52. Berliner Filmfestspiele

Erwartetes Revival des deutschen Films bislang nicht in Sicht

Erster Teil

In den Wochen vor Beginn der 52. Berlinale spekulierten viele Zeitschriften und Filmkritiker in Deutschland über Möglichkeiten, der deutschen Filmproduktion neues Leben einzuhauchen. Deutsche Filme sind nicht nur eine Rarität auf internationalen Filmfestspielen, auch in Deutschland und bei früheren Berlinalen waren nur wenige zu sehen. Dabei haben es einige deutsche Produktionen durchaus zu großer Popularität gebracht. So hat Der Schuh des Manitou mit elf Millionen Besuchern einen neuen Zuschauerrekord aufgestellt - allerdings würde kein Kritiker ernsthaft behaupten, dass diese Cowboy-und-Indianer-Farce ein Wiederaufleben des deutschen Films ankündigt.

Die Schuld für den prekären Zustand der Filmindustrie wurde zum Teil dem langjährigen Leiter des Berliner Filmfestivals Moritz de Hadeln angehängt, dessen Selbstherrlichkeit viel kritisiert wurde und der vor allem wegen seiner herablassenden Einstellung zum deutschen Film in Ungnade gefallen ist. Als Dieter Kosslick den Posten von de Hadeln übernahm, weckte dies Hoffnungen, dass der neue Leiter die Situation beträchtlich verbessern würde. Viele Jahre lang spielte Kosslick eine führende Rolle bei der Filmförderung im Ruhrgebiet, er verfügt über beste Verbindungen zur deutschen Filmindustrie und wird auch als Abwechslung zu dem ziemlich konservativen de Hadeln betrachtet (eine Zeit lang arbeitete Kosslick für das radikale politische Magazin konkret). Neben den Diskussionen über die verbesserten Chancen des deutschen Films war ein anderes Thema die Notwendigkeit neuer Finanzierungsmodelle und Geldquellen für die Kooperation zwischen den europäischen Ländern, um der überragenden Dominanz Hollywoods und des amerikanischen Films etwas entgegenzusetzen.

Die 52. Berlinale, so wurde uns versprochen, würde mehr deutsche Produktionen zeigen und mehr Filme, die gesellschaftliche oder politische Fragen behandeln. Kosslick sagte in Interviews mit der Presse, dass die Ereignisse des 11. Septembers zumindest eine indirekte Rolle bei der Auswahl einer Reihe von Filmen gespielt haben. Tatsächlich bestätigten sich die verbesserten Chancen für Filme mit direktem sozialen und politischen Inhalt, als der Hauptpreis der Filmfestspiele an einen britischen Film vergeben wurde, der sich mit einem Schlüsselereignis im Nordirlandkonflikt beschäftigt - Bloody Sunday. Es scheint der Festivaljury etwas verwegen vorgekommen zu sein, einem solchen Film den Hauptpreis zu geben, so dass sie gleichzeitig auch dem populären japanischen Fantasy-Zeichentrickfilm Spirited Away einen Goldenen Bären verlieh.

Insgesamt nahmen vier deutsche Spielfilme am Wettbewerb teil - Heaven von Tom Tykwer, Halbe Treppe von Andreas Dresen, Der Felsen von Dominik Graf und Baader von Christopher Roth. Wim Wenders, der Veteran unter den deutschen Regisseuren, präsentierte seinen neuen Film, eine Musikdokumentation über die Kölner Rockband BAP, außerhalb des Wettbewerbs.

Die deutschen Filme in und außerhalb des Wettbewerbs enttäuschten in ihrer Mehrheit - Dresens Halbe Treppe teilweise ausgenommen. Einer der Wenigen, die darauf hinwiesen, dass das Problem des deutschen und europäischen Films vielleicht weniger vom Geld und von den Produktionsmethoden als vielmehr vom Mangel an Perspektive und Ideen herrührt, war der ungarische Regisseur Istvan Szabó. Auf einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des europäischen Films bemerkte er, dass das Hauptproblem nicht so sehr die Finanzierung und Zusammenarbeit sei, sondern eher eine Frage der "Vision und des Mangels an positiven Vorbildern für junge Menschen". Vielleicht der beste Beweis für Szabós These ist der neue Film von Tom Tykwer.

Obwohl er als deutscher Film am Wettbewerb teilnahm und zum Teil von Deutschland aus durch Kosslicks eigene Produktionsfirma finanziert wurde, ist Heaven eine deutsch-amerikanisch-französische Co-Produktion, basiert auf einem Drehbuch des verstorbenen polnischen Regisseurs Krzysztof Kieslowski und wurde mit europäischen Schauspielern in Italien gedreht. Eine solche europäische und internationale Zusammenarbeit und das dabei garantierte große Budget hielten Tykwer nicht davon ab, einen gar nicht überzeugenden und völlig wirren Film zu machen.

Ein Teil der Berlinale, die Retrospektive, ist traditionell einer Rückschau auf das Werk besonderer Regisseure oder Filmgenres gewidmet. Die diesjährige Retrospektive konzentrierte sich auf europäische Filme aus den 1960-er Jahren. Obwohl es praktisch unmöglich war, all die Filme aus zahlreichen europäischen Ländern zu sehen, bot die Retrospektive doch eine Möglichkeit zum Vergleich mit den Produktionen, die vor 40 Jahren und in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs gemacht wurden.

Die 52. Berlinale bot auch in anderer Hinsicht dem Zuschauer die Möglichkeit, Parallelen zwischen den 60-er Jahren und der jetzigen Filmproduktion zu ziehen. Als möglicherweise interessanteste Entwicklung war bei den Filmfestspielen festzustellen, dass vier Veteranen des internationalen Films, die alle in den 60-ern oder frühen 70-ern mit dem Filmemachen begannen, ihre neuen Produktionen vorstellten - Der Stellvertreter von Constantin Costa-Gavras, der auf dem Festival seinen 69. Geburtstag feierte, Taking Sides von dem in Ungarn geborenen Regisseur Istvan Szabó (64), Der Passierschein von Bertrand Tavernier (61) und Gosford Park von Robert Altman (76). Es kann kein Zufall sein, dass alle vier Regisseure Filme gedreht haben, die sich mit den gesellschaftlichen und politischen Problemen der 1930-er und 1940-er Jahre beschäftigen. Alle diese Filme werden in gesonderten Artikeln besprochen werden.

Baader von Christopher Roth

Einer der deutschen Filme im Wettbewerb schien einen kritischen Blick auf einige Ideen und Gestalten zu werfen, die in den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen der 1960-er aufkamen. Bis zu einem gewissen Grad wendet sich der Film Baader den Fragen zu, die auch schon vom deutschen Regisseur Volker Schlöndorff in seinem Film Die Stille nach dem Schuss aufgegriffen wurden. Baader konzentriert sich auf das führende männliche Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), die in den 1970-ern eine Reihe von terroristischen Aktivitäten ausübte, darunter Bankraub, Entführung und Mord.

Der Film beginnt mit dem Leiter des Bundeskriminalamtes Kurt Krone (angelehnt an die reale Figur des Horst Herold), der auf einer Konferenz zu seinen Genossen von der SPD spricht. Krones Aufgabe ist es, die RAF zu verfolgen und aufzuspüren, aber auf der Konferenz erklärt er sich zum Liberalen, der sich Sorgen über die Aspekte der kapitalistischen Gesellschaft macht, die junge Idealisten zu gewaltsamen Formen des Protests verleiten. Er selbst, bekräftigt er, sei vom Marxismus beeinflusst worden, aber nun müsse man die verkrusteten Strukturen in Deutschland von Innen her aufbrechen - und bezieht sich dabei unter anderem auf die vielen ehemaligen Nazis, die immer noch in führenden und einflussreichen Positionen sitzen.

Der Film fährt fort, indem er Szenen aus der Studentenrevolte der 1960-er Jahre und die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg 1967 durch die Polizei zeigt, die mit harter Rockmusik hinterlegt sind. Vor diesen Ereignissen hat Andreas Baader bereits wegen Autodiebstahl und Kleinkriminalität im Gefängnis gesessen. Er engagiert sich zunehmend in radikalisierten Studentenkreisen - erst in München, dann in Berlin - lehnt aber jede tiefgehende Analyse der kapitalistischen Gesellschaft ab und bevorzugt statt dessen eine plumpe Spielart des Aktivismus nach dem Motto "Schlagt die kapitalistischen Bastarde dort, wo es ihnen weh tut". Er bezeichnet sich selbst als Stadtguerillero und beeindruckt die jüngeren weiblichen Mitglieder der RAF mit einem Sammelsurium von Slogans und Parolen, die er von Mao Tsetung, Che Guevara und Herbert Marcuse entliehen hat.

Die Darstellung von Baaders Charakter im Film scheint der Wahrheit größtenteils gerecht zu werden - sein Opportunismus und Frauenhass, seine Vorliebe für den Diebstahl von Luxusautos und seine Begeisterung für Micky-Maus-Comics. Eine Szene im Film spielt auf den starken Einfluss der Kirche in den Biografien vieler führender RAF-Kader an. Um sich dem Leben im Untergrund als kleine, verfolgte Gruppe anzupassen, rasselt Baader zusammen mit seiner Freundin Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof die Zehn Gebote herunter, um ihre Bedeutung sodann ins Gegenteil zu verkehren und die eigene plumpe Art der politischen Perspektive zu umreißen - "Du sollst töten", "Du sollst falsches Zeugnis ablegen" usw.

An einem bestimmten Punkt hat der Regisseur jedoch die Nerven verloren und völlig fiktive Szenen in seinen Film aufgenommen. In einer Reihe von Interviews nach der Aufführung ging Roth auf die Kritik an fiktiven und nicht-fiktiven Szenen in Baader ein und erklärte, dass der Film insgesamt als reine Fiktion betrachtete werden sollte. Tatsächlich enthält eine der von Roth erfundenen Szenen, die dem Geschehen eine völlig absurde Wendung gibt, ein Element von Wahrheit. Baader trifft seinen Verfolger Krone persönlich mitten auf der Autobahn in der Nähe von Frankfurt. Während die beiden Männer gemeinsam auf den Vordersitzen von Baaders Auto ins Philosophieren geraten, gestehen sie sich, dass sie sich gegenseitig brauchen. Krone benötigt Baader, um seine Aufrüstung und Erweiterung der Polizei und Geheimdienste zu rechtfertigen, während Baader die leicht identifizierbare böse Figur von Krone braucht, um seine unterdrückte kleinbürgerliche Frustration daran abzureagieren. Nachdem sie ihre Nettigkeiten ausgetauscht haben, erlaubt Krone, dass Baader geht, und der Film kehrt wieder ins Reich des quasi Realen zurück.

Andere jüngere deutsche Filme, die sich mit dem Terrorismus der RAF beschäftigt haben - die Dokumentation Blackbox BRD und der Spielfilm Innere Sicherheit - haben ebenfalls auf eine gewisse symbiotische Beziehung zwischen den Terroristen und ihren Opfern hingewiesen oder zumindest auf die Bereitschaft einiger dieser widerspenstigen Kinder angespielt, eine Versöhnung mit ihren Eltern zu suchen.

Nichtsdestotrotz nimmt sich Roth am Ende in seinem Drehbuch zu viele Freiheiten heraus. Möglicherweise hatte er Angst, Baader zu negativ dargestellt zu haben, jedenfalls beendet er seinen Film mit einer Schießerei nach Art von Bonnie and Clyde, in der der heldenhaft gescheiterte Baader in einem Kugelhagel der Polizei niedergemäht wird.

Die Frage des Terrorismus der RAF und ihrer Auseinandersetzungen mit dem Staat in den 1970-ern ist ein Thema, dass die derzeitige deutsche Politik nicht loslässt. Eines der damaligen RAF-Mitglieder, der Anwalt Horst Mahler (der im Film Kurt Wagner heißt), wurde 1972 wegen terroristischer Aktivitäten zu zwölf Jahren Haft verurteilt und ist heute eine der führenden Figuren in der rechtsextremen NPD. Sein damaliger Verteidiger vor Gericht, Otto Schily, ist heute Bundesinnenminister und Law-and-Order-Mann der rot-grünen Regierung und derzeit in einen Skandal verwickelt, bei dem es um die Aktivitäten von Geheimdienstmitarbeitern in neo-faschistischen Organisationen geht.

Trotz der fiktionalen Sprünge in seinem Film deutet Roth ebenso wie Schlöndorff in seinem Film Die Stille nach dem Schuss an, dass die verschiedenen Gestalten in der RAF weniger durch eine ausgearbeitetes, kohärentes Programm der Gruppe zusammengehalten wurden, sondern vielmehr durch eine Solidarität, die durch die repressive Reaktion des deutschen Staates ausgelöst wurde. In einem Interview sagte Roth, dass er Nachforschungen unternommen und Leute getroffen hat, die in die Kontroverse um die RAF verwickelt waren: "Aber an einem bestimmten Punkt habe ich das alles in den Wind geschlagen, meine eigene Interpretation gemacht und meine eigene Geschichte erzählt, weil ich die Wirklichkeit nicht so interessant fand."

Roths Rückzug angesichts der Komplexität gesellschaftlicher und politischer Realitäten unterminiert letztendlich den Film und hinterlässt uns unbefriedigende und unvollständige Charaktere. Es gibt weiterhin viel zu sagen über das komplizierte Gewebe von Persönlichkeiten, gesellschaftlichen Kräften und staatlicher Politik, das bei der Entstehung der RAF zu entdecken ist.

Kommende Artikel zu den Berliner Filmfestspielen werden sich mit weiteren deutschen Filmen beschäftigen. Des weiteren werden, wie oben bereits angekündigt, Rezensionen zu den Filmen der älteren Regisseure erscheinen.

Siehe auch:
Die 51. Berlinale
(2. März 2001)
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