Execution Day in Amerika

Am Montag war in Amerika Execution Day. Bereits im Frühstücksfernsehen meldeten lächelnde Reporter aus Oklahoma City und Terre Haute, Indiana, den Beginn des endgültigen Countdowns vor der Hinrichtung von Timothy McVeigh. Guten Morgen, Amerika!

Das folgende 90-minütige Schauspiel lässt sich in Worten nicht beschreiben. Die Medien brachten es fertig, das schreckliche Ereignis - die staatliche Vernichtung eines Menschenlebens - in einen Tag der nationalen Niedertracht umzumünzen.

Keine Einzelheit der Tötung wurde außer Acht gelassen. Man benutzte die Techniken der Berichterstattung, die ursprünglich für große Sportereignisse entwickelt wurden, um die Zuschauer einzubeziehen und ihnen den Eindruck zu vermitteln, selbst Zeugen oder sogar Komplizen zu sein. Für mehrere Meilen im Umkreis der Todeskammer in Terre Haute und für den Ort der Videoübertragung für die Angehörigen der Opfer in Oklahoma City war zum sichtlichen Ärger der Medienmeute ein Filmverbot verhängt worden, was aber letztlich nur zur Steigerung der unwirklichen Atmosphäre beitrug.

In Interviews beschrieben die Henker die Vorgänge hinter den Gefängnismauern. "Wie war es, einen Menschen zu töten?", fragten die Reporter, offenbar, um die "menschliche Seite" zu erfassen. Wie würde sich McVeigh wohl fühlen, wenn das Gift in seinen Körper strömt? Welche Gedanken könnten ihm durch den Kopf gehen? Wie würden die Zeugen der Hinrichtung reagieren? Würden sie den genauen Zeitpunkt des Todes bemerken? Wie würden sie mit dem Stress fertig werden, den dieses Ereignis auslöst? Würden die Zeugen den Rest des Tages noch genießen? Und natürlich die unvermeidliche Frage: Würden Sie ihre "Ruhe wiederfinden"?

Experten unterrichteten das Publikum freizügig über den tödlichen Giftcocktail. Susan Candiotti von der BBC tat sich mit der journalistischen Entdeckung hervor, dass die chemische Mixtur, mit der McVeigh getötet werden sollte, im Jahr 1977 ausgerechnet an der Universitätsklinik von Oklahoma City entwickelt worden war.

Unterbrochen wurde das makabre Schauspiel von Werbespots der Sponsoren - AT&T, Wal-Mart, Outback Steakhouse, Toyota. Kurz vor der Hinrichtung brachte der Sender CBS eine Werbung für die Antibabypille Ortho Tri-Cyclen.

Nach dem Vollzug traten die Reporter, die der Hinrichtung beigewohnt hatten, und andere Zeugen vor die Kameras, um jede einzelne Regung McVeighs zu beschreiben: seine Gesichtsausdrücke, seine Reaktion auf die verschiedenen Injektionen, usw.

Mit gezieltem Aufwand wurde versucht, die Unmenschlichkeit des Geschehens zu rechtfertigen. Diesem Zweck dienten Interviews mit Einwohnern von Oklahoma City, die bei der Explosion von 1995 Familienangehörige oder Freunde verloren hatten. 168 Menschen waren damals bei dem Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude ums Leben gekommen. CBS zeigte kommentarlos eine Liste mit den Namen von McVeighs Opfern.

Der Tenor der Berichterstattung lautete, dass McVeigh seine gerechte und notwendige Strafe erhalte. Ein Monster wurde getötet. Weder die Medien noch die Regierung äußerten an diesem Tag die leiseste Andeutung, dass sein terroristisches Verbrechen irgend etwas mit den sozialen Bedingungen oder den politischen Realitäten des heutigen Amerika zu tun haben könnte.

Präsident George W. Bush schlug gegenüber Reportern unmittelbar nach der Hinrichtung denselben Ton an. Nicht die Regierung, sondern die Opfer des Bombenanschlags seien für McVeighs Hinrichtung verantwortlich. Für sie, so Bush, "wurde nicht Rache, sondern Gerechtigkeit geübt".

Es folgten Phrasen über Gnade und Friede - aus dem Mund eines Mannes, während dessen sechsjähriger Amtszeit als Gouverneur in Texas 152 Hinrichtungen vollzogen wurden, zum Teil an Menschen, die erwiesenermaßen geisteskrank oder geistig zurückgeblieben waren. Ohne mit der Wimper zu zucken, fuhr Bush fort: "Die Rechte der Angeklagten wurden gewahrt und bis zuletzt in vollem Umfang beachtet." Er überging die Tatsache, dass das FBI McVeighs Anwälten in gesetzeswidriger Weise Dokumente im Umfang von rund 4.400 Seiten vorenthalten hatte, und dass zwei Bundesgerichte einen Aufschub der für Montag geplanten Hinrichtung abgelehnt hatten, so dass dem Verteidigerteam keine Möglichkeit mehr blieb, diese Unterlagen gründlich zu studieren, um gegebenenfalls Berufung gegen das Todesurteil einzulegen.

In der Presse setzten sich die Geschmacklosigkeiten der Fernsehsender fort. Bemerkenswert war der Kommentar der New York Times. Sie brachte am Montag einen Leitartikel, der auf geradezu hysterische Weise darauf beharrte, dass der Bombenanschlag von Oklahoma City in keinerlei Zusammenhang mit dem Zustand der amerikanischen Gesellschaft stehe. Unter der Überschrift "Die Geschichte und Timothy McVeigh" wurde jegliche Verbindung zwischen McVeighs Verbrechen und historischen Ereignissen bestritten.

Der Täter von Oklahoma City, so die Times, war ein paranoider, feiger Größenwahnsinniger, und damit basta. "Sechs Jahre lang konnten wir in Mr. McVeighs Gesicht sehen", schrieb die Times. "Seine Augen ließen uns immer wieder erkennen, dass dieser Mann ein Gefangener seiner wahnwitzigen Vorstellungen ist."

Der Leitartikel fuhr fort: "Die Armee hat Mr. McVeigh nicht geprägt. Der Golfkrieg hat ihn nicht abgestoßen... Er war der Schöpfer seiner selbst, geformt im Vakuum einer zerbrochenen Familie, verführt vom Ideal militanter Selbstbeherrschung. Seine einzige Ausbildung waren die unanfechtbaren, aber völlig irrigen Argumente von Außenseitern, die den Sturz der Regierung anstreben, um Rechte zu gewinnen, über die sie längst verfügen."

Die Times bezeichnete den Bombenanschlag von Oklahoma City als "Vergeltungsakt eines Mannes, dem niemand je etwas zuleide getan hat". Sie erwähnte das Massaker von Waco aus dem Jahr 1993, ohne die leiseste Kritik an der damaligen Rolle der Regierung erkennen zu lassen, und erwähnte beiläufig die "behördliche Schlamperei" des FBI in Bezug auf McVeighs Prozess. Damit übernahm sie die Darstellung der Regierung, wonach die Dokumente unbeabsichtigt unterdrückt worden waren.

"Bleibt uns nur die Frage", grübeln die Leitartikler der Times, "durch welchen Zufall Mr. McVeigh vielleicht einer von uns geworden wäre..." Vielleicht hätte, wenn uns diese Anmerkung gestattet ist, ein Vermögen in mehrstelliger Millionenhöhe, wie es die Herausgeberfamilie der Times Sulzberger ihr eigen nennt, McVeighs Schicksal anders verlaufen lassen.

Die Behauptung der Times, dass der Bombenanschlag von Oklahoma City nichts mit den gesellschaftlichen Erfahrungen der vergangenen dreißig Jahre zu tun habe und dass kein Zusammenhang zwischen der Entwicklung McVeighs und der ihn umgebenden Gesellschaft bestehe, ist offenkundig absurd.

Nicht glaubwürdiger ist die Darstellung McVeighs als Ausgeburt des Bösen. Die Welt wäre wahrhaftig leichter zu verstehen, wenn furchtbare Vergehen eben einfach die Taten furchtbarer Menschen wären. McVeigh hat sich eines ungeheuerlichen Verbrechens schuldig gemacht, für das er zweifellos lebenslange Haft verdient hätte. Aber er war kein Monster.

Er war vielmehr ein komplexes Individuum, dessen Persönlichkeit letztlich von der Gesellschaft, in der er lebte, geprägt wurde. Mit Sicherheit war er kein Feigling, zumindest fürchtete er nicht um seine Person. Sein Verbrechen ist gerade deshalb so alarmierend, weil es von einem Menschen begangen wurde, der in vieler Hinsicht typisch für Millionen Menschen in Amerika ist - von einem Menschen, der sich unter anderen Umständen vielleicht ganz anders entwickelt hätte.

Die Auffassung, dass McVeighs Einsatz in der Armee und seine Erfahrungen während des Golfkriegs keinen Einfluss auf seine weitere Entwicklung gehabt hätten, ist ähnlich unsinnig. Seiner eigenen Darstellung zufolge zog McVeigh zunächst als übereifriger Rekrut an den Persischen Golf. Doch seine dortigen Erfahrungen traumatisierten ihn und bestärkten ihn in seiner Abkehr von der eigenen Regierung. Aus erster Hand beobachtete er die Abschlachtung praktisch wehrloser Iraker - Ereignisse, welche die Regierung und die Medien vor der amerikanischen Öffentlichkeit verbargen.

Mit folgenden Worten beschrieb er die Reue, die er verspürte, nachdem er zwei irakische Soldaten getötet hatte: "Was mich vor allem bedrückte, war, dass ich sie nicht zur Selbstverteidigung getötet hatte... Wir alle haben dieselben Träume, dieselben Wünsche, dieselbe Zuneigung zu unseren Kindern und unserer Familie. Diese Leute waren im Grunde Menschen wie ich."

Die Niederbrennung des Gebäudes der Davidianersekte im texanischen Waco war schlicht und einfach ein Massenmord der Regierung an ihren eigenen Bürgern. 86 Menschen wurden damals getötet, unter ihnen 25 Kinder - mehr, als bei dem Bombenanschlag in Oklahoma City ums Leben kamen. Die Heuchelei der Medien lässt sich unter anderem daran ermessen, dass die Angehörigen der Opfer oder die Verletzten dieses Brands nicht interviewt wurden.

McVeigh wurde in einem ganz bestimmten ideologischen Umfeld zum Waffenfanatiker. Waren es nicht die Privatmedien, die amerikanische Jugendliche mit Militarismus und Chauvinismus bombardierten, so wie sie im Image von Rambo massenweise vermarktet wurden? Seit Jahrzehnten betreiben das politische Establishment und die Medien per Fernsehen, Radio, Tonträgern und Film eine Verblödungskampagne, um äußerst rechte Ideologien und Rückständigkeiten aller Art zu fördern.

Darüber hinaus wird die Republikanische Partei, wie die Times sehr wohl weiß, weitgehend von extrem rechten Elementen beherrscht, deren politische Einstellung nur unwesentlich von offen rassistischen und faschistischen Organisationen abweicht. In welchem Maße unterscheiden sich die Ansichten von Generalbundesanwalt John Ashcroft - einem Vertreter der christlichen Rechten - von denjenigen der Waffenfanatiker und Verfechter der Überlegenheit der weißen Rasse? Die Standpunkte des Wall Street Journal als wichtigstem Sprachrohr der republikanischen Rechten weichen nur unerheblich von denjenigen McVeighs ab, wenn sie auch in etwas gehobenerer Sprache vorgebracht werden.

Die Verbindungen führender Republikaner wie des Abgeordneten aus Georgia, Bob Barr, und des Senators Trent Lott aus Michigan zum Council of Conservative Citizens sind gut belegt. Letzterer ist eine rassistische und antisemitische Formation, die noch aus der Zeit der Rassengesetzgebung stammt. Zahlreiche Kongressabgeordnete der Republikaner hatten bei ihrer Wahl 1994 die Unterstützung von Milizen und Waffenlobbyisten, die von Rassisten und Faschisten geführt wurden. Am Tag des Anschlags in Oklahoma City wurde einer von ihnen, der texanische Abgeordnete Steve Stockman, per Fax von einer faschistischen Radio-Talkshow über die Bombe informiert. Er leitete dieses Fax nicht an die staatlichen Behörden, sondern an die National Rifle Association (eine Organisation von Waffenliebhabern) weiter. Die auf dem Fax vermerkte Sendezeit liegt noch eine Stunde vor der Explosion.

Und schließlich ist es absurd zu bestreiten, dass McVeighs ablehnende Haltung gegenüber der Regierung nicht zusammenhänge mit seiner Kindheit in einem Teil des Staates New York, der durch die Schließung sämtlicher Auto- und Stahlfabriken regelrecht verwüstet wurde. Seine Wut wurde zwar in reaktionäre Kanäle gelenkt, hatte aber dennoch eine reale Grundlage.

Das prägendste Merkmal des Lebens in Amerika ist die atemberaubende Zunahme der ökonomischen Ungleichheit, die sich während des Gewinnbooms der neunziger Jahre deutlich beschleunigt hat. Die Politik der Finanzelite und der beiden Parteien in deren Diensten hat den Lebensstandard der breiten Bevölkerungsmassen erheblich gesenkt, während die privilegiertesten Schichten unerhörte Reichtümer ansammelten.

Aufgrund dieser gesellschaftlichen Realitäten haben sich in der gesamten Bevölkerung Frustration und Wut angestaut. Die von den Demokraten gestellte Clinton-Regierung war 1992 wegen ihres Versprechens gewählt worden, die reaktionäre Sozialpolitik der Reagan- und Bush-Jahre rückgängig zu machen. Sie trug jedoch lediglich zur Verschlimmerung der sozialen Krise bei, indem sie ihre Wahlversprechen brach und eine weitere Zunahme der Einkommensungleichheit zuließ.

Es gibt Gründe dafür, dass verbitterte Jugendliche wie McVeigh für die dumpfen politischen Losungen der extremen Rechten anfällig werden. Das politische Establishment ist durchweg weder fähig noch willens, sich der Sorgen der arbeitenden Bevölkerung anzunehmen. Die angeblichen Massenorganisationen der Arbeiterklasse, die Gewerkschaften, haben ihre Basis verraten. Unter diesen Bedingungen suchen desillusionierte Jugendliche anderswo nach einer Antwort. Wenn sie keine taugliche Alternative zum Profitsystem erkennen, werden sie zum Rohmaterial für rechte Demagogen.

Die Feststellung, dass McVeigh ein abscheuliches Verbrechen begangen hat, dürfte sich eigentlich erübrigen. Als Sozialisten der Socialist Equality Party können wir seine Tat und seine Überzeugungen mit größerer Berechtigung verurteilen als irgend jemand sonst. Doch moralische Empörung greift zu kurz. Man muss darüber hinaus verstehen, welche gesellschaftlichen und politischen Umstände schließlich zu dem Bombenanschlag in Oklahoma City führten.

Die Einschätzung, die wir unmittelbar nach dem Anschlag gaben, hat sich seither bestätigt:

"Das abscheuliche Verbrechen in Oklahoma City, das nahezu 200 unschuldige Männer, Frauen und Kinder das Leben kostete, hat eine seit langem schwelende politische Krise in den USA ans Tageslicht gebracht. Es hat die zunehmende Instabilität der bürgerlichen Demokratie in Amerika bloßgelegt und gezeigt, in welchem Maße seine traditionellen Institutionen von tiefen sozialen Gegensätzen unterhöhlt werden."

Die von den Republikanern betriebene Lahmlegung der Bundesregierung nur wenige Monate nach dem Bombenanschlag, die Impeachment-Verschwörung gegen Clinton, die gestohlene Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 und auch das beschämende Schauspiel vom Montag - alle diese Ereignisse bezeugen die Richtigkeit dieser Analyse.

Der Leitartikel der New York Times lässt in erster Linie die geradezu panische Furcht erkennen, dass die amerikanische Bevölkerung trotz allem dem bestehenden Gesellschaftssystem eine gewisse Mitverantwortung für die Ereignisse von Oklahoma City zuschreiben könnte. Besonders auffallend - und vernichtend - ist ihr Beharren darauf, dass man aus einer Tragödie solchen Umfangs nichts lernen könne. Diese Ansicht widerspiegelt die Einstellung einer krisengeschüttelten politischen Elite, die den Blick ängstlich von der gesellschaftlichen Realität abwendet.

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