Wie das deutsche Innenministerium Flüchtlinge aus Afghanistan abwehrt

Während die brutale Unterdrückung der afghanischen Bevölkerung durch das Taliban-Regime zur Rechtfertigung und Unterstützung des US-geführten Kriegs gegen das Land herangezogen wird, sieht Klaus Blumentritt, der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, darin keinen Asylgrund. Klaus Blumentritt und seine direkt dem Bundesinnenministerium von Otto Schily (SPD) unterstellte Behörde sind berühmt-berüchtigt für ihre Anfechtungsklagen gegen Asylberechtigte, deren Asylantrag meist nach langen Jahren der Unsicherheit und langwierigen Gerichtsverfahren anerkannt worden ist.

Bei dem jetzt bekannt gewordenen Fall - die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl und die Frankfurter Rundschau vom 21./22. November berichteten darüber - handelt es sich um die Anfechtungsklage von Blumentritt gegen einen seit 1995 in Deutschland lebenden afghanischen Flüchtling, dem im Oktober das so genannte "kleine Asyl" und damit ein Bleiberecht in Deutschland zuerkannt worden war.

In Blumentritts Begründung der Anfechtungsklage vom 6. November dieses Jahres heißt es: "Bei Anpassung an die Regeln für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Verständnis der Taliban (etwa zur Verwirklichung der Geschlechtertrennung oder zur Haar- und Barttracht von Männern) ist in Afghanistan - auch für Rückkehrer aus dem Ausland - die persönliche Sicherheit des Einzelnen gewährleistet." Und weiter: "Im Übrigen stellen die strengen Verhaltensmaßregeln der Taliban und die damit einhergehenden Einschränkungen in der Lebensführung letztlich nur eine Ausprägung fundamentalistisch-islamischer Anschauungen und eines entsprechenden Gesellschaftsverständnisses dar." Diese seien nicht "asylrelevant".

Dieser Vorfall ist ein weiterer Beweis für den unglaublichen Zynismus und die Heuchelei der offiziellen Politik, die sich auf Fragen der Menschenrechte, die Unterdrückung der Demokratie oder die Behandlung und Lage der Frauen und von Minderheiten immer nur dann besinnt, wenn sie zu Propagandazwecken für die Durchsetzung ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln benötigt werden.

Bei dem Krieg in Afghanistan geht es an erster Stelle um den Einfluss und die Kontrolle dieser strategisch wichtigen Region und den Zugang und die Ausbeutung der Öl- und Gasreserven in Zentralasien und am Kaspischen Meer. Kein imperialistisches Land und keine Regionalmacht will bei der Aufteilung der Beute abseits stehen. Die Not und das Elend der Millionen von Flüchtlingen und der Bevölkerung spielen dabei keine Rolle.

In Deutschland stellt die Behandlung von afghanischen Flüchtlingen und die jahrelange Ablehnung ihrer Asylanträge durch deutsche Gerichte ein besonders dunkles Kapitel der Asylpolitik dar. Obwohl es nur wenige der von den Taliban Verfolgten gelang, auf ihrer Flucht bis nach Europa vorzudringen, wurde ihnen in Deutschland noch bis vor fünf Monaten die Anerkennung als politisch Verfolgte versagt.

Seit Mitte der 90-er Jahre zählen Flüchtlinge aus Afghanistan zur Hauptgruppe der Asylsuchenden in Europa. EU-weit stieg ihre Zahl im vergangenen Jahr von 16.000 auf fast 30.000 an. Knapp einem Drittel von ihnen gelang über monatelange Umwege der Weg nach Deutschland. Insgesamt leben rund 75.000 afghanische Flüchtlinge hier, viele schon seit Jahren. Im September stellten 842 Afghanen Antrag auf Asyl in Deutschland.

Jahrelang wurden mehr als 90 Prozent der afghanischen Asylbewerber abgelehnt. Im vergangenen Jahr erreichte die Anerkennungsquote für afghanische Asylbewerber den historischen Tiefpunkt von 0,89 Prozent. Die Begründung für die Ablehnung lautete durchweg, in Afghanistan herrsche keine staatliche Verfolgung, da das Taliban-Regime, das in den letzten Jahren 90 Prozent von Afghanistan beherrschte, von den meisten Regierungen der Welt nicht anerkannt worden war. Nichtstaatliche Verfolgung gilt in Deutschland unter Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als politische Verfolgung und damit nicht als Asylgrund.

Die Flüchtlinge konnten zwar nicht abgeschoben werden, vor allem aufgrund mangelnder Verkehrswege und Flugverbindungen nach Kabul, aber sie erhielten nur eine vorübergehende Duldung mit all den damit verbundenen rechtlichen und sozialen Unsicherheiten.

Die Haltung der Behörden änderte sich erst, nachdem das Bundesverfassungsgerichts (BVG) im letzten Jahr das Bundesverwaltungsgericht aufgefordert hatte, seine bisherige Rechtssprechung zu korrigieren. Das BVG gelangte zum Schluss, dass es sich bei den Taliban um ein quasi-staatliches Herrschaftsgefüge handle, von dem folglich auch politische Verfolgung ausgehen könne. Seit Ende Mai bis Mitte Oktober entschied das Asylbundesamt über die Anträge 7000 afghanischer Flüchtlinge und rollte dabei auch alte Anträge wieder auf. Die Anerkennungsquote betrug jetzt etwa 61 Prozent.

Bereits im Juli dieses Jahres strengte der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten eine Anfechtungsklage gegen die Asylanerkennung von zwei Frauen, Mutter und Tochter, an. Seine Begründung: Sie seien selbst für ihre Verfolgung verantwortlich, weil sie durch ihr individuelles Verhalten gegen die Bekleidungsvorschriften der Taliban verstoßen hätten.

Nach der kurzen Phase einer höheren Anerkennungsquote für Asylsuchende aus Afghanistan droht den Flüchtlingen, über deren Verfahren noch nicht entschieden worden ist, neue Gefahr. Aufgrund der gegenwärtigen Umbruchssituation in Afghanistan könnte der Bundesinnenminister einen Entscheidungsstopp für Asylgesuche aus der Region verhängen. Und vor den Anfechtungsklagen des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten sind selbst anerkannte Asylbewerber nicht sicher.

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