Provokation als Herrschaftsmittel: Die Bush-Regierung steigert ihre Terrorwarnungen

In den vergangenen Tagen warnte die Bush-Regierung wiederholt vor Terroranschlägen, denen Tausende, wenn nicht Millionen Amerikaner zum Opfer fallen könnten. Diese Serie von Warnungen vor Terrorangriffen stellt eine gewaltige politische Provokation dar. Ein Spitzenvertreter der amerikanischen Regierung nach dem anderen erklärte, dass erneute Anschläge, auch mit biologischen, chemischen und nuklearen Waffen, unvermeidlich seien und die Regierung keine Möglichkeit habe, sie zu verhindern.

Die Botschaft konnte nicht falsch verstanden werden: Jede in den Vereinigten Staaten lebende Person muss sich mit der Aussicht abfinden, dass sie in jedem Augenblick in die Luft gejagt oder vergiftet werden kann. Der Bevölkerung als Ganzer ist es auferlegt, weitere Schocks wie die Zerstörung des World Trade Center und sogar noch schlimmere Katastrophen zu ertragen.

Diese wilden Prophezeiungen - die allesamt nicht erhärtet oder glaubhaft gemacht wurden - waren keine Fehlleistungen von "Querschießern" in der Regierung. Sie kamen von den höchsten Ebenen und die aufeinanderfolgenden Warnungen waren sorgsam miteinander abgestimmt. Die erste kam am Sonntag, dem 19. Mai von Vizepräsident Richard Cheney, der erklärte, dass ein weiterer Terroranschlag auf ein amerikanisches Ziel, vermutlich noch blutiger als die Anschläge des 11. Septembers, "beinahe sicher" stattfinden würde. Cheney, der mehreren Fernsehsendern Interviews gab, fügte hinzu, dass Selbstmordattentate an öffentlichen Plätzen, wie in Israel, eine "reale Möglichkeit" seien.

Am folgenden Tag zog der Leiter der amerikanischen Bundespolizei FBI Robert Mueller nach. In einer Rede vor Anwälten bei Washington sagte Mueller, dass Selbstmordattentate nach israelisch-palästinensischem Vorbild in den Vereinigten Staaten "unvermeidlich" wären. "Es wird einen neuen Terroranschlag geben," sagte Mueller und fügte hinzu: "Wir werden ihn nicht verhindern können. Damit müssen wir leben."

Die nächste Warnung kam am Dienstag von Bushs höchstem Regierungsbeamten für Anti-Terrorismus-Planung, dem Leiter der Inlandssicherheit Tom Ridge. Der ehemalige Gouverneur von Pennsylvania sagte, dass weitere Terroranschläge auf die Vereinigten Staaten "keine Frage des ob, sondern des wann" seien.

Außenminister Powell stimmte ebenfalls am Dienstag in den Chor ein, als er den Jahresbericht seiner Behörde zum Terrorismus vorstellte. Er sagte in einer Pressekonferenz, dass "Terroristen auf alle möglichen Arten probieren, an Massenvernichtungswaffen zu gelangen, egal, ob es sich um radiologische, chemische, biologische oder nukleare handelt."

Das apokalyptischste Statement kam am Dienstag von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der einem Kongresskomitee erklärte, man solle sich auf einen Terroranschlag auf die Vereinigten Staaten einstellen, bei dem Massenvernichtungswaffen, auch nukleares Material, zum Einsatz kämen. Er sagte, dass der Irak, der Iran, Syrien, Libyen und Nordkorea nukleare, biologische und chemische Waffen entwickeln und sie terroristischen Organisationen zur Verfügung stellen würden.

"Ich stelle mich nur den Tatsachen," sagte Rumsfeld. "Dies ist die Welt, in der wir leben."

Rumsfeld Wortwahl erhöhte noch den bizarren Eindruck, den seine Aussage hinterließ. In Bezug auf Osama bin Laden und Al Qaida erklärte er: "Sie bringen uns ins Schleudern, versuchen uns ins Schleudern zu bringen und testen uns aus." Als ob er die erschreckenden Schlussfolgerungen aus seinen Worten noch unterstreichen wollte, fügte er hinzu: "Wir werden in einer Zeit leben, in der es nur begrenzte oder gar keine Warnungen gibt, da der Angreifer im Gegensatz zum Verteidiger über unverhältnismäßige Vorteile verfügt."

Der Effekt der Warnungen von amerikanischen Regierungsvertretern wurde noch verschärft durch einen Alarm des FBI, dass Wahrzeichen der Stadt New York, wie die Brooklyn Bridge und die Freiheitsstatue, durch Terroranschläge bedroht seien. Das FBI gab zu, dass seine Warnungen auf vagen und unbestätigten Drohungen beruhten, aber dies war genug, um die Stadtbehörden außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen zu lassen, die es so bislang nur direkt nach dem 11. September gegeben hatte. Die Brooklyn Bridge wurde am Dienstag und Mittwoch für einige Zeit komplett gesperrt und an großen Brücken und Tunneln wurden an beiden Tagen systematisch Fahrzeuge kontrolliert und durchsucht. Das FBI warnte auch vor möglichen Anschlägen auf Wohnhäuser in New York.

Welche Motive ihnen auch immer zugrunde liegen, der beabsichtigte Effekt der Äußerungen und Handlungen der Regierung besteht darin, eine Stimmung der allgemeinen Angst und Panik zu erzeugen. Solche Methoden kennzeichnen die Machthaber als rücksichtslose und gefährliche politische Provokateure.

Es ist kein Zufall, dass die unheilvollen Prophezeiungen der Regierung gerade jetzt kommen, inmitten von Enthüllungen, die die offizielle Version des 11. Septembers in Frage stellen, laut der die Bush-Regierung und die amerikanischen Geheimdienste nicht vor den Anschlägen gewarnt waren und sie nicht hätten verhindern können. Die Entwirrung des Gebäudes aus Lügen und Ausflüchten, das die Ereignisse des vergangenen Septembers umgibt, droht den durchgreifenden Maßnahmen, die die Regierung seitdem ergriffen hat, ihre Berechtigung zu entziehen.

Ebenso wie die Zerstörung des World Trade Centers genutzt wurde, um eine geschockte und verwirrte Öffentlichkeit zu überrumpeln und so, in Einklang mit den Pläne der Bush-Regierung für Krieg nach außen und Repression nach innen, einen drastischen Schwenk in der amerikanischen Politik durchzusetzen, so versucht die Regierung jetzt eine Stimmung der Angst und Verwirrung in der Bevölkerung zu schaffen, um den lauter werdenden Forderungen nach einer umfassenden Untersuchung ihrer vorherigen Taten zuvorzukommen und gleichzeitig neue und noch extremere Maßnahmen zu rechtfertigen.

Wenn man Rumsfeld und Co. beim Wort nimmt, so ergibt sich hieraus eine Bankrotterklärung des amerikanischen politischen Establishments und der Politik, die es seit mehr als einem Jahrzehnt verfolgt hat. Während eines halben Jahrhunderts des Kalten Kriegs zwischen dem amerikanischen Imperialismus und dem Sowjetblock, als Tausende Atomraketen auf das amerikanische Festland gerichtet waren und umgekehrt, hat kein amerikanischer Spitzenvertreter jemals öffentlich behauptet, dass ein nuklearer Angriff auf die Bevölkerung der Vereinigten Staaten unvermeidlich sei.

Die herrschende Elite Amerikas fühlte sich verpflichtet, der Gefahr einer solchen Katastrophe zu begegnen, indem sie eine weitreichende politische Strategie entwickelte, zu der unter anderem Abrüstungsverträge, diplomatische Vermittlung, direkte Telefonverbindungen etc. gehörten. In diesem Zeitraum wurden keine Atombomben geworfen.

Aber seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich die Vereinigten Staaten in zunehmendem Maße auf ihre unangefochtene militärische Überlegenheit gestützt, um dem Rest der Welt ihren Willen aufzuzwingen, und die Diplomatie zu Gunsten von Drohungen und Gewalt aufgegeben. Seit Beginn der Regierungszeit von Bush Senior haben die Vereinigten Staaten drei große Kriege geführt - gegen den Irak, Serbien und Afghanistan - und viele kleinere Militäraktionen in der ganzen Welt durchgeführt.

Die Wende hin zum Militarismus hat ein neues Niveau der Rücksichtslosigkeit und Gewalt unter der derzeitigen Bush-Regierung erreicht. Die Vereinigten Staaten rücken nun von allen politischen Methoden der Konfliktprävention ab. Sie verweigern Verhandlungen mit jenen, die sie als Terroristen oder "Schurkenstaaten" betrachten. Sie entsenden ihr Militär in die instabilsten Regionen der Welt und weigern sich selbst dann ihre Truppen zurückzuziehen, wenn ihre bewaffneten Interventionen globale Spannungen bis zum Siedepunkt bringen - wie im Nahen Osten und auf dem indischen Subkontinent. Statt dessen bereiten sie sich auf neue Interventionen vor, die die Spannungen noch weiter anheizen werden, am unmittelbarsten derzeit gegen den Irak.

Die Vereinigten Staaten sind zum größten destabilisierenden Faktor in der Welt geworden. Der brutale und räuberische Charakter ihrer Politik hat eine noch viel stärkere Feinseligkeit gegen die USA entstehen lassen, die sich unter großen Teilen der unterdrückten und verarmten Menschen in Asien, Afrika, Lateinamerika und selbst Europa ausbreitet. Die US-Politik verteidigt die Interessen der amerikanischen Unternehmerelite, nicht die der Arbeiterklasse, und ist letztendlich verantwortlich für die sozialen und politischen Bedingung, die Terrorismus entstehen lassen.

Für alle kritisch denkenden Menschen ist es offensichtlich, dass die apokalyptischen Warnungen aus Regierungskreisen dazu dienen werden, nicht nur weitere militärische Abenteuer in Übersee zu rechtfertigen, sondern auch weiter scharf gegen die demokratischen Rechte in den Vereinigten Staaten vorzugehen. Dieses Regieren mit Hilfe von Provokationen ist nur möglich, weil die Medien mitspielen und vonseiten der Demokratischen Partei keinerlei Opposition ausgeht. Es ist nicht durch ein populäres Mandat der Bevölkerung gedeckt. Tatsächlich fühlt sich die Bush-Regierung genau deshalb gezwungen, auf derart verzweifelte Methoden zurückzugreifen, weil sie nicht in der Lage war, eine patriotische Kriegsbegeisterung unter großen Schichten der Bevölkerung zu erzeugen. Die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung sorgt sich vielmehr um ihren bedrohten Arbeitsplatz und Lebensstandard; auf die schärfer werdende ökonomische und soziale Krise allerdings hat die Regierung keine Antwort.

Die Bush-Regierung muss zur Rechenschaft gezogen werden. Sie muss gezwungen werden, der amerikanischen Bevölkerung die Faktengrundlage für ihre Warnungen und Drohungen darzulegen. Behauptungen, dass die Exekutive über ein Privileg verfügt, um aus Gründen der "nationalen Sicherheit" in Kriegszeiten Informationen zurückzuhalten, sind vollkommen hohl. Wenn den Menschen gesagt wird, dass Tausende oder gar Millionen von ihnen bei nicht zu verhindernden Terroranschlägen sterben werden, dann haben sie das Recht die Fakten zu kennen, auf die sich diese Behauptung stützt. Wenn weiterhin die Regierung diese Untergangsprophezeiungen dazu nutzt, sich selbst außergewöhnliche Machtbefugnisse zu verleihen - und das tut sie - dann haben die Menschen ein absolutes Recht, die Grundlage für solche Maßnahmen zu kennen. Es sind ihre Leben und demokratischen Rechte, die auf dem Spiel stehen.

Neben dem Recht der Bevölkerung informiert zu werden, wirft die Vorgehensweise der Bush-Regierung, ihre Lügen und Provokationen, eine noch viel grundlegendere Frage auf: Die Zukunft der Menschen in den Vereinigten Staaten und tatsächlich die der gesamten Weltbevölkerung ist abhängig von der Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Basis einer neuen politischen Orientierung. Es geht nicht einfach nur darum, eine Regierung abzusetzen. Die Weltbevölkerung braucht eine wirklich demokratische und fortschrittliche Perspektive. Um die Menschheit vom Albtraum des Krieges, der Tyrannei und der sozialen Erniedrigung zu befreien, in den sie von den politisch und moralisch bankrotten herrschenden Eliten gezogen wird, müssen die arbeitenden Massen aller Länder durch ein revolutionäres Programm vereinigt werden, mit dem sie die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage neu gestalten.

Siehe auch:
Eine sozialistische Strategie zum Kampf gegen Krieg und zur Verteidigung demokratischer Rechte
(20. April 2002)
Mit Spitzfindigkeiten und Säbelrasseln verteidigt das Weiße Haus Pläne für einen Nuklearkrieg
( 20. März 2002)
Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika
( 14. März 2002)
Vereinigte Staaten wollen Atombomben zu einem normalen Mittel der Kriegsführung machen
( 13. März 2002)
Gefahr einer Diktatur: Bush richtete nach dem 11. September ein geheimes Kabinett ein
( 6. März 2002)
War die US-Regierung vor dem 11. September vorgewarnt?
( 23. Januar 2002)
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