Europa und Italien

Der Rücktritt von Außenminister Renato Ruggiero

Seit Anfang des Jahres steht die Regierung Italiens unter Premierminister Silvio Berlusconi nahezu permanent im Zentrum des Politik- und Medieninteresses. Außenminister Renato Ruggiero trat zurück, während sich gleichzeitig Proteste im Justizapparat immer weiter ausweiten.

In der Silvesternacht, während der spektakulären und in den europäischen Hauptstädten zum Teil pompös zelebrierten Bargeldeinführung der neuen Einheitswährung, war im offiziellen Italien bestenfalls betontes Schweigen vernehmbar. In Rom wurden keinerlei Feierlichkeiten abgehalten, und Regierungschef Berlusconi hielt es im Gegensatz zu seinen europäischen Amtskollegen nicht für nötig, die neue Währung in irgendeiner Form zu würdigen.

Umso lautstarker und in geradezu vulgärer Weise posaunten seine notorischen rechten Mitstreiter wie Verteidigungsminister Antonio Martino, Finanzminister Giulio Tremonti oder Reformminister und Lega-Nord-Chef Umberto Bossi ihre Gegnerschaft zum Euro in die Öffentlichkeit. Martino erklärte, dass der Euro nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber der "Kartoffel von Macau" an Wert verloren hätte. Tremonti spottete, die Vorzüge des Euro zu preisen, überlasse er lieber "Fahnen schwingenden Affen, Gesundbetern, Medizinmännern, Wunderheilern und Bankiers", und Bossi meinte, der Euro sei ihm "völlig egal". Die Schlangen vor den Geldautomaten seien seiner Meinung nach nur eine "Erfindung der Medien" gewesen.

Diese Äußerungen führten innerhalb der Regierung zu einem offenen Eklat mit Außenminister Ruggiero, der am 5. Januar seinen Rücktritt erklärte, weil er mit diesem "Trauerspiel... nichts mehr gemein" habe. Statt ihn zu unterstützen, hatte ihn Berlusconi zu einem "technischen Angestellten" degradiert, weil nur Berlusconi selbst die Außenpolitik bestimme, und ihn damit praktisch fallen gelassen. Der parteilose 71jährige Ruggiero gilt als ausgesprochener Europa-Befürworter und diente als internationales Aushängeschild und Gegengewicht zum nationalistischen Getöse Berlusconis und seiner Minister. Er leitete jahrelang die WTO und wurde mit Unterstützung von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sowie FIAT-Chef Giovanni Agnelli in die Regierung eingesetzt.

Ruggieros Rücktritt und die Euro-feindlichen Äußerungen der Berlusconi-Minister lösten in den europäischen Regierungen Befürchtungen eines neuerlichen und ernsthafteren Abdriftens Italiens vom europäischen Konsens aus. Seit Berlusconis Amtsantritt im vergangenen Frühjahr hatte es wiederholt Konflikte gegeben, weil sich Italien unter anderem weigerte, sich am europäischen Gemeinschaftsprojekt, dem Bau des Militärtransporters Airbus 400M, zu beteiligen oder einem einheitlichen europäischen Haftbefehl zuzustimmen.

Im Falle des Airbus wollte Italien auf eine billigere Variante des US-Herstellers Lockhead ausweichen und somit seine "Eigenständigkeit" gegenüber Europa unter Beweis stellen. Vor allem die Dominanz Frankreichs und Deutschlands ist Rom ein Dorn im Auge, was wiederholt Ursache verschiedener Unstimmigkeiten und diplomatischer Sticheleien wurde. In der Frage des Haftbefehls standen offensichtlich die Privatinteressen Berlusconis im Vordergrund. Gegen ihn sind im In- und Ausland Gerichtsverfahren anhängig, bei denen es hauptsächlich um Korruptionsdelikte und Bilanzfälschungen geht, die im Zusammenhang mit seinem Medienkonzern Fininvest stehen.

Europas Regierungschefs und Außenminister forderten unverzüglich von Berlusconi ein "klares Bekenntnis" zum europäischen Gemeinschaftsprojekt. Dieser gab es und erklärte großartig, "(sie) werden kein Land finden, das mehr für Europa ist". Gegenüber der französischen Zeitung Le Monde definierte er in einem Interview genauer, er wolle eine Wertegemeinschaft in der EU, "eine Union, die nichts mit Nationalismus zu tun hat, die aber auch eine alternative Lösung zur Vision eines Zentralismus bietet, wie sie von den sozialistischen Parteien Europas unterstützt wird".

Außerdem verhinderte Berlusconi, dass Vizepremier Gianfranco Fini als "natürlicher Anwärter" auf den Außenministersessel diesen Posten übernimmt. Vorerst will Berlusconi selbst dieses Amt mindestens sechs Monate ausüben. Fini, Vorsitzender der rechtsnationalen Alleanza Nazionale (AN), gilt in europäischen Politikerkreisen als zu anrüchig, weil er seine Nationale Allianz aus der neofaschistischen und Mussolini verherrlichenden Movimento Sociale Italiano (MSI) heraus gebildet hat und Mussolini noch 1999 als "größten Staatsmann" des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Von Israel wurde er bereits mehrfach ausgeladen.

Berlusconis Justizskandale

Während sich Europas Politiker damit zufrieden gaben, sieht sich Berlusconi von anderer Seite immer größerem Druck ausgesetzt. Zum einen kam es am 7. Januar zu einem ganztägigen landesweiten Streik aller Bankangestellter wegen "Eurostress", weil die rechtzeitige Verteilung und umfangreiche Bereitstellung des Euro von der Regierung nicht sichergestellt war und somit Mehrarbeit für die Bankmitarbeiter bedeutete. Andererseits droht ein gegen ihn laufendes Gerichtsverfahren auf eine Verurteilung mit Haftstrafe hinauszulaufen und einen Skandal größeren Ausmaßes hervorzurufen.

In dem gegenwärtig in Mailand verhandelten Korruptionsprozess wird Berlusconi vorgeworfen, Ende der 80er Jahre einen Richter bestochen zu haben, der über die Privatisierung eines staatlichen Lebensmittelkonzerns zu entscheiden hatte. Berlusconis Unternehmensgruppe erhielt dabei schließlich unter Vorzugsbedingungen den Zuschlag. Mitangeklagter ist Cesare Previti, ein langjähriger Vertrauter Berlusconis und Abgeordneter dessen Partei Forza Italia, der 1994 in Berlusconis erster Regierung Verteidigungsminister war.

Mit dem Gewicht des Regierungsapparates unternimmt Berlusconi nun alles, um den Fortgang der Verhandlung zu unterbrechen. Berlusconi wird unter anderem vorgeworfen, mit Hilfe seines Justizministers Roberto Castelli von der Lega Nord, in diesen Prozess direkt einzugreifen. Castelli wollte per Dekret einen der verhandelnden Richter, Guido Brambilla, vom Mailänder Gericht abberufen. Das hätte die Verhandlung beendet, weil Richter nach italienischem Recht während eines Prozesses nicht ausgewechselt werden dürfen. Bis es zu einer Neuverhandlung kommen könnte, wäre der Fall verjährt und Berlusconi gerettet. Ein Mailänder Berufungsgericht erklärte die Entscheidung Castellis jedoch für nichtig.

Schon 1994, während seiner ersten Amtszeit, wurde ein Korruptionsverfahren zum Stolperstein für Berlusconi, für das er sich jetzt mit einer Justizreform revanchieren will. Der Mailänder Generalstaatsanwalt Francesco Saverio Borelli beschuldigt die Regierung, sie wolle die Unabhängigkeit der Justiz knebeln. "Rein zufällig" werde solchen Staatsanwälten die Eskorte für Personenschutz entzogen, die in Verfahren gegen Berlusconi ermitteln. Borrelli war bereits Chef der Mailänder Staatsanwälte, als diese im Februar 1992 ihre Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Unternehmer begannen. Die Arbeit des Richterpools "mani pulite" (Saubere Hände) führte damals zum Sturz der Regierung.

Die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini bestätigte in Zeitungsinterviews, sie habe seit September keinen bewaffneten Begleitschutz mehr; stattdessen sei ihr damals ein einziger Sicherheitsbeamter zugewiesen worden. Sie fühlt sich aufgrund ihrer Ermittlungen gegen die Mafia gefährdet.

So kam es Anfang der Woche zu Protestkundgebungen von Juristen, die von Berlusconi in bekannter Manier als Kommunisten oder "rote Roben" bezeichnet wurden.

Während sich Berlusconi, der als reichster Mann Italiens mit seinem Medienkonzern eine fast monopolartige Kontrolle über Italiens Medienlandschaft besitzt, mit der systematischen Ausschaltung jeglicher demokratischer Kontrolle über seine mafiosen Machenschaften beschäftigt ist, drücken die Politiker Europas beide Augen zu oder lassen sich wie der deutsche Außenminister Joschka Fischer bei seinem jüngsten Besuch in Rom in aller Öffentlichkeit von ihm väterlich hätscheln. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte schließlich im europaweiten Einvernehmen, dass es keinen "Fall Berlusconi" gebe.

Berlusconis Programm

Denn von Berlusconi wird noch Größeres erwartet. Jeder Europapolitiker weiß, dass er die sozialen Angriffe, die er vollmundig verkündet hat, nach wie vor nicht durchgesetzt hat. Bisher widmete er sich als Regierungschef in erster Linie seinen Privatinteressen, während von der Erfüllung seines "Vertrages mit den Italienern" oder seinem "100-Tage-Programm" bis jetzt noch fast gar nichts zu sehen ist.

Dieses Programm besteht darin, die Kürzungspolitik seiner Vorgängerregierungen fortzusetzen, um die vereinbarten Maastrichtkriterien für die Währungsunion zu erfüllen. Entscheidende Punkte sind die Steuer- und Rentenreform, sowie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Die Steuern sollen nach Plänen des Finanzministeriums nur noch mit zwei Sätzen erhoben werden - 22 bzw. 33 Prozent -, um vor allem Besserverdienende um bis zu 23 Milliarden Euro zu entlasten. Wie die Einnahmeausfälle finanziert bzw. wo gespart werden soll, steht noch in den Sternen.

Einschneidende Veränderungen im Rentensystem bzw. auf dem Arbeitsmarkt haben bisher immer massenhafte Proteste in der Arbeiterklasse ausgelöst und entweder zum sofortigen Rücktritt oder zur rigorosen Abwahl der Regierung geführt. Diese Erfahrung musste Berlusconi 1994 selbst machen, als auf seine Rentenpläne hin ein 18tägiger Generalstreik abgehalten wurde, der nur sieben Monate nach der Wahl seinen damaligen Sturz einleitete. Bis jetzt hat er noch keine Pläne für Rente oder Arbeitsmarkt vorgelegt.

Genau darin besteht das Dilemma seiner Regierung. Bisher konnte er sich nur aufgrund einer bizarren Mischung aus leeren Versprechungen, nationalistischer Rhetorik und Medienklamauk - er selbst war dabei im vergangenen Jahr fast 20 Stunden im Fernsehen zu sehen - an der Macht halten.

Das ist ihm nur möglich infolge der enormen Diskreditierung der Mitte-Links-Opposition. Diese hatte seit 1994 unter Führung des Olivenbaumbündnisses "Ulivo" zunächst unter Romano Prodi, dann unter dem Vorsitzenden der Poststalinisten Massimo D'Alema und zuletzt unter Giulio Amato Italien mit drastischen Kürzungen auf den Euro vorbereitet. Dabei hat sie jeglichen Kredit in der Bevölkerung verspielt und somit den Weg für Berlusconi und seine rechtsnationalen bzw. faschistischen Bundesgenossen freigemacht.

Das wissen auch seine europäischen Amtskollegen, die gegenwärtig in Italien für die Verwirklichung dieser Politik keine andere auch nur halbwegs glaubwürdige politische Kraft sehen und ihm deshalb trotz allem nach Möglichkeit den Rücken freihalten. Entsprechende Überlegungen formulierte Die Zeit: "Berlusconi repräsentiert die Parvenus der italienischen Gesellschaft, die sich mit allen Mitteln bereichern wollen; Bossi vertritt den zornigen Kleinbürger des wohlhabenden Nordens; Fini steht für die faschistische Tradition und ihren Versuch, sich ins dritte Jahrtausend hinein zu modernisieren."

Für die Arbeiterklasse heißt das, dass sie sich selbst eine unabhängige politische Vertretung schaffen muss, die ihre Interessen mit denen der Arbeiter der anderen europäischen Länder auf einer sozialistischen Grundlage verbindet.

Die Rolle der Linken

Von den im Olivenbaum vertretenen und verbrauchten Linken hat sie nichts zu erwarten. Sie schweigen, während sie den linksliberalen Führer des Olivenbaums, Francesco Rutelli, erklären lassen: "Unsere Aufgabe ist es, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass wir ihm [Berlusconi] nicht erlauben würden zu regieren." Die Linke müsse sich dagegen von Grund auf erholen, um "sicherzustellen, dass wir bereit sind, wenn er scheitert", um die bisherige Politik fortzusetzen: "Die Regierungen meiner Koalition haben einen entscheidenden Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen geleistet ..." So raffte sich der Olivenbaum bisher nur zu einer Protestkundgebung gegen den Rücktritt Ruggieros auf, weil die Regierung damit die Reputation Italiens gefährde und somit ihr "Feigenblatt" verloren habe.

Dario Fo, Literaturnobelpreisträger von 1997 und bekannt dafür, dass er sich gerade in kritischen Momenten den Mund nicht verbieten lässt, kann diesen Opportunismus nicht fassen und bringt die Situation der Linken in der für ihn typischen radikalen Weise auf den Punkt: Angesichts des Ernstes der Lage tue die Opposition in Italien, als wäre nichts geschehen. Nicht einmal die üblichen spektakulären, aber fruchtlosen Protestaktionen seien bisher erfolgt: "Dabei ist längst der Zeitpunkt gekommen, das Parlament zu verlassen, sich an den Ampeln anzuketten oder in den Hungerstreik zu treten." Die Grünen und die Linksparteien seien noch in den Ferien, und die einzigen "Kampfmaßnahmen", zu denen sie bereit sind, sei ein Auftritt in der Talkshow von Maurizio Costanzo auf dem Berlusconisender Canale 5, die ihr 20. Jubiläum feiern konnte. "Und alle traten sie lächelnd und wohlerzogen auf, um dem Hausherren Silvio Berlusconi die Ehre zu erweisen. Einfach herzzerreißend."

Von Seiten der Linksintellektuellen ergeht man sich jedoch weithin in schwärzestem Pessimismus und größter Lethargie. Der in Mailand lebende sizilianische Schriftsteller Vincenzo Consolo (zuletzt erschienen auf Deutsch "Die Steine von Pantalica") erlebt zurzeit ein "trauriges und deprimierendes Italien". Die Skrupellosigkeit und Dekadenz Berlusconis überträgt er auf die ganze Bevölkerung: "In diesem Land sind humane und zivile Werte verloren gegangen. Das Land ist das Opfer dessen, was Carlo Levi den ‚ewigen italienischen Faschismus‘ nannte".

Einer der wichtigsten Kommentatoren der linksliberalen Zeitung La Repubblica, Curzio Maltese, prophezeit ebenfalls: "Der Tag, an dem die Leute den Fernseher ausschalten werden und sich die Straßen mit dem Volksprotest füllen, wird für den Populisten Berlusconi der Anfang vom Ende sein. Doch der Tag scheint nicht besonders nah."

Von dieser Seite hat die Arbeiterklasse jedenfalls keine politische Klarheit geschweige denn Entschlossenheit zu erwarten, wenn Berlusconi die Kürzungsschraube fester ziehen wird und ihm der Olivenbaum den Rücken freihält.

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