Der Wirbel um Herta Däubler-Gmelin

Die Bush-Regierung schaltet sich in den deutschen Wahlkampf ein

Die US-Regierung hat mit heftigen Attacken gegen die deutsche Regierung auf einen Vergleich zwischen George W. Bush und Adolf Hitler reagiert, den die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin gezogen haben soll. Washington hat sich damit am Vorabend der Bundestagswahl ungewöhnlich offen auf die Seite der konservativen Opposition gestellt.

Die US-Reaktion war ein kaum verhüllter Versuch, die Wahl zugunsten des CSU-Kandidaten Edmund Stoiber zu beeinflussen, oder, im Falle eines Wahlsiegs von Gerhard Schröder, den amerikanischen Druck auf dessen Regierung zu erhöhen. Seit Schröder angekündigt hatte, er werde keinen US-Krieg gegen den Irak unterstützen, hat sich Washington zunehmend bemüht, die rot-grüne Regierung international zu isolieren.

Die demonstrative Empörung der Bush-Regierung über die Bemerkungen Däubler-Gmelins hatte noch eine weitere Aufgabe: Sie sollte die ablehnende Haltung Deutschlands gegenüber den US-Kriegsplänen in der amerikanischen Bevölkerung diskreditieren.

Die 59-jährige SPD-Politikerin hatte die umstrittenen Äußerungen am Donnerstag in ihrem Wahlkreis Tübingen bei einem Treffen mit dreißig Metall-Gewerkschaftern gemacht. Laut einem Bericht des Schwäbischen Tagblatts, dessen Reporter bei dem Treffen zugegen war, sagte Däubler-Gmelin über die amerikanischen Kriegpläne gegen den Irak: "Bush will von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Das ist eine beliebte Methode. Das hat auch Hitler schon gemacht."

Die Ministerin hat diese Äußerungen später bestritten. Die Zeitung beharrt unter Berufung auf mehrere Zeugen darauf, dass sie so gemacht und vor der Veröffentlichung sogar autorisiert wurden. Fest steht, dass Däubler-Gmelin schon während des Treffens in Tübingen betont hatte, dass sie keinen Vergleich zwischen Bush und Hitler beabsichtige. Sie habe nicht die Personen Bush und Hitler miteinander verglichen, sondern die Methoden.

Die rechte Presse griff das Ereignis auf, um Stoibers Vorwurf gegen Schröder zu untermauern, er stoße Washington mit seiner Kritik an den Irak-Kriegsplänen unnötig vor den Kopf.

Am Freitag distanzierte sich Däubler-Gmelin auf der Bundespressekonferenz in Berlin erneut von den ihr zugeschriebenen Äußerungen. Bundeskanzler Schröder versuchte gleichzeitig in einem persönlichen Brief an Präsident Bush die Wogen zu glätten. "Ich möchte Dich auf diesem Wege wissen lassen, wie sehr ich bedauere, dass durch angebliche Äußerungen der deutschen Justizministerin ein Eindruck entstanden ist, der Deine Gefühle tief verletzt hat," heißt es darin. "Ich möchte Dir versichern, dass an meinem Kabinettstisch niemand Platz hat, der den amerikanischen Präsidenten mit einem Verbrecher in Verbindung bringt."

Obwohl die Äußerungen Däubler-Gmelins auf einem halböffentlichen Treffen fielen und sofort dementiert und zurückgenommen wurden, haben die US-Administration und führende US-Medien mit ungewohnter Heftigkeit darauf reagiert.

Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, bezeichnete sie als "empörend und unerklärlich" und hielt auch nach dem Eingang von Schröders Brief an dieser Einschätzung fest. "Der Präsident betrachtet dieses Ereignis weiterhin als beunruhigend," sagte er.

Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice warf Berlin in der Financial Times Deutschland vor, das Klima zwischen den beiden Ländern zu "vergiften". "Ich würde sagen, dass wir zuletzt keine glückliche Zeit mit den Deutschen hatten," sagte sie. "Es wurden ein paar Sachen gesagt, die völlig inakzeptabel sind. Die Aussagen der Justizministerin sind einfach nicht hinnehmbar. Auch wenn nur die Hälfte von dem, was berichtet wurde, tatsächlich gesagt wurde."

Senator Jesse Helms, führendes republikanisches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, warf dem deutschen Kanzler vor, er habe die deutsch-amerikanischen Beziehungen in schwer zu reparierender Weise beschädigt. Er drohte mit der Schließung der US-Basen in Deutschland, falls Schröder wiedergewählt werde und sich nicht an einem "konstruktiven" Dialog über den Irak beteilige.

Und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld lehnte es am Samstag in einem Interview mit CNN brüsk ab, mit dem deutschen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) zusammenzutreffen. Er tat so, als kenne er noch nicht einmal den Namen seines deutschen Amtskollegen, der erst vor kurzem Rudolf Scharping abgelöst hat. Auf die Frage, ob es hilfreich wäre, sich bei der kommenden Nato-Konferenz in Warschau zu treffen, antwortete Rumsfeld: "Die deutsche Regierung hat kürzlich ihren Verteidigungsminister entlassen. Ich habe keine Ahnung, ob ein Ersatz für diese Person in Warschau sein wird. Ich habe gewiss keine Pläne, mich mit jener Person zu treffen, während ich dort bin."

In Deutschland wurde die Kritik der US-Regierung sofort von der Opposition aufgegriffen, die hoffte, auf diese Weise den leichten Rückstand in den jüngsten Meinungsumfragen aufholen zu können. CDU, CSU und FDP verlangten unisono die sofortige Entlassung der Bundesjustizministerin. Es dürfe "in dieser Affäre keinen weiteren Aufschub mehr geben", erklärte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.

Die World Socialist Web Site unterstützt die Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung nicht, das haben wir in zahlreichen Artikeln deutlich gemacht. Schröder und Fischer kritisieren die Kriegspläne der US-Regierung vom Standpunkt des deutschen Imperialismus und verfolgen dabei ihre eigenen Großmachtpläne. Dennoch verdient die Auseinandersetzung über Däubler-Gmelins Äußerungen in zweierlei Hinsicht einen Kommentar.

Erstens hat die Justizministerin - falls die ihr zugeschriebenen Äußerungen zutreffen -eine unbestreitbare Tatsache festgestellt. Niemand, der die Entwicklung in den USA verfolgt, kann ernsthaft daran zweifeln, dass die Kriegswut der Regierung großenteils innenpolitischen Beweggründen entspringt. Die enorme soziale Polarisierung, die Auswirkungen der Börsenkrise auf breite Bevölkerungsschichten, die Verwicklung der Regierung in die großen Firmenskandale - all dies macht eine Ablenkung von inneren Problemen in Form eines Kriegs dringend erforderlich.

Ein Vergleich mit Hitler ist hier durchaus angebracht. Die WSWS hat erst kürzlich auf die Parallelen zwischen Bush's Methoden und jenen der Nazis im Jahr 1938 hingewiesen, als führende Kräfte innerhalb des Nazi-Regimes einen Krieg vom Zaum brechen wollten, um von den inneren Widersprüchen des eigenen Regimes abzulenken. (Siehe: "Die Bush-Regierung will Krieg" / http://www.wsws.org/de/2002/sep2002/irak-s19.shtml)

Diese Analogie macht aus George Bush noch keinen Adolf Hitler und aus seiner Regierung kein faschistisches Regime. Dennoch wäre es absurd, jeden Vergleich zwischen den Methoden von Bush und Hitler für unzulässig zu erklären. Das ergäbe nur dann einen Sinn, wenn zwischen faschistischer und bürgerlicher Politik eine unüberwindbare Trennlinie bestünde.

Doch Hitlers Außenpolitik knüpfte, in besonders aggressiver und kriegerischer Weise, an bestehende Traditionen an, die von maßgeblichen Teilen des deutschen Bürgertums mitgetragen würden. Gerade im Auswärtigen Amt waren bis Kriegsende anerkannte bürgerliche Diplomaten in führender Stellung tätig - wie Ernst von Weizsäcker, der Vater des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der bis 1943 als Staatssekretär das zweithöchste Amt im Ministerium bekleidete.

Die Bush-Regierung ist nicht faschistisch. Aber sie verfolgt sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik einen äußerst rechten Kurs im Interesse einer kleinen, zutiefst undemokratischen Finanzoligarchie.

Zweitens ist die massive Einmischung der Bush-Regierung in den deutschen Wahlkampf ein Warnsignal. Der Versuch, das Wahlergebnis im letzten Moment durch eine provokative Kampagne gegen das sozialdemokratische Lager zu beeinflussen, ist zutiefst undemokratisch. Sie erinnert an die Methoden, mit denen Bush vor zwei Jahren die amerikanische Präsidentenwahl für sich entschieden hat.

Im Bemühen, eine neue Koalition für ihren Waffengang gegen den Irak zusammen zu bringen, bedient sich die US-Regierung immer offener einer Mischung aus Erpressung, Druck, Bestechung und offener Einschüchterung. Gegenüber unterdrückten Ländern ist dies seit langem der Fall - man denke nur an die zynische Unterstützung für die feudale Diktatur in Saudiarabien. Aber dass nun auch gegenüber einem europäischen Nato-Partner solche Methoden zur Anwendung kommen, ist relativ neu.

In ganz Europa arbeitet die Bush-Regierung eng mit den rechtesten Kräften zusammen - mit der Regierung Berlusconi in Italien, in der Mussolinis Erben von der Nationalen Allianz vertreten sind, oder mit der spanischen Regierung von Jose Maria Aznar, in dessen Volkspartei die Nachlassverwalter des Franco-Faschismus sitzen.

Der Wirbel um die Äußerungen der Justizministerin zeigt, wie enorm angespannt die internationalen Beziehungen mittlerweile sind. Däubler-Gmelins unbedachte, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Äußerungen erlauben einen Einblick in das, was in Regierungskreisen hinter geschlossenen Türen diskutiert wird.

SPD und Grüne sind unfähig, dieser Bedrohung demokratischer Rechte und der wachsenden Kriegsgefahr entgegenzutreten. Sie selbst greifen unter dem Druck der internationalen Spannungen die sozialen und politischen Rechte der Bevölkerung an und bereiten so selbst den Weg für die Rechten. Nur eine sozialistische Bewegung, die die amerikanische und die europäische Arbeiterklasse vereint, kann diesen Gefahren entgegentreten.

Siehe auch:
Die Bush-Regierung will Krieg
(19. September 2002)
Gegen einen Krieg der USA gegen den Irak!
(10. September 2002)
Was steckt hinter Schröders Absage an einen Irakkrieg?
( 5. September 2002)
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