EU-Länder verschärfen Abschottungspolitik gegen Ausländer und Flüchtlinge

Die schärfere Begrenzung und Kontrolle der Zuwanderung in die Europäische Union soll Schwerpunkt der Beratungen auf dem nächsten EU-Gipfeltreffen am 21. und 22. Juni im spanischen Sevilla sein. Dafür setzten sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der französische Präsident Jacques Chirac (Gaullist) bei ihrem Zusammentreffen Ende Mai in Paris ein.

Sie wissen sich damit in Übereinstimmung mit einem entsprechenden Vorschlag des amtierenden EU-Ratspräsidenten, dem spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar (Volkspartei), und dem britischen Premierminister Tony Blair (Labour Party) sowie fast allen anderen Regierungschefs der EU-Staaten.

Chirac erklärte, dass die Eingangskontrollen in die Staaten der EU "viel strikter" gehandhabt werden müssten, und forderte ein entschlossenes Vorgehen gegen Schlepperbanden. Schröder erklärte seine "völlige Übereinstimmung" mit Chirac und fügte hinzu, das Thema Einwanderung dürfe man "nicht der extremen Rechten überlassen". Er hoffe, dass sich dieses "Maß an Realitätsbewusstsein" auch in der EU-Kommission durchsetzen werde.

Schröder und Chirac trafen sich kurz nach den Erfolgen des rechtsextremen Front National bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Unmittelbar vorausgegangen waren auch die Parlamentswahlen in den Niederlanden Mitte Mai, bei denen die neu gegründete rechtspopulistische Liste Pim Fortuyn auf Anhieb 26 Parlamentssitze gewann. Die Liste des ermordeten Fortuyn, die ebenfalls mit Forderungen nach der Zuzugsbegrenzung von Ausländern und Stimmungsmache gegen den Islam in den Wahlkampf gegangen war, ist jetzt an der Regierung beteiligt.

Bereits vor dem Treffen von Schröder und Chirac zeichnete sich ab, dass die EU-Kommission dem Drängen nach schärferen Gesetzen und Maßnahmen gegen Ausländer aus Nicht-EU-Staaten und Flüchtlinge nachkommen wird.

So beschloss die EU-Kommission für Inneres und Justiz in einer nicht öffentlichen Sitzung am 2. Mai eine deutliche Einschränkung der Nachzugsmöglichkeiten für Kinder von Ausländern, die sich bereits rechtmäßig in einem EU-Land aufhalten. Mit der neuen Vorlage beugte sich die EU-Kommission dem Druck der Staats- und Regierungschefs ihrer Mitgliedsstaaten, insbesondere dem jahrelangen Druck des deutschen Innenministers Otto Schily (SPD).

Eine Vorlage, die der EU-Kommissar für Inneres und Justiz, der Portugiese Antonio Vitorino im Dezember 1999 vorlegte, sah vor, dass alle minderjährigen Kinder ein Nachzugsrecht zu ihren Angehörigen in EU-Ländern erhalten sollten und auch Verwandte in aufsteigender Linie wie Onkel, Tanten und Großeltern. Dies wäre eine Erleichterung gegenüber den sonst sehr restriktiven Einwanderungsbestimmungen in die EU gewesen. Die entsprechende Vorlage wurde über zweieinhalb Jahre von den Vertretern der deutschen rot-grünen Regierung blockiert, die bei jeder Abstimmung ihr Veto einlegten.

In der neuen Vorlage vom 2. Mai dieses Jahres heißt es jetzt zwar nach wie vor, dass die minderjährigen Kinder ein Nachzugsrecht haben, aber mit folgender Einschränkung: "...abweichend davon kann ein Mitgliedsstaat bei einem Kind über zwölf Jahren prüfen, ob es ein zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates vorgesehenes Integrationskriterium erfüllt".

Das bedeutet, dass die im deutschen Zuwanderungsgesetz vorgesehene Einzelfallprüfung für Kinder über zwölf Jahren von der EU-Kommission abgesegnet wird und damit auch als Vorlage für ein entsprechend schärferes Vorgehen in anderen Mitgliedsstaaten gelten kann. Diese Richtlinie kann EU-weit in Kraft treten, sobald das deutsche Zuwanderungsgesetz, über das es Ende März zu einem Eklat im Bundesrat kam, vom deutschen Bundespräsidenten Rau (SPD) unterschrieben wird und Anfang nächsten Jahres in Kraft treten kann.

Außer der absehbaren Senkung des Nachzugsalters von Kindern sieht die neue Vorlage der EU-Kommission auch kein Nachzugsrecht für Verwandte in aufsteigender Linie mehr vor. Das Recht auf Nachzug von Verwandten wurde auf Verwandte ersten Grades (Eltern, Kinder) reduziert, und für die Mitgliedsländer der EU ist auch dieses Recht nur eine Kann-Vorschrift. Es kann also durch nationale Regelungen eingeschränkt oder verweigert werden.

Ebenfalls der Willkür der nationalen Regierungen bleibt es überlassen, ob nichteheliche Lebenspartner und ihre Kinder nachziehen dürfen. Die ursprüngliche Vorlage von Vitorino hatte auch dafür einen Rechtsanspruch vorgesehen, wenn in dem betreffenden Mitgliedsstaat "unverheiratete Paare mit verheirateten Paaren gleichgestellt sind".

EU plant Grenzpolizei

Ende Mai trafen sich auch die EU-Innenminister zu einer Konferenz in Rom, um die Bildung einer gemeinsamen Grenzpolizei für die EU-Außengrenzen zu diskutieren und vorzubereiten. Der deutsche Innenminister Otto Schily erklärte nach diesem Treffen: "Es gibt eine breite Übereinstimmung darüber, dass die Zusammenarbeit im grenzpolizeilichen Bereich intensiviert werden soll." Er erwarte sich konkrete Beschlüsse bei dem EU-Gipfel in Sevilla am 21. und 22. Juni. Er gehe davon aus, dass in "relativ knapper Zeit" auch eine schnelle Eingreiftruppe für den Einsatz in Krisensituationen geschaffen werden könne.

Otto Schily begründete diese Maßnahmen damit, dass man die "Steuerungs- und Handlungsfähigkeit" zurückgewinnen müsse. "Wir wollen kontrollieren können, wer zu uns kommt", betonte Schily auf einer Pressekonferenz. Man müsse verhindern, dass Personen in die EU gelangten, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Schily äußerte wie Schröder die Befürchtung, dass rechtsextreme Gruppen in der EU Auftrieb erhalten würden, falls man sich nicht um das Problem kümmere.

Dabei verschließen die Vertreter der europäischen Regierungen natürlich die Augen vor der Tatsache, dass das Problem der illegalen Zuwanderung in erster Linie durch die äußerst restriktiven Einwanderungsgesetze in den EU-Ländern hervorgerufen wird und das Asylrecht in den letzten Jahren bis zur Unkenntlichkeit unterhöhlt wurde. Dies hat dazu geführt, dass Tausende von Menschen jedes Jahr beim Versuch, vor Bürgerkrieg und Not nach Europa zu entkommen, ihr Leben riskieren und verlieren. Die einzige Reaktion der EU-Regierungen darauf besteht in noch schärferen Abwehrmaßnahmen. Dabei übertreffen sich die verschieden Regierungsvertreter mit ihren Vorschlägen und Forderungen.

Der britische Premierminister Blair will nach einem Bericht der Zeitung Guardian sogar britische Kriegsschiffe mobilisieren, die im östlichen Mittelmeer "Menschenschmuggler" aufspüren sollen. Außerdem will er darauf dringen, dass künftig britische und EU-Entwicklungshilfe an die Bereitschaft der Empfängerstaaten geknüpft wird, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Namentlich nannte er Somalia, Sri Lanka und die Türkei.

Der Druck, der von der EU auf die Türkei ausgeübt wird, Flüchtlingsschiffe gar nicht erst bis zu einem EU-Land wie Griechenland oder Italien durchzulassen, führte erst vor kurzem dazu, dass die türkische Küstenwache ein Flüchtlingsboot zwanzig Seemeilen vor der Küste Nordzyperns mit Schüssen gestoppt und dabei einen Mann getötet und fünf weitere Personen verletzt hat.

Auch für Schily ist die Frage der Abschiebung von Personen, die sich illegal in der EU aufhalten, ein Hauptproblem. Er behauptete, allein in Deutschland würden sich 500.000 Menschen aufhalten, die "ausreisepflichtig" seien, aber nicht abgeschoben werden könnten. Er begrüßte die Absicht der italienischen Regierung, allen Nicht-EU-Ausländern Fingerabdrücke abzunehmen. Dies sei eine Maßnahme, die er bereits nachdrücklich vorgeschlagen habe.

Wenn man sich die Vorschläge und bereits gängige Praxis der EU-Staaten im Umgang mit Flüchtlingen genauer ansieht, so muss man sagen, dass sie weitgehend den Forderungen der extrem rechten Parteien entsprechen, vor denen sozialdemokratische wie konservative Politiker der EU warnen. Alles deutet darauf hin, dass sich diese Politik noch verschärfen wird, wenn am 1. Juli die dänische Regierung, die gerade eine drastische Verschärfung des Ausländerrechts in Dänemark verabschiedet hat, den Ratsvorsitz in der EU übernimmt.

Siehe auch:
Dänemark: Drastische Verschärfung des Ausländerrechts
(8. Juni 2002)
England: Blair-Regierung reagiert auf französische Präsidentschaftswahlen mit Rechtsruck
( 11. Mai 2002)
Britain: Labour government whips up anti-immigrant sentiment
( 25. Mai 2002)
Ausländerfeinde an der Regierung. Rot-grün verabschiedet ein Gesetz zur Abwehr und Begrenzung von Einwanderern
( 15. März 2002)
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