US-Richter kippt Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal

Ein Bundesrichter hob am Dienstag das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal auf; er entschied, dass der frühere Journalist und Black-Panther-Aktivist das Recht auf eine neue Verhandlung über das Strafmaß habe, nachdem er schon seit fast zwanzig Jahren für den angeblichen Mord an dem Polizisten Daniel Faulkner in der Todeszelle sitzt.

In der seit langem erwarteten Entscheidung führte Distriktrichter William Yohn falsche Anweisungen an die Geschworenen während der Urteilsphase des Prozesses im Juli 1982 an und wies den Staat Pennsylvania an, entweder innerhalb von 180 Tagen eine neue Verhandlung über das Strafmaß anzuberaumen, oder Abu-Jamal zu lebenslänglich zu verurteilen.

Gleichzeitig aber bestätigte Yohn die Verurteilung wegen Mordes ersten Grades und lehnte es ab, Abu-Jamal einen neuen Prozess zu gewähren, in dem er neue Beweise dafür vorlegen könnte, dass ihm der Mord durch die Behörden in Philadelphia angehängt wurde. Abu-Jamal hat immer beteuert, Faulkner nicht getötet zu haben. Die Distriktsstaatsanwältin von Philadelphia, Lynne Abraham hat angekündigt, gegen Yohns Entscheidung Berufung beim 3. US-Appellationsgericht einzulegen.

Yohn hat die Aufhebung des Todesurteils damit begründet, dass das Urteilsformblatt und die Instruktionen von Richter Albert F. Sabo die Geschworenen fälschlicherweise zur Auffassung verleitet hätten, sie dürften mildernde Umstände gegen die Verhängung der Todesstrafe nur in Betracht ziehen, wenn Einstimmigkeit über das Vorliegen solcher Umstände bestehe. Im Unterschied zu der Regel, dass Geschworene erschwerende Umstände - d.h. Umstände, die für die Todesstrafe sprechen - einstimmig feststellen müssen, erlauben es die Bundesgesetze mildernde Umstände auch ohne Einstimmigkeit festzustellen.

In seiner Urteilsverkündung sagte Yohn, dass eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Jury geglaubt hat, mildernde Umstände nicht in Betracht ziehen zu dürfen, über deren Existenz keine Einstimmigkeit bestand". Betrachte man die Instruktionen an die Jury und das in Jamals Fall benutzte Urteilsformular, dann sei es offensichtlich, dass "eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Jury die Anweisungen und das Formblatt in einer Weise verstanden hat, die der Einbeziehung verfassungsmäßig wichtiger Beweise im Wege stand."

Yohn gab Abu-Jamals Revisionsantrag in diesem Punkt statt und entschied, dass die Entscheidung des Obergerichts von Pennsylvania, das Todesurteil zu bestätigen, "nach den Präzedenzfällen des Obersten Gerichtshofs nicht zu rechtfertigen" und "eine nicht zu billigende Anwendung von Bundesrecht" sei.

Der Juraprofessor David Kairys von der Temple Universität kommentierte Yohns Entscheidung mit den Worten, sie habe "einen ganz klaren Irrtum" aufgedeckt, der dazu geführt habe, dass Abu-Jamal kein gerechtes Urteil bekam. "Jetzt werden auf Mumia Abu-Jamal einfach nur die gleichen Regeln angewandt, die für jeden anderen auch gelten. Es geht dabei nicht um Nebensächlichkeiten; es geht vielmehr um den Kern der Sache, um die Frage, ob die Jury wirklich beabsichtigte, die Todesstrafe zu verhängen oder nicht," sagte Kairys.

Der größte Teil von Yohns 272-seitigem Urteil ist der Zurückweisung von 28 der 29 Argumente gewidmet, die von Abu-Jamals Anwälten im Oktober 1999 dem Bundesrichter bei ihrer Habeas-Corpus-Berufung vorgetragen worden waren. Yohn wies neue Beweise zurück, die das Verteidigungsteam in den letzten beiden Jahrzehnten zu Tage gefördert hatte und die die Manipulation von Zeugen durch die Polizei, den Widerruf von Geständnissen und weitere Belege für die Missachtung der Verfahrensrechte von Abu-Jamal durch Richter Sabo nachweisen. Yohn berief sich wiederholt auf das 1996 eingeführte Gesetz gegen den Terrorismus und für die Effektivität der Todesstrafe, das von den Bundesgerichten weitgehend verlangt, die Beweiswürdigung der Staatsgerichte von vorneherein als korrekt zu akzeptieren.

Im Juni 1995 hatte der damalige Gouverneur von Pennsylvania, Thomas Ridge, der jetzt Chef der neugeschaffenen Behörde für Innere Sicherheit ist, Jamals Todesurteil unterzeichnet und seine Hinrichtung auf den 17. August 1995 festgesetzt. Nach mehreren Einsprüchen schob das Oberste Gericht von Pennsylvania die Hinrichtung auf, um neue, von Jamals Anwälten vorgelegte Beweise zu begutachten. Nachdem dieser Berufungsantrag - unter dem Vorsitz von Richter Sabo - zurückgewiesen worden war, lehnten auch das oberste Gericht des Bundesstaats und der Oberste Gerichtshof der USA die Berufungsanträge von Jamal ab. Ridge legte einen zweiten Hinrichtungstermin für den 2. Dezember 1999 fest, aber Richter Yohn gewährte einen Aufschub bis zur endgültigen Entscheidung über die Berufung.

Am 21. November wurde Abu-Jamals Petition für eine erneute Anhörung nach dem Post Conviction Relief Act (PCRA) vom Staat Pennsylvania abgelehnt. Die Beschwerderichterin Pamela Dembe begründete ihre Entscheidung damit, dass ihr Gericht in dieser Sache nicht zuständig sei, und wies alle Forderungen nach weiterer Beweisaufnahme, Eingaben und Anhörungen ab. Die Richterin begründete ihre Entscheidung mit einem reaktionären Zusatz zu dem PCRA von 1995 im Staate Pennsylvania, der von einem Angeklagten verlangt, PCRA-Petitionen innerhalb eines Jahres nach Verkündung des Urteils einzureichen. Eine Ausnahme ist nur zugelassen, wenn neue Beweise, die einen neuen Prozess rechtfertigen, vorliegen, aber diese müssen dann innerhalb von 60 Tagen, nachdem der Angeklagte davon Kenntnis erhalten hat, vorgelegt werden. Im Urteil der Richterin heißt es, dass die Gerichte "von dem Verständnis angeleitet werden, dass alle Prozesse einmal endgültig sein müssen" - und nicht dass sie zur Feststellung von Wahrheit und Gerechtigkeit führen müssen.

Abu-Jamals Petition stützte sich auf das Geständnis eines gewissen Arnold Beverly, er habe Faulkner erschossen. In einer eidesstattlichen Erklärung hatte Berverly angegeben, er und ein anderer Mann seien von anderen Polizisten mit Beziehungen zum organisierten Verbrechen angeheuert wurden, um Faulkner zu töten, weil er ihren Schiebungen und Bestechungszahlungen im Wege stand, die für die Duldung von illegalen Aktivitäten wie Glücksspiel, Drogen und Prostitution gezahlt wurden.

Abu-Jamal vertritt den Standpunkt, dass seine Petition den Anforderungen des neuen PCRA genüge, weil er über neue Anwälte verfüge, die bereit sind, die Beweise vorzulegen. Seine vorherigen Anwälte Leonard Weinglass und Daniel Williams hätten das Beverly-Geständnis auf Grund von Todesdrohungen unterdrückt. Außerdem habe ihn Williams falsch beraten, weil er daran interessiert gewesen sei, den Verkauf eines von ihm verfassten Buches über den Fall zu steigern.

Abu-Jamal ist ein international bekannter Gegner der Todesstrafe, der in seinen Artikeln und Radiosendungen die brutalen Bedingungen der beinahe 4.000 Insassen der amerikanischen Todeszellen enthüllt hat. Dieses Jahr sind schon sechs Menschen durch die Entdeckung neuer Beweise, z.B. auf Grund von DNA-Tests, aus der Todeszelle befreit und entlastet worden. Dem Informationszentrum über die Todesstrafe zu Folge sind seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 fast 100 zu Unrecht erfolgte Todesurteile in mindestens 22 Bundesstaaten bekannt geworden.

Landesweite Umfragen zeigen, dass die Unterstützung für die Todesstrafe in den USA abnimmt. Eine Gallup-Umfrage vom Frühjahr diesen Jahres zeigte, dass 65 Prozent der Amerikaner die Todesstrafe unterstützen, im Gegensatz zu 80 Prozent 1994. Umfragen zeigen weiter, dass die Amerikaner auch den Methoden der Todesstrafe zunehmend kritisch gegenüber stehen, besonders im Lichte bekannt gewordener Fälle zu Unrecht zum Tode Verurteilter. Eine Umfrage von ABC News vom April ergab, dass 51 Prozent der Befragten ein landesweites Moratorium unterstützen, bis eine Kommission die Fairness der Todesstrafe untersucht hat.

Siehe auch:
Der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal
(25. Februar 2000)
Hearing über neue Beweise im Fall Mumia Abu-Jamal
( 22. August 2001)
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