Treffen der G7 verschweigt schwerwiegende Probleme

Am vergangenen Wochenende trafen sich die Finanzminister und Zentralbankchefs der G7 in Ottawa. Hintergrund des Treffens bildeten zahlreiche Problemen, die zu den schwerwiegendsten zählen, mit denen die kapitalistische Weltwirtschaft seit dem zweiten Weltkrieg konfrontiert war.

Die Enron-Pleite, der größte Firmenkollaps in der Geschichte der USA, hat Schockwellen durch die amerikanische Wirtschaft geschickt. Die Profite und Erfolgszahlen der sogenannten "New Economy" der zweiten Hälfte der neunziger Jahre erscheinen immer fragwürdiger.

Die Zahlungsunfähigkeit von Argentinien ist der größte Staatsbankrott eines souveränen Staates in der Geschichte. Fast noch bedeutsamer als der Bankrott selbst ist die Tatsache, dass er am Ende eines Jahrzehnts erfolgte, in dem der IWF, unterstützt von den Regierungen und Banken der G7-Staaten, die argentinische Wirtschaftspolitik weitgehend diktiert haben.

Außerdem fiel des G7-Treffen mit der Bekanntgabe offizieller Zahlen zusammen, wonach Japan in die dritte Rezession innerhalb eines Jahrzehnts eingetreten ist. Die Furcht vor einer Deflation hat die japanischen Aktienmärkte auf das niedrigste Niveau seit 18 Jahren gedrückt und droht eine größere Bankenkrise auszulösen.

Man hätte erwarten können, dass jedes dieser Ereignisse für sich schon Anlass für eine umfassende Diskussion auf einem Zusammentreffen der mächtigsten Finanzmanager der Welt gewesen wäre. Aber die G7 scheinen nach der Maxime zu arbeiten: Je ernster die Situation, desto beruhigender die Plattitüden im offiziellen Kommuniqué.

In ihrer Erklärung verlautbarten die Finanzminister, dass die Aussichten für "eine erneute Expansion allgemein größer" geworden seien. Sie hielten zwar fest, dass "Risiken bleiben", verpflichteten sich aber, "wachsam zu bleiben" und "die geeigneten Schritte zu unternehmen, um einen starken und dauerhaften Aufschwung zu unterstützen".

Die Vorhersagen eines erneuten Aufschwungs - ein Pressebericht sprach über einen "prallen Optimismus auf den Korridoren" der Konferenz - scheinen sich lediglich auf das 0,2-prozentige Wachstum der US-Wirtschaft im letzten Quartal 2001 sowie die Behauptung von US-Finanzminister Paul O'Neill zu stützen, dass die amerikanische Wirtschaft Ende des Jahres zu einer Wachstumsrate von 3-3,5 Prozent zurückkehren werde.

O'Neill war nicht der einzige Politiker, der die wirtschaftlichen Aussichten schönredete. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg sagte: "Man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass sich das Risiko einer Rezession der Weltwirtschaft, die Ende 2001 nicht ausgeschlossen werden konnte, jetzt verflüchtigt hat."

Und was ist mit dem größten Staatsbankrott eines souveränen Staates in der Geschichte? "Wir begrüßen die jüngsten Ankündigungen der argentinischen Behörden als Schritt in die richtige Richtung," heißt es in der offiziellen Erklärung. "Wir ermutigen sie, weiter eng mit dem Internationalen Währungsfond und der internationalen Gemeinschaft an einem finanziell und gesellschaftlich nachhaltigen wirtschaftlichen Reformprogramm zusammenzuarbeiten, das die Aussichten für Wachstum und zukünftige Investitionen aus dem Ausland vergrößern."

Natürlich wurde nicht erwähnt, dass die argentinische Katastrophe das Ergebnis der vom IWF aufgezwungenen Politik der letzten zehn Jahre war. Auf die Frage, ob die Krise hätte vermieden werden können, antwortete US-Finanzminister Paul O'Neill: "Ich weiß nicht, was man anderes hätte tun können."

Während die Gefahr einer weltweiten Rezession für gebannt erklärt und über die argentinische Katastrophe hinweggegangen wurde, hielt die G7 die anhaltende Rezession und Finanzkrise in Japan in der Abschlusserklärung noch nicht einmal der Erwähnung wert.

In seinem Bericht über das Treffen bemerkte das Wall Street Journal, dass die G7 "in ihren vierteljährlichen Erklärungen normalerweise eine Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in den Schlüsselzonen des G7-Gebietes geben. Diesmal wurde darauf verzichtet, um Japan, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, nicht in Verlegenheit zu bringen, wie einige Beamte privat erklärten."

Wie andere japanische Finanzpolitiker bei früheren Treffen der G7 hat auch Finanzminister Masajuro Shiokawa eine detaillierte Beschreibung der japanischen Wirtschaft gegeben und Vorschläge gemacht, wie man die faulen Kredite beschleunigt entsorgen und die Deflation in den Griff bekommen sollte. "Zu Beginn bat ich um Fragen und Vorschläge," sagte er, "aber es gab keine. Es wurden nur Notizen gemacht und zustimmend genickt."

Neben der allgegenwärtigen Drohung eines Finanzkollapses ist der fallende Wert des Yen eine weitere große Gefahr, die der Weltwirtschaft aus Japan droht. Seine Abwertung um 15 Prozent in den letzten fünf Monaten nährt die Befürchtung, dass auch China sich gezwungen sehen könnte, seine Währung abzuwerten, um auf den internationalen Märkten konkurrenzfähig zu bleiben. Das würde eine Welle konkurrierender Abwertungen in Ostasien auslösen.

Aber diese Probleme scheinen in den Diskussionen keine Rolle gespielt zu haben. Ein Bericht merkte an, dass das Treffen den Währungsmärkten "wenig Nahrung bot und lediglich deutlich machte, dass es keine unbeständigen Märkte wünsche". Oder wie es in der Schlusserklärung heißt: "Wir werden die Währungsmärkte genau beobachten und angemessen kooperieren."

Der Mangel an Analyse durch die G7, von Initiativen ganz zu schweigen, ist weniger eine Folge der Inkompetenz der führenden Finanzinstitutionen, als Ausdruck der vertrackten Probleme der kapitalistischen Weltwirtschaft, wie ein Überblick über die Wirtschaftsgeschichte der jüngsten Zeit deutlich macht.

Die neunziger Jahre zerfallen in zwei Hälften. In der ersten steuerte das ostasiatische "Wirtschaftswunder", angeheizt vom Zufluss japanischen und später amerikanischen Geldes, mehr als die Hälfte zum weltweiten Wirtschaftswachstum bei. Seit 1995 und mit der Aufwertung des US-Dollar war der Finanzboom in den Vereinigten Staaten der wichtigste Antrieb für das Wirtschaftswachstum - ein Trend, der sich nach der Asienkrise von 1997-98 verstärkte.

Nach Berechnungen von Ökonomen bei Morgan Stanley war das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA in den fünf Jahren, die Mitte 2000 endeten, für 40 Prozent des gesamten Wachstums des weltweiten BIP verantwortlich, obwohl der Anteil der USA an der Weltwirtschaft nur 20 Prozent beträgt. Die Nachfrage nahm in dieser Periode in den USA um 4,9 Prozent zu, verglichen mit 1,8 Prozent in der übrigen Welt. Mit anderen Worten zog das amerikanische Wirtschaftswachstum den Rest der Welt mit. Dieser Prozess ist jetzt zu Ende.

Wo kann eine neue Quelle für globales Wachstum sprudeln? Sicherlich nicht in Japan, das noch tiefer in der Rezession versinkt und vermutlich für das am 31. März endende Finanzjahr ein Rückgang von mindestens einem Prozent ausweisen wird. In Europa könnte in den kommenden Monaten ein Aufschwung einsetzen, aber keineswegs stark genug, um die Weltwirtschaft mitzureißen.

Bleiben also nur die Vereinigten Staaten. Hier fährt die Industrie wegen Überkapazitäten die Investitionen zurück und die Verbraucherausgaben werden durch Schuldenmachen auf Rekordniveau finanziert. Ein US-Wachstum, ausreichend, um die Weltwirtschaft zu beleben, würde zu einem rapide wachsenden US-Zahlungsbilanzdefizit führen, das gegenwärtig eine Größenordnung von 4,5 Prozent des BIP hat. Ein solches Zahlungsbilanzdefizit wiederum würde eine Steigerung des Zuflusses von Kapital aus der ganzen Welt erfordern - der Zufluss beträgt schon heute eine Milliarde bis zwei Milliarden Dollar pro Tag.

Mit anderen Worten zeigt eine ernsthafte Untersuchung der unmittelbaren Probleme der kapitalistischen Weltwirtschaft, dass sie ihre Ursache in tiefsitzenden Widersprüchen haben. Vielleicht dachten die Minister der G7 deshalb, dass es am besten sei, so schnell wie möglich über sie hinweg zu gehen.

Siehe auch:
Als das System von Bretton Woods zusammenbrach
(18. August 2001)
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