Bushs Beschwichtigungsversuch kann Achterbahnfahrt der Börsenkurse nicht stoppen

Die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Eingriffe zählen zu den größten Misserfolgen in der Geschichte. Seit US-Präsident George W. Bush am 9. Juli an der Wall Street seine Rede über die Notwendigkeit einer besseren Unternehmenskontrolle hielt, ist der Dow Jones um mehr als 1500 Punkte oder 16 Prozent gefallen.

Bush hat seine Wall-Street-Rede seither mit einigen beiläufigen Bemerkungen ergänzt. Vorige Woche sagte er, dass sich Amerika im "Rausch" befunden habe und nun einen "Katzenjammer" erleide. Dass dabei die Renten- und Sparfonds von Millionen einfacher Leute dahingeschmolzen sind, ließ ihn völlig gleichgültig.

In einem weiteren Versuch, den Aktienmarkt wieder zu beleben, behauptete Bush am Montag, dass die Unternehmensgewinne stiegen, die Kurs-Gewinn-Verhältnisse besser würden und diejenigen, die jetzt in den Markt einstiegen, "Werte kaufen" anstatt in eine Blase zu investieren. Darüber hinaus gebe es "reale Grundlagen für ein wirtschaftliches Wachstum".

Es war umsonst. Im Gefolge des Zusammenbruches von WorldCom - mit einer Bilanzsumme von 107 Milliarden Dollar der größte Unternehmensbankrott in der US-Geschichte - eröffnete die New Yorker Börse Anfang dieser Woche mit einem Minus von über 200 Punkten.

Am Dienstag ging es weitere 80 Punkte in den Keller, nachdem eine Untersuchung des Kongresses aufgedeckt hatte, dass die beiden größten Banken Amerikas, Citigroup und JP Morgan, dem pleite gegangenen Enron-Konzern bei der Verschleierung seiner Schulden behilflich gewesen waren. Infolge von Befürchtungen, dass die beiden Banken in andere Geschäfte dieser Art verwickelt sein könnten, fiel der Aktienkurs von Citigroup um 16 und der von JP Morgan um 18 Prozent.

Der allgemeine Kursrückgang in den vergangenen beiden Wochen hat zur Vernichtung von Aktienwerten in Höhe von 1,5 Billionen Dollar geführt. Damit summieren sich die Gesamtverluste seit dem Höhepunkt vom März 2000 auf über 7 Billionen Dollar. Einer Schätzung zufolge wurden in den letzten neun Wochen mehr als 30 Milliarden Dollar aus Aktienfonds abgezogen.

Die Nervosität an den Finanzmärkten ist derart groß, dass Bushs Worte über die Stärke der Wirtschaft und die guten Gewinnaussichten von einigen Kommentatoren mit den rosigen Einschätzungen von US-Präsident Herbert Hoover am Vorabend der Weltwirtschaftskrise von 1929 verglichen werden.

Paul Krugman, Kolumnist im Wirtschaftsteil der New York Times, zufolge würde Bush besser daran tun, mit seinen Lobpreisungen über die fundamentale Stärke der Wirtschaft aufzuhören. Das rieche nach Verzweiflung. Die Aktien seien im Vergleich zu den Gewinnen hoch bewertet, und "vor allem sind die Wirtschaftsdaten im Grunde überhaupt nicht so großartig".

"Die Zweifel an der Unternehmenskontrolle werden nicht geringer, sondern wachsen," schreibt Krugman. "Die Bundesstaaten und Kommunen befinden sich in einer verzweifelten finanziellen Krise. Sogar schon vor dem plötzlichen Absacken der Märkte wiesen die Daten nicht in Richtung Boom, sondern auf einen ‚Aufschwung ohne neue Arbeitsplätze‘, bei dem die Wirtschaft zu langsam wächst, um die Arbeitslosenrate stark, wenn überhaupt zu verringern. Auch der Bericht, der der jüngsten Erklärung von [Zentralbankchef] ... Greenspan zugrunde liegt, sieht keinen signifikanten Rückgang der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr vor und keinen großen Rückgang im kommenden Jahr."

Nachdem die Aktienkurse auf das Niveau von 1997 zurückgefallen sind, wird davon ausgegangen, dass das Ende noch lange nicht erreicht ist. Einem Bericht der Times zufolge liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) amerikanischer Aktien gegenwärtig bei rund 25 und somit bedeutend unter dem Höhepunkt von 2000, als es bei 31 lag. Das ist aber immer noch überdurchschnittlich hoch und weit über dem Tiefpunkt von 12 während der Börsentiefs von 1974 oder 1982. Selbst wenn sich die Gewinne erholen würden, müsste der US-Markt um weitere 30 bis 50 Prozent fallen, um dieses Niveau zu erreichen.

Weil die US-Wirtschaft im ersten Quartal um mehr als 5 Prozent gewachsen ist, wird nun des öfteren behauptet, dass sich auch der Aktienmarkt langsam erholen könnte. Schließlich hat es vor oder während der Erholung von einer Rezession noch nie einen Kurseinbruch gegeben.

Gegner dieser Ansicht weisen allerdings darauf hin, dass das Abrutschen der Märkte eher ein Anzeichen dafür ist, dass das Wachstum im ersten Quartal ein "Trugbild" war und die US-Wirtschaft auf eine "double-dip-Rezession", d. h. zwei kurz aufeinander folgende Rezessionen, zusteuert, die sich schnell zu einer globalen Krise ausdehnen könnte.

Es gibt einige Hinweise, die diese Ansicht unterstützen. Das Abgleiten der europäischen Märkte deutet darauf hin, dass tiefergehende Probleme als das der Unternehmensprüfung in den USA am Wirken sind. Es gibt auch in den Finanzmärkten Warnhinweise. Gold- und Warenpreise sind gemeinsam mit den Aktienkursen gefallen.

Ein anderer Indikator ist der Kursverlust des Australischen Dollars - der international am sechsthäufigsten gehandelten Währung. Er begann zu fallen, nachdem er wochenlang gegenüber der US-Währung an Wert zugelegt hatte. Das wird als Anzeichen für gestiegene Nervosität angesichts der weltweiten Wirtschaftsbedingungen gewertet. Der Australische Dollar wird generell als Wachstumswährung betrachtet, die steigt, wenn die Warenpreise klettern, und fällt, wenn es zu einer Rezession kommt.

Die Aktienmarktblase

Versicherungen, dass die Grundlage der "realen Wirtschaft" trotz der Turbulenzen an den Finanzmärkten gesund sei, werden bei einer Untersuchung des Zusammenhangs von Aktienmarkt und Gesamtwirtschaft sofort bloßgestellt.

Der grundlegendste aller Prozesse der kapitalistischen Wirtschaft ist die Akkumulation von Profit. Daraus resultieren die wichtigsten Probleme. Zahlen über die US-Wirtschaft zeigen, dass die Profitraten nach einer gewissen Erholung zu Beginn der neunziger Jahre seit etwa 1997 fallen. Einer Schätzung zufolge fielen in der Zeit von 1997 bis 2000 die Gewinne im produzierenden Gewerbe um 20 Prozent, während im selben Dreijahreszeitraum "die Profitrate im gesamten Sektor der Nicht-Finanzwirtschaft um 10 Prozent fiel" (Robert Brenner, The Boom and the Bubble, S. 209; unter dem Titel Boom and Bubble. Die USA in der Weltwirtschaft erscheint das Buch noch in diesem Jahr auf Deutsch).

Dennoch dehnte sich die Aktienmarktblase in dieser Periode am stärksten aus und der Boom in den USA erreichte seinen Höhepunkt. Nachhaltiges und "gesundes" Wachstum in der kapitalistischen Wirtschaft basiert dagegen auf steigenden Gewinnen, die zu weiteren Investitionen, verbesserter Produktivität, höheren Löhnen und verbessertem Lebensstandard führen.

Das Wachstum Ende der neunziger Jahre verlief unter anderen Bedingungen. Es gründete sich nicht auf steigende Profite, sondern war nur infolge des historisch beispiellosen Anwachsens der Verschuldung möglich. Die Aktienmärkte spielten dabei eine Schlüsselrolle, weil der Anstieg der Aktienwerte die anwachsende private und Unternehmensverschuldung absicherte und trug, mit der wiederum weitere Investitions- und Konsumausgaben finanziert wurden, die dann ein höheres Wirtschaftswachstum zur Folge hatten.

Andere Zahlen belegen, dass das Privatsektordefizit in den USA, d. h. der Unterschied zwischen Einkommen und Ausgaben von Privathaushalten und Unternehmen, einen elfprozentigen Umschwung verzeichnete. Von einem Überschuss von 5 Prozent des Bruttosozialprodukts Anfang der neunziger Jahre fiel es auf ein beispielloses Minus von über 6 Prozent im Jahre 2000 (vgl. Brenner, S. 176).

Im Herbst 1999 - während des Höhepunktes dieses spekulativen Booms - erklärte Zentralbankchef Alan Greenspan: "Man kann mit Sicherheit sagen, dass wir in diesem Jahrzehnt in den USA Zeugen der historisch überzeugendsten Demonstration der Produktionskapazität freier Menschen in freien Märkten geworden sind."

Doch der "Boom" und der Zusammenbruch, der darauf folgte, sind die "überzeugendste Demonstration" der wachsenden Instabilität des kapitalistischen Weltsystems.

Beginnend mit der Krise des englischen Pfunds und des skandinavischen Bankensystems 1992 folgten in diesem Jahrzehnt: die Krise auf den US-Anleihemärkten 1994, Mexikos Peso- und Bankenkrise 1994-95, der Fall des US-Dollars auf ein Rekordtief 1995 und sein darauffolgender übertriebener Anstieg, die Asienkrise von 1997-98, der Zusammenbruch des Investmentriesen Long Term Capital Management 1998 und die Aktienblase Ende der Neunziger. Das gipfelt nun in einem der größten Kurseinbrüchen an den Börsen.

Hinzu kommt, dass das Pendel ökonomischer Ereignisse immer weiter ausschlägt. In den letzten Monaten ist es bereits zu dem größten finanziellen Zusammenbruch einer souveränen Nation (Argentinien) und den beiden größten Unternehmenszusammenbrüchen in der Geschichte (Enron und WorlCom) gekommen. Der fortgesetzte Kursverfall auf den Finanzmärkten zeigt, dass noch wesentlich größere Erschütterungen bevorstehen.

Siehe auch:
Der drohende Zusammenbruch von WorldCom wirft das politische Establishment in eine Krise
(3. Juli 2002)
Die Weltwirtschaftskrise: 1991 - 2001
( 2. April 2002)
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