Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika

Teil 4 ( )

Wir veröffentlichen an dieser Stelle den vierten und letzten Teil eines Vortrags, den Barry Grey am 18. Januar 2002 auf einem Seminar der World Socialist Web Site in Sydney gehalten hat. Barry Grey ist Mitglied der Redaktion der WSWS.

Die Bush-Regierung verkörpert in konzentrierter Form die Todeskrise des amerikanischen Kapitalismus, die sich gleichermaßen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft niederschlägt. Ihre wichtigsten Merkmale - politische und ideologische Reaktion, Missachtung demokratischer Rechte, Chauvinismus und Militarismus, Kriminalität und Parasitentum - sind Wesenszüge einer politischen Elite, die sich in den Fängen vielfältiger Widersprüche verstrickt hat, die sie weder versteht noch lösen kann. Ihre einzig mögliche Reaktion besteht darin, die Menschheit in die Abgründe eines Atomkriegs oder der faschistischen Barbarei zu stoßen.

Man kann die Krise des amerikanischen politischen Systems allerdings nicht als rein national bedingtes Phänomen auffassen. Es handelt sich um den konzentrierten Ausdruck einer internationalen Krise. Jede bürgerliche Regierung auf der Welt zeigt mehr oder weniger ausgeprägt dieselben rückwärts gewandten Tendenzen. Ein besonders beunruhigender Aspekt der jüngsten Ereignisse ist die Bereitwilligkeit, mit der die kapitalistischen Regierungen auf jedem Kontinent nach dem Vorbild Washingtons zum Angriff auf demokratische Prinzipien und Traditionen ausholen. In den vergangenen Monaten haben Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Australien - um nur einige der betroffenen Industrienationen zu nennen - allesamt Gesetze verabschiedet oder Verordnungen in Kraft gesetzt, mit denen Bürgerrechte eingeschränkt und die polizeilichen Vollmachten des Staates erweitert wurden.

Das Tempo und die Bedenkenlosigkeit, mit der sich die Regierungen - ob sozialdemokratisch oder konservativ - langjähriger demokratischer Sicherungssysteme entledigen, und das Ausbleiben jeder nennenswerten Opposition von angeblich liberalen oder "linken" Vertretern des politischen Establishments und der Intelligenz sind ein Zeugnis für die weit fortgeschrittene Fäulnis der bürgerlich-demokratischen Institutionen auf der ganzen Welt. Diesem Verfall der bürgerlichen Demokratie liegt ein weiteres Phänomen des heutigen Kapitalismus zugrunde - die beispiellose Zunahme der sozialen Ungleichheit.

In allen genannten Ländern hat die soziale Spaltung zwischen den Klassen unerhört zugenommen. Die Zwischenschichten, die früher als Puffer zwischen den beiden Hauptklassen dienten, sind zusehends verkümmert. Mit der Polarisierung der Gesellschaft mussten unweigerlich auch die bürgerlich-demokratischen Herrschaftsmethoden versagen. Die traditionellen Parteien gingen immer weiter nach rechts und entfremdeten sich von den breiten Bevölkerungsschichten, die früher ihre soziale Basis gebildet hatten. Dabei verfielen sie zusehends. Immer mehr bürgerliche Regierungen rund um die Welt nehmen eine bonapartistische Form an, d. h. sie stützen sich immer direkter und offener auf die Polizei und das Militär.

Nicht nur die Regierung der USA macht sich offener Rechtsbrüche schuldig. Es genügt, zwei der engsten Verbündeten Bushs in der Weltpolitik anzusehen - die Regierung Scharon in Israel und die Regierung Berlusconi in Italien - um zu erkennen, dass die Regierungskriminalität ein allgemeiner Trend ist.

Soziale Ungleichheit, Angriffe auf die Demokratie, die Zunahme von Konflikten zwischen den Imperialisten, das Aufflammen des Militarismus - alle diese Merkmale des heutigen Kapitalismus zeigen, dass sich eine Krise von historischen Ausmaßen zusammenbraut. In vieler Hinsicht ähnelt die heutige Weltpolitik der unheilschwangeren Lage vor dem Ersten Weltkrieg.

Wie die größten Marxisten jener Zeit - in erster Linie Lenin, Luxemburg und Trotzki - damals erkannten, bedeutete der Ausbruch eines imperialistischen Krieges zwischen den Großmächten nicht nur eine Katastrophe für die Menschheit, sondern zeigte auch, dass die objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Weltrevolution herangereift waren.

Wie Trotzki im Jahr 1915 unerhört glänzend und vorausschauend darlegte, entsprang der imperialistische Krieg dem Widerspruch zwischen der Weltwirtschaft und den unerträglich engen Grenzen des Nationalstaatensystems, an das der Kapitalismus gebunden war. Lenin erbrachte in seinem monumentalen Werk über den Imperialismus von 1916 den theoretischen Nachweis, dass der imperialistische Krieg, wenn man seine objektive historische Bedeutung wertete, den Anbruch einer Epoche von Kriegen und Revolutionen anzeigte. Auf dieser Grundlage traf er die politischen, theoretischen und organisatorischen Vorbereitungen auf die Revolution in Russland, die er als ein Glied in der Kette der sozialistischen Weltrevolution auffasste. Beide, sowohl Lenin als auch Trotzki, führten auf etwas unterschiedlichen Wegen den Zusammenbruch der Zweiten Internationalen und deren Verrat an der Arbeiterklasse auf die objektiven Bedingungen des imperialistischen Kapitalismus und auf die Krise des kapitalistischen Systems auf Weltebene zurück.

Die russische Revolution von 1917 war die praktische Bestätigung dieser großartigen und tiefgründigen historischen Perspektive. Ungeachtet des tragischen Schicksals der Sowjetunion war sie der historische Antipode zur kapitalistischen Barbarei und ein Zeichen der Hoffnung für künftige Generationen.

Wer die Welt heute mit denselben Augen sieht wie die Menschewiki vor nahezu neunzig Jahren, vermag nur den Triumph der Reaktion auf der ganzen Linie wahrzunehmen. Wir hingegen erkennen, dass erneut die objektiven Voraussetzungen entstehen, unter denen die sozialistische Arbeiterbewegung zu neuem Leben erstehen und eine neue Offensive der internationalen Arbeiterklasse einsetzen kann. Das Wachstum von Leserschaft und Einfluss der World Socialist Web Site ist ganz ohne Zweifel eine objektive Bestätigung dieser Perspektive. Wir sind überzeugt davon, dass die WSWS eine entscheidende Rolle spielt. Sie wird die Führung einer neuen, revolutionären internationalen Bewegung der Arbeiterklasse zusammenbringen und politisch ausbilden.

Ende

Siehe auch:
Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika - Teil 1
(14. März 2002)
Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika - Teil 2
( 16. März 2002)
Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika - Teil 3
(19. März 2002)
Die weltgeschichtliche Bedeutung der politischen Krise in den Vereinigten Staaten
( 16. Februar 2001)
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