Trotz Friedensgesten bleibt die Gefahr eines Krieges zwischen Indien und Pakistan hoch

In den vergangenen Tagen haben Indien und Pakistan mehrere kleine Schritte unternommen, um die derzeit extremen militärischen Spannungen ein wenig zu mindern. Die Kriegsgefahr bleibt jedoch hoch, und entlang der Grenze stehen sich weiterhin über eine Million schwer bewaffneter Soldaten gegenüber. Die Friedensgesten waren eine Reaktion auf den direkten Druck Washingtons, der sich auch im Besuch von zwei Spitzenvertretern der amerikanischen Regierung auf dem indischen Subkontinent in der vergangenen Woche niederschlug.

Am Freitag, den 7. Juni informierte der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Richard Armitage die indische Regierung, er habe dem pakistanischen Militärdiktator General Pervez Musharraf das Versprechen abgenommen, dass dieser "dauerhaft und ab sofort" den "grenzüberschreitenden Terrorismus" verhindern würde. Im Gegenzug drängte Musharraf vermittels Armitage darauf, dass Indien seinerseits Schritte unternehmen sollte, um die militärische Konfrontation zurückzuschrauben.

In einem Telefongespräch mit dem amerikanischen Außenminister Colin Powell erklärte sein indischer Kollege Jaswant Singh, dass Musharrafs Stellungnahme "ein Schritt nach vorn in die richtige Richtung" sei und dass Indien angemessen und positiv reagieren werde. Indische Regierungsvertreter gaben auch zum ersten Mal bekannt, dass ihre Geheimdienstberichte eine abnehmenden Zahl an Kämpfern feststellen, die die Demarkationslinie zwischen dem pakistanischen und dem indisch kontrollierten Teil Kaschmirs überschreiten.

Neu Delhi hat wiederholt behauptet, dass Islamabad hinter den "Terroranschlägen" bewaffneter islamischer Gruppen stehe, die sich der indischen Kontrolle über den umkämpften Staat Jammu und Kaschmir widersetzen. Die derzeitige militärische Eskalation folgte einem Angriff auf das indische Parlamentsgebäude am 13. Dezember vergangenen Jahres. Nach einem weiteren Angriff auf eine indische Armeebasis in Jammu und Kaschmir am 14. Mai drohte die indische Regierung unter Premierminister Atal Behari Vajpayee mit einem Militärschlag gegen Ziele im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs - ein Schritt, der die Gefahr beinhaltet, einen uneingeschränkten Krieg zwischen den beiden Ländern auszulösen.

Am Sonntag, den 9. Juni kündigte Indien an, das Flugverbot für pakistanische Flugzeuge im indischen Luftraum aufzuheben, das nach dem Anschlag vom 13. Dezember verhängt worden war. Der Flug-, Bus- und Eisenbahnverkehr zwischen beiden Ländern wird allerdings nicht wiederaufgenommen. Die indische Marine hat ebenfalls ihre Kriegsschiffe aus der Nähe der pakistanischen Gewässer nach Bombay und in andere Basen an der Westküste zurückgezogen. Aber es wurde noch nicht entschieden, ob die fünf Kriegsschiffe zurückgeschickt werden, die von Basen an der Ostküste herangezogen worden waren.

Die indische Regierung kündigte weiterhin am 10. Juni die Entsendung eines neuen Botschafter nach Pakistan an. Sein Vorgänger war im vergangenen Dezember zurückbeordert worden, und nach den Angriffen im Mai in Jammu und Kaschmir hatte Indien den pakistanischen Botschafter in Neu Delhi des Landes verwiesen.

Alle diese Maßnahme sind jedoch größtenteils kosmetischer Natur. Als der Rückzug der indischen Kriegsschiffe angekündigt wurde, gab ein Marinekommandeur bekannt, dass die Armee und Luftwaffe des Landes weiterhin "in höchster Bereitschaft" bleiben würden. Der pakistanische Brigadegeneral Istikhar Ali Khan sagte in dieser Woche gegenüber der New York Times : "Bislang gibt es noch keine Veränderung an der Demarkationslinie. Die Lage ist so unbeständig, wie sie vor zwei oder drei Wochen war. Sie bleibt höchst explosiv und gefährlich."

Neu Delhi und Islamabad stehen beide unter dem Druck religiöser Hardliner, ihre aggressive militärische Haltung zu wahren. In Vajpayees hinduistisch-chauvinistischer Bharatiya Janatha Partei (BJP) hat Innenminister L. K. Advani nach Angabe der Times of India jeden "kühnen Schritt" in Richtung einer diplomatischen Lösung ausgeschlossen, so auch ein Gipfeltreffen der Staatschefs. Ein hochrangiger Mitarbeiter im Innenministerium sagte, Advani "glaubt, dass Pakistan die Infiltration beenden, die Lager niederreißen und der Gewalt in Kaschmir ein Ende setzen muss, bevor Indien ihnen entgegenkommt".

Musharraf steht ebenfalls unter beachtlichem Druck vonseiten islamischer Extremisten und Teilen des Militärs, die jedes Zugeständnis an Indien als Verrat ansehen. Im letzten Jahrzehnt hat Pakistan die Taten der antiindischen Milizen politisch unterstützt und sie als "Freiheitskämpfer" dargestellt, die die Befreiung der muslimischen Bevölkerungsmehrheit in Kaschmir von der indischen Kontrolle erreichen wollen. Am Montag trafen drei pensionierte Generäle mit Dutzenden islamischen Führern und Geistlichen in Islamabad zusammen, um Musharrafs Haltung zu Kaschmir zu verurteilen.

Hafiz Abdul Rahman Makki, ein hochrangiger Vertreter der verbotenen Gruppe Lashkar-e-Taiba, griff den pakistanischen Führer an und erklärte: "Dies ist eine sehr kritische Zeit. Es ist unsere religiöse Pflicht, der Bevölkerung von Kaschmir zu helfen. Die Regierung hat eine Kehrtwende vollzogen und in der Kaschmir-Politik einen Schritt zurück gemacht. [...] Wir sollten uns diesen Schritten widersetzen." Bezeichnenderweise war General Hamid Gul, der ehemalige Leiter des einflussreichen pakistanischen Geheimdienstes Interservice Intelligence (ISI), ebenfalls anwesend. Er sagte: "Wenn der Westen den Dschihad zerschlagen will, dann sollten sie lediglich der Bevölkerung von Kaschmir das Selbstbestimmungsrecht gewähren und ihn beenden."

Pläne für eine amerikanisch-britische Truppe in Kaschmir

Auch wenn die Bush-Regierung betont, dass sie die militärische Konfrontation zwischen Indien und Pakistan beenden will, hat sie doch wesentlich dazu beigetragen, diese Spannungen erst aufzubauen. Die Vajpayee-Regierung machte sich die amerikanische Intervention in Afghanistan zunutze, um zu fordern, dass Pakistan als "Land, das Terroristen unterstützt" gebrandmarkt und Kaschmir in Bushs "globalen Krieg gegen den Terrorismus" miteinbezogen werden sollte. Washington hat sicherlich Bedenken, dass ein Krieg seinen eigenen Plänen in der Region zuwider laufen könnte, nutzt aber gleichzeitig die Situation zur Förderung der eigenen Interessen.

Der bedeutsamste Schritt ist ein Vorschlag, amerikanische und britische Soldaten nach Kaschmir zu entsenden, die dort unter dem Deckmantel der "friedenserhaltenden Maßnahmen" gemeinsame Patrouillen mit indischen und pakistanischen Soldaten durchführen und die Aktivitäten entlang der Demarkationslinie überwachen sollen. Die britische Zeitung Independent berichtete in der vergangenen Woche, dass der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld den indischen und pakistanischen Führern bei Gesprächen "eine gemeinsame amerikanisch-britische militärische Überwachungstruppe" von etwa 500 Mann vorschlagen werde.

Rumsfeld äußerte sich absichtlich unbestimmt über die Diskussionen mit Vajpayee und hohen indischen Ministern wie dem Verteidigungsminister George Fernandes, Außenminister Singh, Innenminister Advani und Sicherheitschef Brajesh Mishra. Aber auf Nachfrage räumte er ein: "Ja, das Thema [der gemeinsamen Patrouillen] ist aufgekommen. Wir sind zu keinem Schluss gekommen. Es ist ein Thema, das diskutiert und durchdacht werden muss."

Amerikanische Vertreter schlagen vor, die Aktivitäten an der Demarkationslinie nicht nur durch Soldaten, sondern durch den Einsatz von Hi-Tech-Elektronik und anderem Überwachungsgerät zu kontrollieren. Rumsfeld deutete an, dass Treffen von Experten aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Indien und Pakistan erörtert wurden, um die Protokolle für die Installation und den Einsatz von Sensoren in Grenzgebieten auszuarbeiten.

Ein Kommentar in der Washington Post vom 11. Juni lässt das Ausmaß dessen erahnen, was im politischen und militärischen Establishment der Vereinigten Staaten derzeit diskutiert wird: "Um zu zeigen, dass sie es mit der Stabilisierung der Demarkationslinie ernst meinen, sollten die Vereinigten Staaten Indien mit dem modernsten Überwachungsgerät am Boden und in der Luft ausstatten, damit Neu Delhi Infiltration bemerken und verhindern kann. [...] Um eine entscheidende Wirkung zu erzielen, muss die Überwachungshilfe der Vereinigten Staaten auch hochentwickelte Radar-Scanner für Flugzeuge und Nachtsicht-Videokameras einschließen."

In dem Artikel wurde noch ein weiterer Schritt vorgeschlagen: "Wenn die amerikanische Hilfe für Indien bei der Überwachung die von Pakistan unterstützte Infiltration nicht verhindern kann, könnten die Vereinigten Staaten ihre Hilfe ausdehnen, indem sie Neu Delhi Flugzeuge vom Typ Predator und die Ergebnisse der amerikanischen Satellitenüberwachung hinsichtlich der Demarkationslinie zur Verfügung stellen." Es muss angemerkt werden, dass das unbemannte und ferngesteuerte Flugzeug vom Typ Predator, das auch in Afghanistan eingesetzt wurde, nicht nur der passiven Überwachung dient. Ausgestattet mit Panzerabwehrraketen kann es für Angriffe und gezielte Schläge eingesetzt werden.

Früher hatte sich Indien jeder internationalen Intervention in Kaschmir widersetzt und darauf bestanden, dass es sich um eine interne Angelegenheit handele. Aber die derzeitigen Vorschläge der Vereinigten Staaten werden von Neu Delhi stillschweigend willkommen geheißen. Weder Vajpayee noch irgendeiner seiner hohen Minister hat sich gegen den Plan gestellt. Ein Leitartikel in der Times of India vom 12. Juni wies darauf hin, dass indische Verteidigungsexperten in zunehmendem Maße über eine "amerikanische Intervention in Kaschmir" sprechen und den Plänen zustimmen: "Indien kann hiervon nur profitieren."

Als Rumsfeld am Mittwoch nach Pakistan aufbrach, gab es einige Anzeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten Pläne für eine weitaus größere Intervention in Kaschmir hegen könnten. Der amerikanische Verteidigungsminister wiederholte Behauptungen anderer US-Vertreter, dass aus Afghanistan vertriebene Al-Qaida-Kämpfer nach Kaschmir gegangen seien. "Ich habe Hinweise darauf gesehen, dass Al Quaida in der Nähe der Demarkationslinie operiert", sagte Rumsfeld, um dann zuzugeben: "Ich habe keine harten Beweise in Bezug auf die Fragen Wer, Wie viele und Wo."

Rumsfelds unbelegten Behauptungen könnten den Vorwand liefern, um den Zugang amerikanischer Soldaten, die bereits in Westpakistan operieren, zum Osten des Landes und den pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs zu fordern. Indien hat das amerikanische Militär bereits aufgefordert sicherzustellen, dass "Ausbildungslager für Terroristen" in Pakistan geschlossen werden. Die Far Eastern Economic Review zitierte kürzlich den stellvertretenden amerikanischen Stabschef General John Keane, der bekannt gab, dass die Vereinigten Staaten die Al Qaida in Pakistan verfolgen würden.

Die Vereinigten Staaten schlagen vor, im Namen der "Friedenserhaltung" Soldaten und modernes Überwachungsgerät in Kaschmir einzusetzen. Die Errichtung einer militärischen Basis in einer Schlüsselregion des indischen Subkontinents eröffnet Washington allerdings breite Möglichkeiten für elektronische Spionage gegen das benachbarte China und für eine Verkopplung mit den amerikanischen Basen, die in jüngster Zeit in den benachbarten zentralasiatischen Ländern eingerichtet wurden.

Ein Artikel in der New York Times vom 10. Juni merkte an, dass das amerikanische Eingreifen auf dem indischen Subkontinent, insbesondere die sich entwickelnde militärische Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und Indien, Teil einer weitaus umfassenderen Strategie ist. Die Zeitung betonte besonders, dass in Washington über die Frage diskutiert wurde, ob Indien ein mögliches Gegengewicht zu China bilden kann.

"Einige hochrangige Vertreter sahen eine enge militärische Beziehung Amerikas mit Indien, einer sich entwickelnden, demokratischen Nation mit einer Milliarde Menschen und einem Millionen starken Heer, als einen Faktor, der den Aufstieg eines autokratischen Chinas unterbrechen könnte, wenn nicht sofort, dann in ein oder zwei Jahrzehnten, wenn Indien reicher und mächtiger geworden ist", erklärte die New York Times.

Die Stationierung von US-Soldaten und amerikanischem Überwachungsgerät im höchst empfindlichen Kaschmir würde der Region mit Sicherheit keinen langfristigen Frieden bringen, sondern vielmehr den Boden für einen größeren und verheerenderen Konflikt bereiten, in den neben Indien und Pakistan auch China und andere Großmächte in der Region hineingezogen werden könnten.

Siehe auch:
Eine sozialistische Strategie gegen Krieg auf dem indischen Subkontinent
(6. Juni 2002)
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