Das jüngste Opfer der ‚Boot-Camps‘

Der Tod eines 14-Jährigen in Arizona (USA)

Der Tod eines 14-jährigen Jungen in einem privaten "Boot-Camp" für Problemjugendliche in Arizona hat einmal mehr Licht auf die schrecklichen Bedingungen in diesen - privaten wie staatlichen - amerikanischen Jugendeinrichtungen geworfen.

Laut einer Meldung der Zeitung Arizona Republic starb der Junge in der Wüste, nachdem er Schmutz erbrochen hatte. Vertreter dieses Lagers, das zur "America's Buffalo Soldiers Re-enactors Association" gehört und in der Nähe von Buckeye, Arizona, liegt, erklärten der Mutter des Jungen, Melanie Hudson, ihr Sohn habe Schmutz gegessen und sich geweigert, Wasser zu trinken. Der Junge nahm seit einer Woche an einer Maßnahme teil, die im ganzen fünf Wochen dauern sollte.

Das Boot-Camp von Buckeye behauptet - wie alle solchen Einrichtungen in den USA - dass es die Jungs mit "rauher Liebe" anfasse. Dies sei nötig, da alle bisherigen Erziehungsformen wegen zu großer Verweichlichung gescheitert seien. Das Lager, das in vollkommen reglementiertem und paramilitärischem Stil geführt wird, will die Jugendlichen durch verschiedene Formen der Einschüchterung angeblich dazu veranlassen, Selbstdisziplin, Selbstvertrauen und ein Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Der County Sheriff von Maricopa, Joe Arpaio, erklärte der Presse, für ihn sei dieser Todesfall verdächtig, und er warte noch die Ergebnisse der Autopsie ab. Mit der Begründung: "Es gab ernstzunehmende Vorwürfe über Autoritätsmissbrauchs im Boot-Camp" ließ er das Lager Anfang Juli schließen und schickte etwa fünfzig Kinder nach Hause. Ehemalige Drillmeister des Lagers hatten ausgesagt, die Jungen würden regelmäßig geschlagen und gezwungen, Schlamm zu essen.

Bill Lanford, Chef der Feuerwehr von Buckeye Valley, erklärte den Reportern, dass einige Lagerleiter bei Ankunft der Sanitäter die zum Teil weinenden Kinder angewiesen hatten, sich auf die Betonplatten zu legen. "Das war schon sehr seltsam", bemerkte er dazu. "Wir waren bei der Arbeit,... und die Lagerleiter interessierten sich vor allem dafür, die Kinder zu disziplinieren und ihnen zu sagen, dass sie sich hinlegen sollten."

Zu dem Lagerregiment gehörten Gewaltmärsche, schwarze Uniformen, regelmäßiges Anbrüllen, sowie Essrationen, die aus einem Apfel, einer Karotte und einer Schüssel Bohnen für den ganzen Tag bestanden. Die Insassen schliefen im Freien, in Schlafsäcken auf Betonplatten.

Die Beschwerden über Autoritätsmissbrauch waren schon im Vorjahr gegen die gleiche Organisation erhoben worden, als sie im Fort-Apache-Reservat, ebenfalls in Arizona, ein Lager führte. Im Juli 2000 sagten einige der jungen Leute aus, dass sie von den Drillmeistern getreten, gewürgt und noch auf andere Weise gequält worden waren. Die Behörden von Fort Apache schritten gegen die Betreiber des Lagers ein, worauf diese ihre Aktivitäten nach Buckeye verlagerten. Ein FBI-Sprecher berichtete, dass die Agentur einen Bericht über die Beschuldigungen an die US-Staatsanwaltschaft geschickt habe, die sich jedoch geweigert habe, darin ein kriminelles Delikt oder eine mögliche Verletzung der Bürgerrechte zu erkennen.

Die Polizei ist dabei, den Betreiber des Buckeye Lagers, Charles "Chuck" Long zu verhören. Es stellte sich am 5. Juli heraus, dass diese Person, die für die Betreuung von Problemkindern verantwortlich war, schon zweimal wegen Unruhestiftung verhaftet worden war und falsche Angaben zu seinen akademischen Graden gemacht hatte.

Der tote Junge war von seinen Eltern in das Lager geschickt worden, nachdem er ein paar Mal geringfügig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Erst im Mai war seine Bewährungszeit wegen Ladendiebstahls abgelaufen, außerdem hatte er die Reifen seiner Mutter zerstochen und war bei einem Therapeuten in Behandlung, um seine Wutausbrüche und seine Depressionen besser unter Kontrolle zu bringen. Sein Vater, Gettis Haynes aus Hannibal, Missouri, sagte der Associated Press, er fühle sich für den Tod seines Sohnes verantwortlich. "Ich dachte, es sei dort besser als im Gefängnis. Aber das Gefängnis wäre doch für meinen Kleinen der bessere Platz gewesen. Wenigstens wäre er dort noch am Leben."

Diese Art Jugenderziehungslager gibt es seit Mitte der achtziger Jahre, der Reagan-Periode, als die Regierungen in Louisiana und Georgia sie ausprobierten und Jungs im Teenageralter in eine militarisierte Umgebung versetzten. Diese Praxis wurde von Politikern aufgegriffen, die sich um einen Ruf als unerbittliche Gegner von Verbrechen bemühten.

In einem Artikel von Bruce Selcraig im Dezemberheft des Magazins Mother Jones heißt es: "In einem Staat nach dem andern ignorierten die Beamten Beweise, dass die meisten Boot-Camps gar nicht funktionieren. Ein immer größeres Untersuchungsfeld, das von privaten Studien bis hin zu Bundesermittlungen reicht, hat nachgewiesen, dass die Lager weder die Rückfälligkeitsrate spürbar reduzieren, noch zu dem Erfolg führen, den ihre Betreiber versprechen. Stattdessen bieten sie oft Gelegenheit zu furchtbarem Kindesmissbrauch durch unterbezahltes und nicht ausgebildetes Personal.... Die nationale Vereinigung für geistige Gesundheit kam zum Schluss, dass ‚die Anwendung von Einschüchterungs- und Erniedrigungstaktiken bei den meisten Jugendlichen kontraproduktiv‘ sei und zu ‚beunruhigenden Vorkommnissen‘ des Missbrauchs geführt hätten. In Georgia fanden Ermittler des amerikanischen Justizdepartements heraus, dass Kinder gezwungen wurden, auf Händen und Knien zum Essen zu kriechen, mit ihren T-Shirts die Böden zu putzen und im Sommer mit Reifen auf den Schultern herumzurennen. ‚Das paramilitärische Modell ist nicht nur ineffektiv, sondern auch schädlich‘, endet die Untersuchung."

Berichte über Missbrauch in sowohl privaten als auch staatlichen Erziehungslagern sind weit verbreitet.

Auf der Arizona Boys Ranch wurde Nicholaus Contrarez, 16 Jahre alt, gezwungen, in verschmutzter Unterwäsche zu schlafen, seine Mahlzeiten auf der Toilette einzunehmen und einen gelben Müllkorb, gefüllt mit seinem eigenen Erbrochenen, mit sich herumzutragen. Er brach zusammen und starb am 2. März 1998. In den fünf vorangegangenen Jahren hatte es fast 100 Beschwerden über die Boys Ranch gegeben.

Im Juli 1999 starb die 14-jährige Gina Score in einem Boot-Camp für Mädchen der Regierung von South Dakota nach einem Gewalt-Rennen über mehrere Meilen. Die Bedingungen in den Einrichtungen dieses Staats führten schließlich zu einem offenen Brief von Michael Bochenek von Human Rights Watch, Abteilung für Kinderrechte, an den Gouverneur William Janklow, einem sturen Befürworter der Boot-Camps. Nach der Schilderung einiger der barbarischen Praktiken dieser staatlichen Jugendeinrichtungen (Fesseln, Einzelhaft, regelmäßige Leibesvisitationen bei Mädchen durch Wachmänner, zeitlich unbegrenzte Verurteilung von Jugendlichen), schloss Bochenek: "Die ernsten Vorwürfe, die von jugendlichen Gefangenen in South Dakota vorgebracht werden, kommen einem vernichtenden Urteil über das staatliche Jugendhaftsystem gleich."

Ein von einem ehemaligen US-Marinesoldaten geleitetes Boot-Camp in North Carolina, das in die Schlagzeilen geriet, wurde im Juni 2000 geschlossen, nachdem Sozialarbeiter nachgewiesen hatten, dass man einen Lagerinsassen drei Tage lang in Handschellen gehalten und die Behörden zugelassen hatten, dass diese Einrichtung Jugendliche in Pflege nahm, ohne überhaupt eine Lizenz dafür zu haben.

Über dieses Lager wurde überall in den Vereinigten Staaten berichtet, weil sein Gründer, der ehemalige Marinesoldat Raymond Moses, mehr als zehnmal in der Fernseh-Talk-Show von Jenny Jones auftrat. Selbst Kinder aus Kalifornien wurden in dieses Lager geschickt. Die Jugendlichen schliefen draußen, in Zweimannzelten, die von Drahtverhau umgeben waren. Für die Mädchen gab es Toiletten, aber nicht für die Jungs. Das Lager wurde ohne Lizenz betrieben und war keinerlei Kontrolle der Regierung unterstellt.

Siehe auch:
Execution Day in Amerika
(14. Juni 2001)
Nach der Hinrichtung von Gary Graham: Die Welt blickt auf Amerika, und Amerika auf sich selbst
( 27. Juni 2000)
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