TV-Debatte zwischen Schröder und Stoiber

SPD und Union vertreten weitgehend dieselbe rechte Politik

Erstmals in einer Bundestagswahl trafen am Sonntag Abend die Spitzenkandidaten der beiden größten Parteien zu einer Auseinandersetzung vor laufenden Kameras aufeinander. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) nahmen in den Privatsendern RTL und Sat1 75 Minuten lang abwechselnd zu den vorbereiteten Fragen zweier Moderatoren Stellung.

Das Ereignis war mit großem Medienrummel vorbereitet worden. Die Presse wartete mit sensationellen Schlagzeilen auf. Vom "Duell" und vom "Schaukampf um die Macht" war die Rede. Kaum waren die Kameras abgeschaltet, debattierten auf allen Fernsehkanälen Expertenrunden - Meinungsforscher, Journalisten, PR-Fachleute und abgetakelte Politiker -, wer als Sieger aus der Debatte hervorgegangen sei. Das ZDF betitelte seine Sendung "Die Kampfrichter", als ginge es um die Bewertung eines Boxkampfs und nicht um politische Standpunkte.

Vorbild der Sendung waren Fernsehdebatten, wie sie in den USA regelmäßig zwischen Präsidentschaftskandidaten ausgetragen werden. Sie wurden bis ins letzte Detail nachgeahmt. In Deutschland waren derartige Debatten bisher nicht üblich, da der Bundeskanzler im Unterschied zum amerikanischen Präsident nicht direkt vom Volk gewählt wird. Am 22. September stehen lediglich die Abgeordneten des Bundestags zur Wahl, die dann ihrerseits den Kanzler bestimmen. Dieser ist in der Regel auf die Unterstützung von zwei oder mehr Parteien angewiesen. Dennoch wurden keine andere Parteien zur Fernsehdebatte zugelassen, obwohl die FDP dies durch eine Klage hatte erzwingen wollen.

Die Debatte erfüllte die im Vorfeld geweckten Erwartungen nicht. Die Kandidaten, die maximal dreieinhalb Minuten zu einem bestimmten Thema sprechen durften, spulten ihre einstudierten und mittlerweile wohlbekannten Wahlkampfparolen herunter. Wirkliche Auseinandersetzungen, neue Einblicke und Erkenntnisse gab es kaum. Obwohl 15 Millionen Zuschauer die Sendung verfolgten, deutet wenig darauf hin, dass sie das Wahlergebnis maßgeblich beeinflussen wird.

Auch das weitverbreitete Desinteresse an der Wahl konnte sie nicht durchbrechen, obwohl dies das eigentlich Ziel des sorgfältig inszenierten Spektakels war. Die Sendung hat lediglich bestätigt, was viele Wähler seit langem empfinden: Wie gering die Unterschiede zwischen den beiden Spitzenkandidaten sind.

Inhaltlich unterscheiden sich die Standpunkte Schröders und Stoibers nur in Nuancen. Die SPD ist so weit nach rechts gerückt, dass der CSU-Vorsitzende den Kanzler in manchen Fragen sogar von links angreifen konnte. So kritisierte er die von Schröders Regierung beschlossene steuerliche Freistellung von Veräußerungsgewinnen und die Reform der Körperschaftssteuer, die den großen Konzernen Steuereinsparungen in Milliardenhöhe bescherten. Selbst dort wo die Meinungen heftig aufeinander prallten, handelte es sich um Differenzen innerhalb eines eng umrissenen, beidseitig anerkannten Rahmens.

Auf die Möglichkeit einer Großen Koalition von SPD und Union angesprochen, reagierten zwar beide Politiker ablehnend. Bezeichnenderweise begründeten sie dies aber nicht mit unüberbrückbaren inhaltlichen Differenzen. Schröder betonte sogar, dass mit Ausnahme der PDS alle Parteien im Deutschen Bundestag "prinzipiell zueinander koalitionsfähig" sein müssten. Er wünsche jedoch eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen.

Stoiber begründete seine Ablehnung einer Großen Koalition mit der Gefahr, dass sie zu einem "Anwachsen der radikalen Kräfte in unserem Lande" führen würde: "Ich möchte nicht, dass in Deutschland ein deutscher Pim Fortuyn oder ein radikaler Politiker plötzlich aus Verdruss, weil es keine vernünftige Opposition im Deutschen Bundestag gibt, Zulauf bekommt."

Arbeitslosigkeit

Typisch für den Gleichklang der Standpunkte ist die Haltung gegenüber den Arbeitslosen. Stoiber warf Schröder im Verlauf der Debatte zwar wiederholt vor, dass er die Zahl der Arbeitslosen nicht wie versprochen auf 3,5 Millionen gesenkt habe. Seine Antwort auf das Problem ist aber weitgehend identisch mit derjenigen Schröders: eine weitere Entlastung der Unternehmen von Steuern und Sozialabgaben und die gezielte Förderung von Niedriglohnarbeit.

Schröder verwies auf die Vorschläge der Hartz-Kommission, deren Kern die Aufstellung eines Massenheeres von niedrig bezahlten Arbeitskräften bildet. Arbeitslose sollen direkt vom Arbeitsamt an Firmen verliehen werden und ihre Unterstützung verlieren, falls sie sich weigern. Andere sollen sich als staatlich subventionierte "Ich-AG" selbst an Unternehmen verleihen - z.B. zum Einräumen von Regalen in Supermärkten. Im Endeffekt läuft das nicht auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit hinaus, sondern auf die Ersetzung regulärer Arbeitsverhältnisse durch irreguläre Billigjobs. Die sozialen Errungenschaften, die sich die Arbeiterbewegung in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft hat, würden damit weitgehend zur Makulatur.

Schröder war zynisch genug zu erklären, dass es des Skandals um die gefälschten Vermittlungszahlen des Arbeitsamtes bedurfte, um derart drastische Maßnahmen durchzusetzen. Von Stoiber darauf angesprochen, weshalb er diese Vorschlägen erst kurz vor der Wahl mache, antwortete er, manchmal bedürfe es eben größerer Erschütterungen, damit solche Schritte von der öffentlichen Meinung akzeptiert würden.

Stoiber legte am Sonntag das Schwergewicht auf die Forderung nach Steuersenkungen für den Mittelstand - offensichtlich mit Blick auf diese Wählerschicht. Dies sei die wichtigste Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit. Aber auch er befürwortet die forcierte Einführung eines Niedriglohnbereichs. Im Sofortprogramm für den Fall eines Regierungswechsels, das die Union am kommenden Freitag der Öffentlichkeit vorstellen wird, ist dies eine zentrale Forderung.

Weder Schröder noch Stoiber verschwenden auch nur einen Gedanken daran, Arbeitsplätze dort zu schaffen, wo sie dringend benötigt werden: im Bildungs- und Erziehungsbereich, im Gesundheitswesen, in der Krankenpflege, im Umweltschutz usw.. Dazu wäre ein großangelegtes Programm öffentlicher Arbeiten erforderlich, das sich nur durch eine massive Besteuerung der hohen Einkünfte und Vermögen finanzieren ließe. Das lehnen sowohl SPD wie Union kategorisch ab.

Militärische Intervention im Irak

Zu schärferen Differenzen kam es in der Frage eines Militäreinsatzes gegen den Irak. Aber auch in dieser Frage stehen sich Schröder und Stoiber näher, als dies der erste Eindruck vermuten lässt.

Schröder wiederholte seinen Standpunkt, dass er eine militärische Intervention im Irak für falsch halte. Deswegen sei sie "unter meiner Führung auch nicht mit Hilfe Deutschlands zu machen". Er ließ aber gleichzeitig eine Hintertür offen. "Man sagt, wir wollen Saddam Hussein weg haben, man sagt nicht, wir wollen Druck ausüben, damit die internationalen Beobachter ins Land kommen, und das ist eine Politik, von der ich glaube, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen falsch ist," ergänzte er.

Mit anderen Worten, würde der Krieg unter einem anderen Vorwand geführt - "Druck ausüben, damit die internationalen Beobachter ins Land kommen" - könnte Schröder eine deutsche Teilnahme durchaus für wünschenswert halten. Eben darüber wird zur Zeit auch in den USA diskutiert, wo Teile der herrschenden Elite fürchten, dass eine unverhüllte amerikanische Aggression zum Sturz des irakischen Regimes die Bush-Regierung innen- wie außenpolitisch isolieren könnte, und einen besseren Vorwand für den Krieg verlangen.

Stoiber verurteilte Schröders Äußerungen als "unverantwortlich". Wer "ohne Not irgendwelche theoretischen Optionen ausschließt," begründete er seine Kritik, nehme "den Druck von Saddam Hussein, der UNO nachzugeben". Aber auch Stoiber betonte, "dass kein deutscher Bundeskanzler, ob er jetzt aus der SPD kommt oder aus der CDU oder aus der CSU, jemals ein militärisches Abenteuer eingehen würde oder eingehen wird. Da gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten." Und er fügte hinzu: "Wir wollen beide, dass keine militärischen Mittel eingesetzt werden."

Stoiber ist sich bewusst, dass die Außenpolitik von Schröder und seinem grünen Außenminister Joschka Fischer nahtlos an die ihrer Vorgänger Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher, bzw. Klaus Kinkel (beide FDP) anschließt. Fischers Worte bei der Amtseinführung, es gebe keine grüne, sondern nur deutsche Außenpolitik, waren in dieser Hinsicht Programm.

Seit der Wiedervereinigung war die deutsche Außenpolitik darauf ausgerichtet, sich nach und nach aus der Abhängigkeit von den USA zu lösen und die eigenen imperialistischen Interessen stärker zur Geltung zu bringen. Unverzichtbare Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, auch militärisch international agieren zu können. In dieser Hinsicht hat die Regierung Schröder in vier Jahren mehr erreicht, als die Regierung Kohl in den sechzehn Jahren davor.

Sie hat die Ausgaben für internationale Einsätze verzehnfacht, von 178 Millionen Euro im Jahr 1998 auf 1,7 Milliarden im Jahr 2002 - wie sich Schröder Mitte August in einem Streitgespräch mit Stoiber in der Süddeutschen Zeitung brüstete. Deutschland hat inzwischen mehr Truppen im Ausland stationiert als irgend ein anderes Land außerhalb den USA.

Schröders Kritik an den Kriegsplänen der US-Regierung muss in diesem politischen Zusammenhang verstanden werden. Sie ist keine Rückbesinnung auf Friedensliebe und Pazifismus, sondern eine Drohung, dass Deutschland die eignen imperialistischen Interessen in Zukunft unabhängiger und selbstbewusster zu vertreten gedenkt. Schröder hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff vom "deutschen Weg" geprägt. Sollte Stoiber Kanzler werden, würde er denselben Kurs einschlagen. Die Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr ist schon jetzt eine zentraler Punkt im Wahlprogramm der Union.

Zuwanderung

Beim Thema Zuwanderung entartete die Debatte endgültig zum Wettbewerb, wer den anderen rechts überholen kann. Beide Kandidaten überboten sich in Beteuerungen, dass sie die Zuwanderung auf ein Minimum beschränken werden.

Stoiber sprach sich für die Beibehaltung eines generellen Anwerbestopps für ausländische Arbeitskräfte außerhalb Europas aus und griff das neue Zuwanderungsrecht an, weil es ein "Mehr an Zuwanderung" vorsehe. Dies, so Stoiber, "können wir nicht verkraften".

Schröder seinerseits versicherte, dass das neue Gesetz die Möglichkeit schaffe, die Zuwanderung "sinnvoll zu steuern, und das heißt natürlich auch immer, zu begrenzen". Er unterschied zwischen Zuwanderern, "die wir brauchen", und anderen, "die wir nicht so sehr brauchen". "Deswegen erlaubt dieses Gesetz zu differenzieren, zu begrenzen, aber auch Zuwanderung zu ermöglichen."

Begriffe wie Humanität, Grundrechte, Demokratie, Gerechtigkeit oder sozialer Ausgleich spielten in dieser Frage wie in der gesamten Debatte keine Rolle. Sie sind völlig aus dem politischen Vokabular der beiden Kandidaten verschwunden. Das Wort "sozial" kam nur vor, wenn es um die ehrenamtlichen Aktivitäten der Gattinnen ging. Stoiber definierte es mit den Worten: "Sozial ist für mich heute und morgen, was Arbeit schafft." Eine Definition die sich auch auf Niedriglohn- und sogar auf Zwangsarbeit anwenden lässt.

Die Fernsehdebatte hat bestätigt, dass am 22. September nur gleichermaßen rechte Programme zur Wahl stehen. Keine Partei, die zur Wahl antritt, gibt eine Antwort auf die Probleme, die das Schicksal von Millionen Menschen bestimmen.

Siehe auch:
Die rot-grüne Steuerreform: Weg in eine soziale Katastrophe
(27. August 2002)
Die Vorschläge der Hartz-Kommission
( 5. Juli 2002)
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