Der drohende Zusammenbruch von WorldCom wirft das politische Establishment in eine Krise

Der drohende Zusammenbruch des Telekommunikationsriesen WorldCom stellt das Ausmaß und die Auswirkungen des Enron-Skandals immer mehr in den Schatten. Nach der Bekanntgabe der umfassendsten Bilanzfälschung in der amerikanischen Unternehmensgeschichte steht der landesweit zweitgrößte Anbieter für Fernverbindungen am Rande des größten Bankrotts, den es je gab. Die Entwicklungen um WorldCom werden die Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten weiter verschärfen, die bereits zu Massenentlassungen, zum fortgesetzten Abrutschen der Börse und zum Sinken des Dollarkurses geführt hat. Es zeigt sich, wie sehr die gesamte US-Wirtschaft auf einer verfaulten Grundlage von Betrug und Kriminalität beruht. Das wird enorme politische Konsequenzen haben.

WorldCom gab am 25. Juni bekannt, dass in den letzten zwei Jahren laufende Ausgaben des Unternehmens in Höhe von 3,8 Milliarden Dollar als Kapital- bzw. Investitionsausgaben verbucht worden sind. Auf diese Weise wurden die Gewinne um mehrere Milliarden Dollar künstlich aufgebläht. Die Summen, um die es in diesem Skandal geht, sind schwindelerregend. Die Gewinnkorrekturen, die WorldCom vornehmen muss, um den Bilanzierungs-"Fehler" zu korrigieren, sind die größten eines amerikanischen Unternehmens überhaupt. Sie übertreffen den bisherigen, von Rite Aid Anfang des Monats aufgestellten Rekord bei weitem. Mit einem einzigen Bilanztrick hat das Unternehmen rote Zahlen in mehr als eine Milliarden Dollar goldenen Profit verwandelt.

Nur in einem Wirtschaftssystem, das bis aufs Mark verfault ist, konnte ein solches Manöver mehr als ein Jahr lang für bare Münze genommen werden. Das lässt vermuten, dass solche Tricks weit verbreitet sind; sie bildeten die Grundlage für den so genannten "Wirtschaftsboom" der letzten zehn Jahre.

Eine politische und wirtschaftliche Krise

Die Krise von WorldCom hat das Anlegervertrauen weiter untergraben. Der enorme Niedergang des Aktienmarktes, der jedem dieser neu aufkommenden Skandale auf dem Fuße folgt, hat an der Wall Street und im Weißen Haus große Besorgnis ausgelöst. Um einem Ausverkauf an den Börsen zuvorzukommen, hat Präsident Bush das Treffen der G8 in Kanada am 26. Juni unterbrochen und öffentlich erklärt, dass die Regierung "eine vollständige Untersuchung durchführen und die Verantwortlichen [bei WorldCom] zur Rechenschaft ziehen wird". "Es gibt Zweifel an der Bilanzwahrheit amerikanischer Unternehmen, und ich kann verstehen warum", fügte er hinzu.

Finanzminister Paul O'Neill, erklärte: "Ich denke, dass wir bei Einigen die volle Härte des Gesetzes anwenden müssen. In einigen Fällen müssen wir die Gesetze verschärfen", damit die Regierung an die Vorstände herankomme.

Angesichts immer neuer Betrugsenthüllungen in Unternehmen hat die Regierung Bush versucht, die Krise mit der Beschuldigung einzelner Unternehmen, die sie als schwarze Schafe bezeichnet, einzuschränken. Das Wall Street Journal - nicht gerade bekannt für eine Opposition gegen das Big Business - hat zur strafrechtlichen Verfolgung aufgerufen, und die Börsenaufsichtsbehörde hat gegen WorldCom Zivilklagen wegen Betruges erhoben. Wie die strafrechtliche Verfolgung des Wirtschaftsprüfers Arthur Andersen im Enron-Fall durch die Regierung bereits deutlich gemacht hat, wird jede Untersuchung mehr der Vertuschung als der Aufdeckung des wahren Ausmaßes und des Charakters der Korruption dienen.

Der Betrug bei WorldCom ist eng verbunden mit der allgemeinen Funktionsweise der US- und auch der Weltwirtschaft. Die Verbrechen der Vorstände und einzelnen Unternehmen sind der subjektive Ausdruck eines objektiven Prozesses, der in den Veränderungen der kapitalistischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnte wurzelt. Die Börsenaufsicht beschuldigt WorldCom, weil es sich "fälschlicherweise als profitables Unternehmen darstellt". Dazu war WorldCom aber nur in der Lage, weil es innerhalb einer Wirtschaft agiert, die sich selbst "fälschlicherweise als gesund darstellt", jedoch auf Betrug beruht.

Wie Marx erklärte, wohnt der kapitalistischen Gesellschaft die Tendenz inne, dass die Profitrate, die aus der Arbeiterklasse im Produktionsprozess herausgeholt wird, fällt. Mit fortschreitender Entwicklung der Produktivkräfte wird immer weniger menschliche Arbeit benötigt, um eine immer größer werdende Masse von Kapital in Bewegung zu setzen. Weil der Mehrwert, der aus der Arbeit extrahiert wird, die Quelle des Profits ist, ergibt sich die Tendenz, dass die Profitrate - die Höhe des Profits, die durch die selbe Menge Kapital erzeugt wird - fällt.

Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, bedient sich das Kapital verschiedener Strategien. Zum einen versucht der einzelne Kapitalist seinen Anteil am Gesamtmehrwert zu erhöhen, indem er die Produktivität seiner eigenen Firma steigert: durch gesteigerte Effizienz, mit der Reduzierung der Löhne und Entlassung von Arbeitern oder durch verbesserte Technologien. Da alle Unternehmen in diesem Überlebenskampf in ähnlicher Weise vorgehen müssen, kommt es zu einer allgemeinen Erhöhung der Arbeitsproduktivität. In dem Maße, in dem der Anteil der Arbeit am Produktionsprozess zurückgeht, wird es jedoch immer schwieriger, die Menge des Mehrwertes zu steigern, der aus dem verbliebenen geringeren relativen Arbeitsanteil extrahiert werden muss. Es wird immer schwieriger, dem tendenziellen Fall der Profitrate - mit den Mitteln der Produktivitätssteigerung - entgegenzuwirken.

Diese Widersprüche, die der Funktionsweise des Kapitalismus innewohnen, haben in der Weltwirtschaft als Ganzer extreme Ausmaße erreicht und treten in den USA besonders deutlich zutage. Aus diesem Grund greift die amerikanische herrschende Klasse, um ihre soziale Stellung zu erhalten, zunehmend auf Finanzmanipulation, Spekulation und regelrechten Diebstahl zurück, die an die Stelle wirklicher Produktionstätigkeit treten. Ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses war die Spekulationsblase auf den Aktienmärkten Ende der 90-er Jahre. Das Finanzkapital - Banken, Investmentgesellschaften und andere Großanleger - schufen eine Atmosphäre, in der der Wert der Aktien eines Unternehmens zum einzigen Maßstab seiner Bewertung gemacht wurde.

Die Unternehmen haben ihrerseits immer stärker alle möglichen kriminellen Praktiken zur Anwendung gebracht, um den Aktienwert künstlich hoch zu halten. Aus diesem Grund ist die Frage der Bilanzierung und der Bilanzfälschung ins Zentrum der Diskussion gerückt. Um innere Schwächen zu übertünchen, musste geschönt werden. Über die Buchführung bestimmt sich die innere Gesundheit eines Unternehmens. Die Berichte, die von den Wirtschaftsprüfern kontrolliert werden - die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung usw. -, sollen in konzentrierter Form die Infrastruktur eines Unternehmens zum Ausdruck bringen. Wenn diese Infrastruktur zerfällt, wird es notwendig, die Bücher zu manipulieren, um diese Tatsache zu verschleiern.

Die Spekulationsblase hat zur enormen Bereicherung einer dünnen Schicht der Bevölkerung geführt. Allen voran gehören dazu die Unternehmensvorstände und andere Manager einschließlich des früheren Präsidenten von WorldCom, Bernard Ebbers, der sein Unternehmen für das Einstreichen von Bezügen, Aktienoptionen und persönlichen Krediten in Höhe von Hunderten Millionen Dollar benutzte, bevor er Anfang dieses Jahres von seinem Posten zurücktrat. Es sind aber nicht nur diese Manager. Neben den professionellen Finanzspekulanten existiert eine ganze Schicht der oberen Mittelklasse, in den Medien und in der Intelligenz sowie im gesamten politischen Apparat, die vom Aktienboom profitiert hat.

Mit dem Zusammenbruch dieser Spekulationsblase kommen die Mittel, mit deren Hilfe das Geld in die Taschen der Reichen geleitet wird, mehr und mehr ans Licht. All das wird auch künftig verheerende Auswirkungen auf die Mehrheit der Bevölkerung haben. Die Infrastruktur der Produktion ist untergraben, weshalb in diesem Prozess das Sozialsystem, etwa in den Bereichen Bildung oder Gesundheit, für weitere Plünderungen aufgebrochen wurde. Wenn die Wirtschaft anfängt zu stottern, wird das "Downsizing", d. h. Betriebsschließungen und Massenentlassungen, mit noch viel größerer Geschwindigkeit fortgesetzt werden.

Unter diesen Bedingungen verdienen Bushs zynische Appelle, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, nur Verachtung. Gerade auf diese kriminelle Schicht stützt sich die Bush-Regierung. Der Republikanische Präsident verdankt seine politische Karriere zu keinem geringen Teil finanziellen Zuwendungen von Enron und Kenneth Lay, dem damaligen Enron-Präsidenten. Thomas White, der für Verteidigung zuständige Staatssekretär, ist ein ehemaliges Vorstandsmitglied von Enron, und Vizepräsident Dick Cheney war früher der Präsident des Ölriesen Halliburton, bei dem nun selbst Untersuchungen wegen Unregelmäßigkeiten laufen, die unter Cheneys Führung stattgefunden haben. Finanzstaatssekretär O'Neill forderte vor kurzem, dass alle Verbrecher in Nadelstreifen "am höchsten Ast aufgehängt gehören". Er sollte mit seinen Äußerungen vorsichtig sein. Ernst genommen, könnten seine Worte als Drohung gegen das Leben des Präsidenten und dessen gesamtes Kabinett aufgefasst werden.

Die Demokratische Partei versucht Bush wegen seiner engen Beziehungen zu den Großkonzernen zu beschuldigen und ist dabei doch selbst Bestandteil dieser Verbindungen. Unter keinem anderen als Clinton hatte der Spekulationswahn seinen Höhepunkt erreicht. Und was WorldCom betrifft, erhielten die Demokraten sogar einen größeren Teil der von dem Unternehmen bereitgestellten Wahlkampfgelder als die Republikaner. Wie Stephen Hess vom Brookings Institut anmerkt, "sind zu viele Hände, schmutzig oder nicht, im Spiel, als dass eine Partei die andere ungestraft unternehmerischer Habgier beschuldigen könnte".

Ein Netz unternehmerischer Korruption

Worldcom ist ein besonderer Ausdruck dieses allgemeinen Trends. Wie Tyco war WorldCom ein Unternehmen, das sich weniger auf die Erzeugung von Gütern stützt als vielmehr auf die Übernahme anderer Unternehmen. Unter der Führung seines damaligen Präsidenten Ebbers kaufte WorldCom innerhalb von zwei Jahrzehnten mehr als 70 Unternehmen, zu denen auch MCI gehörte. Damit entwickelte sich WorldCom von einem kleinen Telekommunikationsanbieter zu einem Giganten auf diesem Markt, der nur noch von AT&T übertroffen wird.

Die für jede Unternehmensübernahme nötigen Kredite wurden mit Aktien finanziert, wobei jede Übernahme ein weiteres Ansteigen des Aktienkurses nach sich zog, das wiederum zur Grundlage weiterer Unternehmenskäufe wurde. Der Kurs der WorldCom-Aktie erreichte im Juni 1999 mit über 60 Dollar seinen Höhepunkt, bevor er völlig einbrach und gegenwärtig auf nur noch wenige Cent abstürzte.

Die Einkaufswahn von WorldCom begann Mitte der 90er Jahre, wobei der Erwerb von MCI 1998 für 37 Milliarden Dollar bis dahin die größte Fusion überhaupt war. In den übernommenen Unternehmen wurden dann sofort die Kosten gesenkt und die Arbeiter entlassen, um die kurzfristigen Einnahmen in die Höhe zu treiben, und die Bücher wurden gefälscht, um den Anschein von Profitabilität zu erhalten und den Aktienpreis zu steigern. Das erwerbende Unternehmen brachte überhaupt nichts in das übernommene ein - weder Erfahrung, noch größere Effizienz oder andere Verbesserungen. Im Gegenteil: Es erwarb Unternehmen, um auf Kosten jeglicher langfristiger Verbesserungen der Produktion in parasitärer Weise kurzfristige Erträge aus dessen Betriebsvermögen zu erzielen.

Im Laufe dieses Wahns häufte sich ein Schuldenberg von 30 Milliarden Dollar an. Für überteuerte Übernahmen wurde die Bilanz dabei mit über 50 Milliarden Dollar an so genanntem Goodwill belastet, der die Differenz zwischen dem bezahlten Preis und dem tatsächlichen Wert des übernommenen Unternehmens angibt. Wie Kapitalausgaben wird Goodwill nicht von den Einnahmen abgezogen, sondern in die Bilanz aufgenommen.

Als sich die enormen Überkapazitäten in der Telekommunikationsbranche bemerkbar machten und die Aktienkurse zu fallen begannen, wurde WorldCom seiner Grundlage beraubt. Anfang dieses Jahres wurde es deshalb notwendig, zulasten seiner Einnahmen 15 Milliarden Dollar Goodwill abzuschreiben. Daraufhin kam es zu Untersuchungen wegen Buchungsunregelmäßigkeiten und Insiderhandels, und die WorldCom-Anleihen wurden auf den Status von Ramsch-Anleihen heruntergestuft, bis das Unternehmen schließlich auf seiner verfaulten Grundlage zusammenbrach.

Doch erst nach diesem Zusammenbruch wurde das Ausmaß des Betruges klar. Die Manipulation, die am 25. Juni ans Licht kam - eine der vielen Mittel, mit denen WorldCom seine Erträge aufblähte -, war ziemlich simpel. Seit dem ersten Quartal des vergangenen Jahres wurden reguläre Ausgaben in Milliardenhöhe als Kapital- bzw. Investitionsausgaben verbucht.

Kapitalausgaben sind im Allgemeinen Investitionen in Anlagen und andere langfristige Vermögenswerte. Weil Kapitalausgaben den Erwerb von Vermögen repräsentieren, werden die dafür anfallenden Kosten nicht von den laufenden Unternehmenserträgen abgezogen. In der Bilanz kommt es dann lediglich zu einer Umwandlung der Vermögensformen - z.B. von Bargeld in Maschinen. In den folgenden Jahren werden die Anschaffungskosten der Anlagen schrittweise als Abschreibungen von den Erträgen abgezogen, womit dem allmählichem Wertverlust dieses Vermögenspostens Rechnung getragen werden soll.

Mit der Verbuchung regulärer Ausgaben als Kapitalausgaben konnte WorldCom seine kurzfristigen Einnahmen künstlich aufblähen und seinen Cash-Flow erhöhen. Das Unternehmen deklarierte Güter und Dienstleistungen, die es kaufte und verbrauchte, in Höhe von 3,8 Milliarden Dollar, als ob es sie noch in Form von Anlagekapital besitzen würde. Das ist ungefähr so, als ob jemand sein Auto verkauft und dabei alles Benzin, das er während dessen Nutzung getankt hat, auf den Verkaufswert aufschlägt. Das Auto wird dann plötzlich doppelt so viel wert. Mit dieser Methode läuft ein Unternehmen dann besser als alle Erwartungen!

Dieser glatte Betrug wäre ohne die stillschweigende Zustimmung ganzer Gruppen verschiedener Beteiligter unmöglich gewesen. Es war ein Trick, der einfach aufzudecken gewesen wäre, wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte nachzuschauen. Wofür wurden diese 4 Milliarden Dollar ausgegeben, eine Summe, die selbst für WorldCom gigantisch ist? Was wurde dafür gekauft? Jeder, der sich auch nur im geringsten mit den Geschäften von WorldCom auskennt, hätte ein solch auffälliges Kuckucksei bemerken müssen.

Doch niemand - weder der Wirtschaftsprüfer von WorldCom, Arthur Andersen (der auch die Bücher von Enron geprüft hat), noch der angeblich unabhängige Aufsichtsrat, noch die Börsenaufsicht - haben auch nur die geringste Anstrengung unternommen, sich näher damit zu befassen. Sie profitierten alle in der einen oder anderen Weise von diesem Prozess.

Wie bei jedem dieser Unternehmensskandale werden die Konsequenzen aus dem Zusammenbruch von WorldCom für die Beschäftigten katastrophal sein. Es wurde bereits mit der Entlassung von 17.000 Arbeitern, einem Viertel der Belegschaft, begonnen, während der Zusammenbruch des gesamten Aktienmarktes die dort angelegten Rentenfonds der Arbeiter reduziert. Der gesamte Prozess der Deregulierung, Spekulation und des Betrugs ist verbunden mit der Zerstörung des sozialen Netzes in den USA und einem unverminderten Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse. Der gesamte Reichtum, der durch Korruption und Betrug angehäuft wurde, wurde letztendlich der breiten Mehrheit der Bevölkerung gestohlen.

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