Innenministerkonferenz beschließt verstärkte Ausweisungen und Abschiebungen von Roma und anderen Minderheiten nach Kosovo

Am Donnerstag, den 6. Juni, beschlossen die Innenminister der 16 Bundesländer bei ihrer zweitägigen Konferenz in Bremerhaven, den in Deutschland lebenden Minderheiten aus dem Kosovo kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Stattdessen sollen die schätzungsweise 30.000 Roma, Ashkali und Serben möglichst schnell "freiwillig" nach Kosovo ausreisen oder dorthin abgeschoben werden. Dabei gehen die deutschen Innenminister davon aus, dass die Zwangsrückführungen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden können.

Mit diesem Beschluss setzten sich die Innenminister der Bundesländer und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der an der Konferenz teilnahm, über alle Warnungen von Flüchtlingshilfeorganisationen und Proteste der Betroffenen hinweg und fügen der deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik eine weitere abschreckende Maßnahme mit tragischen Konsequenzen für die betroffenen Menschen hinzu.

Etwa 600 Roma demonstrierten am Mittwoch, den 5. Juni, vor dem Tagungsgebäude der Innenministerkonferenz gegen ihre drohende Abschiebung.

Bereits in den Wochen davor, als sich die Pläne der Innenminister abzeichneten, warnten mehrere Flüchtlingshilfeorganisationen vor Abschiebungen nach Kosovo, Serbien und Montenegro. Pro Asyl, der Flüchtlingsrat NRW und der Arbeitskreis Asyl Nordrhein-Westfalen hielten am 15. Mai in Düsseldorf eine Pressekonferenz ab, auf der sie die Innenminister von Bund und Ländern eindringlich davor warnten, Angehörige von ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo unter verstärkten Ausreisedruck zu setzen oder gar abzuschieben. Sie forderten stattdessen, den Angehörigen dieser Minderheiten - Roma, Ashkali, Serben und anderen, die zum großen Teil schon viele Jahre in Deutschland leben - ein gesichertes Aufenthaltsrecht zu geben.

In einer Presseerklärung äußerten die Organisationen ihre Befürchtung, dass die Innenministerkonferenz am 5.-6. Juni in Bremerhaven den Abschiebeschutz für diese Bevölkerungsgruppen aufheben würde. Genau dies ist jetzt geschehen.

Bereits im März wurde der Entscheidungsstopp für Minderheiten aus dem Kosovo beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aufgehoben. Seitdem gibt es die ersten Berichte, dass Roma der Abschiebeschutz verweigert wird. Wenn sie eine weitere Duldung erhalten, so nur für wenige Wochen, sodass sie mit der ständigen Ungewissheit und Angst vor der Ausweisung leben müssen.

Die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen UNHCR meinte in einer aktuellen Stellungnahme vom April 2002, dass die Sicherheitslage für Angehörige der Roma-Minderheiten im Kosovo "explosiv" ist. Sie können sich dort nach wie vor nicht frei bewegen und nur in militärisch abgesicherten Enklaven aufhalten, die sie aus Angst vor Übergriffen nicht verlassen können.

Rainer Mattern von der Schweizer Flüchtlingshilfe, der im März dieses Jahres im Kosovo war, schilderte auf der Pressekonferenz am 15. Mai in Düsseldorf seine Eindrücke. Danach sei das "Level der Gewalt" gegen ethnische Minderheiten wie Roma, Bosnier und Serben weiterhin "sehr hoch". 37 Angehörige dieser Volksgruppen seien im letzten Jahr gezielt ermordet worden. Nur wenige dieser Verbrechen würden aufgeklärt. An Maßnahmen zu ihrer Verhinderung würde überhaupt nicht gedacht. Über achtzig Prozent der Roma seien arbeitslos.

Auch Amnesty International und Pro Asyl warnten Ende Mai erneut vor Abschiebungen nach Kosovo. Sie schätzen, dass bis zu 60.000 Serben, Roma, Ashkali und moslemische Slawen aus Kosovo in Deutschland leben. Die Hälfte davon hatte bisher Duldungen, die andere Hälfte befindet sich in Asylverfahren. Die Duldungen, die auf Beschluss der Innenministerkonferenz vom November letzten Jahres erteilt wurden, laufen jetzt aus und sollen - bis auf wenige Einzelfälle - nicht verlängert werden.

Der Sprecher von Pro Asyl, Bernd Mesovic, erklärte am 27. Mai in Frankfurt/Main, dass Asylanträge von Minderheiten-Angehörigen vermehrt mit dem Hinweis abgelehnt würden, die Menschen könnten in militärisch geschützten Enklaven in Kosovo "ausreichend sicher" leben. Es sei ihnen "zumutbar, sich unter die Obhut der Kfor-Truppen zu begeben". Mesovic nannte es ein "gefährliches Modell", wenn Einsatzgebiete internationaler Schutztruppen auf diese Weise zu Abschiebezonen umdefiniert würden.

Wolfgang Grenz von Amnesty International wies darauf hin, welche Konsequenzen das Eingeschlossensein in Enklaven für die betroffen Menschen habe. Wegen ihrer Gefährdung hätten die Angehörigen von Minderheiten "keinen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeit und Wiederaufbau von Wohneigentum". Für jeden Besuch beim Arzt oder von Behörden müssten die Menschen auf eine Kfor-Eskorte warten. Im Falle einer ernsthaften Erkrankung könne dies unter Umständen den Tod bedeuten.

Auch der Fluchtweg nach Serbien und Montenegro stehe Roma und anderen Minderheiten nicht wirklich offen. Dort leben noch mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und dem Kosovo. Der bereits erwähnte UNHCR-Bericht stellt dazu fest: "Die Bundesrepublik Jugoslawien hat jedoch keine Aufnahmemöglichkeiten, auch wenn ihre Regierung - unter politischem Druck von deutscher Seite - künftig anderes erklären sollte. Jugoslawien beherbergt über 230.000 Binnenvertriebene. Ein Großteil der Minderheitenangehörigen lebt unter erbärmlichen Umständen, häufig unterhalb eines menschenwürdigen Niveaus."

Weiter heißt es in dem Bericht: "Die soziale Situation der Minderheitenangehörigen in Serbien und Montenegro ist, selbst verglichen mit dem Standard der weitgehend verarmten Allgemeinbevölkerung, desolat. Allein in Belgrad leben Roma in rund 150 Slums, in denen es weder Strom noch Trinkwasser noch eine Abfallentsorgung gibt, keine gesundheitliche Versorgung, keine geregelte Hilfe. Allein die Tatsache, dass die Säuglingssterblichkeit bei den Roma-Babies in den ersten zwei Lebensjahren um 60 Prozent höher liegt als bei der sonstigen Bevölkerung Jugoslawiens, zeigt, wie verheerend die Verhältnisse sich erst für neu ankommende Rückkehrer gestalten würden."

Abschiebungen nach Serbien und Montenegro finden bereits statt

Einige der Roma, die in Bremerhaven protestierten, haben bereits in den Wochen davor an Protesten in Essen gegen die Abschiebung von Roma nach Serbien teilgenommen. Die Süddeutsche Zeitung vom 25./26. Mai berichtete in einer Reportage in ihrem NRW-Teil, dass Hunderte von Roma aus ihren Häusern flüchteten, erst bei Freunden schliefen und am 26. April Zelte vor dem Wohnheim im Essener Norden aufschlugen. Dort protestierten sie bereits über vier Wochen gegen drohende Abschiebungen nach Serbien.

Auslöser für diese Aktion war die Abschiebung von Samsedin Demiri Mitte April in einer Nacht- und Nebelaktion. Er wurde morgens um 6 Uhr von Polizisten aus seinem Bett geholt, ins Polizeipräsidium gebracht und fünf Stunden später in ein Flugzeug nach Belgrad gesetzt. Seine Frau blieb allein zurück. Er soll in Belgrad auf der Straße leben, mittellos und ohne Freunde.

Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, haben sich etwa 500 Familien vor dem Essener Wohnheim zusammengefunden. Mehrmals haben sie ihren Protest gegen Abschiebungen und ihr Anliegen, nach vielen Jahren Aufenthalt in Deutschland bleiben zu können, auch in die Innenstadt getragen. Viele der Kinder und Jugendlichen sind in Deutschland aufgewachsen, sprechen nur deutsch, gehen hier zur Schule oder haben eine Ausbildung begonnen. Eine Abschiebung nach Serbien zerstört jegliche Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive.

Hintergrund für die Abschiebung nach Serbien, die ohne jede Vorankündigung durch das Essener Ausländeramt durchgeführt wurde, ist ein Abschiebeabkommen mit Rest-Jugoslawien, das bereits Ende letzten Jahres über die Rückführung von Roma-Flüchtlingen nach Serbien und Montenegro abgeschlossen worden ist. Nur wegen des schlechten Wetters habe man im Winter auf zwangsweise Rückführungen verzichtet, sagte ein Sprecher des Essener Ausländeramtes.

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