Verfassungsschutz finanziert rechtsradikale Aktivitäten in Thüringen

In den vergangenen Wochen stellten mehrere Landesämter für Verfassungsschutz ihren Bericht für das vergangene Jahr vor. Nahezu einhelliges Fazit: Trotz der nunmehr über ein Jahr andauernden Propaganda-Kampagne der Regierung gegen Rechtsradikalismus ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten weiter gestiegen. Vor allem der NPD sei es gelungen, zahlreiche neue Mitglieder zu rekrutieren.

Im Zusammenhang mit den bei solchen Gelegenheiten üblichen Bekundungen "tiefer Besorgnis", wie sie auch jetzt wieder von Verfassungsschutz-Beamten und Politikern geäußert wurden, muss folgende Information über die Finanzierung rechtsradikaler Aktivitäten durch Gelder des Verfassungsschutzes gesehen werden:

Am 12. Mai berichtete die Thüringer Allgemeine, die Landesverfassungsschutzbehörde Thüringen führe den Neonazi Tino Brandt seit mehreren Jahren als Spitzel. Während seiner Agententätigkeit war Brandt zum stellvertretenden Landeschef der NPD aufgestiegen und Mitbegründer eines rechtsextremen Schlägertrupps namens "Thüringer Heimatschutz", heißt es in dem Bericht. Unter Brandts Führung wuchs der Thüringer Heimatschutz zur wichtigsten Neonazi-Organisation des Landes. Innerhalb der Thüringer NPD gewann diese rechtsradikale Schlägerbande wachsenden Einfluss.

Für seine Dienste habe er einen "mehr als fünfstelligen Betrag" erhalten, mit dem unter anderem der Heimatschutz aufgebaut worden sei, sagte Brandt in einem Interview des Zweiten Deutschen Fernsehens. "Das ganze Geld ist in die politische Arbeit geflossen," betonte Brandt selbstbewusst und ohne Tarnung vor der Kamera. Mit den Geldern des Verfassungsschutzes seien beispielsweise die Herstellung von Handzetteln für eine breite Öffentlichkeitskampagne und andere Werbeoffensiven finanziert worden.

Der Landesverfassungsschutzpräsident Thomas Sippel bewertete in einem MDR-Interview die Bedeutung Brandts in der rechten Szene mit den Worten, er habe "auch bei der Verzahnung des NPD-Landesverbandes mit den freien Kameradschaften eine große Rolle" gespielt und sei für die Rechten in Thüringen eine "wichtige Figur".

Am 20. Mai berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel von weiteren Kontakten des Verfassungsschutzes zu rechtsextremistischen Führungspersonen. Ein hochrangiger Funktionär der verbotenen Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour" aus Gera, der zweitgrößten Stadt Thüringens, habe ebenfalls auf der Gehaltsliste des Geheimdiensts gestanden.

Ein "hervorragender Kontakt zu dieser Organisation", die ihren Namen einer Losung der Hitler-Jugend entlehnt hat, wird nicht bestritten. Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) gab zu: "Wir haben eine gute Zugangslage zu Blood and Honour gehabt."

Interessant ist, dass bei dem Verbot der Gruppe auch die Wohnung des besagten stellvertretenden Bundesvorsitzenden durchsucht wurde, diese aber nach Angaben der Verfassungsschützer "klinisch rein" gewesen sei. Der seinerzeit amtierende Verfassungsschutzpräsident und heutige Vizepräsident Peter Nocken hatte während der Untersuchungen eine wichtige Dienstreise abgesagt und stattdessen eine Dienstfahrt nach Gera angegeben. Jetzt erhärtet sich der Verdacht, dass er dem Neonazi Informationen über die bevorstehende Hausdurchsuchung zugespielt hat.

Neu ist die Zusammenarbeit des Thüringer Geheimdienstes mit der rechten Szene keineswegs. Schon vor einem knappen Jahr, im Juni letzten Jahres, geriet das Innenministerium Thüringens unter Beschuss, weil es den Neonazi und NPD-Funktionär Thomas Dienel als V-Mann beschäftigt. Damals wurde der Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer vom Dienst suspendiert und Thomas Sippel trat an seine Stelle. Dieser versprach der Öffentlichkeit die Anwerbung von Spitzeln in der Führung rechtsextremer Gruppen zu unterbinden und den Verfassungsschutz neu zu organisieren. Was daraus wurde, zeigen die jüngsten Ereignisse.

Zwar beteuert Sippel, dass Brandt als "Quelle des Verfassungsschutzes" schon im Januar diesen Jahres "abgeschaltet" wurde, doch fanden seit dieser Zeit noch mindestens sieben "Nachsorgetreffen" statt. Die offiziellen Erklärungen über das "Abschalten" rechter V-Männer dienen nur der Beruhigung und Täuschung der Öffentlichkeit und zielen darauf ab, die Sicherheit der rechtsradikalen Geheimdienstinformanten zu erhalten. Bereits vor einem Jahr war im Zuge des Skandals um Thomas Dienel betont worden, die "Quelle Brandt" sei "abgeschaltet" worden, doch die Zusammenarbeit ging munter weiter.

Kritik der Opposition

Die Opposition im Thüringer Landtag führt heftige Attacken gegen den CDU-Innenminister. SPD-Fraktionschef Heiko Gentzel äußerte: "Wenn das stimmt, ist der Schaden riesengroß." Sein PDS Kollege Bodo Ramelow greift den Innenminister an: "Köckert hätte um die Katastrophe wissen müssen. Es ist nicht mehr zu erkennen, wo die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und rechter Szene verläuft." Beide Oppositionsparteien forderten den Rücktritt Köckerts.

Doch diese Kritik ist Augenwischerei. Bereits unter dem sozialdemokratischen Innenminister Richard Dewes war Brandt als Spitzel geführt worden, und in Mecklenburg-Vorpommern, dem einzigen Land, das von einer SPD-PDS-Koalition regiert wird, gab es 1999 einen sehr ähnlichen Fall um den führenden Rechtsextremisten und ehemaligen NPD-Funktionär Michael Grube, der ebenfalls mit Hilfe des Landesverfassungsschutzes seine politische Arbeit finanziert hatte.

Hinter den scharfen Attacken, die SPD und PDS gegen Innenminister und Verfassungsschutz führen, verbirgt sich weniger eine prinzipielle Kritik, als Besorgnis darüber, dass das Vertrauen breiter Schichten der Bevölkerung in die Staatsorgane untergraben wird. Das macht den "Schaden" und die "Katastrophe" aus, die SPD und PDS befürchten. Ansonsten haben auch sie nichts dagegen einzuwenden, dass der Geheimdienst über V-Leute die rechte Szene finanziert.

Nach den Ereignissen in Mecklenburg-Vorpommern hatte der dortige Innenminister Gottfried Timm (SPD) erklärt, bei der Führung des V-Mannes sei kein Fehler gemacht worden. Bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus müsse mit denen zusammengearbeitet werden, die in der Szene aktiv seien.

Der SPD-Rechtspolitiker Wiefelspütz brachte die Debatte sogar in Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren. In einem Zeitungsinterview sagte er: "Ich will nicht verbergen, dass das NPD-Verbotsverfahren mit Erkenntnissen gespickt ist, die auf V-Leute zurückzuführen sind. Wir kommen nicht umhin, auch in Zukunft auf diese Leute zurückzugreifen."

Doch genau diese Behauptung wurde durch die Ereignisse in Thüringen widerlegt. Während der Thüringer Innenminister wortreich betont, durch Brandt sei sehr wichtiges und belastendes Material gegen die NPD gesammelt worden, ließ die Führungsriege der NPD verlauten, dass sie über die Agententätigkeit Brands informiert war und den Verfassungsschutz systematisch mit wertlosem "Spielmaterial" oder Desinformationen versorgt hatte.

Geht man davon aus, dass es dem Verfassungsschutz nicht all zu schwer gefallen sein dürfte, die Wertlosigkeit der Brandt-Informationen zu erkennen, dann bleibt nur ein Grund für die jahrelangen hohen Geldzahlungen: Der Verfassungsschutz hat die rechtsradikalen Aktivitäten aus Steuergeldern gezielt finanziert.

Auch die NPD unternahm nichts gegen den "enttarnten VS-Informanten", sondern nutzte diese Verbindung zur Geldbeschaffung. Ihr Vorsitzender Udo Voigt dankte dem Kameraden Brandt hinterher ausdrücklich für seinen Einsatz, der zu umfangreichen Geldzuwendungen geführt hat.

Solche Praktiken haben eine lange Geschichte. In den 80iger Jahren musste beispielsweise der Westberliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU) zurücktreten, weil durch die verdeckte Finanzierung der Neonaziszene in Westberlin ein Wahlsieg der SPD verhindert werden sollte. Während der Senator damals behauptete, er habe den Rechtsradikalen den Verzicht auf eine Kandidatur zur Bürgerschaftswahl abgekauft, um keine Einbußen an Wählerstimmen für die CDU befürchten zu müssen, sagten die Neonazis, sie wären fürs Überkleben von Plakaten der SPD besoldet worden.

Siehe auch:
Was bedeutet ein NPD-Verbot?
(2. November 2000)
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