Bush greift in der Vorbereitung auf einen Irak-Krieg zu Lügen und Manövern

Nach der bisherigen Terminplanung sind es noch knapp drei Monate bis zum Einmarsch der USA im Irak, und Teile der herrschenden amerikanischen Elite zeigen vermehrte Anzeichen von Nervosität. Sie fürchten die Folgen des präventiven Eroberungskrieg und der längerfristigen Besetzung des arabischen Landes, wie sie die Bush-Regierung plant.

Ehemalige hohe Offiziere bringen ihre Bedenken in der Öffentlichkeit am stärksten zum Ausdruck. Ihre Ansichten widerspiegeln zweifellos die Sorgen der eigentlichen militärischen Kommandostellen über die Kriegspläne, die von der zivilen Pentagon-Führung unter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und seinem Stellvertreter Paul Wolfowitz ausgearbeitet wurden.

Sehr deutlich äußerte sich der pensionierte General des Marinecorps Anthony C. Zinni, Vorgänger von Armeegeneral Tommy Franks als Chef des Zentralkommandos, welches eine Invasion zu leiten hätte. "Krieg und Gewalt sind wirklich das allerletzte Mittel, und wir müssen ihren Einsatz sorgfältig bedenken, besonders in unserer gegenwärtigen Weltposition", sagte Zinni Anfang des Monats vor einem Treffen des Nahostinstituts in Washington. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass wir das im Moment machen müssen."

Ein weiteres deutliches Zeichen für Meinungsverschiedenheiten an der Staatsspitze waren mehrere Artikel in großen Tageszeitungen, welche die Vorwände der Bush-Regierung für einen Krieg gegen den Irak als dreiste Lügen entlarven.

Ein Artikel der New York Times vom Montag zeigte auf, dass die tschechische Regierung die Bush-Regierung schon vor Monaten davon unterrichtet hatte, dass Berichte über ein angebliches Treffen des Rädelsführers der Flugzeugentführer vom 11. September, Mohamed Atta, mit einem Agenten des irakischen Geheimdienstes unzutreffend seien. Ungeachtet dessen hielt die Regierung an dieser Darstellung fest.

Am 22. Oktober brachte die Washington Post einen Artikel auf Seite eins, in dem eine Reihe Lügen von Präsident Bush, mit denen eine Invasion gerechtfertigt werden soll, detailliert aufgelistet wurden. Unter der Überschrift "Für Bush sind die Fakten dehnbar" nahm der Artikel mehrere Vorwürfe des Präsidenten unter die Lupe, so die in seiner Cincinnati-Rede vom 7. Oktober aufgestellte Behauptung, der Irak habe ein unbemanntes Flugzeug entwickelt, das die USA erreichen könne; außerdem seine Behauptung vom vergangenen Monat, dass die Internationale Atomenergiekommission (IAEA) festgestellt habe, der Irak könne "innerhalb von sechs Monaten eine Atombombe entwickeln".

"Unsere Geheimdienste haben festgestellt, dass der Irak eine wachsende Flotte" unbemannter Flugzeuge besitze, hatte Bush in seiner Rede in Cincinnati gesagt. Man müsse befürchten, dass diese Drohnen "gegen die USA gerichtet werden".

Zur Frage des angeblichen Atomprogramms des Irak behauptete der Präsident, dass "Informationen eines hohen irakischen Atomwissenschaftlers, der übergelaufen war, im Jahr 1998 enthüllt hätten, dass Saddam Hussein trotz anders lautender öffentlicher Versprechungen sein Atomprogramm weitergeführt hat".

In beiden Fällen hat Bush die Fakten entweder frei erfunden oder bewusst verfälscht. Im Fall der unbemannten Flugzeuge hatte die CIA Anfang des Monats einen Bericht veröffentlicht, demzufolge die Iraker mit einem Instrument "experimentierten", das "sich als ernsthafte Bedrohung für die Nachbarn des Irak und für internationale Truppen in der Region" erweisen könne, aber keine Chance hätte, den Ozean zu überqueren und amerikanische Ziele anzugreifen.

Der übergelaufene irakische Atomwissenschaftler ist Khidhir Hamza. Er stieg schon 1991 aus Iraks Nuklearprogramm aus und lief 1994 über. Die Verlegung dieses Datums auf 1998 diente offensichtlich dem Zweck, seinen Angaben über ein Programm, an dem er vor mehr als zehn Jahren mitgearbeitet hatte, eine Aktualität zu verleihen, die es nicht besitzt - es geht auf die Zeit zurück, bevor der erste Golfkrieg die Infrastruktur des Irak zerstörte.

Die IAEA hat nicht behauptet, dass Bagdad in sechs Monaten Atomwaffen entwickeln könne. Im Gegenteil hieß es in ihrem letzten Bericht von 1998, noch ehe Washington als Vorbereitung auf den Luftkrieg gegen den Irak die Ausreise aller Waffeninspektoren forderte: "Nach allen vorliegenden glaubhaften Informationen hat die IAEA keine Hinweise darauf, dass der Irak sein Ziel, Nuklearwaffen zu produzieren, erreicht hätte, noch dass der Irak über die technische Fähigkeit verfügte, waffenfähiges Nuklearmaterial herzustellen, oder dass er heimlich solches Material erworben hätte."

Am 23. Oktober veröffentlichte das Wall Street Journal einen Artikel auf der ersten Seite, dem zu entnehmen war, dass die Regierung über angebliche Beziehungen des Irak zu al-Qaida gelogen hatte. Der Artikel zitierte eine Rede Bushs der vergangenen Woche, in der er den irakischen Präsidenten Saddam Hussein als einen Mann beschrieb, "von dem wir wissen, dass er Verbindungen zu al-Qaida hat. Das ist ein Mann, der nach meiner Meinung die al-Qaida zu seinen Zwecken benutzen möchte."

Doch das Journal, das keineswegs zu den Gegnern der Regierung zählt, kam aufgrund eigener Nachforschungen zu dem Schluss: "Heutigen und früheren Geheimdienstlern zufolge gibt es keine Beweise für Kontakte zwischen al-Quaida und dem Irak."

Der Artikel zeigt auf, dass die Regierung bereits unmittelbar nach Bushs Einzug im Weißen Haus begann, eine Verbindung zwischen dem Irak und al-Quaida zu konstruieren. "Als die Bush-Regierung 2001 die Regierung übernahm, begannen Pentagon-Funktionäre sofort, die Geheimdienste mit Forderungen nach Untersuchungen über Bagdads Beziehungen zum Terrorismus zu überziehen", heißt es in dem Artikel. "Auf einer Versammlung führender Regierungsbeamter über al-Qaida im April 2001 richtete ein Spitzenbeamter aus dem Verteidigungsministerium eine Anfrage an Clarke [Richard Clarke, den Koordinator für Terrorbekämpfung beim Nationalen Sicherheitsrat], ob der Irak irgendwelche Verbindungen zu Bin Ladens Gruppe habe. Clarke verneinte die Frage, wie zwei weitere Anwesende bestätigten."

Auf Drängen der Regierung versuchte man allenthalben, den Irak mit dem Anschlag auf das World Trade Center von 1993 in Verbindung zu bringen", berichtete das Journal und fügte hinzu, diese Bemühungen seien vergeblich geblieben.

Während Washington seine Kriegsvorbereitung gegen den Irak als Reaktion auf den 11. September und als Verteidigung der USA gegen eine aktuelle terroristische Bedrohung hinstellt, haben Bushs Spitzenbeamte, wie sich jetzt zeigt, in Wirklichkeit schon mindestens fünf Monate, bevor Flugzeuge in das World Trade Center und ins Pentagon einschlugen, verzweifelt nach Beweisen gesucht, die den Irak mit dem Terrorismus in Verbindung bringen könnten.

Die Regierung kam offensichtlich schon mit einem fertigen Kriegskonzept an die Macht und hatte von vornherein die Absicht, den Irak unter amerikanische Kontrolle zu stellen. Eine konstruierte Verbindung zum Terrorismus hielt sie für den idealen Vorwand. Die simple Frage, die der Journal -Bericht aufwirft, lautet, ob Spitzenbeamte nicht schon Monate vor dem Ereignis einen drohenden al-Qaida-Anschlag vermuteten - oder sogar im Voraus davon wussten.

Die wachsende öffentliche Opposition gegen Krieg und das Unbehagen, das sich in militärischen Spitzenkreisen und unter Angehörigen der Herrschenden bemerkbar macht, haben Bush dazu veranlasst, sich einer weiteren Form von Verschleierungstaktik zu befleißigen - der Diplomatie der Vereinten Nationen.

In den letzten Tagen tauchte in den Medien die Behauptung auf, die Regierung trete von ihren Kriegsplänen zurück, habe ihren Zeitplan für eine Invasion verschoben und erwäge die Möglichkeit, Druck auf den Irak auszuüben, damit er die UN-Resolutionen über Massenvernichtungswaffen akzeptiere.

Dabei spielen Täuschung, Doppeldeutigkeit und Bushs Vorliebe für unlogische Schlüsse eine Rolle. "Wir haben es mit Diplomatie versucht", erklärte Bush am Montag einer Pressekonferenz. "Wir versuchen es noch einmal. Ich glaube, wenn wir es wirklich versuchen, kann die freie Welt diesen Mann auf friedliche Weise entwaffnen."

Er fügte dieser Aussage die widersprüchliche Behauptung hinzu, dass seine Regierung nach wie vor einen Regimewechsel anstrebe - "weil wir nicht glauben, dass er sich ändern wird". Bush fuhr fort: "Wenn er jedoch alle Bedingungen der Vereinten Nationen erfüllen würde, Bedingungen, die ich ganz klar beschrieben habe, so dass sie jeder verstehen kann, dann wird das an sich schon bedeuten, dass sich das Regime geändert hat."

Bei einer späteren Pressekonferenz wurde die Frage gestellt, ob Bushs Bemerkungen ein Hinweis darauf seien, dass Washington das irakische Regime an der Macht lassen würde, wenn es der Resolution, die Amerika im UN-Sicherheitsrat durchzusetzen versucht, Folge leisten würde. Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses, grinste daraufhin und sagte: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Irak so etwas je machen würde. Wenn solche Schritte unternommen werden, wenn unter Saddam Husseins Leitung und unter seiner Führung der Frieden bewahrt und die UN-Resolution respektiert werden, dann ruft mich an, dann können wir weiter darüber diskutieren."

Fleischer kann sich "nicht vorstellen", dass der Irak die UN-Resolution erfüllt, weil Washington vorsätzlich Bedingungen entworfen hat, die keine Regierung jemals erfüllen könnte. Der sogenannte "Kompromiss"-Plan, der den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates diese Woche vorgelegt wurde, zielt nicht auf weitere Waffeninspektionen im Irak ab, sondern darauf, diese unmöglich zu machen und einen scheinlegalen Vorwand für eine US-Invasion zu schaffen.

In dem Entwurf der USA heißt es wiederholt, dass der Irak bezüglich seiner Verpflichtungen aus den UN-Resolutionen "faktisch vertragsbrüchig" geworden sei. Diese Wortwahl ist geeignet Kriegshandlungen zu rechtfertigen. Der Entwurf würde dem Irak sieben Tage Zeit geben, um sich den Bedingungen dieser Resolution vollständig zu unterwerfen, und weitere 23, um gegenüber der UN eine "akzeptable, aktuelle und genaue, vollständige und lückenlose Erklärung aller Aspekte seiner Programme" zur Entwicklung von Waffen abzugeben.

Erst danach könnten die Inspektionen beginnen.

Falls der Irak nicht alles in vollem Umfang offenbaren würde, müsste er mit "ernsthaften Konsequenzen" rechnen, wie es im jüngsten amerikanischen Resolutionsentwurf heißt. Anders ausgedrückt, Washington hätte den begehrten Kriegsvorwand. Die Bush-Regierung hat erklärt, dass sie sich zwar vor einem Angriff mit den UN "beraten", ihn aber nicht von deren Zustimmung abhängig machen wird.

Während die irakische Regierung bestritten hat, dass solche Programme überhaupt existieren, und Washington entgegen allen Beweisen darauf bestanden hat, dass Bagdad bereits an der Schwelle zum Besitz einer Atombombe stehe, schafft die US-Resolution die Möglichkeit, auf die bloße Behauptung hin, das irakische Regime lüge, eine Invasion zu eröffnen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Inspektionen wieder aufgenommen würden, haben die Vereinigten Staaten bereits eine Politik der "Null-Toleranz" gegenüber einer mangelhaften irakischer Zusammenarbeit erklärt. Das Weiße Haus und das Pentagon behalten sich das Recht vor, zu beurteilen, ob Bagdad nicht kooperiere, und es dementsprechend zu bestrafen.

Die Resolution beinhaltet auch Bedingungen, die keine Regierung auf der ganzen Welt akzeptieren könnte, wie zum Beispiel, dass die UN das Recht haben solle, irakische Wissenschaftler mit ihrer ganzen Familie zu entführen und sie zur Befragung außer Landes zu bringen.

Sie enthält außerdem einen umstrittenen Absatz, der schon in einem früheren Entwurf enthalten war. Er sieht die Einrichtung von Flugverbots- und Fahrverbots-Zonen im ganzen Irak vor, die "durch Kräfte der UN oder ihrer Mitgliedstaaten überwacht" würden. Diese Klausel würde de facto eine Invasion des irakischen Territoriums durch US-Truppen erlauben, die unter dem Deckmantel des "Schutzes" der Waffeninspektionen erfolgen könnte.

Die Leiter der Waffeninspektionsagenturen haben erklärt, dass kein einziger dieser US-Vorschläge für die Durchführung ihrer Arbeit notwendig sei.

Niemand in Washington oder in den Vereinten Nationen gibt sich der Illusion hin, dass Bush tatsächlich nach einem diplomatischen Weg suche. Die unsinnigen und doppeldeutigen Phrasen des amerikanischen Präsidenten bezwecken nur eins: einen UN-Freibrief für einen Eroberungs- und Raubkrieg gegen den Irak und die Kontrolle der USA über dessen ausgedehnte Ölreserven.

Unterdessen setzen die USA ihre militärischen Vorbereitungen auf einen Angriff auf den Irak ohne jede Verzögerung fort. Am Mittwoch führten amerikanische und britische Kriegsschiffe schon den zweiten Tag in Folge Luftschläge durch. Sie bombardierten sowohl militärische als auch zivile Ziele in den zwei "Flugverbotszonen", die Washington nach dem Golfkrieg schon über den Irak verhängt hatte. Diese Angriffe, die als Reaktion auf Luftabwehrfeuer hingestellt wurden, häufen sich seit einigen Monaten. Ihr Zweck ist die Dezimierung der irakischen Luftstreitmacht schon vor einer US-Invasion, um sichere Korridore zu schaffen, durch welche die Flugzeuge ihre Angriffe auf Bagdad und andere Städte fliegen könnten.

Die US-Armee ist bereits dabei, Frachtschiffe in den Häfen von San Diego und Charleston (South Carolina) mit Militärfahrzeugen, Waffen und Munition für die Golfregion zu beladen. Und das Pentagon bestätigte, dass es die Mobilmachung in den nächsten Wochen noch auf über 600 Stabsangehörige des zentralen US-Kommandos aufstocken werde, das für die gesamte Golfregion zuständig ist. Unter ihnen befindet sich auch Personal aus den Hauptquartieren des Fünften Korps der Armee und der ersten Marineeingreiftruppe, zwei Einheiten, die in einer irakischen Invasion Schlüsselrollen zu spielen hätten. Die Angehörigen der Hauptquartiere sind beauftragt, mobile Kommandoposten in Kuwait und Qatar aufzubauen, die zur Leitung eines einmal begonnenen Krieges dienen würden.

Siehe auch:
Ein Insider plaudert das schmutzige Geheimnis des Irakkriegs aus
(22. Oktober 2002)
Die Irakpolitik der USA: Zurück zum Kolonialismus
( 16. Oktober 2002)
Loading