Unruhen im britischen Oldham

Ein Ergebnis von bewusstem Schüren von Rassismus

Am letzten Maiwochenende kam es in der britischen Stadt Oldham bei Manchester zwei Nächte lang zu Zusammenstößen und Kämpfen zwischen asiatischen Jugendlichen und der Polizei. Am Samstag lieferten sich 500 junge Asiaten sowie Hunderte weiße Jugendliche regelrechte Gefechte mit Hunderten Bereitschaftspolizisten in Kampfausrüstung. Die Polizei bezeichnete die Kämpfe als ein "regelrechtes Blutbad". Fünfzehn Polizisten und zehn Zivilisten wurden verletzt.

Die Unruhen flammten auf, als Asiaten vor einem Fast Food Laden mit weißen Jugendlichen kämpften. Daraufhin rottete sich eine Gruppe rassistischer weißer Jugendlicher zusammen, griff einige Läden an und warf einen Backstein durch das Fenster eines Hauses im von vielen asiatischen Einwanderern bewohnten Stadtteil Glodwick, in dem eine schwangere asiatische Frau wohnt. Die 23jährige Frau Farida Azan wurde von Glassplittern übersät und erlitt einen Schock.

Auch auf den Straßen wurden asiatische Frauen und Kinder angegriffen. In der Folge attackierten Asiaten den Pub "Live and Let Live". Zuerst schlugen sie Gäste, die in der Bar ihr Bier tranken, später kehrten sie zurück und schleuderten einen Molotow Cocktail durchs Fenster.

Sonntag Nacht wurden wieder Molotow Cocktails geworfen und mehrere Gebäude angegriffen. Ein asiatischer Supermarkt wurde in Brand gesetzt und in die Büros einer Lokalzeitung, des Oldham Evening Chronicle,wurde eine Brandbombe geworfen. Der Chronicle hat sich wegen seiner angeblich voreingenommenen Berichterstattung die Feindschaft vieler asiatischer Bewohner zugezogen. Eine Gruppe von Bereitschaftspolizisten entkam nur knapp einem auf sie zu rasenden Auto. Ein Pub im Zentrum von Oldham, der "Jolly Carter", wurde von bis zu 40 Leuten mit Pflastersteinen bombardiert. Etwa 30 Weiße zogen rassistische Lieder grölend von Pub zu Pub, bevor sie von der Polizei auseinandergetrieben wurden. Sieben Weiße und fünf asiatische Jugendliche wurden festgenommen.

Den Unruhen in Oldham waren wochenlange gezielte Provokationen mehrerer faschistischer Gruppen vorausgegangen. Der fruchtbare Boden für die Neonazis war allerdings durch viele andere, miteinander zusammenhängende Faktoren vorbereitet worden - verbreitete Armut und sozialen Niedergang, die Förderung rassistischer Stimmungen durch die Konservativen, die Labour Party und die Massenmedien und durch die repressive Vorgehensweise und provozierenden Äußerungen der Polizei.

Oldham beherbergt die drittärmste Siedlung des sozialen Wohnungsbaus im Land. Von den 219.000 Bewohnern Oldhams sind 24.600 asiatischer Abstammung - 14.000 aus Pakistan, 9.000 aus Bangladesch und 1.600 aus Indien. Die Stadt ist in überwiegend weiße, pakistanische und bengalische Gebiete aufgeteilt.

Die meisten asiatischen Einwanderer kamen nach Großbritannien, um als Nachtschichtler in Textilfabriken und in anderen schlecht bezahlten Berufen zu arbeiten. Sie waren normalerweise die ersten, die entlassen wurden, wenn eine Fabrik schloss. Als Ergebnis des Niedergangs der Stadt und fortgesetzter Rassendiskriminierung beträgt die Arbeitslosigkeit unter Bangladeshis 25 und unter Pakistanern16 Prozent. Für jugendliche Asiaten ist die Lage noch schlimmer, unter ihnen beträgt die Arbeitslosigkeit 40 Prozent.

Unter solchen Bedingungen ist das Anwachsen sozialer Spannungen unvermeidlich, ebenso wie die damit einhergehende Zunahme von Kriminalität, Drogenmissbrauch und anderen sozialen Missständen. Das Streichholz, dass diesen brodelnden Kessel zur Explosion brachte, wurde im April gezündet.

Am 22. April griffen drei asiatische Jugendliche den 75-jährigen Zweiten-Weltkrieg-Veteranen Walter Chamberlain an, als er sich nach dem Besuch eines Rugby Matches auf dem Nachhauseweg befand. Die Umstände dieser Attacke sind auch heute noch unklar. Die Polizei erklärt, sie könne nicht sagen, ob es sich um einen versuchten Raubüberfall handelte, da seine Brieftasche nicht gestohlen wurde, sondern nur seine metallene Thermosflasche fehlte. Die Sache werde aber als ein möglicherweise rassistischer Überfall untersucht.

Anfang jener Woche soll eine Gruppe asiatischer Jugendlicher bei einem lokalen Radiosender angerufen und angekündigt haben, ein "No-Go-Gebiet für Weiße" zu verhängen. Der ermittelnde Chefinspektor Andy Brennan stellte eine Beziehung zwischen dem Angriff auf Chamberlain und dieser Drohung her. Er sagte vor der Presse, dass einer von Chamberlains Angreifern diesem gesagt habe, er habe "in diesem Teil der Stadt nichts zu suchen", weil er ein Weißer sei.

Am nächsten Tag stellten die Medien diese Version in großer Aufmachung als Tatsache hin. Sie behaupteten, Asiaten hätten ein No-Go-Gebiet für Weiße verhängt und setzten das jetzt durch.

Später stellte sich heraus, dass Chamberlain bei seiner ersten Aussage bei der Polizei diese Worte gar nicht zu Protokoll gegeben hatte. Auch Chamberlains Sohn bestritt, dass der Angriff auf seinen Vater rassistisch motiviert gewesen sei. Er sagte in der ITN-Sendung "Tonight with Trevor McDonald": "Als Familie glauben wir nicht, dass das eine Rassenfrage war - es war ein Überfall."

Das beeindruckte die Mehrheit der Medien und die Polizei allerdings nicht. Der Chief Superintendent der Polizei von Manchester, Eric Hewitt, hatte bereits eine provokative Erklärung herausgegeben, in der er behauptete, "acht bis zehn" asiatische Jugendliche seien für 60 Prozent der 572 registrierten rassistisch motivierten Übergriffe in Oldham im vergangenen Jahr verantwortlich. Hewitt wird von der asiatischen Gemeinde weithin als Rassist angesehen. Viele machen sich nicht mehr die Mühe, rassistische Übergriffe oder Zwischenfälle anzuzeigen, weil so wie so nichts dagegen unternommen wird.

Die Hysterie um den Überfall auf Chamberlain und die Berichte der Presse über "No-Go-Gebiete" veranlasste die faschistische British National Party (BNP) sofort zu der Ankündigung, sie werde bei der Parlamentswahl am 7. Juni zwei Kandidaten in Oldham West und in Royton aufstellen, um die "einfache weiße Bevölkerung" zu verteidigen. Einer der Kandidaten ist der Führer der BNP, Nick Griffin, der seitdem regelmäßig zu Diskussionsrunden im Fernsehen und im Radio zu Fragen der Rassenbeziehungen und der Asylsuchenden eingeladen wird. Die BNP tritt für einen Einreisestopp für alle Flüchtlinge und für die Repatriierung sogenannter "illegaler Einwanderer" ein.

Die rivalisierende National Front (NF) kündigte an, im Mai zwei Demonstrationen in Oldham durchführen zu wollen. Innenminister Jack Straw reagierte darauf mit dem Verbot aller politischen Demonstrationen für drei Monate, was Hunderte von Faschisten aber nicht davon abhielt, während der vergangenen drei Wochenenden in Oldham einzufallen. Am 6. Mai machte die Polizei 16 Festnahmen - elf Weiße und fünf Asiaten -, darunter auch Teilnehmer einer antifaschistischen Gegendemonstration.

Die Ereignisse in Oldham gewähren Einblick in die hässliche Seite der britischen Politik nach vier Jahren Labour-Regierung. In ihnen manifestiert sich die bewusste Schaffung sozialer und ethnischer Gegensätze, die gezielt in eine reaktionäre Richtung gelenkt werden.

Das Leben von Millionen arbeitender Menschen ist durch Mühsal und wirtschaftliche Unsicherheit gekennzeichnet, ein Ergebnis des wirtschaftsfreundlichen Kurses der Labour- Regierung und ihrer Vorgängerin unter den Tories. Um ihre Verantwortung dafür zu verschleiern, wetteifern die beiden Parteien darum, wer von ihnen die größere Fremdenfeindlichkeit gegenüber Asylsuchenden an den Tag legt, die zum Sündenbock für jedes nur erdenkliche gesellschaftliche Problem gemacht werden. Beide Parteien streiten regelmäßig ab, dass die Maßnahmen gegen Asylbewerber rassistisch seien, aber die Faschisten wissen es besser. Das Ausspielen der "Rassenkarte" wird vom politischen Establishment legitimiert und ermöglicht es den Neonazis, die ständige Identifizierung von Einwanderern als Bedrohung für "britische Arbeitsplätze", als Konkurrenten um anständige Wohnungen und als Belastung für das Bildungs- und Gesundheitswesen auszunutzen.

Die Ereignisse in Oldham werden weder Labour noch die Tories veranlassen, ihren Kurs zu ändern. Am Sonntag kritisierte der Liberaldemokrat Simon Hughes in eher milden Worten, dass gegen Asylbewerber gerichtete Rhetorik des Vorsitzenden der Tory Partei, William Hague, die lokalen Probleme noch verschlimmert hätte. "Wir müssen mit unserer Wortwahl sehr vorsichtig sein, und deshalb sehen einige von uns insbesondere die Ausdrucksweise von William Hague und seinen Kollegen in den letzten zwei Jahren sehr kritisch", erklärte er gegenüber dem Sender GMTV.

Die Tories reagierten, wie nicht anders zu erwarten, mit Empörung; die Schatteninnenministerin Ann Widdecombe nannte Hughes Kommentar "beschämend". Entlarvender war allerdings die Reaktion von Labours Innenminister Jack Straw, der sich für die Tories in die Bresche warf. Er sagte in der Sendung von Jonathan Dimbleby: "Wir sind alle verpflichtet unsere Ausdrucksweise zu mäßigen, aber man kann die gestrigen Ereignisse in Oldham wirklich nicht William Hague anlasten. Das hilft uns nicht weiter, weil ich immer wieder Situationen erlebt habe, in denen Leute, die an Gewalttaten beteiligt waren, anschließend nach Entschuldigungen suchen, um ihrer eigenen Verantwortung zu entgehen."

Auch die Presse fiel in den Chor ein und bestritt ebenso wie Straw jeden Zusammenhang zwischen Rhetorik gegen Asylbewerber und den Ereignissen in Oldham.

Der Independent nannte Hughes Bemerkungen "unsinnig". Die Daily Mail bezeichnete sie als Teil einer "stalinistischen" Kampagne, um eine "offene und ehrliche" Debatte über das Asylrecht zu verhindern.

Die wichtigste konservative Tageszeitung, der Telegraph, bestand auf einer Fortsetzung der Diskussion über "die vielen Zehntausenden, die sich unter Vorwänden in dieses Land einschleichen", und behauptete: "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür,... dass die Unruhen vom Samstag sich wesentlich von dem unterscheiden, was viele britische Städte an Wochenenden erleben."

Der Telegraph schloss mit einem Lob für Straw: "Angesichts von gewalttätigen Unruhen muss die Reaktion eines Politikers eine eindeutige Verurteilung sein... Man muss es Jack Straw hoch anrechnen, dass er genau das getan und dabei jeden Zusammenhang mit der Asyldebatte zurückgewiesen hat."

Am gleichen Tag machte allerdings der frühere Vorsitzende der Konservativen Partei, Norman Tebbit, den Rassismus deutlich, der den Angriffen auf das Asylrecht zu Grunde liegt. Er ziehe aus den Unruhen von Oldham die Lehre, sagte er, "bei getrennten und andersartigen Gemeinschaften, die auf dem gleichen Territorium leben, immer die Gefahr besteht, dass es zu Zusammenstößen kommt... Sie haben nicht genug, was sie zusammenhält, um zu verhindern, dass sie sich zu rivalisierenden Stämmen auseinander entwickeln." Das Versagen der Regierung in der Asyldebatte, fügte er hinzu, bedeute, "dass sich für die Zukunft möglicherweise weitere Probleme, wie die in Oldham, anhäufen."

Tebbits Bemerkungen waren beinahe identisch mit denen von BNP-Führer Phil Edwards, der sagte: "Wir mobilisieren in Oldham, um die Frustrationen überwinden zu helfen, die entstehen, wenn unterschiedliche Gemeinschaften zu eng beieinander leben."

Siehe auch:
Parlamentswahlen in Großbritannien
(26. Mai 2001)
Studie verurteilt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Großbritannien
( 19. April 2001)
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