Großbritannien

Arthur Scargill zum Ehrenvorsitzenden der Bergarbeitergewerkschaft auf Lebenszeit ernannt

Auf einer Sonderkonferenz der britischen Bergarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) im vergangenen Monat wurde Arthur Scargill der neu eingeführte Titel des Ehrenvorsitzenden verliehen. Er wird den unbezahlten Posten für die nächsten zehn Jahre bekleiden.

Da er im Juni diesen Jahres von seinem Amt als Gewerkschaftsvorsitzender zurücktreten muss, hat Scargill für die Einrichtung dieses neuen Postens gesorgt. Umgehend wurde ihm vorgeworfen, er würde an der Macht kleben, um seine finanzielle Position zu wahren. Scargill bestritt dies und erklärte: "Ehrenhalber ist wörtlich gemeint - ein ehrenamtlicher, unbezahlter Vorsitz der NUM."

Ganz so einfach verhalten sich die Dinge jedoch nicht. Sein Posten mag ein Ehrenamt ein, aber es sieht so aus, als ob niemand Scargill im Amt des Gewerkschaftsvorsitzenden ablösen wird. Daher ist sein neues Amt alles andere als lediglich ein Ehrentitel, denn er bleibt effektiv der einzige Leiter der NUM auf nationaler Ebene.

Obwohl Scargill ab Juni nicht mehr sein offizielles Jahresgehalt von 70.000 Pfund (112.000 Euro) erhält, bezieht er weiterhin eine Vergütung von 12.000 Pfund (19.000 Euro) für seinen Vorsitz über die Rentenkasse der Gewerkschaft. Er kontrolliert auch weiterhin die Finanzierung der Internationalen Energie- und Bergarbeiterorganisation durch die NUM, und da er auch Vorsitzender dieser Organisation ist, erhält er hierfür ebenfalls eine Vergütung - in welcher Höhe ist nicht bekannt.

Dass Scargill die Kontrolle über die NUM behalten will, ist aber vor allem politischen Überlegungen geschuldet. Er hat gesagt, der neue Posten erlaube es ihm, sich auf die Politik zu konzentrieren. Scargills politisches Sprachrohr ist die Socialist Labour Party (SLP), die keinen Vorsitzenden mehr hat, seit Frank Cave, der auch Scargills Stellvertreter in der NUM war, an Krebs gestorben ist.

Scargill hatte die SLP 1996 nach seinem Bruch mit der Labour Party gegründet. Er verließ die Labour Party als sie den vierten Artikel aus ihrer Satzung strich, in dem sich die Partei dazu verpflichtet hatte, die wirtschaftlichen Schaltstellen und Schlüsselindustrien in öffentliches Eigentum zu überführen. Bei der Gründung der SLP argumentierte er folgendermaßen: Die Labour Party wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Gewerkschaften gegründet, die die Massenorganisationen der Arbeiterklasse darstellten. Diese Verbindung verlieh der Labour Party den Charakter einer Arbeiterpartei und machte aus ihr ein Mittel, um den Sozialismus zu errichten. Labour hat sich jedoch von diesem Erbe abgewandt, wodurch die Gewerkschaften nicht länger über eine parlamentarische Vertretung verfügen und die Arbeiterklasse keine Stimme mehr hat. Folglich müssen sich die Gewerkschaften, die Scargill weiterhin als Basisorganisationen der Arbeiterklasse betrachtet, von der Labour Party trennen und eine neue sozialistische Partei aufbauen.

Scargills SLP gründete sich somit auf eine politische Fiktion - die Annahme, dass die Gewerkschaften in Opposition zu New Labours Rechtsruck stehen. In Wirklichkeit haben die Gewerkschaften Blairs wirtschaftsfreundlichem Programm den Weg gebahnt, indem sie sich in Absprachen zum Verzicht auf Streiks verpflichteten und, ähnlich dem deutschen "Bündnis für Arbeit", ihre Verhandlungen und Übereinkommen mit der Regierung und den Arbeitgebervertretern institutionalisierten. Die Rechtsentwicklung der Labour Party geschah nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer politischen Ursprünge, die Scargill so unkritisch anführt.

Die kleinbürgerlichen Politiker, die die Labour Party in ihren Anfangsjahren dominierten und ihre politische Physiognomie bestimmten, waren vehemente Gegner des marxistischen Programms der sozialen Revolution und als solche nahmen sie sich die Perspektive des Gewerkschaftertums und nicht die des Sozialismus zum Ausgangspunkt. Obwohl die Labour Party den Sozialismus zu ihrem höchsten Ziel erklärte, griff die Partei die existierende gesellschaftliche Ordnung nicht wirklich an. Ebenso wie die Gewerkschaften die Arbeiterklasse auf unsystematische und vereinzelte Kämpfe beschränkte, um den Arbeitgebern Zugeständnisse abzutrotzen, so versuchte die Labour Party ihrerseits begrenzte soziale Reformen im Parlament durchzusetzen, die das Fortbestehen des bürgerlichen Staates und des Profitsystems nicht gefährdeten.

Solange die herrschende Klasse das Bedürfnis nach einem gesellschaftlichen und politischen Konsens hatte, um hierdurch das Funktionieren der Volkswirtschaft sicherzustellen, schien sich der Reformismus für die Arbeiterklasse auszuzahlen. Die Loyalität gegenüber der Labour Party und die massenhafte Mitgliedschaft in den Gewerkschaften waren ein Ergebnis der Vorteile, die Arbeiter in Form von höheren Löhnen, besseren Arbeitsbedingungen, Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung und Bildung usw. genossen.

Grundlegende Veränderungen in der Struktur des Kapitalismus selbst haben jedoch dem Programm des Reformismus auf nationalstaatlicher Ebene mittlerweile jede Grundlage entzogen. Heutzutage stellt der Nationalstaat nicht länger die Basiseinheit des Wirtschaftslebens dar. Jeder Aspekt der Produktion, der Verteilung und des Austausches ist global organisiert und wird von transnationalen Konzernen, Banken und anderen großen Unternehmen bestimmt, die keine Bindung an den Nationalstaat haben. Die Vorstände dieser kommerziellen Giganten fordern die drastische Verminderung der Lohnkosten und die ersatzlose Streichung der sozialen Einrichtungen, die sie als Belastung ihrer Profite ansehen. Als Drohmittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen dient ihnen die Möglichkeit der Abwanderung und Verlagerung der Produktion in andere Länder. Nationale Regierungen jeglicher politischen Couleur haben hierauf reagiert, indem sie die Politik des sozialen Konsens zugunsten von Maßnahmen aufgegeben haben, die die großen Unternehmen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung bereichern.

Scargill wurde erstmals während der turbulenten Ereignisse bekannt, die der Bourgeoisie den Anstoß gaben, diese umfassenden strukturellen Veränderungen in der weltweiten kapitalistischen Ordnung vorzunehmen - den sozialen Kämpfen, die zwischen 1968 und 1975 ganz Europa und viele andere Teile der Welt erschütterten. Scargill machte sich einen Namen als militanter Gewerkschaftsführer während der britischen Bergarbeiterstreiks von 1972 und 1974, die wesentlich zum Sturz der konservativen Regierung unter Premierminister Edward Heath beitrugen.

Bis heute besteht Scargill darauf, dass die Antwort auf das gegenwärtige politische Dilemma, in dem die Arbeiterklasse steckt, in einer Rückkehr zur Militanz der 1970-er Jahre besteht. Aber was Scargill als Stärke früherer sozialer Bewegungen preist, war in Wirklichkeit ihre Achillesferse.

Angesichts einer potenziell revolutionären Situation konnte die herrschende Klasse Großbritanniens die Krise in den Griff bekommen, als die Labour Party die Regierungsgeschäfte übernahm. Gerade weil die Arbeiterklasse weiterhin mit den reformistischen Anschauungen der Gewerkschaften verbunden war, konnte die Labour-Regierung unter Premierminister Harold Wilson eine politische Krise abwenden, indem sie auf die Lohnforderungen der Bergarbeiter einging. Die Labour-Regierung von 1974 bis 1979 verschaffte der kapitalistischen Klasse eine dringend benötigte Atempause, während die Konservative Partei gleichzeitig ihre Auszeit nutzte, um eine erneute Offensive gegen die Arbeiterklasse vorzubereiten. Die Angriffe der Labour-Regierung auf die Arbeiterklasse bereiteten den Weg für die Regierung von Margaret Thatcher, die 1979 an die Macht kam und mit ihrem Programm die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Zerstörung des Sozialstaats und die Umstrukturierung der britischen Wirtschaft gemäß den Forderungen des internationalen Finanzkapitals und der transnationalen Konzerne vornahm.

Thatcher war entschlossen, nicht die gleichen Erfahrungen wie Heath zu machen. Sie brachte eine Reihe von neuen Gesetzen ein, die sich gegen die Gewerkschaften richteten und vor allem die gegenseitige Unterstützung verschiedener Einzelgewerkschaften für illegal erklärten und bei Zuwiderhandlung mit Beschlagnahmung und Zwangsverwaltung drohten. 1982 einigte sich eine Konferenz des Gewerkschaftsdachverbandes TUC darauf, sich den neuen Gesetzen zu widersetzen. Als Thatcher jedoch vorsätzlich eine Konfrontation mit der NUM provozierte, kam keine andere Gewerkschaft den Bergarbeitern zu Hilfe.

Die folgende schreckliche Niederlage der Bergarbeiter muss vor allem Scargill und nicht nur Thatcher zugeschrieben werden. Scargill weigerte sich, die Isolierung des Streiks durch den TUC und die Labour Party, die keinen politischen Kampf gegen Thatcher führen wollten, politisch anzugreifen und herauszufordern. Scargill trat erst mehr als zehn Jahre nach dem Streik, und als die Zahl seiner eigenen Gewerkschaftsmitglieder schon unter 6.000 gefallen war, den Aufbau einer neuen sozialistischen Partei. Hätte er 1984 einen solchen Appell gegen die Führung der Labour Party und ihre Anhänger im TUC vorgebracht, hätte er damit Hunderttausende Arbeiter erreichen können. Aber seine erste Sorge bestand darin, die Dominanz der Gewerkschaftsbürokratie über die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten, selbst wenn dies seinen eigenen Mitgliedern den Arbeitsplatz kostete.

Die Gründung der SLP im Jahre 1996 bedeutete keine Änderung von Scargills politischen Prioritäten. Sein Appell richtete sich an seine Kollegen in der Gewerkschaftsbürokratie, sich von der Labour Party zu distanzieren, und war kein Aufruf an die Arbeiterklasse, eine politische Rebellion gegen die Labour Party zu beginnen. Er bestand sogar darauf, das System der Sammelstimmen von Gewerkschaften in die Parteistrukturen der SLP zu übernehmen [in der Labour Party verfügen die Gewerkschaften bei parteiinternen Abstimmungen über eine feste Anzahl von Stimmen, sogenannte Sammelstimmen], obwohl keine einzige Gewerkschaft der neuen Partei angeschlossen ist - nicht einmal die NUM.

Selbst heute noch ist Scargill der einzige hochrangige Gewerkschaftsführer, der die Labour Party verlassen hat. Sechs Jahre nach ihrer Gründung ist die SLP die politische Heimat von einer kleinen Gruppe gealterter NUM-Bürokraten und den Überbleibseln der alten stalinistischen und maoistischen Parteien. Die Behauptung der SLP, das Wiedererwachen des politischen Gewerkschaftertums zu verkörpern, beruht einzig und allein auf der Stellung Scargills als NUM-Vorsitzenden, und hieraus erklären sich auch seine verzweifelten Bemühungen, nach seiner anstehenden Pensionierung diesen Titel ehrenhalber weiter tragen zu dürfen.

Dass er dies durchgesetzt hat, verleiht seinen Behauptungen nicht mehr Gewicht. Wie zu erwarten war, erhielt er seinen Posten durch Sammelstimmen, wobei seine Kumpanen Tausende Stimmen für ihn abgaben. Die meisten Stimmen repräsentierten pensionierte oder sogar verstorbene Mitglieder, deren Verwandten oder Arbeiter aus anderen Industriezweigen, die die Rechtshilfe der NUM bei Entschädigungsklagen nutzen. Zur Zeit des britischen Bergarbeiterstreiks 1984/85 hatte die NUM ungefähr 180.000 Mitglieder. Im letzten Rechenschaftsbericht, der vor zwei Jahren erschien, war die Zahl der Mitglieder auf 6.000 gesunken, von denen wahrscheinlich ungefähr 4.000 tatsächlich als Bergarbeiter arbeiteten. Und selbst diese bereits recht kleine Zahl wird vermutlich in den kommenden Monaten auf 2.000 bis 3.000 fallen, vor allem wenn das Privatunternehmen UK Coal seine Drohung wahr macht und 13 Zechen mit über 6.000 Arbeitsplätzen schließt. Dennoch erhielt Scargill bei seiner Wahl zusammengenommen 11.000 Stimmen!

Letztendlich hat Scargill sich selbst auf Lebenszeit zum nicht-gewählten Kopf einer bereits in den letzten Zügen liegenden Organisation ernannt, um einer Partei unter die Armen zu greifen, die gleichsam dem Tode geweiht ist. Im Ergebnis hat er die Verbindung der SLP mit der NUM aufrechterhalten, aber was kommt dabei heraus? Statt die Lebensfähigkeit einer auf Gewerkschaften aufgebauten Partei zu beweisen, wie dies Scargill gerne möchte, ergibt sich aus der ganzen Episode die entgegengesetzte Schlussfolgerung.

Siehe auch:
Die Socialist Labour Party: Scargill versucht den Stalinismus in neuer Verpackung an den Mann zu bringen
(8. September 2001)
Die Socialist Alliance und die Socialist Labour Party - keine Alternative zu Blairs New Labour
( 30. Mai 2001)
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