Verstärkte Aufrüstung in Japan nach der Versenkung eines angeblichen nordkoreanischen Spionageschiffes

Nachdem die japanische Küstenwache vergangenen Monat ein angebliches nordkoreanisches Spionageschiff versenkt hat, drängt die Regierung unter Premierminister Junichiro Koizumi verstärkt auf die Aufhebung der Einschränkungen, die dem Einsatz der japanischen Armee im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg auferlegt worden waren.

Der Vorfall, über den in den USA oder Europa kaum berichtet wurde, war Hauptthema in den japanischen Medien. Am 22. Dezember hatte das japanische Militär eine größere Operation unternommen, um ein unbeflaggtes Schiff abzufangen. Es befand sich in der Nähe der Amami-Oshima-Inseln im ostchinesischen Meer nördlich von Okinawa, dem Standort der größten US-Militärbasen in der ganzen Region. Als das Schiff am 18. Dezember erstmals gesichtet wurde, befand es sich in der 200 Kilometer breiten Wirtschaftszone auf See, die ausschließlich Japan zum Fischfang und zur Mineralienausbeute zur Verfügung steht.

Aus unterschiedlichen Medienberichten geht hervor, dass es sich um ein 100 Tonnen schweres chinesisches Fangboot für Tintenfische handelte, das jedoch nicht mit Fischereigeräten bestückt war. Ungewöhnlich war auch seine Bauweise, da sich der Motor unter dem Vorderdeck befand. Normalerweise sind die Motoren achtern bzw. hinten auf dem Schiff untergebracht. Die japanischen Medien brachten die Vermutung in Umlauf, dass das Schiff auf dem Achterdeck irgendwelche besondere Ausrüstungsgegenstände transportieren sollte, zum Beispiel kleine Landeboote. Außerdem behaupteten sie, diese Bauweise sei typisch für Schiffe aus Nordkorea.

In einer langen Jagd zu Wasser und zu Luft, an der mindestens 25 Schiffe der Küstenwache und 14 Flugzeuge beteiligt waren, wurde das unbekannte Schiff wiederholt unter Feuer genommen und einmal sogar in Brand geschossen. Schließlich wurde es in mehr als 400 km Entfernung von den Amami-Oshima-Inseln - in Gewässern, die von China beansprucht werden - von vier japanischen Patrouillenschiffen umzingelt. Die japanische Regierung behauptet, dass die Besatzung zweieinhalb Stunden später einen Ausbruchversuch unternommen habe, indem sie die japanischen Schiffe mit Maschinengewehren und Raketenwerfern beschoss. Aus Gründen der "Selbstverteidigung" richteten die japanischen Schiffe der Küstenwache daraufhin ihre 20mm-Maschinengewehre direkt auf das Schiff, das daraufhin um 22 Uhr 13 explodierte und sank. Man unternahm keinen Versuch, die auf 15 Mann geschätzte Besatzung zu retten, obwohl einige Männer noch lebend im Wasser gesehen wurden. Die Leichen zweier asiatischer Männer, die mit koreanischen Symbolen gekennzeichnete Rettungswesten trugen, wurden später geborgen. Ihre Autopsien bestätigten, dass sie ertrunken waren.

Es war der erste Einsatz der japanischen Selbstverteidigungskräfte seit dem Zweiten Weltkrieg, bei dem Menschen ums Leben kamen. Bei dem bis dahin bekanntesten militärischen Zwischenfall im März 1999 hatte die Küstenwache Warnschüsse auf zwei der Spionage verdächtigte nordkoreanische Schiffe im japanischen Meer abgegeben, sie aber nicht bis außerhalb der japanischen Hoheitsgewässer verfolgt. Die Küstenwache gibt an, sie habe mindestens 20 weitere Eindringlinge in japanischen Gewässern aufgebracht, ohne sie allerdings zu beschießen. Doch dieses Mal entschied die Koizumi-Regierung, eine solche Routineoperation zur Schaffung eines militärischen Präzedenzfalls zu nutzen.

Zunehmende Spannungen

Koizumi, der dem äußersten rechten Flügel der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) angehört, übernahm sein Amt im April vergangenen Jahres, als die Arbeitslosigkeit gerade ihren höchsten Stand seit 55 Jahren erreicht hatte und Japan in die dritte Rezession innerhalb eines Jahrzehnts schlitterte. Seine Regierung fordert für Japan auf Weltebene eine militärische Rolle, die seinem ökonomischen Gewicht entspricht, und setzt auf nationalistische Demagogie, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wachsenden sozialen Spannungen im Inland abzulenken.

Auf die Versenkung des angeblichen Spionageschiffes hin erhob Koizumi unbewiesene Anschuldigungen gegen Nordkorea, wonach das Land Drogen und Terroristen nach Japan einschmuggle, und forderte nochmals erweiterte Vollmachten für das Militär. Er wird darin von großen Teilen der Medien unterstützt.

Die größte konservative Tageszeitung Japans, Jomiuri Shimbun, brachte die antikoreanische Propaganda in einem Kommentar vom 7. Januar auf den Punkt: "Die Terrorangriffe auf die USA und der Zusammenstoß mit einem bewaffneten Spionageschiff, das aus Nordkorea stammen soll, zwingen Japan, sein Sicherheitskonzept aus den Zeiten des Kalten Krieges von Grund auf zu ändern ... Die Bevölkerung hält es immer mehr für selbstverständlich, dass Gesetze für unvorhergesehene Notfälle erforderlich sind und die für den Waffeneinsatz der Selbstverteidigungskräfte geltenden Beschränkungen gelockert werden müssen."

Es ist in Japan Tradition, die Bedrohung durch Nordkorea hochzuspielen, um die eigene Armee aufzurüsten - ungeachtet dessen, dass Nordkorea am Boden liegt und nicht einmal fähig ist, die eigene Bevölkerung zu ernähren. Im August 1998 wurde der Abschuss einer Langstreckenrakete von nordkoreanischem Boden angeführt, um die Teilnahme Japans an der Entwicklung eines Raketenabwehrsystems der USA zu rechtfertigen. Im Jahr 1999 machte sich die Regierung die Hysterie der Medien über nordkoreanische Spionage zunutze, um Gesetze durchzupeitschen, die den Selbstverteidigungskräften in der Region die aktive Unterstützung US-amerikanischer Truppen im Krisenfall ermöglichen.

Die Spannungen zwischen den großen politischen und wirtschaftlichen Mächten in Ostasien nehmen zu. Zwar bestreitet Nordkorea, dass es irgendetwas mit dem angeblichen Spionageschiff zu tun habe. Falls allerdings tatsächlich eine Spionageoperation stattgefunden hat, dann war Korea nicht der einzige Sünder. In der Region ballt sich mehr Militär als irgendwo sonst auf der Welt. Die USA, Japan, China, Russland, Taiwan und beide koreanische Staaten verfolgen dort unterschiedliche strategische Interessen, wobei sie sich mit Sicherheit gegenseitig ausspionieren. Erst im vergangenen April stieß ein US-amerikanisches Spionageflugzeug über dem südchinesischen Meer mit einem chinesischen Kampfflugzeug zusammen.

Die Einsetzung der Bush-Regierung hat das allgemeine Misstrauen in der Region noch verstärkt. Aus Washington kamen drohende Verlautbarungen gegen Nordkorea, das vor kurzem neben dem Irak und anderen Staaten im Nahen und Mittleren Osten als potenzielles Ziel des "Kriegs gegen den Terrorismus" genannt wurde. Die Beziehungen zwischen den USA und China erscheinen zur Zeit zwar entspannt, doch an der Haltung der Republikaner, die China als "strategischen Konkurrenten" werten, hat sich nichts geändert. Die Bush-Regierung hat außerdem angeboten, über Pekings Bedenken hinweg moderne konventionelle U-Boote und weitere hoch entwickelte militärische Hardware an Taiwan zu verkaufen.

In einer derart gespannten Atmosphäre wirkt die Aktion Japans vom 22. Dezember um so provokativer, insbesondere auf China, in dessen Gewässern sie ja stattfand. Letztes Jahr kam es bereits zu mehreren diplomatischen Zusammenstößen zwischen China und der Koizumi-Regierung. Anlässe waren Koizumis Duldung rechtsgerichteter, revisionistischer Geschichtslehrbücher und sein Besuch des Yasukuni-Schreins für die japanischen Kriegsgefangenen - eine unmissverständliche nationalistische Geste. Nachdem Koizumi jüngst eigene Kriegsschiffe zur Beteiligung am "Krieg gegen den Terrorismus" entsandt hatte, veröffentlichte Peking sorgfältig formulierte Warnungen vor einer Wiederaufrüstung Japans.

Als Reaktion auf den Zwischenfall vom 22. Dezember äußerte die chinesische Regierung ihre "Besorgnis angesichts der japanischen Gewaltanwendung in den Gewässern des ostchinesischen Meers". Die offizielle chinesische Militärzeitung erklärte in einem Kommentar: "Um den Traum zu verwirklichen, dass Japan zu einer regionalen Militärmacht wird, und um die Handlungsmöglichkeiten seiner Selbstverteidigungskräfte auf hoher See zu erweitern, könnte Japan künftig durchaus weitere ähnliche Vorfälle herbeiführen."

Die Koizumi-Regierung beeilt sich, das gegenwärtige politische Klima zu nutzen, um ihre Aufrüstungspläne in die Tat umzusetzen. Sie hat neue Gesetze vorbereitet, wonach Militär und Küstenwache sowohl innerhalb als auch außerhalb des japanischen Territoriums Präventivschläge gegen "verdächtige" Schiffe oder Flugzeuge führen dürfen. Ende Dezember beschwerte sich Kabinettssekretär Yasuo Fukada mit folgenden Worten über die Beschränkung des Militärs auf Selbstverteidigungsaufgaben: "Heißt das, dass wir nichts tun können, solange wir nicht unter Beschuss stehen und Verluste erleiden?" Die genannten Gesetzentwürfe sollen noch vor dem 21. Januar im Parlament beraten werden.

Koizumi arbeitet auch an "Krisengesetzen", wonach eine Art Staatsnotstand ausgerufen werden könnte, bei dem auch innerhalb Japans die verfassungsmäßigen Beschränkungen für Armeeeinsätze aufgehoben würden. Im Einzelnen wurde zum Beispiel genannt, dass die Armee das Recht erhalten solle, Eigentum ohne die Zustimmung des Besitzers zu nutzen und die Aufenthaltsorte von Zivilisten zu überprüfen. Nach den Krisengesetzen würden sämtliche Machtbefugnisse unter Notstandsbedingungen in die Hände eines Sicherheitsrates unter Vorsitz des Premierministers übergehen, der dem Parlament gegenüber nicht rechenschaftspflichtig wäre.

Ein weiteres Gesetz soll die Abhaltung eines Referendums über die Revision der japanischen Verfassung erleichtern. Es geht dabei insbesondere um die Abschaffung des Artikels 9, wonach Krieg oder der Einsatz von Gewalt "zur Lösung internationaler Konflikte" verboten ist. Während also die am 29. Oktober erlassenen Gesetze den Streitkräften ermöglichen, den US-Truppen im Krieg gegen Afghanistan logistische Unterstützung zu gewähren, dürfen die Selbstverteidigungskräfte laut Verfassung nach wie vor nur innerhalb des japanischen Hoheitsgebiets zu Land, Luft und Wasser Angriffsoperationen selbst durchführen.

Ähnliche Aufrüstungsbestrebungen wie in Japan gibt es unter anderem in Europa. Angesichts dessen, dass die USA ihre einseitige militärische Stärke in Afghanistan einsetzen, um sich in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten strategische Vorteile zu verschaffen, versucht Koizumi die gesetzlichen und ideologischen Grundlagen für ein ähnlich aggressives Vorgehen im Interesse Japans zu schaffen.

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