Tolkien und die Flucht vor der Moderne

Der Herr der Ringe: Die Gefährten. Regie: Peter Jackson

Der Kinofilm Der Herr der Ringe: Die Gefährten ist der erste Teil einer Trilogie, die auf dem gleichnamigen Fantasy-Epos J.R.R Tolkiens basiert. Er erzählt die Geschichte unfreiwilliger Helden, die im Kampf gegen Sauron, die Personifikation des Bösen und der Dunkelheit, den Ring zu zerstören, den er einst erschuf und dann im Dunkeln der Vergangenheit verlor.

Der Film gewann den Preis der British Academy of Film and Television Arts sowie vier Oscars. Bedeutender ist jedoch, dass er große Anziehungskraft auf junge Menschen ausübt und so eine neue Generation für Tolkiens Literatur gewinnt, dessen Bücher während der letzten sechzig Jahre von Millionen gelesen wurden. Allein eine derart große Anhängerschaft ließ erwarten, dass der Film ein finanzieller Erfolg werden würde. Doch zusätzlich gelang es ihm, eine Stimmung, eine Atmosphäre zu Kapital zu machen, die gegenwärtig in der Luft liegt: dass die Menschheit im Begriff steht, in ein ungewisses und riskantes Zeitalter einzutreten.

Die ehrenvolle Aufgabe den Ring zu zerstören fällt seinem Träger Frodo Beutlin zu, einem Angehörigen der kleinwüchsigen Rasse der Hobbits. Hobbits sind nicht menschlich, denn weil sich die Menschen in ihrer fragwürdigen Geschichte als anfällig für das Böse und die Macht des Rings erwiesen, sind sie für die Rolle des Helden ungeeignet. Die unbescholtene Rasse der Hobbits hingegen ist einer Idealisierung der englischen Bauernschaft in feudalen oder halb-feudalen Zeiten nachempfunden. Ursprünglich wohnhaft in Erdhöhlen, machte sich ihr Volk einst auf zu ihrer Heimat, dem Auenland, vergleichbar der Völkerwanderung der germanischen Stämme nach England.

Mit Unterstützung des Zauberers Gandalf wird sich Frodo klar darüber, dass ihm der Ring eine besondere Verpflichtung auferlegt. Das zeigt sich endgültig, als Saurons Häscher beginnen, nach dem Ring Ausschau zu halten, und bedrohliche Reiter im Auenland auftauchen. Gemeinsam mit seinem treuen Freund Sam Gamdschie und zwei weiteren Begleitern bricht Frodo zu einer langen und kräftezehrenden Reise auf.

Tolkiens Frodo ist ein nachdenklicher und aufopferungsvoller Führer, der über die bedrückende Zukunft, die ihn jenseits des Auenlands erwartet, zu sich selbst sagt: "Es ist schön und gut wenn ich meine Freunde mitnehme und wir durch das Auenland wandern, bis wir hungrig und müde sind, und gutes Essen und ein Bett auf uns warten. Sie in die Verbannung mitzunehmen, wo es vielleicht kein Heilmittel gegen Hunger und Müdigkeit gibt, ist etwas ganz anderes, selbst wenn sie bereit sind, mitzukommen..."

Mit der Unterstützung der drei Hobbits erreicht Frodo schließlich das Land der Elben, Bruchtal, wo eine Ringgemeinschaft gebildet wird, die den Elben Legolas, den Zwerg Gimli, sowie zwei Menschen - Streicher/ Aragorn und Boromir von Gondor - einschließt. Die Gefährten werden im Verlauf ihrer Reise oft auf die Probe gestellt. Einige lassen unterwegs sogar ihr Leben, am Ende des ersten Teils schließlich trennen sich ihre Wege.

Im Fortgang der Geschichte offenbart sich das Wesen des Rings als ein fürchterlicher Fluch, der seinem Träger Machtgier und Bosheit aufzwingt. Streift der Träger den Ring über den Finger, so wird er unsichtbar. Peter Jackson setzt die düstere Anziehungskraft des Rings auf alle Gefährten dadurch ins Bild, dass er die realen Personen rund um Frodo, die den Ring begehren, durch Skelettschädel ersetzt, sobald dieser den Ring gebraucht. Manche sind in der Lage sich dem Bann zu entziehen und sich zu zügeln, doch der Mensch Boromir kann nicht widerstehen.

Der Film veranschaulicht immer wieder Saurons Korruption und Bosheit. Dabei lässt Jackson eine prinzipielle Fähigkeit der künstlerischen Gestaltung vollständig vermissen, die Tolkien meisterhaft einzusetzen verstand: das Stilmittel der Untertreibung. In der Darstellung von Horror und Gewalt erweist sie sich häufig als eindrucksvoller als ausufernde Beschreibung oder übermäßige Betonung. Insofern kommen die Kampfszenen im Film trotz aller beeindruckender Spezialeffekte am Ende langweilig und gleichförmig daher.

Gegen die "Religion des Fortschritts"

Der Symbolismus der Geschichte wirft hochinteressante Fragen auf: Die Schöpfung des Rings ist mit der Bearbeitung von Metall verknüpft, denn er wurde von Menschen geschmiedet. Durch diese Verknüpfung werden industrielle Entwicklung und Korruption thematisch miteinander verbunden. Nur in einer Welt ohne Industrie, die in eine Art Naturzustand zurückversetzt ist, kann wieder friedliche Ruhe einkehren.

Der gesamte Herr der Ringe ist eine Elegie an die Vergangenheit, durchzogen von der Sehnsucht nach einer besseren Welt, einem goldenen Zeitalter, das der historischen Entwicklung entzogen ist. In diesem Sinne klagt der Elb Legolas: "Wehe für uns alle! Und für alle, die in dieser Nachzeit auf der Erde wandeln." In jeder Hinsicht formuliert das Epos ein Klagelied, das rückblickend nach dem menschlichen Sündenfall erklingt.

Tolkien war davon überzeugt, dass die Zivilisation keinen Fortschritt machen könne. Jede andere Haltung habe er, so seine Kinder, mit den Worten "Fortschritt wohin ?" zurückgewiesen.

Diese Skepsis hinsichtlich des Fortschritts hing mit seinem ausgeprägten religiösen Glauben auch an die Erbsünde zusammen. Er übersetzte seine Haltung künstlerisch in die beschauliche ländliche Utopie des Auenlandes, die als Antipode der modernen industrialisierten Gesellschaft fungiert. Dorthin möchte Frodo zurückkehren: "Er legte sich wieder hin und sank in einen unruhigen Traum, in dem er durch das Gras in seinem Garten in Auenland lief, doch alles wirkte blass und gedämpft gegen die schwarzen Schatten, die hinter den Hecken lauerten."

Die filmische Darstellung des Auenlandes ist humorlos und geistlos, es wird von einer Sippe gleichartiger Vielfraße bevölkert. Nicht einer der Seitenhiebe Tolkiens auf die exzentrischen Snobs, die Sackheim-Beutlins, entfernte Verwandte von Frodo, hat den Sprung in den Film geschafft. Trotzdem bezeichneten manche Kritiker in ihrer Gefallsucht den Film als getreue Wiedergabe der literarischen Vorlage Tolkiens.

Dessen Vorstellung von der Vergangenheit als einer einfacheren Welt, die erst durch die modernen Veränderungen in Mitleidenschaft gezogen wurde, war nicht rein gefühlsmäßig motiviert, sondern gründete auf tieferen Überlegungen. Tolkien hatte eine vielschichtige Welt mit eigenen Sprachen und einer eigenständigen Geschichte geschaffen, die auch eine Parallele zum biblischen Sündenfall der Menschheit aufweist. In Gelehrtenkreisen galt er jedoch auch als der Autor, der den einfühlsamsten Kommentar zu der bemerkenswerten altenglischen Dichtung Beowulf verfasst hatte. Er war nicht nur Fachmann in der Übersetzung alter Sprachen, sondern entwickelte auch eigene unabhängige Sprachkomplexe, die eine eigene Grammatik und ihren eigenen Schriftenkanon besitzen.

Obwohl Der Herr der Ringe während des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurde und 1954 erschien, lässt sich seine Entstehung weit früher in das Jahrhundert datieren. Ursprünglich begann Tolkien 1913 damit, Teile dessen zu verfassen, was später die umfassende Chronik von Mittelerde - Das Silmarillion - werden sollte.

Die Schlechtigkeit und der Schrecken, die durch Sauron entfesselt werden, gehen teilweise auf Tolkiens persönliche Erfahrungen im ersten Weltkrieg an der Somme zurück, wo über eine Millionen Menschen im Verlauf mehrerer Monate auf beiden Seiten fielen. Im Vorwort zu der zweiten Auflage des Herrn der Ringe stellt er dies klar und weist zurück, dass es sich um eine Allegorien auf den nuklearen Krieg handele:

"Um die gesamte Last des Krieges zu spüren, muss sein Schatten auf einen fallen; doch im Verlauf der Jahre schien diese Erfahrung verloren gegangen zu sein, denn als Jugendlicher im Jahre 1914 darin verstrickt gewesen zu sein ist sicherlich nicht weniger schrecklich als 1939 oder in den darauf folgenden Jahren.1918 waren alle meine engen Freunde bis auf einen tot."

Als Frodo einsam die Landschaft überblickt, die er hinter sich bringen muss, sieht er ein Panorama, in dem alles Übel der Industrialisierung kulminiert: "Überall wohin er auch schaute, überall sah er Anzeichen des Krieges. Das Nebelgebirge wimmelte wie ein Ameisenhaufen: aus Tausend strömten Orks aus. Unter den Zweigen von Düsterwald war ein tödlicher Kampf zwischen Elben und Menschen und wilden Tieren entbrannt. Das Land der Beorninger stand in Flammen; eine Wolke hing über Moria; an den Grenzen von Lórien stieg Rauch auf.

Reiter galoppierten über das Gras von Rohan; Wölfe ergossen sich aus Isengart. Von den Anfurten in Harad stachen Kriegsschiffe in See; und aus dem Osten zogen endlos Menschen heran: Schwertträger, Lanzenträger, Bogenschützen zu Pferde, Streitwagen von Anführern und beladene Karren. Die ganze Streitmacht des Dunklen Herrschers war in Bewegung."

In der Charakterführung der Schlüsselfigur Sam Gamdschie - jener Hobbit, der mit Frodo durch dick und dünn geht - wird deutlich, dass Tolkiens Skepsis und Pessimismus auf den geistigen Zusammenbruch der alten Ordnung in Europa zurückgeht. "Mein Sam Gamdschie ist tatsächlich eine Spiegelung der englischen Soldaten, der privates und batmen, die ich im Krieg von 1914 kannte und als mir hoch überlegen anerkannte."

Ein batman ist der Bedienstete oder Bote eines Offiziers, sein "Mann". Diese Stellung ist ein feudales Relikt in der britischen Armee, ähnlich dem Fortbestehen der Monarchie und dem House of Lords. Tolkien glorifiziert Sams Hingabe an seinen Herrn Frodo, obwohl ihre Beziehung einem Sklavenhalter-Verhältnis sehr ähnelt.. Es ist eine aktualisierte Neuauflage der mittelalterlichen sozialen Beziehungen, deren Abhängigkeitsverhältnisse christlich abgesegnet wurden. Als die Verkörperung dieser sozialen Beziehungen versinnbildlicht der Charakter Sam Gandschie Tolkiens sinnlose Sehnsucht nach der Rückkehr zu einem England der robusten Bauernschaft, der ungebundenen Händler und der kleinen Kaufleute.

Die geschichtlichen Wurzeln von Tolkiens Perspektive

Ebenso wie Tolkiens wissenschaftliche Beschäftigung mit Mythen und Legenden waren auch seine künstlerischen Äußerungen Bestandteil einer breiten europäischen Tradition, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Tolkiens fantastische Literatur steht in der Tradition der romantischen Reaktion gegen den Fortschritt, die sich aus der Niederlage der revolutionären Bewegungen von 1848 nährte. Die Opern Richard Wagners sind der ausgeprägteste künstlerische Ausdruck der damals um sich greifenden Desillusionierung: Man glaubte nicht mehr an den Fortschritt. Es gibt eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem Symbolismus Tolkiens und der Formensprache des deutschen Komponisten. Beide durchforsteten die nordische Mythologie der Frühgeschichte auf der Suche nach Quellenmaterial, das ihre künstlerische Schöpfungs- und Vorstellungskraft beflügeln sollte.

Die Ähnlichkeiten zwischen dem Herrn der Ringe und Wagners Opernlibretto Der Ring der Nibelungen stechen ins Auge. In Letzterem raubt der Zwerg Alberich den Rheinschatz. Er beabsichtigt, aus dem Gold den Ring zu schmieden, der seinem Besitzer auf Kosten der emotionalen Vereinsamung die Beherrschung der Welt ermöglicht. Alberich benutzt die Macht des Rings, um eine Diktatur über die Nibelungenzwerge zu errichten, die zu seinen Sklaven werden und unaufhörlich nach Gold graben müssen. Sein Bruder fertigt eine goldene Kappe für ihn, die ihn unsichtbar macht. Der Gott des Feuers stiehlt dem Zwerg den Ring, und als Vergeltungsmaßnahme beschwört dieser einen Fluch auf jeden seiner Träger herab; dieser Fluch wird zum Ausgangspunkt für den ganzen Opernzyklus. Der Fluch tritt beinahe unmittelbar in Kraft, als ein Riese den Bruder Alberichs ermordet, um den Ring an sich zu bringen

Es ist ein schmaler Grat zwischen der Schöpfung eines geistigen Reichs und der Verleugnung der Realität, bei der die Sehnsucht des Künstlers nach der Vergangenheit in eine Apologetik von Rückständigkeit umschlägt. Beide genannte Künstler balancierten auf diesem Grat und nahmen es in Kauf, wenn sie um ihrer Kunst willen in Mystizismus und Irrationalität abglitten. Tolkien selbst reagierte sehr empfindlich auf Kritiker, die sein Werk als "Eskapismus" ("Fluchtliteratur") bezeichneten. Er empfand diesen Begriff als negativ, da er quasi das Entkommen eines Gefangenen mit der Flucht eines Deserteur auf eine Stufe stellt.

Tolkien unternahm, ebenso wie Wagner, in seinem Werk den Versuch, Helden und heldenhafte Ungeheuer zu erschaffen. In einem berühmten Vortrag über Beowulf von 1936 verteidigte er dieses Streben. "Heute noch lassen sich Männer finden - den Kritikern zum Trotz - die tragischen Legenden und der Geschichte gegenüber nicht unempfindlich sind, die von Helden gehört haben, sie tatsächlich gesehen haben, die die Faszination von Ungeheuern bereits in ihren Bann geschlagen hat." Aber nur indem er das traditionelle Genre der Kinder- und Jugendliteratur als eine Art Sprungbrett benutzte, gelang es ihm, die stilistischen Grenzen der Fantasy-Literatur hinter sich zu lassen und epische Höhen zu erreichen.

Tolkien selbst erkannte dies: "Es ist ein Fluch, in einem überladenen Zeitalter eine epische Veranlagung zu besitzen." Nicht allein die Länge eines solchen Werks ist problematisch. Ein moderner Autor kann den dafür angemessenen Ton nicht finden, ohne Gefahr zu laufen ironisch zu werden, denn die heutigen literarischen Stoffe verbieten die Schaffung neuer Mythen.

Karl Marx veranschaulichte in brillanter Weise das Dilemma, in dem Tolkien sich befand: "Ist die Anschauung der Natur und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der griechischen Phantasie und daher der griechischen [Mythologie] zugrunde liegt, möglich mit Selfaktors und Eisenbahnen und Lokomotiven und elektrischen Telegraphen? Wo bleibt Vulkan gegen Roberts & Co., Jupiter gegen den Blitzableiter und Hermes gegen den Crédit mobilier? Alle Mythologie überwindet und beherrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwindet also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben." (Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, Werke Bd. 13. S. 641)

Darin ist viel über die Frage von Tolkiens Beziehung zum 20. Jahrhundert und seiner Bedeutung am ereignisreichen Beginn des 21. Jahrhunderts beinhaltet. Er erlegte sich selbst eine herkulische Aufgabe auf und widmete sich ihr in einer meisterhaften Weise, auch wenn sein Bestreben voller Widersprüche war.

Peter Jacksons Film macht das Werk Tolkiens einer neuen Generation von Lesern zugänglich. Das an sich ist lohnend. Obwohl Jackson eine Gruppe befähigter Schauspieler, wie Eliah Wood als Frodo, Ian McKellen als Gandalf und Cate Blanchett als Galadriel zu seiner Verfügung hatte, brachte er doch Tolkiens künstlerisches Werk auf reine Belanglosigkeit und Banalität hinunter. Die ursprüngliche Konzeption ist nur noch zu erahnen. Jacksons Regie enthüllt wenig von Tolkiens Lyrik, er übersetzt sie lediglich in flache Bilder.

Jackson hatte sich in Neuseeland mit Animationskomödien und Horrorfilmen einen Namen gemacht: Bad Taste (1987), Meet The Feebles (1989) und Braindead (1992). 1994 zog er mit Heavenly Creatures die Aufmerksamkeit Hollywoods auf sich; in diesem Film verwandte er Spezialeffekte, um die Fantasiewelt zweier neuseeländischer Teenager umzusetzen, die in den 1950ern einen Mord begangen hatten. Daran anknüpfend produzierte er The Frightners, eine Komödie mit großem finanziellen Budget, in der Michael J. Fox die Hauptrolle spielte, sowie die spöttische Dokumentation Forgotten Silver. Seine Version des Herrn der Ringe ist ein Ausdruck der Schwäche und Begrenztheit dessen, was heute als Kultur durchgeht, mittels Tolkiens Trilogie.

Dieser Kinofilm hat alles, was einen Hollywood- Kassenschlager ausmacht. Selbstgefälligkeit und Blasiertheit gehen von ihm aus. Nichts wird der eigenen Vorstellungskraft überlassen oder nur angedeutet. Der Film besitzt lediglich das notwendige Maß an Action, Liebe, Geheimnissen und Spannung, alles aber zu reinen Formalien degradiert. Und das, obwohl Tolkiens Fantastik die Grundlage für außergewöhnliche Komplexität bereithält. Jacksons Film bleibt eintönig und langweilig. Für die folgenden Teile lässt das wenig hoffen.

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