Hearing über neue Beweise im Fall Mumia Abu-Jamal

Zum erstenmal seit 1997 wird der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal in Philadelphia vor einem Gericht des Bundesstaats erscheinen, um das Recht einzufordern, Beweise für seine Unschuld an der Erschießung des Polizisten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 vorzulegen.

In den fast zwanzig Jahren seit seinem Prozess hat sich die Anklage gegen Mumia als eine staatliche Verschwörung, gestützt auf Zeugenbeeinflussung, falsche Geständnisse und schiere politische Voreingenommenheit des Vorsitzenden Richters dem Angeklagten gegenüber herausgestellt. Dieser Richter, Albert F. Sabo, hat mehr Menschen zum Tod verurteilt als jeder andere Richter im Land.

Abu-Jamal war als Teenager den Black Panthers beigetreten und hatte sich als Radiojournalist bemüht, die soziale Ungerechtigkeit in Philadelphia anzuprangern. Seit seiner Verurteilung vor über 19 Jahren lebt er in Philadelphia in einer Todeszelle. Auch hier setzte er seine journalistische Tätigkeit unablässig fort, um gegen die Todesstrafe und die politischen und sozialen Bedingungen zu kämpfen, die zur Inhaftierung von Millionen von Arbeitern und Armen geführt und über 3.700 Menschen in Philadelphia in die Todeszelle gebracht haben.

Gouverneur Tom Ridge hat bereits drei Anordnungen unterschrieben, die grünes Licht für Mumias Hinrichtung durch die Giftspritze gaben. Durch die Hinrichtung dieses unduldsamen Kritikers des herrschenden Gesellschaftssystems, der immer standhaft seine Unschuld beteuert hat, sollen alle eingeschüchtert werden, die gegen die Todesstrafe und die Angriffe beider großen politischen Parteien auf demokratische Grundrechte kämpfen.

Abu-Jamal wird am 17. August vor der Berufungsrichterin Pamela Dembe erscheinen, nachdem vergangenen Monat eine neue Petition beim Gericht eingereicht wurde. Der 270 Seiten umfassende Schriftsatz enthält fünf neue eidesstattliche Erklärungen, darunter eine Erklärung Abu-Jamals, worin er zum erstenmal darauf eingeht, was sich am Abend des 9. Dezember 1981 wirklich zugetragen hat. Er erklärt darin kategorisch, dass er den Polizisten Daniel Faulkner nicht getötet hat.

Das Dokument enthält außerdem die eidesstattliche Erklärung eines gewissen Arnold Beverly, der darin aussagt, dass er - und nicht Jamal - Faulkner erschossen habe. Beverly hatte sein Geständnis schon im Juni 1999 abgelegt, aber die Anwälte von Abu-Jamal haben es bisher nicht verwendet. Beverly sagt aus, dass er von einer Bande angeheuert worden sei, um Faulkner umzubringen. Der Polizeioffizier habe sich mit einem Ring korrupter Polizisten überworfen, der im Zentrum Philadelphias, wo auch die Schießerei stattfand, Schutzgelder erpresste.

Eine dritte eidesstattliche Erklärung stammt von einem ehemaligen vertraulichen Informanten des FBI und beschreibt eine geheime Untersuchung, die Philadelphias Polizei zur Zeit der Schießerei erschütterte, und die zur Entlassung und Anklage einer Reihe von Polizisten führte, die Gelder von Prostituierten, Zuhältern und Bordellbesitzern angenommen hatten.

Einer der Polizisten, die ins Visier des FBI gerieten, war Inspektor Alphonse Giordano, der den Einsatz nach der Schießerei leitete. Er war neben einer polizeibekannten Prostituierten einer der Zeugen, die Mumia als erste beschuldigten, was schließlich zu dessen Anklage wegen Mordes führte. Giordanos Zeugenaussage über ein angebliches Geständnis Mumias konnte jedoch vor Gericht nicht verwendet werden, weil der Polizeioffizier zu der Zeit bereits in den Korruptionsfall verwickelt war.

Der zu Gunsten von Abu-Jamal eingereichte juristische Schriftsatz argumentiert nun, Beverlys Aussage stütze frühere Aussagen der Verteidiger, die der Polizei vorgeworfen hatten, sie habe Augenzeugen der Schießerei beeinflusst, im Zeugenstand zu lügen. Andere Zeugen, die einen anderen bewaffneten Mann von der Schussszene hatten weglaufen sehen, seien dagegen systematisch vom Prozess ferngehalten worden.

Abu-Jamals Termin vor dem Staatsgericht ist das Ergebnis zweier Schriftsätze seines neuen Verteidigungsteams, das aus den beiden amerikanischen Anwälten Marlene Kamish und Elliott Grossman und dem britischen Anwalt Nicholas Brown besteht.

Mumia hatte seine früheren Anwälte Leonhard Weinglass und Dan Williams entlassen, nachdem Williams das Buch Executing Justice: An insider's account of the case of Mumia Abu-Jamal veröffentlicht hatte. Williams war dagegen gewesen, Beverly's Aussage zu benutzen, und sagt, er habe das Buch als "Präventivschlag" gegen die geschrieben, die seine Aussage in den Prozess einführen wollen.

Abu-Jamal beschuldigt Williams und Weinglass, Beverlys Aussage zu unterdrücken, und wirft Williams vor, er habe durch die Veröffentlichung des Buches seine Pflichten als Anwalt grob verletzt. Die Veröffentlichung ist zu einem Zeitpunkt erfolgt, da entscheidende und möglicherweise letzte Berufungen laufen, die über Mumias Leben entscheiden können. Ein in Mumias Namen eingereichter Schriftsatz beschuldigt seine früheren Anwälte, "schlechten Rat" erteilt zu haben, als sie Beverly's Geständnis nicht für den Prozess nutzten.

Als Reaktion auf Mumias Antrag lehnte der Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia die Einführung der Aussage von Beverly vehement ab. Die Staatsanwaltschaft stützte sich in ihrer Argumentation stark auf das Buch von Williams. Dessen Beschreibung der Auseinandersetzung in Mumias Verteidigungsteam mache deutlich, dass Beverlys Darstellung frühere Behauptungen, die bei der ursprünglichen Berufung vor einem Bundesgericht gemacht worden waren, nicht stütze. Williams, "der wichtigste Autor" des Berufungsschriftsatzes, habe in seinem Buch den Vorschlag, Beverlys Aussage zu nutzen, als "totalen Wahnsinn" und als "eine absurde Darstellung" bezeichnet, erklärte der Vertreter des Staates.

Am 19. Juli hatte Richter William H. Yohn Jr. einen Antrag zurückgewiesen, das Beverly-Geständnis als zusätzlichen Grund für die Berufung Mumias vor einem Bundesgericht zu akzeptieren und eine Anhörung dazu und zu weiteren unterdrückten Beweisen zuzulassen. Die Berufung verfolgte das Ziel, das aufgrund einer Verschwörung herbeigeführte Urteil von Richter Sabo durch das Bundesgericht aufheben zu lassen.

Der Richter gab eine achtseitige Urteilsbegründung, die sich juristisch auf die zwei reaktionärsten Entwicklungen im Gesetz zur Todesstrafe des letzten Jahrzehnts stützt - das von Präsident Clinton 1996 unterzeichnete Anti-Terrorism and Effective Death Penalty Act(AEDPA) und die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 1993 im Fall Herrera gegen Collins.

Das AEDPA, das die Clinton-Regierung und der Kongress nach dem Bombenanschlag von Oklahoma City unter dem Vorwand verabschiedeten, den inländischen Terrorismus zu bekämpfen, schränkt die Möglichkeiten von Todeskandidaten sehr stark ein, die Verurteilung durch ein Staatsgericht von einem Bundesgericht überprüfen zu lassen. Mit nur wenigen Ausnahmen verbietet das Gesetz Bundesrichtern, Tatsachenentscheidungen eines Staatsgerichts in Frage zu stellen. Damit ein Bundesgericht das Urteil eines Staatsgerichts überprüfen kann, muss der Angeklagte seine Unschuld im Wesentlichen schon bewiesen haben.

Das drakonische Gesetz begrenzt auch die Zeit, innerhalb derer Todeskandidaten ihre Petition beim Bundesgericht einreichen müssen, auf 180 Tage nach dem Urteil. Es setzt zudem eine Ein-Jahres-Frist für die Berufung aufgrund neuer Beweise. Außerdem kann ein Häftling nur noch eine einzige Überprüfung durch ein Bundesgericht erhalten, und das Gesetz verlangt, dass ein untergeordnetes Bundesgericht ein "Zertifikat der Berufungsfähigkeit" für einen Fall ausstellen muss, bevor er vor ein höheres Gericht gebracht werden kann.

Es ist ganz klar, dass dieses Gesetz den Zweck verfolgt, die Hinrichtung von Tausenden von Gefangenen zu beschleunigen, die zur Zeit in den Todeszellen überall in den Vereinigten Staaten sitzen.

In seiner berüchtigten Entscheidung im Fall Herrera gegen Collins hatte das Oberste Gericht das Prinzip vertreten, Unschuld sei keine Verfassungsfrage, und deshalb müsse es nicht intervenieren, um eine Exekution zu stoppen. Es sei unwichtig, ob in einem Prozess der Falsche verurteilt werde, solange die Formen des Prozesses genau beachtet werden.

Wie Mumia wurde auch Leonel Herrera beschuldigt, 1981 einen Polizisten ermordet zu haben. Er behauptete, er habe Beweise, dass die Schüsse, die in der Nähe der mexikanischen Grenze fielen, von seinem Bruder abgegeben worden seien. Das hohe Gericht reagierte auf den Appell, der in letzter Minute von Herrera an es gerichtet wurde, und stimmte zu, den Fall zu hören, weigerte sich jedoch, die Exekution zu stoppen. Während der Staat Texas die Hinrichtung aufschob, entschied das Oberste Gericht schließlich gegen Herrera und gab seiner Sorge Ausdruck, dass die Überprüfung der Schuld von Delinquenten, die unmittelbar vor der Hinrichtung stehen, durch ein Bundesgericht, zu einem juristischen "Rückstau" führen könnten. Herrera wurde getötet, obwohl viele davon überzeugt waren, dass er das Verbrechen, für das er verurteilt worden war, niemals begangen hatte.

In einer abweichenden Meinung bemerkte der ehemalige Richter Harry Blackmun: "Die Hinrichtung einer Person, die zeigen kann, dass sie unschuldig ist, grenzt gefährlich an simplen Mord."

Yohn wies nicht nur die Einführung der Zeugenaussage von Beverly zurück, seine Entscheidung enthielt außerdem eine deutliche Anweisung an das Staatsgericht, das selbe zu tun. Diese Entscheidung weist stark darauf hin, dass der Richter Mumia das Recht auf eine Anhörung, bei der neue Beweise über seine Unschuld vorgetragen werden könnten, verweigern will. Wenn der Richter seine Entscheidung nur auf früher von den Staatsgerichten festgestellte Fakten beschränkt, ist ein erfolgreicher Appell an das Bundesgericht ziemlich unwahrscheinlich.

Der Ausschluss neuer Beweise durch Yohn kommt nur wenige Wochen, nachdem eine Kommission für Bundesgerichtsberufungen in New York City sehr fragwürdige neue Zeugenaussagen in einem Fall zugelassen hat, bei dem es um die brutale Folterung des Einwanderers Abner Louima aus Haiti auf einer Polizeiwache geht. Vier Jahre nach dem Ereignis hatte ein inzwischen pensionierter Polizeisergeant plötzlich die Aussage des Hauptbelastungszeugen gegen den Polizisten Charles Schwarz in Frage gestellt.

Der augenfällige Unterschied zwischen dem Umgang mit Schwarz‘ Berufung und derjenigen von Mumia besteht darin, dass im ersten Fall ein Polizist angeklagt ist, einen wehrlosen Mann brutal gequält zu haben, und es im zweiten um einen Menschen geht, der fälschlicherweise beschuldigt wird, einen Polizisten erschossen zu haben.

Siehe auch:
Der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal
(25. Februar 2000)
Mumia Abu-Jamal soll am 2 Dezember hingerichtet werden
( 19. Oktober 1999)
Die politischen Aufgaben bei der Verteidigung von Mumia Abu-Jamal
( 2. März 1999)
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