Gregor Gysi erhält für die PDS das Amt des Wirtschaftssenators und des stellvertretenden Bürgermeisters in Berlin

Drastische Haushaltskürzungen in der Hauptstadt geplant

Nach ausführlichen Verhandlungen haben sich SPD und PDS auf die Postenverteilung im neuen Berliner Senat geeinigt. Zum ersten Mal seit der deutschen Wiedervereinigung ist die PDS in der Hauptstadt als Koalitionspartner akzeptiert worden. Ihr Spitzenkandidat Gregor Gysi, erhält die wichtigen Posten des Wirtschaftssenators und des stellvertretenden Bürgermeisters.

Im Oktober hatten in Berlin vorgezogene Neuwahlen stattgefunden, nachdem die bisherige große Koalition aus SPD und CDU an dem Skandal der Berliner Bankgesellschaft zerbrochen war, in den der bekannte Vorsitzende der CDU, Klaus Landowsky, bis über beide Ohren verstrickt war. Die Wahlen endeten in einem Debakel für die CDU, die SPD ging als Siegerin aus ihnen hervor und die PDS gewann deutlich Stimmen hinzu. (Sie erhielt 22,6 Prozent in ganz Berlin und nahezu fünfzig Prozent im Ostteil der Stadt.)

Danach hatte die Berliner SPD unter dem Druck von Bundeskanzler Schröder und der Bundes-SPD Verhandlungen über die Bildung einer "Ampelkoalition" mit den Grünen und der FDP aufgenommen. Mit Blick auf die Bundestagswahlen im Herbst dieses Jahres, für die sie sich die Möglichkeit einer Koalition mit der CDU offen halten möchten, zogen sich die Liberalen bald aus den Gesprächen zurück. Wowereit wandte sich daraufhin der PDS als möglichem Koalitionspartner zu. Wenn man Berlin hinzuzählt, werden nun die Hälfte aller Länder der ehemaligen DDR von SPD-PDS-Koalitionen regiert.

Im Gegensatz zu der gespannten Atmosphäre der Gespräche mit der FDP, betonten die Spitzen von PDS und SPD, seien ihre Verhandlungen in freundlicher und harmonischer Stimmung verlaufen. In verhältnismäßig kurzer Zeit einigte man sich auf die Ämterverteilung im neuen Senat. Die SPD erhält fünf Senatsposten und die PDS drei. Unter anderem erhält die PDS das Amt des Wirtschaftssenators, das von großer strategischer Bedeutung ist. Außerdem übernimmt sie die Posten für Kultur und Wissenschaft sowie Gesundheit.

Gregor Gysi, der Verhandlungsführer der PDS, schwankte kurzzeitig, ob er nicht das Amt des Kultursenators annehmen solle - immerhin war sein Vater Klaus Gysi viele Jahre lang Kulturminister der DDR gewesen. Schließlich entschied er sich jedoch für das Ressort Wirtschaft.

Drakonische Kürzungen in den Bereichen öffentlicher Dienst, Kultur und Gesundheitswesen

In seinem Wahlkampf hatte Gregor Gysi als Spitzenkandidat der PDS dem damaligen Berliner Senat Korruption vorgeworfen und versprochen, dass die PDS bereit sei, die Augiasställe zu säubern. In seinem neuen Amt ist er nun aufgerufen, enge Beziehungen zu Wirtschaftsunternehmen und Banken herzustellen und zugleich der Bevölkerung gegenüber die drastischen Haushaltskürzungen zu rechtfertigen, die der Senat vornehmen will, um die durch den Zusammenbruch der Berliner Bankgesellschaft aufgelaufenen Schulden zu begleichen.

In den vergangenen Wochen sind weitere Einzelheiten über das Ausmaß der bevorstehenden Kürzungen bekannt geworden. Durch Stellenabbau und Gehaltssenkungen im öffentlichen Dienst sollen die Personalkosten der Stadt bis zum Jahr 2006 um mehr als zwei Milliarden Euro gesenkt werden. Die Hälfte dieser Summe soll durch die Vernichtung von 15.000 der insgesamt 140.000 Stellen im Berliner öffentlichen Dienst aufgebracht werden. Der Rest soll durch einen "Solidaritätspakt" mit den Gewerkschaften eingespart werden, der in Form von längeren Arbeitszeiten und verschlechterter Bezahlung Gestalt annehmen wird.

Nach jahrelangem Arbeitsplatzabbau und Lohndrückerei seit der deutschen Wiedervereinigung (die Arbeitslosigkeit in Berlin liegt gegenwärtig bei über 16 Prozent) - Angriffe, an denen sich die Gewerkschaften vor Ort beteiligt haben - beklagen sich nun führende Gewerkschaftsfunktionäre in Berlin, dass weitere Kürzungen ihren Mitgliedern kaum noch vermittelbar seien. Dennoch hat der Berliner SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder bereits gedroht, der Arbeitsplatzabbau werde per Dekret erzwungen, falls sich die Gewerkschaften nicht zur Mitarbeit bereit fänden.

Neben der massiven Vernichtung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst plant die SPD-PDS-Koalition auch deutliche Leistungsminderungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Gestützt auf das Kölner Modell und ähnliche Maßnahmen, die in Großbritannien von der Regierung Blair eingeführt wurden, sollen Arbeitslosen Billiglohnprogramme angeboten werden. Wer sich weigert, bekommt weniger Arbeitslosengeld oder -hilfe. Auch Sozialhilfeempfänger werden leiden, beispielsweise hat der Senat angekündigt, einmalige Sonderleistungen wie Bekleidungshilfen im Winter zu kürzen. Diese Pläne liegen ganz auf der Linie von Gysis Absicht, "Berlin für Unternehmen attraktiv zu machen".

Der neue Wirtschaftssenator gab außerdem bekannt, dass die PDS sich mit der SPD darauf verständigen wird, zwölf Schwimmbäder zu schließen, das Kulturbudget zu kürzen, Lehrerstellen zu streichen und öffentliche Einrichtungen zu schließen oder zu privatisieren. Krankenhäuser sind davon nicht ausgenommen.

Als die SPD am Wochenende zu einer Sonderkonferenz zusammentrat, um die Koalitionspartnerschaft abzusegnen, sahen sich die Mitglieder einer empörten Kundgebung von Ärzten und Beschäftigten des Benjamin-Franklin-Krankenhauses gegenüber, das ganz oben auf der Abschussliste steht. Die Absperrungen der Polizei, die den Demonstranten den Zugang zum Tagungsort verwehrten, hinderten auch einige SPD-Delegierte daran, sich an der Diskussion und Abstimmung zu beteiligen.

Das Budget für Kultur und Wissenschaft, das in Berlin schon seit Jahren ständig gekürzt wird, soll weiter von gegenwärtig 766 Millionen Euro (für 2002) auf nur noch 714 Millionen Euro gesenkt werden. Den Senatorenposten für Kultur und Wissenschaft erhält der relativ unbekannte Thomas Flierl, langjähriges Mitglied der PDS und bisher Bezirksabgeordneter für Prenzlauer Berg und Mitte.

Auch Flierl muss drastische Kürzungen durchsetzen, um die Löcher auszugleichen, die der Bankenskandal in den Haushalt gerissen hat. Man rechnet mit mindestens drei weiteren Theaterschließungen.

Für das Amt der Gesundheitssenatorin hat die PDS Heide Knake-Werner nominiert. Sie hatte sich als langjähriges Mitglied der DKP im Jahr 1989 der PDS angeschlossen.

Nachdem Gregor Gysi vor knapp zwei Jahren, im April 2000, auf einem Parteitag der PDS in Münster eine Abstimmungsniederlage erlitten hatte, hatte er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Die Delegierten hatten sich mehrheitlich seiner Resolution verweigert, in der die Partei aufgefordert wurde, ihre ablehnende Haltung gegenüber deutschen Militäraktionen im Ausland zu überdenken. Damals beschwerte er sich über den angeblichen Einfluss "linker Sektierer" innerhalb der PDS. Nun aber hat die PDS in der deutschen Hauptstadt einige der wichtigsten Regierungsämter übernommen.

Noch bevor er im Jahr 1990 das Amt des PDS-Vorsitzenden antrat, hatte sich Gysi als sogenannter Reformer und Modernisierer der Partei einen Namen gemacht. Stets versuchte er das Argument der etablierten Parteien im Westen zu entkräften, dass die SED-PDS nicht in der Lage sei, zu einer konsequent marktorientierten Wirtschaftspolitik zu finden. In seiner ersten Rede auf dem Sonderparteitag der SED vor ihrer Umwandlung in die PDS trat Gysi 1989 mit Nachdruck dafür ein, dass die Partei ihre bisherige Kritik am Kapitalismus aufgeben, sich für die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen (insbesondere im Osten) einsetzen und sich dem Wettbewerb und dem freien Markt verschreiben sollte.

Gysi war stets bemüht, seine Partei an die unternehmensfreundliche und immer rechtere Politik der SPD heranzuführen. Sein charakteristischer Opportunismus und die soziale Demagogie, die er sich in jahrelanger politischer Aktivität angeeignet hat, kamen ihm dabei ebenso zugute wie seine berufliche Erfahrung als Advokat. Typisch war sein Verhalten nach den Terroranschlägen vom 11. September. Erst trat er dafür ein, dass sich die PDS hinter die Schröder-Regierung und deren Unterstützung für Bushs kriegerische Maßnahmen gegen den Terrorismus stellen solle. Nachdem in der PDS Opposition gegen eine unkritische Unterstützung Schröders laut geworden war (die PDS tritt ansonsten eher für eine Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und mit Russland ein), änderte Gysi seine Haltung und versuchte sich und seine Partei fortan als Gegner des amerikanischen Krieges in Afghanistan darzustellen.

Sein Eintreten für eine markt- und unternehmensfreundliche Politik hat des öfteren zu Konflikten mit der alternden Mitgliederbasis der PDS geführt, deren Lebenssituation sich seit der Einführung der Marktwirtschaft in der ehemaligen DDR kaum verbessert hat. Gleichzeitig gelang es ihm jedoch, die Führungspositionen der Partei mit neuen Leuten zu besetzen, die seine Überzeugungen teilen. Die gedämpfte politische Reaktion der deutschen Wirtschaft und Politik auf die Integration der PDS in die Regierung der Stadt Berlin erklärt sich in erster Linie aus der allgemeinen Anerkennung der Tatsache, dass die PDS in den neuen Bundesländern eine entscheidende Rolle gespielt hat, indem sie auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten die Marktwirtschaft umsetzte. Sachsen-Anhalt, wo die SPD mit "Duldung" der PDS regiert, weist mit 19,1 Prozent die höchste Arbeitslosenrate aller Bundesländer auf.

Trotz ihres Mitgliederschwunds ist die PDS in der ehemaligen DDR die einzige Partei, die über einen funktionsfähigen politischen Apparat verfügt. Selbst in Berlin hatte die SPD vor den Wahlen vom letzten Oktober ihr schlechtestes Abstimmungsergebnis seit Kriegsende erlitten. Weder SPD noch CDU konnten in den östlichen Bundesländern eine nennenswerte Mitgliederbasis gewinnen.

Vor dem Hintergrund der beginnenden Rezession und der steigenden Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland ist die SPD zu dem Schluss gekommen, dass eine Zusammenarbeit mit der PDS unverzichtbar ist, um in den neuen Ländern ein gewisses Maß an Stabilität zu wahren. Zwar betonen sowohl SPD als auch PDS, dass die Berliner Koalition kein Modell für die Bundespolitik sei, dennoch gewinnt die PDS dadurch im Vorfeld der kommenden Bundestagswahlen an Profil als möglicher Koalitionspartner.

Siehe auch:
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