KP Chinas öffnet sich für Wirtschaftselite

Der 16. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), der am 8. November in Peking begann, wird die Partei offiziell für Chinas Wirtschaftselite öffnen. Vor Ende des Kongresses am 14. November wählen die 2.114 Delegierten aus ganz China das 200-köpfige Zentralkomitee, das 21-köpfige Politbüro und als wirkliches Machtzentrum den auf neun Mitglieder erweiterten Ständigen Ausschuss des Politbüros, dessen Aufgabe es sein wird, die letzten Barrieren für die hemmungslose kapitalistische Ausbeutung der chinesischen Massen zu beseitigen.

Am 7. November gab das 236-köpfige Vorbereitungskomitee unter Vizepräsident Hu Jintao - dem Nachfolgekandidaten für die Parteiführung - bekannt, dass der Kongress unter dem Thema der "Drei Vertretungen"-Theorie des bisherigen Generalsekretärs Jiang Zemin stehen werde. Jiangs Theorie fordert die Abschaffung des Paragrafen der Parteisatzung, der es privaten Geschäftsleuten verbietet, Mitglied der Partei zu werden oder in die Regierung einzutreten.

Die Beseitigung dieses Paragrafen soll die Statuten der KPCh in Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Charakter und der sozialen Zusammensetzung der Partei bringen, die eine weitere Beschleunigung der Marktreformen vorbereitet. In seiner weitschweifigen Eröffnungsrede vor dem Kongress artikulierte Jiang die Klasseninteressen der neuen chinesischen Elite. Er forderte die Regierung in Peking auf, die Öffnung zum kapitalistischen Markt zu vertiefen, und erklärte, dass die KPCh die "legitimen Rechte und Interessen" von Geschäftsleuten und Eigentümern schützen müsse. Seine Rede erntete donnernden Applaus.

Die formelle Öffnung der KP Chinas für Wirtschaftskreise ist ein Wendepunkt. Die Orientierung der chinesischen Stalinisten auf die Kapitalistenklasse hat sich allerdings schon lange vor Jiangs Ankündigungen entwickelt. Schon in den dreißiger Jahren wies Mao Tsetung die internationale sozialistische Perspektive des Marxismus zurück und machte den "Block der vier Klassen" zum Ziel der KPCh - ein Block, der Teile der chinesischen Kapitalistenklasse einschloss. Maos Nachfolger Deng Xiao Ping öffnete 1979 China für den kapitalistischen Markt und versuchte, aktiv Investitionen der emigrierten chinesischen Bourgeoisie in Hong Kong und Taiwan anzuziehen.

Die Tatsache, dass Jiangs "Theorie" nur das nachvollzieht, was schon Realität ist, zeigt die diesjährige Liste des Forbes Magazins der 100 reichsten Multimillionäre Chinas. Ein Viertel von ihnen erklärte, sie seien Mitglieder der KPCh. Die meisten Vorstandsvorsitzenden privater Firmen und transnationaler Konzerne haben Verbindungen zur Partei. Jiangs ältester Sohn z.B. steht an der Spitze von Netcom, der größten Telekom-Firma des Landes, die von der ehemals staatlichen Telekom abgespalten und an private Interessen verkauft worden war. In den neunziger Jahren wurden Zehntausende staatliche Firmen entweder in den Bankrott getrieben oder privatisiert, um das Wachstum privaten Kapitals zu befördern.

Die Washington Post merkte am Eröffnungstag des Kongresses an: "Mit ihrer Wachstumsförderungspolitik, dem Verbot unabhängiger Gewerkschaften und niedrigen Umweltstandards hat die KP-Regierung eine vorteilhafte Atmosphäre für eine Bereicherung der Wirtschaftselite geschaffen. Die Politik begünstigt die Reichen und die Wirtschaft derart, dass das Wirtschaftsprogramm Chinas in den Worten eines westlichen Botschafters dem ‚Traum der republikanischen Partei Amerikas’ ähnelt."

Der Kolumnist der New York Times, Joseph Kahn, kommentierte am 10. November: "Im Laufe einer zwanzig-jährigen Übergangsphase hat sich die letzte große linke Diktatur der Welt, die Kommunistische Partei Chinas, verwandelt. Sie dürfte heute die letzte große rechte Diktatur der Welt sein."

Indem sie sich offen zu einer Partei der "Wirtschaftselite" erklärt, die von der marktwirtschaftlichen Politik profitiert hat, hofft die KPCh sich eine verlässliche Basis für ihre weitere Herrschaft zu verschaffen. Unter der chinesischen Bauernschaft und der industriellen Arbeiterklasse entwickelt sich eine erbitterte Feindschaft gegen die offizielle Korruption, gegen Armut, schlechte Versorgung, Arbeitslosigkeit und die sich vertiefende Kluft zwischen Reich und Arm.

Dem Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Hongkong zufolge gab es im vergangenen Jahr 200.000 Demonstrationen gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung. Menschenrechtsgruppen berichteten, dass selbst als der Kongress zusammentrat, 1.000 Stahl- und Textilarbeiter in Liaoyang, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordosten Chinas, gegen Arbeitslosigkeit protestierten, und Brauereiarbeiter in Changchun in der Provinz Jilin gegen den korrupten Verkauf von Grundbesitz ihrer Firma an Staatsbeamte demonstrierten.

Die Klassenspannungen sind in China heute deutlich schärfer als in den Monaten vor den Massendemonstrationen gegen die Regierung, die am 4. Juni 1989 auf Pekings Platz des Himmlischen Friedens brutal unterdrückt worden waren. Hu Angang, der führende Ökonom der offiziellen chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, warnte im August in einem Papier mit dem Titel "Eine sehr ernste Warnung: die soziale Unruhe hinter der wirtschaftlichen Prosperität": "China steht am Vorabend einer unkontrollierbaren Krise, vergleichbar einem Erdbeben oder einem Vulkanausbruch."

Die tatsächliche Arbeitslosenrate in den Städten beträgt schätzungsweise 10 Prozent, und ein Anstieg auf 15 Prozent wird erwartet. Nach offiziellen Schätzungen fallen 12 Prozent oder 37 Millionen Menschen unter die Kategorie der "städtischen Armen". Auf dem Land soll es etwa 150 Millionen "überschüssige Arbeitskräfte" geben, die am Rande des Existenzminimums leben.

Aufnahme in die WTO

In den nächsten fünf Jahren werden sich diese Spannungen dramatisch verschärfen, wenn die Regierung die weitreichende wirtschaftliche Umstrukturierung in Angriff nimmt, die die Welthandelsorganisation (WTO) zur Bedingung für die Aufnahme Chinas machte. Die Wirtschaftselite betrachtet die WTO als Mittel, mehr ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und den Zugang chinesischer Exporte zu westlichen Märkten zu erleichtern. Für Millionen armer Bauern wird sie die Vertreibung von ihrem Land durch billige Agrarimporte bedeuten. In den Städten wird sie zum Verlust vieler weiterer Arbeitsplätze führen, wenn ausländische Firmen Zugang zu bisher geschützten chinesischen Märkten erhalten.

Einem Bericht in der Novemberausgabe des Hongkonger politischen Journals Zeng Ming zufolge warnte der chinesische Premierminister Zhu Rongji hohe Politiker während eines viertägigen Treffens des Staatsrates Mitte Oktober, dass die KPCh durch die Umsetzung des WTO-Programms ernste Probleme von unten bekommen werde.

Zhu soll gesagt haben: "Die wirtschaftliche Lage und die gesellschaftlichen Widersprüche werden immer schärfer und explosiver; die Partei hat die Korruption nicht unter Kontrolle bekommen; die Millionen Entlassenen und Arbeitslosen verurteilen die Regierung und die Kommunistische Partei; die Bauern stehen vor großen Problemen und wollen rebellieren. Die politische Krise kann jederzeit offen ausbrechen, wenn diese drei wichtigsten Probleme nicht ordentlich und rechtzeitig gelöst werden. Andernfalls werden nicht nur wenige Städte demonstrieren, sondern Hunderttausende und Millionen werden auf die Straße gehen und den Sturz der Kommunistischen Partei fordern."

Diese Aussichten stehen hinter der Formulierung der "Drei Vertretungen" und ihrer Annahme durch den Kongress der KP. Nach jahrelangen Fraktionskämpfen in der KPCh hat sich ein Konsens herausgebildet, dass als Lehre aus den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens eine solide Basis für das Regime unter den Ober- und Mittelschichten der Städte geschaffen werden muss, dabei aber keine demokratischen Zugeständnisse an die Massen gemacht werden dürfen.

Der chinesische Soziologe Kang Xiaoguang schrieb Anfang des Jahres in dem einflussreichen staatlichen Journal Strategie und Management über die Stimmung im politischen Establishment: "Zwischen der politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Elite Chinas gibt es eine stabile Allianz. Die wichtigste Folge ist, dass die Elite die Regierung nicht kritisieren wird. Die Wirtschaftselite liebt Geld, nicht Demokratie. Ihre Eitelkeit wird weiter dadurch zufrieden gestellt, dass ihr Parteimitgliedschaft und Regierungspositionen versprochen wurden." Er bemerkte, die Regierung vertraue darauf, der Opposition von Arbeitern und Bauern zu widerstehen, indem sie diese wie "zerstreuten Sand" halte, ohne nationale Organisation oder klares politisches Programm.

Die Auswahl der neuen Parteiführung auf diesem Kongress war von solchen Kriterien bestimmt. Aus Altersgründen mussten die drei wichtigsten chinesischen Führer abtreten - Generalsekretär und Staatspräsident Jiang Zemin, der Präsident des Nationalen Volkskongresses Li Peng und Premierminister Zhu. Von den sieben Mitgliedern des bisherigen Ständigen Ausschusses des Politbüros wird nur Hu Jintao weiterhin eine offizielle Position inne haben.

Die Zusammensetzung der neuen Führung zeigt, dass die bisherige Führung zumindest für die nächsten Jahre ihren Einfluss auf die Beschlussfassung und das Kommando über das Militär zu erhalten gedenkt.

Li Ruihuan, der Vorsitzende der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, trat vom Politischen Komitee zurück, obwohl er hätte wiedergewählt werden können. In der machiavellistischen Welt des chinesischen Stalinismus bedeutet sein Abgang, dass er bei der Staats- und Militärhierarchie in Ungnade gefallen ist. Seit mehreren Jahren ist er für eine Schwächung der Diktatur der KPCh und für die Einführung einiger symbolischer demokratischer Reformen eingetreten, wie der Zulassung von Organisationen außerhalb der KP.

Nachdem Hu Jintao, ein Protege Deng Xiaopings und entschiedener Verteidiger der Diktatur der KP, zum neuen Parteiführer gewählt wurde, ist es auch so gut wie sicher, dass er im kommenden März, wenn Jiang zurücktritt, Präsident Chinas wird. Ebenfalls Mitglied im Ständigen Ausschuss wird als neuer Premierminister und Verantwortlicher für die Wirtschaftspolitik Wen Jiabao sein, der in internationalen Finanzkreisen als entschiedener Vertreter einer umfassenden Deregulierung und Öffnung der chinesischen Wirtschaft bekannt ist.

Die anderen Mitglieder sind enge politische Zöglinge von Jiang oder Li Peng. Vier enge Vertraute Jiangs sind: Zeng Qinghong, der Leiter des Parteiapparats unter Jiang, Jia Qinglin, Parteichef von Peking, Huang Hu, Parteichef in Jiangs Heimatstadt Schanghai, und Vizepremier Wu Bangguo. Den letzten Sitz nimmt Luo Gan ein, ein enger Vertrauter Li Pengs, des Militärs und der Polizei.

Die "Drei Vertretungen" und die Zusammenstellung der Führung geben ein klares Bild davon, wie das chinesische Regime zu überleben gedenkt. Die KPCh verwandelt sich immer offener in ein Instrument der wachsenden chinesischen Kapitalistenklasse, die als Juniorpartner der großen transnationalen Konzerne weiterhin von der Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte und der natürlichen Reichtümer des Landes zu profitieren hofft.

Siehe auch:
Chinas "Krieg gegen Terrorismus" - brutale Unterdrückung ethnischer Unruhen in Xinjiang
(14. August 2002)
Fraktionskämpfe in der Vorbereitung von Generationswechsel in Peking
( 10. Mai 2002)
Inside Out - neue chinesische Kunst
( 1. Juni 2001)
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