Opportunismus als Prinzip

Der Fernsehvierteiler "Liebesau - die andere Heimat"

Das Zweite Deutsche Fernsehen zeigte im April den Filmzyklus "Liebesau - die andere Heimat", vier Spielfilme über ein Dorf in der DDR. Die tragenden Rollen übernahmen ehemalige prominente DDR-Schauspieler. Regie führte Wolfgang Panzer. Das Drehbuch verfasste der westdeutsche Autor Peter Steinbach, der schon an mehreren Filmen beteiligt war, die sich mit deutscher Vergangenheit beschäftigen. Am bekanntesten sind "Deutschland im Herbst", eine Gemeinschaftsarbeit von elf deutschen Regisseuren (1978), "Heimat" (1984, Regie: Edgar Reitz) "Herbstmilch" (1988, Regie: Joseph Vilsmaier), "Klemperer - ein Leben in Deutschland" (1999, Regie: Kai Wessel). Der Film "Goebbels und Geduldig" (2001, Regie: Kai Wessel) wurde auf dem New Yorker Filmfestival ausgezeichnet und soll im November seine deutsche Fernsehpremiere erleben.

Der in der ehemaligen DDR geborene Steinbach verbrachte seine Kindheit auf dem Lande und ließ, nachdem er 1954 die DDR verlassen hatte, den Kontakt zu dem Dorf, "an das ich im Laufe meines Lebens sehnsuchtsvoll dachte", nie abbrechen. In einem Interview mit dem ZDF erzählt er, wie bundesdeutsche Kollegen, die in den DDR-Bürgern bestenfalls Exoten gesehen hätten, ihn früher wegen seiner Herkunft hänselten. Steinbach trat offen für den Sozialismus ein und erhielt wegen seiner Mitgliedschaft in der SED-nahen stalinistischen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) sieben Jahre Berufsverbot.

Nach wie vor hält Steinbach den Sozialismus für "erstrebenswert" und erklärt, "die", womit er offensichtlich die Führungsspitze der damaligen SED meint, "haben uns das kaputtgemacht mit ihrer Art und Weise zu administrieren". Die vier entstandenen Filme wollen zeigen, dass die Menschen, die in der DDR leben wollten, nicht nur aus Bürokraten, Stasi-Spitzeln oder einer willenlosen grauen Mitläufermasse bestanden, denen man eine Gehirnwäsche verabreicht hatte. Durch den Blick "von unten" soll das Gefühl vermittelt werden, "dass es außerhalb dieser über uns hinweg handelnden Politik noch Volk gab".

Der rote Faden, der die Filme miteinander verbindet, ist die Liebesgeschichte zwischen den beiden Bauernkindern Greti Fechner und Karli Schönfeld. Jeder Film ist um ein bestimmtes politisches Ereignis herum angesiedelt. Teil eins reflektiert die Auswirkungen des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 auf das Dorf vor dem Hintergrund der Zwangskollektivierungen. Greti flüchtet mit ihrem Vater, dem Großbauern Fechner in die BRD, weil dieser sich nicht zwingen lassen will, in die neu gegründete Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) einzutreten. Teil zwei beginnt am 12. August 1961, einen Tag vor der Schließung der bisher offenen Grenze zur BRD. Greti ist nach dem Tod ihres Vaters zum ersten Mal wieder in Liebesau. In Teil drei gerät Greti, die das Dorf abermals besucht, zwischen die Feierlichkeiten des 30. Jahrestages der DDR und das Begräbnis des gerade an diesem Tage verstorbenen LPG-Vorsitzenden, Karlis Vater. Teil vier schließlich schildert die Situation im Dorf während der Wende. Greti besucht ihr Heimatdorf nach dem Fall der Mauer zusammen mit ihrer erwachsenen Tochter.

Steinbachs rückwärtige Sicht auf die DDR ist von sichtlicher Enttäuschung geprägt. Wenn Mitglieder stalinistischer Organisationen wie der DKP nicht gerade völlig unkritisch jeden pragmatischen politischen Schwenk der DDR-Führung begeistert begrüßten, so standen die kritischeren unter ihnen doch immer der stalinistischen Bürokratie nahe und glaubten an die Möglichkeit ihrer Reformierung. Steinbach differenziert auch heute, man hätte, "wenn man genau hinhörte und genau hinschaute, schon die einen von den anderen unterscheiden" können. "Ich habe Menschen kennen gelernt, die Kommunisten und in der SED waren, die auf mich einen durchaus anständigen Eindruck gemacht haben."

Einer der "unanständigen" Kommunisten taucht in den Filmen in Form des professionellen Stasimanns mit direktem Draht zum Chef der Staatssicherheit Erich Mielke auf, ein widerlicher Charakter, der das wirkliche Verhältnis der Bürokratie des sogenannten Arbeiter- und Bauernstaates zur einfachen Bevölkerung wiedergibt: Aus Elitebewusstsein und dementsprechend herrischem Auftreten speist sich instinktives Misstrauen gegenüber der Bevölkerung und das Bedürfnis nach Kontrolle. Die Feindlichkeit gegenüber selbständigem Denken und das völlige Unverständnis gegenüber jeglicher Form von Demokratie ist eine natürlich Folge davon. Beim Hubschrauberflug über dem Dorf präsentiert der Offizier dem alten sowjetischen General "fleißiges Volk" und erläutert: "Wir haben sie gehegt und gepflegt."

Die zweite Figur ist Mitglied des Zentralkomitees der SED und soll anlässlich des 30. Jahrestages der DDR in Liebesau eine Rede halten. Der hohe Parteifunktionär ist ein schwacher korrupter Typ, der seine Frau mit einer jungen Moderatorin vom Kinderfernsehen betrügt. Ausgerechnet dieser prinzipienlose Mensch gilt als der neue Hoffnungsträger der Partei, der es auch billigt, dass die Stasi seine Freundin überwacht. Als die Stasi ausspioniert, dass diese von ihm schwanger ist, wird auf den SED-Funktionär Druck ausgeübt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und die Moderatorin zu heiraten, um sein neues Amt "sauber" zu übernehmen.

Warum die "Anständigen", von denen Steinbach spricht, die, die einen "besseren Sozialismus" wollten, solche Apparatschiks über sich duldeten, ist eine Frage, welche die Filme ausklammern. Die einzigen kleinen Hinweise verleiten den Zuschauer zu der falschen Annahme, die Stasi hätte als autonome Macht im Staat existiert, der sich auch die SED fügen musste. Mehrmals wird die Abhängigkeit der DDR von der UdSSR betont. Die Alternative einer "Demokratisierung" durch einen von der Sowjetunion unabhängigen "deutschen Weg" wurde in den 50er Jahren von führenden Kritikern der SED wie Wolfgang Harich vertreten. Allerdings stellte sie, wie der jugoslawische und chinesische Weg nur eine andere Variante des rückwärtsgewandten stalinschen Nationalismus dar.

Den beiden hohen Repräsentanten der stalinistischen Bürokratie wird in den Filmen eine sympathische Welt der kleinen Leute gegenübergestellt, die sich gegenüber den ständig wechselnden, widersprüchlichen politischen Parolen im wesentlichen passiv bis gleichgültig verhalten und versuchen, sich einen eigenen Mikrokosmos zu schaffen, um nach unpolitischen, humanen Werten zu leben, wie man es offenbar auch schon zur Nazizeit praktizierte. "Wenn das private Glück da ist, ist die Politik egal", pflegt Vater Schönfeld zu sagen. Als er nach langer Trennung mit Karlis Mutter wieder zusammenzieht, betrachtet er das als ironische Antwort auf die zu dieser Zeit von Ost- und Westmedien gleichermaßen propagierte unmittelbare Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Karlis einziger Kommentar zur Massenflucht aus der DDR ist: "Die Vernünftigen bleiben in der Heimat, die lassen sich was einfallen." Als Opa Schönfeld stirbt, ist er voll warmer Erinnerung an den "wunderbaren Menschen", der ihm erklärte, wie das mit dem Kinderkriegen funktioniert und der ihm das Rauchen beigebracht hat. An Tante Huldas praktischem Hausfrauenverstand und ihrem Bedürfnis, alle zu bemuttern, scheint jeder Versuch politischer Instrumentalisierung von vornherein abzuprallen.

Dass die geistig-konservative Gebundenheit an die "Scholle" eine Art bodenständig gewachsenen, "natürlichen" Oppositionsgeist gegenüber der herrschenden Politik der SED hervorbringen könnte, wie es die Filme dem Zuschauer nahe legen, ist ein Trugschluss. Das Gegenteil ist der Fall. Die Neigung, die Welt nur aus dem Blickwinkel der Vorteile für den eigenen Hof, des eigenen Dorfes oder der Region zu betrachten, verhindert gerade den Zugang zu progressiven Ideen, die der SED hätten gefährlich werden können. Die Partei selbst betrachtete die Welt vom Standpunkt ihres nationalen "Hofes" und schmückte ihren wirtschaftlichen Pragmatismus lediglich mit internationalistisch klingenden Phrasen. Gegenüber der Jugend betonte sie, dass ein Revolutionär der Gegenwart sich für den Frieden auf der Welt einsetze, indem er die DDR stärkt und seine Arbeitsaufgaben vorbildlich erfülle.

Die Filmemacher scheuen sich nicht, eine Form der Heimatverbundenheit, die den rückständigen Interessen der SED die noch rückständigeren "Dorfinteressen" gegenüberstellt, in die Waagschale zu werfen, um damit die Tatsache zu leugnen, dass ein großer Teil der Bevölkerung in der DDR leben wollte, weil er sie als verbesserungswürdige Alternative zum Kapitalismus akzeptierte und sich von ihrem scheinbaren Internationalismus angezogen fühlte. Die Antwort auf die Frage nach einer Alternative zum Stalinismus und der Existenzberechtigung der DDR kann deshalb nur vom Standpunkt einer wissenschaftlich ausgearbeiteten, internationalen sozialistischen Perspektive erfolgen. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich den großen Teil derer, die sich in der DDR engagierten, gegen die, die ihnen gerade dieses Engagement heute vorwerfen, zu verteidigen, ohne sie damit gleichzeitig in die Nähe von SED und Stasi zu rücken. Die Sichtweise aus der Froschperspektive, die aus den Filmen spricht, läuft jedoch objektiv darauf hinaus, das Mitläufertum einer besonderen sozialen Schicht innerhalb der DDR zu rechtfertigen.

Wenn Steinbach vom "Volk" und von "uns" redet, meint er diejenigen, die sich, wenn auch nur wenig, heraushoben aus der Masse der einfachen Bevölkerung, Menschen, die auf unterer Ebene öffentliche Ämter bekleideten und damit zur gesellschaftlichen Schnittstelle wurden. Bei den Recherchen zu dem Projekt half Steinbach ein alter Schulkamerad aus DDR-Zeiten, der selbst eine zeitlang Bürgermeister und LPG-Vorsitzender war. Man kann davon ausgehen, dass vieles von dessen Erfahrungen in die Filme eingeflossen ist. Die Filme betonen, dass es nicht herzlose Bürokraten waren, die in diesen Funktionen saßen, Leute, die ihre Aufgabe darin sahen, ohne Rücksicht den jeweiligen Parteikurs durchzupeitschen und die Bevölkerung zu drangsalieren. Es stimmt, dass viele im Gegenteil ihre Rolle darin sahen, der Partei Zugeständnisse abzutrotzen. Der Zuschauer bekommt einen Eindruck, zu welchen widersinnigen Verrenkungen man dafür fähig sein musste. Die Filme betonen, dass man recht schnell und manchmal mehr zufällig in solch eine Funktion geraten konnte, um die einen in der Regel keiner beneidete und die den frühen Tod von Karlis Vater zur Folge hat.

Die Tatsache ist, dass gerade diejenigen, die an der Basis der DDR hohen Einsatz zeigten und dabei oft in einem ständigen zermürbenden Kleinkrieg mit der Bürokratie standen, unverzichtbar für den Erhalt der Bürokratie waren. Auf Grund ihrer zwar ehrlichen, aber politisch-naiven Empörung, die sich auf kein politisches Gegenprogramm stützte, waren sie die beste Kontaktstelle, der geeignetste Puffer zwischen Regierung und Bevölkerung, durch den die Verbindung gehalten, jeder ernsthafte Konflikt abgefangen und in die Form des "Dialogs" umgegossen werden konnte. Ob sie nun Parteimitglied waren oder nicht, ob sie als Motiv einen "besseren Sozialismus" im Auge hatten oder lediglich für bessere Arbeitsbedingungen in der LPG, im Betrieb, im Theater, in der Schule oder als freier Künstler eintraten, tut hierbei nichts zur Sache. Ihr Bemühen, von der SED als Partner akzeptiert zu werden, war von ausschlaggebender Bedeutung für die innere Stabilität der DDR-Diktatur.

Die Filme spielen diese Tatsache herunter und messen den Ereignissen, die die große Kluft zwischen SED und Bevölkerung an die Oberfläche brachten, keine grundlegende Bedeutung bei. Im dritten Teil wird sogar die 1953 aus Furcht vor weiteren Aufständen von den SED-Bürokratie ins Leben gerufenen örtliche "Kampfgruppe" von Liebesau als potentielle Opposition vorgeführt. Gleichzeitig wird im Laufe der vier Filme deutlich, dass es offenbar für die Filmemacher gesellschaftliche Situationen gibt, in denen, im Widerspruch zu Steinbachs anfänglicher Behauptung, ein "Administrieren" gegenüber der einfachen Bevölkerung durchaus angebracht erscheint. Das betrifft gerade die Ereignisse vom 17. Juni 1953 und der Wende 1989.

Die beiden Landarbeiter, die das demokratische Recht nach freien Wahlen fordern und sich plötzlich einem sowjetischen Panzer gegenüber sehen, erscheinen als die "Dorftrottel", denen jemand einen "Floh ins Ohr" gesetzt haben muss. Das war schon 1953 die Auffassung der SED, die einen vom Westen angezettelten faschistischen Putsch vermutete. Allein Fechner, der durch die Steuerpolitik der SED unmittelbar in seiner Existenz als selbständiger Bauer bedroht ist, ruft dazu auf, sich dem Streik der Arbeiter der Zündholzfabrik anzuschließen. Später wird er betrunken in eine Schulklasse stürzen, "Es lebe Adenauer!" brüllen und versuchen, die Flagge von Westberlin auf dem Kirchturm zu hissen.

Repräsentanten der Vernunft sind dagegen Karli, der Bürgermeister und der zweite Kreissekretär der SED, die eine Eskalation verhindern. Letzterer hatte kurz zuvor noch weinerlich bei einem Glas Wodka erklärt: "Eine Regierung, die sich hinter Sowjetpanzern versteckt, kann ich nicht mehr vertreten", um genau das im nächsten Augenblick zu tun. Die beiden Landarbeiter, die ihn und den Bürgermeister holen wollen, um gemeinsam zu den Menschen auf die Felder zu gehen, fordert er kurzer Hand auf, nach Hause zu gehen. Die Filmemacher tun alles, um die beiden Landarbeiter so unglaubwürdig wie möglich zu machen. Acht Jahre später werden sie die Staatsgrenze bewachen, der eine, um der Langeweile des Dorfalltags zu entfliehen, der andere traut sich nicht, die freiwillige Verpflichtung von der ihn die Partei "überzeugt" hat, zurückzunehmen.

Teil vier des Zyklus zeigt dann, wie die Wende förmlich über das Dorf hereinbricht. Hier kommt noch einmal deutlich zum Vorschein, dass es den Filmen weniger um den Abbau rückständiger Vorurteile gegenüber der einfachen Bevölkerung der DDR geht, als vielmehr darum, die Verdienste der untersten öffentlichen DDR-Repräsentanten für die Aufrechterhaltung des inneren sozialen Frieden heute positiv hervorzuheben.

Während sich damals vom selbstbewussten Ruf "Wir sind das Volk" bis hin zur Forderung nach "Arbeiterräten" offen zeigte, dass die SED-Regierung von der Bevölkerung als Hindernis zu einer Demokratisierung der Gesellschaft betrachtet wurde, legen die Filmemacher ganz andere Schwerpunkte. Ihnen ist es sehr wichtig, die Atmosphäre des ungeordneten Chaos widerzugeben, wie die einfachen Dorfbewohner ihre Arbeit im Stich gelassen haben, um im Westen ihr Begrüßungsgeld abzuholen und sich vom ersten Westhändler, der in Liebesau auftaucht, mit minderwertiger Billigware über den Tisch ziehen lassen - ein blinder aufgescheuchter Mob, wie die laut gackernden Hühner, auf die niemand mehr aufpasst, und die so, plötzlich völlig kopflos geworden ins Freie flattern. Eine als Idiot dargestellte Figur, die von einer Zukunft als selbständiger Unternehmer, sprich einer Wurstbude, träumt, hält ein Transparent mit der Aufschrift "Ich bin der Volker". Offenbar kann das einfache Volk ohne starke, leitende Hand mit seiner Freiheit nichts Sinnvolles anfangen und muss erst "Demokratie lernen". Prompt wird Gretis Tochter, eine Mulattin, von einfachen Bauern angepöbelt. Einen Zusammenhang zwischen SED-Politik und Rassismus in der DDR stellen die Filme nicht her.

Dafür holt der LPG-Vorsitzende Karli beherzt die Fahne einer westdeutschen Lebensversicherung, die wie ein Symbol kolonialer Eroberung vom Kirchturm weht, herunter. Er verspürt nicht den Drang, sofort nach dem Fall der Mauer in den Teil Deutschlands zu fahren, der ihm so lange vorenthalten wurde. Als dem jungen Bürgerrechtler mit der Gitarre, der sich keineswegs als Anhänger des Kapitalismus versteht, von den Medien im Westen das Wort im Mund umgedreht wird, bestätigt das nur Karlis Auffassung von 1953: "Die Vernünftigen bleiben in der Heimat."

Den die gesellschaftlichen Beziehungen in der DDR bestimmenden Opportunismus zeigen die Filme sehr plastisch. Die ehemals privilegierten DDR-Schauspieler haben sich mit Lust und viel Sinn fürs Groteske noch einmal in die typischen Situationen, die jedem ehemaligem DDR-Bürger bekannt sind, zurück versetzt. Karli hat die in der Schule gelernten marxistischen Phrasen "dialektisch" anzuwenden gelernt. Selbst der Vertreter der CDU beherrscht im Gemeinderat diese allseitig einsetzbare flexible Waffe, die im pragmatischen Kampf auf dem Schlachtfeld der Mangelwirtschaft unentbehrlich ist. Jeder Verdacht von Eigennutz und Korruption kann durch neu entdeckte "dialektische Zusammenhänge", mit völlig abstrusen Verweisen auf den Einsatz für "die Sache" vom Tisch gefegt werden. Karlis Vater ist eine ehrliche Haut. Doch wenn er für die LPG Sprit besorgen muss, versucht er selbstverständlich als erstes den Genossen vom Nachbarort, der für die "Sicherung des Weltfriedens" Sprit hortet, mit dem Hinweis auf den sowjetischen Weltraumflug German Titows davon zu überzeugen, etwas davon rauszurücken. Der Weltraum liegt der DDR-Realität näher als jede konkrete öffentliche Diskussion über die Ursachen dessen, was die Führung der SED als die "objektiven Widersprüche im Sozialismus" zu umschreiben pflegte.

Derjenige, der dieses Spiel allerdings am perfektesten und zynischsten betreibt, ist der Stasimann. Wenn sich am Schluss herausstellt, dass das halbe Dorf mit der Stasi zu tun hatte, ist das tragisch, aber keine wirkliche Überraschung. Während der junge Karli noch 1961 vermutet, eine Mauer um die DDR werde zu mehr Demokratie führen, meint die ältere, stalinistisch geschulte Sängerin verächtlich: "Demokratie ist die Vertröstung der Massen auf die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens im Kapitalismus." "Demokrat ist, wer ein Mann der Tat ist", lautet die kernige Definition von Doris, der kurzzeitigen Freundin Karlis, für die Demokratie auch nur eine kleinbürgerliche, ideologische Phrase ist.

Man möchte meinen, dass ein Film, der eine kritische Rückschau auf die DDR hält, jeden Ansatz eines unabhängigen Auftretens für Demokratie aufzugreifen und zu würdigen wüsste. Doch ähnlich wie die Filmkomödie "Sonnenallee" (1999) von Leander Haußmann verherrlichen die Filme gerade die ständige Heuchelei in der DDR und werten sie als die legitime Form des Widerstands auf, darin bestehend, die SED scheinbar mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Auch Greti hat sich schon als Halbwüchsige in Opposition zu den hohlen Parolen ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von Marx aufgehoben: "Jeder Schritt einer wirklichen Bewegung ist mehr wert als ein Dutzend Programme." Es war gerade das Fehlen eines Programms, was manchen scheinradikalen DDR-Oppositionellen im Einflussbereich von SED und Stasi hielt.

Dem opportunistischen Herangehen an die Geschichte der DDR entspricht die Wahl der filmischen Mittel. Das Hauptgestaltungsprinzip besteht in der Erzeugung von Mehrdeutigkeiten, worauf schon der Filmtitel hinweist. Unter dem Vorwand zu differenzieren und zu nuancieren, durchzieht die Filme ein feines Gewebe von Widersprüchlichkeiten, verschwommenen Andeutungen und Halbwahrheiten, denen bewusst nicht nachgegangen wird. Das Leben scheint so kompliziert zu sein, dass jeder Anspruch einer konkreten Analyse von vornherein entrüstet abgewiesen werden muss. Die DDR erscheint als eine Art Panoptikum, mit skurrilen Figuren in widersinnigen Situationen, was der Zuschauer nicht wirklich ernstnehmen kann.

Mehrere Szenen machen das Publikum darauf aufmerksam, dass jeder Mensch Realität anders erlebt und das Erinnerung etwas trügerisch Subjektives ist. Im ersten Teil buddelt der jugendliche Karli drei Leichen in einer Scheune aus, die unmittelbar vor Kriegsende hier verscharrt wurden. Ein SS-Mann, so weiß es Karlis Vater, wurde hier von Amerikanern erschossen. Leider aus Versehen auch die beiden hinter ihm kauernden KZ-Häftlinge, denen er von seiner Brotration zu essen gab und die er gerade freilassen wollte. Später erweist sich: In Wirklichkeit waren es drei SS-Männer, wovon es einem nicht schnell genug gelang, sich die KZ-Kleidung der Häftlinge, die sie gerade umgebracht hatten, vor Eintreffen der Amerikaner anzuziehen. Als der Vater die Wahrheit erfährt, beschließt er, sie nicht an seinen Sohn weiterzugeben. Die Toten "sollen das sein, was sie für ihn sind".

Der alte sowjetische General, der hier während des Krieges den Kampf der roten Armee gegen die Faschisten anführte, will sich hartnäckig nicht daran erinnern, dass er damals nur ein Bataillon befehligt hat. Durch dieses kleine Detail wird der alte Soldat plötzlich als Ganzes in seiner Glaubwürdigkeit relativiert. Sind die beiden deutschen Kinder, für die dieser seit zehn Jahren vergeblich ein Denkmal fordert, weil sie mit weißen Fahnen auf die rote Armee zumarschierten, wirklich durch die SS, die sich im Dorf verschanzt hatte, erschossen worden oder trügt auch hier die Erinnerung?

Auf diese Art und Weise wird der Zuschauer ständig verunsichert und dazu angehalten, skeptisch zu sein. Offenbar ist immer alles anders, als es zunächst erscheint. Nur etwas Zeitloses, Übergeschichtliches scheint in dieser Welt der Täuschung als reale Orientierungsgröße noch in Frage zu kommen. In einer symbolträchtigen Szene sieht man Tante Hulda, die Großmutter Karlis, mit der Frau des alten sowjetischen Kriegsveteranen einträchtig in der Küche Kartoffeln schälen. Letztere wünscht alle Politik zum Teufel und trinkt dann plötzlich einen Schluck auf das Wohl von Stalin. Tante Hulda antwortet mit gütigem Lächeln. Sie versteht kein russisch, die andere kein deutsch. Und doch fühlen sie in diesem Augenblick tiefe innere, seelische Verbundenheit. Was sind schon Worte... Schließlich erweist sich auch die Liebe zwischen Karli und Greti als beständiger denn die Existenz der DDR und kann über alle widrige Politik triumphieren.

Was die vier Filme lächerlich machen, ist jegliches Engagement für Prinzipien, die sich auf gesellschaftliche Ideale, auf das konsequente Eintreten für eine gerechte Gesellschaft stützen. Da sind nicht nur die beiden Landarbeiter, die ein demokratisches Grundrecht einfordern. Die erwähnte Sängerin, die im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner kämpfte, sich als Sozialistin versteht und nun auf dem Abstellgleis von einer Ehrenrente der SED lebt, wirkt mit ihrem rotgefärbten, wallendem Haar wie ein altes, seniles Gespenst. Sie schwärmt von der alten Zeit, als, im Gegensatz zur Gegenwart, die Menschen vom Glauben an eine gute Sache durchdrungen waren. Während ihre Stimme, die den stalinistischen Kämpfer Hans Beimler besingt, durch den nächtlichen Wald hallt, urteilt Karli leicht schaudernd: "Das ganze Leben die rote Fahne der Arbeiterklasse, die muss doch krank sein." Zu guter Letzt vergessen die Filmemacher nicht noch die Leiterin der Konsum-Verkaufsstelle als komische Alte zu zeichnen, die die Spitzenfiguren der DDR, Ulbricht und Pieck, mit religiöser Inbrunst verehrt, wie vorher, man kann es sich leicht denken, Stalin und davor Hitler.

Auch Doris, "die mit dem Russenfimmel", ist eher eine Karikatur. Sie leitet die FDJ-Jugendbrigade der freiwilligen Erntehelfer aus der Zündholzfabrik und wird als betont harte und verkniffene, missgünstige Person dargestellt, die Vorbehalte gegenüber Greti, dem "Westbesuch" hegt, letztlich, wie gezeigt wird, nicht aus politischen Gründen, sondern aus Rivalität. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die staatliche Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend), die sich als "Kampfreserve der Partei" verstand, auf labile, leicht formbare Leute eine Anziehungskraft ausübte, die starre Disziplin für revolutionäre Prinzipienfestigkeit hielten.

Darum geht es den Filmen aber nicht. Eher offenbart sich dem Zuschauer, dass das Beharren auf Prinzipien generell krankhafte Züge aufweist und etwas mit Charakterschwäche zu tun hat. Demnach wären Leute, die in der DDR nicht mit zwei Zungen sprachen, die Lebensuntüchtigen, Schwachen gewesen. Charakterliche Stärke und Realitätssinn hätten dagegen die Flexiblen gezeigt, kurz, der auch die gegenwärtige Politik so stark dominierende Typus des prinzipienlosen Realpolitikers, wie ihn der derzeitige Berliner PDS-Wirtschaftssenator Gregor Gysi, früherer SED-Kader und Oppositionellenanwalt, verkörpert. Es ist nicht recht nachzuvollziehen, welche Art Sozialismus Steinbach heute für "erstrebenswert" hält. Durch die Filme kann man eigentlich nur zu der Auffassung gelangen, dass nach dem Zusammenbruch dessen, was vielen einmal als das "sozialistische Weltsystem" erschien, jeder Gedanke an Ideen, die den Horizont des eigenen Bauchnabels übersteigen, als utopisches Hirngespinst aufgegeben werden muss.

Siehe auch:
Zwei Filme erinnern an die DDR
(4. Dezember 1999)
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