vorstandes niemals weniger als vier Millionen DM jährlich als "Aufwandsentschädigung". Der fünfköpfige Vorstand, der seine Gehälter von der Gewinnentwicklung des Konzerns ableitet, genehmigte sich dabei 1997 mit 4,8 Millionen DM pro Kopf das höchste Gehalt. In den sechs beobachteten Jahren erhielt jedes der Lufthansa-Vorstandsmitglieder damit im Durchschnitt ein Jahreseinkommen von rund 4,5 Millionen DM oder 375.000 DM im Monat. Nebenbei bemerkt waren die Bedingungen selbstredend so schwierig, dass jegliche nennenswerte Lohnerhöhung für die Belegschaft von vorneherein ausgeschlossen war.

Auch die Mitglieder des 25-köpfigen Aufsichtsrates (1995), der sich fünf Mal im Jahr trifft, um die Konzernleitung in ihrem Bemühen zu kontrollieren, der winzigen Gruppe von Großaktionären Millionenprofite zu sichern, erhielten als Entschädigung pro Kopf 329.000 DM. Die Gewerkschaften ÖTV und DAG stellten dabei mit Manfred Maertzke (Tarifsekräter ÖTV), Roland Issen (Vorsitzender DAG) und Monika Wulf-Mathies (ehemalige ÖTV-Vorsitzende, bis Ende Februar 1995), bzw. Herbert Mai (ÖTV-Vorsitzender, seit März Mitglied des Aufsichtsrates) eine gut bezahlte "Arbeitnehmervertretung" dar. Monika Wulf-Mathies, die den Aufsichtsrat in Richtung eines - nicht schlechter vergüteten - Postens als EU-Kommissarin verließ, war 17 Jahre lang Mitglied des Aufsichtrats der Lufthansa, lange Zeit als stellvertretende Vorsitzende. Diese Position hatte sie auch inne, als sie als damalige ÖTV-Vorsitzende den Sanierungsplan der Lufthansa gegen den Widerstand der Beschäftigten durchsetzte.

Die Besetzung des Aufsichtsrates des Jahres 1995, der in fast identischer Zusammensetzung auch das Sanierungsprogramm, das Vorstand und Gewerkschaften beschlossen hatten, guthieß, mag überhaupt als Symbol für die Verflechtung der Gewerkschaftsbürokratie mit Staat und Wirtschaft gelten. Neben den genannten Gewerkschaftsvertretern wurden Posten dieses Gremiums durch Wolfgang Röller (Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank), Horst Köhler (Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes), Hilmar Kopper (Vorstandssprecher der Deutschen Bank), Wolfgang Peiner (Vorsitzender der Vorstände der Gothaer Versicherungen), Hans Jochen Henke (Staatssekretär Bundesverkehrsministerium), Otto Graf Lambsdorff (FDP), Manfred Overhaus (Staatssekretär Bundesfinanzministerium) und Johannes Rau (SPD, Ministerpräsident NRW) besetzt. (Alle Angaben beziehen sich auf das Jahr 1995.) Dieses Gremium dankte Monika Wulf-Mathies im Geschäftsbericht im Zuge ihres Ausscheidens dafür, dass "viele weichenstellende Entscheidungen des Aufsichtsrats, besonders in dieser schwierigen Phase" von ihr "mitgeprägt" wurden. Der Aufsichtsrat sei ihr "für ihr besonderes Engagement zu großem Dank verpflichtet".

Auch der Aufsichtsrat, den der letzte, vollständige Geschäftsbericht des Jahres 2000 angibt, weist dieselbe Struktur auf. Er trägt den Veränderungen, die die Gewerkschaftsfusion zur Großgewerkschaft Ver.di mit sich brachte, Rechnung. Als stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden löst der Grüne Frank Bsirske (Vorsitzender Ver.di) den ehemaligen Vorsitzenden der ÖTV, Herbert Mai, ab.

Doch eines hat sich hier geändert. Entgegen der Lohnentwicklung der Belegschaft haben sich die "Aufwandentschädigungen" für die Mitglieder dieses Gremiums im Zeitraum seit 1995 um über 420 Prozent erhöht. Für das Jahr 2000 erhielt jedes Mitglied des Aufsichtsrates der Lufthansa 1,4 Millionen DM. Die Erhöhung der "Entschädigung" für Aufsichtsratsmitglieder von 1999 auf 2000 um sage und schreibe 400.000 DM entspricht allein einem monatlichen Gehaltszuwachs von rund 33.330,- DM!

Der Hinweis, dass diese Millionenbeträge an die Gewerkschaften abgeführt werden, also nicht in die Tasche der Gewerkschaftsfunktionäre fließen, mag oberflächliche Beobachter befriedigen. In Wirklichkeit fließt es natürlich über diesen Umweg doch noch in die Kassen der Funktionäre. Es ist gerade dieses Geld, den Gewinnen der Konzerne entnommen, das die üppigen Gehälter führender Gewerkschaftsfunktionäre finanziert und - nicht zuletzt - so auch die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von den Beiträgen ihrer Mitglieder vergrößert.

In ihren Angriffen auf den Arbeitskampf der Flugkapitäne der Lufthansa offenbaren die Gewerkschaften, wo sie ihre Position in der Gesellschaft sehen: auf Seiten des Staates und der Konzerne. "Alle Lufthansa-Beschäftigten", schreibt der oben genannte Ver.di-Bürokrat Jan Kahmann in einer Pressemitteilung, "haben erheblichen Sanierungsverzicht geübt und damit den Aufstieg der Lufthansa ermöglicht, und alle Beschäftigten haben durch ihre Leistung zum Erfolg des Unternehmens beigetragen. Keiner hat Anspruch auf einen besonderen Orden." Nur die "maßvolle" Tarifpolitik der Großgewerkschaft, wie der 3,5-prozentige Lohnzuwachs für das Bodenpersonal, den Ver.di im März dieses Jahres abschloss, könne die "Internationalisierung auch anderer Geschäftsfelder" des Konzerns und den massiven Abbau von Arbeitsplätzen verhindern.

Den Gewerkschaftsfunktionären in den Führungsgremien der Lufthansa geht es einzig um die Umsetzung der Unternehmenspolitik, die Aktionären und der Führungsetage schwindelerregende Profite auf Kosten der Belegschaft sichert und die in der Vernichtung der Lohn- und Arbeitsplatzstandards einen Wettbewerbsvorteil zur Eroberung von Weltmarktanteilen sieht. Der aus dieser Schicht gegen die Piloten erhobene Vorwurf, sie seien "Abzocker" und "Schmarotzer" auf Kosten der Mehrheit der LH-Beschäftigten, fällt bei näherer Betrachtung auf sie selbst zurück.

Siehe auch:
Gewerkschaftsfunktionäre greifen streikende Piloten an
(18. Mai 2001)
Das Dilemma der ÖTV
( 8. Juni 2001)
Der öffentliche Dienst, die ÖTV und das "Netzwerk"
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