Enron und die Bush-Regierung: Brüder im Geiste bei Betrug und kriminellen Machenschaften

Der Zusammenbruch des riesigen amerikanischen Energiehandelskonzerns Enron hat mit allen seinen juristischen und ökonomischen Auswirkungen der Bush-Regierung offensichtlich einen veritablen Skandal beschert. Eine Kolumne in der Los Angeles Times stellte vergangene Woche einen Vergleich mit der "Teapot-Dome-Affäre" her, die in den zwanziger Jahren das Ende der Harding-Administration besiegelte. Es macht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Sinn, darüber zu spekulieren, ob Enron der Anfang vom Ende der gegenwärtigen Regierung sei. Wichtiger ist es zu verstehen, in welchem Maße Enron als kriminelles und parasitäres Unternehmen ein Ausdruck des gesellschaftlichen Charakters der Bush-Regierung und der amerikanischen Elite insgesamt ist.

Von "engen Verbindungen" und "persönlichen Beziehungen" zwischen Enron und der Bush-Regierung zu sprechen, geht schon fast an der Sache vorbei. In gewissem Sinn ist die gegenwärtige Regierung ein Wurmfortsatz des Enron-Vorstands. Man könnte diese Administration "Enron an der Regierung" nennen, und zwar nicht nur, weil zahlreiche Mitglieder der Bush-Regierung und hohe Beamte (und Republikaner) in der einen oder anderen Funktion im Sold von Enron gestanden haben, sondern in dem grundlegenderen Sinn, dass die gesellschaftlichen Typen im Vorstand von Enron und in den oberen Etagen der Washingtoner Regierung auswechselbar sind.

Als Beleg mag ausreichen, dass der Justizminister des Landes, John Ashcroft - ebenso wie sein Bürochef, David Ayres - sich aus den Ermittlungen seines eigenen Ministeriums gegen Enron zurückziehen musste, weil er von der Firma Zehntausende Dollar Wahlkampfspenden erhalten hatte, als er im Jahre 2000 erfolglos versuchte, seinen Senatssitz zu verteidigen. Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten und frühere Ölmanager Dick Cheney musste unter dem Druck des Untersuchungsausschusses des Kongresses zugeben, dass er oder Mitglieder seines Stabes sich während der Diskussionen seiner geheimen Energy Task Force im letzten Frühjahr sechsmal mit Vorstandsmitgliedern von Enron getroffen hatten. Der einzige Topmanager, mit dem sich Cheney alleine traf, war Enron-Chef Kenneth Lay.

So gesehen resultiert die Debatte, ob Beamte der Bush-Regierung in ihrem Verhalten gegenüber der Energiehandelsgesellschaft "zu weit gegangen" seien, eher auf einem Missverständnis. Es gibt eigentlich gar keine Grenze, die sie hätten überschreiten können. So wäre es kindisch zu glauben, ehemalige Top-Manager von Enron, die ihren Job erst vor wenigen Monaten aufgegeben haben, und ihre Kumpane in der Bush-Regierung hätten nichts von der Finanzkrise der Firma gewusst. Zumindest seit letztem Sommer, als sich der Absturz der Aktie fortsetzte, der schließlich die Rentenersparnisse von Tausenden vernichten sollte, müssen sie etwas geahnt haben. (Die Frau des republikanischen Senators Phil Gramm aus Texas sitzt im Vorstand von Enron!)

Wenn Handelsminister Donald Evans in Interviews sagt, dass er Ende Oktober von Lay in einem Telephongespräch über die Probleme der Firma informiert worden sei und dem Stabschef des Weißen Hauses, Andrew Card, erst "mehrere Wochen" später darüber berichtet habe, dass Card aber die Information nie an Bush weitergegeben habe, dann ist Skepsis angebracht. Man will uns glauben machen, dass Bushs Wahlmanager im Jahr 2000 (Evans) den Präsidenten nicht darüber informiert hat, oder zumindest informieren ließ, dass sein langjähriger Gönner und größter Spender (Lay) vor dem Abgrund stand. Es ist wahrscheinlicher, dass er ihn nicht informiert hat, weil Bush es bereits wusste.

Jedenfalls ist schon die Art und Weise, wie die Enron-Krise in die Schlagzeilen geriet, von ziemlicher Bedeutung. Das deutlich gesteigerte Interesse an Enron (immerhin brach die Firma schon vor sechs Wochen zusammen) fiel weitgehend in die Zeit, in der die Wirkung der Propaganda für den "Krieg gegen den Terrorismus" nachzulassen begann. Die Periode, in der die Aufmerksamkeit von Bevölkerungsschichten, die durch die Ereignisse des 11. September und später durch die Milzbrandanschläge verwirrt und erzürnt waren, durch die Aussicht auf einen entscheidenden Krieg in Zentralasien und auf die Ergreifung Osama bin Ladens abgelenkt werden konnte, ist vorüber. Die grundlegenderen sozialen Fragen kommen in den USA wieder hoch.

Das unterstreicht, dass die wachsende soziale und politische Krise in den USA von Beginn an ein wichtiger Grund für den Krieg in Afghanistan war. Es genügt zu fragen, welches Ansehen die Bush-Regierung ohne die Anschläge vom 11. September und den daraus folgenden Krieg gehabt hätte? Die Regierung stand schon Ende letzten Sommers, nach nur acht Monaten im Amt, zunehmend unter Druck und war im In- und Ausland unpopulär. Sie drohte sich aufzulösen. Ohne die Selbstmordanschläge und die nachfolgenden Ereignisse sähe die Bush-Regierung heute wohl ähnlich aus wie Enron an der Börse, wo der Preis der Firmenaktie von neunzig auf unter einen Dollar gefallen ist.

Der Zusammenbruch von Enron lässt Rückschlüsse auf die brüchige politische Statur der extremen Rechten und ihre schwindende gesellschaftliche Basis zu. Es dürfte kein Zufall sein, dass dem Rücktritt von Jeff Skilling - einem der Architekten von Enrons meteorhaftem Aufstieg - vom Vorstandsvorsitz im August (als ein Vizepräsident der Firma schon warnte, dass Enron kurz davor stehe in "einer Welle von Buchhaltungsskandalen" unterzugehen) nur drei Wochen später die Ankündigung Gramms folgte, er werde sich aus dem politischen Leben zurückziehen. Das Familienvermögen des Senators aus Texas hing (buchstäblich) am Schicksal von Enron. Er sah offensichtlich die Schrift an der Wand.

Was war Enron?

Nach Enrons spektakulärem Untergang zeigen ganze Heerscharen von Journalisten mit dem Finger auf die sogenannten "Exzesse" der 90er Jahre. Eine Kolumne in der New York Times("Eine Blase, die Enron-Insider wie Außenstehende nicht platzen lassen wollten") weist darauf in, dass Enron "als Firma wenig, an der Börse aber dank den Bemühungen ihres Vorstands eine Menge darstellte". Enron "ist zu einer Anklage gegen die ‚anything goes'-Stimmung geworden, die in den späten 90er Jahren das Geschäftsleben charakterisierte. Der steigende Aktienmarkt hat Analysten, Investoren, Buchhalter und selbst staatliche Aufsichtsbeamte überzeugt, dass es keine Veranlassung gibt, die Geschäftspraktiken eines Unternehmens in Frage zu stellen, solange die Kurse hoch bleiben."

Die Zeitung zitierte die Bemerkungen des Präsidenten einer Kapitalanlage-Firma, wonach Enron "das beste Beispiel für all die Dinge war, die man während der Börsenhysterie aus dem Ruder laufen ließ.... Diese Mauer ist in den 90er Jahren Stein um Stein in aller Öffentlichkeit gebaut worden, von Firmen, die alles nur Denkbare dafür taten, damit die Zahlen stimmten, und die dabei bedenkenlos die langfristigen Interessen der Firma opferten, um die Manager reich zu machen."

Der Artikel ist so weit ganz nützlich, aber er dient dazu, den Eindruck zu vermitteln, dass die Umstände, die Enrons Wachstum ermöglichten, und die Praktiken der Firma selbst etwas Anormales darstellten. Man soll daraus wohl schlussfolgern, dass letztlich die kühlen Köpfe die Oberhand behalten haben.

In Wirklichkeit ist Enron geradezu ein Musterbeispiel für den amerikanischen Kapitalismus in der Ära von Reagan, Clinton und den beiden Bushs. Wie das WSWS schon früher aufgezeigt hat, haben sowohl republikanische wie demokratische Administrationen durch eine Politik der Deregulierung die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Profite durch die reine Manipulation des Energiemarktes angehäuft werden konnten, ohne dass neue Anlagen gebaut oder neue Energiequellen erschlossen wurden. Enron verhielt sich wie ein Finanzspekulant. Der Konzern kaufte und verkaufte Energieverträge, die Monate oder sogar Jahre in die Zukunft reichten.

Enron war kein Auswuchs, keine Randerscheinung des amerikanischen und globalen Kapitalismus. Mit seinem Bemühen, den Shareholder Value um jeden Preis nach oben zu treiben, wurde es zum universalen "Modellunternehmen". Lay mag ein Emporkömmling gewesen sein, aber seine Firma unterhielt die besten Beziehungen zur etablierten Finanzelite. Die Kommission zur Überwachung von Börsengeschäften untersucht die Verbindungen von Enron zur Wall Street und den respektabelsten amerikanischen Finanzinstitutionen. Die Aufsichtsbeamten versuchen herauszufinden, ob Banken wie J.P. Morgan Chase & Co. und Citigroup Enron bei seinen massiven Betrugsmanövern geholfen haben.

Das Wall Street Journal schrieb in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel "Wie die Wall Street Enrons Geldmaschine geschmiert hat": "Das Ergebnis: Einige der weltweit führenden Banken und Maklerunternehmen haben Enron entscheidende Hilfestellung dabei gegeben, die verführerische - und in entscheidender Hinsicht irreführende - Finanzstruktur zu schaffen, mit der der eindrucksvolle Aufstieg des Energieriesen in die Wege geleitet wurde und die schließlich seinen spektakulären Fall bewirkte. Tatsächlich wäre Enron ohne den finanziellen Schmierstoff der Wall Street niemals zum größten Energiehändler des Landes und zur siebtgrößten Firma überhaupt geworden. Im Gegenzug erhielten die Firmen der Wall Street Hunderte Millionen Dollar an Gebühren - allein 214 Millionen Dollar für Emissionen, und noch weit mehr für Darlehen, den Handel mit Derivaten und die Beratung bei Fusionen."

Enron stieg im vergangenen Jahrzehnt durch korrupte, rücksichtslose und gesellschaftlich zerstörerische Methoden empor. Die Firma schuf einen Markt für Energieanleihen, wo vorher keiner bestand und zu bestehen brauchte. Seine Rolle in Kalifornien war besonders katastrophal. Dort manipulierte es absichtlich die Energiepreise und trieb den Staat fast in den Bankrott. Einige seiner Aktivitäten waren offen kriminell. Bei seinen schmutzigen Machenschaften wurde es offenbar von Wirtschaftsprüfern der Firma Andersen unterstützt, deren Vertreter jetzt zugegeben haben, dass ihr Unternehmen Tausende belastende Dokumente vernichtete, als sich der Untergang im letzten Herbst abzuzeichnen begann.

Enron hat praktisch nichts produziert und hat keinem legitimen wirtschaftlichen Zweck gedient. Skilling glaubte, in den Worten einer Analyse des Wall Street Journal, dass "eine Firma keine festen Anlagen bräuchte. Feste Anlagen, so Mr. Skilling, würden nur Geld binden, dass viel profitabler im Handel eingesetzt werden könne." Er "legte Wert darauf, Enron vom,Eisen' [i.e. Maschinen und Ausrüstung] zu lösen und das Geld stattdessen zu benutzen, um mit allem zu handeln, von Elektrizität bis zu Internet-Bandbreiten, von Computerchips bis zu Werbeflächen."

Enron entwickelte sich zu einem gigantischen Verschleierungsmanöver, bei dem ausgeklügelte und undurchsichtige Buchführungsmethoden eingesetzt wurden, um massive Verluste zu verdecken und immer neue Kredite anzuziehen. Enrons Methode der "flüssigen Anlagen" führte schließlich ins Desaster, als Enthüllungen über ein Netz von Transaktionen mit Partnern, die teilweise mit Managern des Unternehmens besetzt waren, das Vertrauen der Investoren erschütterten. Von Enrons angeblichen 60 Mrd. Dollar Betriebskapital existieren Schätzungen zufolge nur etwa 10-15 Mrd. Dollar in Form technischer Anlagen und Ausrüstungen.

Die Methoden von Enron haben einen fantastischen Reichtum in den Händen der Spitzenmanager angehäuft. Für die Beschäftigten und diejenigen, die sich von seinen Versprechungen haben einlullen lassen, bedeuten sie dagegen eine Katastrophe.

Die Vertreter der Bush-Regierung sehen am Aufstieg und Fall von Enron nichts ungewöhnliches. Finanzminister Paul O'Neill, der zugegeben hat, von Lay letzten Oktober telefonisch über die Finanzkrise von Enron informiert worden zu sein, erklärte in einem Fernsehinterview letztes Wochenende, dass er vom Absturz der Gesellschaft nicht überrascht sei. Völlig unberührt vom Schicksal tausender Enron-Arbeiter und vom Zusammenbruch der Firma ruinierter Kleinanleger meinte der Finanzminister kaltschnäuzig: "Ich habe viele Konzerne kommen und gehen sehen... Es gibt sehr wenig Firmen, die 40 oder 50 Jahre überleben.... Firmen kommen und gehen. Das ist das Geniale am Kapitalismus. Die Menschen treffen gute oder schlechte Entscheidungen, um dann entweder die Folgen zu tragen oder die Früchte zu ernten. So funktioniert das System."

Diese Aussage geht über die kleine, aber hartnäckige Tatsache hinweg, dass die Beschäftigten und Kleininvestoren von Enron keinen Einfluss oder Einblick in die "Entscheidungen" von Lay und anderen Managern hatten, durch die ihr Leben zerstört wurde, während die Geschäftsführer sich zig Millionen Dollar an Gehältern, Bonuszahlungen und Aktienverkäufen gönnten. Darüber hinaus gibt es die reale Möglichkeit, dass viele oder alle, die auf so betrügerische Weise gehandelt haben, überhaupt keine rechtlichen oder finanziellen "Folgen" für ihre "Entscheidungen" "zu tragen" haben, sondern weiterhin die "Früchte" ihrer kriminellen Aktivitäten "ernten" werden. In der Tat, "so funktioniert das System".

Es gibt viele offensichtliche Parallelen zwischen Enron und der Regierung Bush. Auf der einen Seite ein Konzern ohne Anlagen, auf der anderen Seite eine Regierung ohne Legitimation. Die politische Fraktion, die jetzt in Washington an der Macht ist, hat ihren Aufstieg unter Reagan begonnen. Nach der Niederlage von Bush senior 1992 schäumte sie unter Clinton, obwohl dieser alles tat, um ihr entgegenzukommen. Selbst die zahmsten Beschränkungen ihrer ungehemmten Bereicherung wollte sie nicht tolerieren. Da sie selbst nicht glaubten, durch Wahlen an die Macht kommen zu können, organisierten diese rechten Kräfte mit Hilfe einer Meute reaktionärer Anwälte und Richter die Affären um Whitewater, Paula Jones und Monica Lewinsky. Damit wollten sie einen zweimal gewählten Präsidenten aus dem Amt treiben. Soweit sie Erfolg hatten, verdankten sie diesen größtenteils der elenden Feigheit der Demokratischen Partei, die unfähig war, der, in den Worten von Hillary Clinton, "großangelegten rechten Verschwörung" ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. (In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Enrons Spenden an die Demokraten zwar nicht annähernd so hoch waren, wie die an die Republikaner, aber doch beträchtlich.)

Nachdem der versuchte Staatstreich knapp fehlgeschlagen war, wollte die extreme Rechte um jeden Preis George W. Bush als Präsidenten haben. Nachdem im letzten Jahr Al Gore die Mehrheit der Stimmen bundesweit und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Florida gewonnen hatte, bemächtigten sich die Kräfte um Bush der Wahl mit Gangstermethoden.

Die Regierung Bush ist mit kriminellen Methoden ins Amt gekommen und regiert auch so, im Innern wie im Äußern. Sie hat die terroristischen Angriffe vom 11. September benutzt, um ein rechtes Programm von Angriffen auf demokratische Rechte im Innern und einen Kolonialkrieg in Zentralasien in Gang zu setzen, dessen Ziel die Kontrolle über die riesigen Rohstoffvorkommen, insbesondere Öl und Gas ist.

Die Bush-Regierung ist keine Randerscheinung der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft und ihrer herrschenden Elite. Sie vertritt die räuberischsten und rücksichtslosesten Elemente des amerikanischen Kapitals und steht an der Spitze einer Gesellschaft, die tief gespalten ist zwischen wenigen märchenhaft Reichen und breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung. Dass derartige Elemente nach oben kommen, ist genauso wenig wie bei Enron eine Laune des Schicksals. Letzten Endes steht die Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus hinter der Rechtswendung des politischen Establishments in den USA, dem faktischen Zusammenbruch des Sozialliberalismus und dem kriminellen Charakter der heutigen Regierung. Die wichtigste Lehre, die aus dem Skandal um Enron gezogen werden muss, ist die Notwendigkeit, sie in ihrem politischen und historischen Zusammenhang zu begreifen.

Siehe auch:
Enron: Das wahre Gesicht der "New Economy"
(20. Dezember 2001)
George W. Bush und der Enron-Skandal
( 22. Januar 2002)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - März 2002 enthalten.)
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