Irland stimmt EU-Erweiterung zu

Am 19. Oktober ist es den tonangebenden Kreisen der irischen Wirtschaft und dem politischen und Medien-Establishment endlich gelungen, in einem Referendum die Zustimmung zu der im Vertrag von Nizza festgelegten Erweiterung der Europäischen Union zu erhalten. 63 Prozent der abgegebenen Stimmen unterstützten den Vertrag, 37 Prozent stimmten dagegen. Die Beteiligung an der Abstimmung betrug 49 Prozent.

Das Ergebnis räumt ein großes Hindernis für die für 2004 geplante Erweiterung der EU aus dem Weg. Es korrigiert das Resultat des irischen Referendums vom letzten Jahr, bei dem die EU-Erweiterung mit 54 Prozent zu 46 Prozent bei einer Beteiligung von 35 Prozent abgelehnt worden war. Das damalige Ergebnis hatte die irische Regierung und die EU kalt erwischt. Es scheint, dass die Nein-Stimmen dieses Mal ziemlich konstant geblieben sind, während der Zuwachs bei den Ja-Stimmen sich aus der höheren Wahlbeteiligung speist.

Im Gegensatz zum letztjährigen Referendum, bei dem nur die Befürworter eines Neins sich energisch engagierten - hauptsächlich die Grünen und Sinn Fein -, haben dieses Mal Fianna Fail, Fine Gael und die Progressiven Demokraten zusammen mit der Labour Party, vielen Gewerkschaften, den Medien und der Wirtschaft gemeinsam eine kostspielige und glitzernde Ja-Kampagne organisiert. Der Irish Times zufolge haben Fianna Fail und Fine Gael je 650.000 Euro beigesteuert, Labour und Fianna Fails Koalitionspartner, die Progressiven Demokraten, je 275.000 Euro, und Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Finanzgruppen weitere erkleckliche Beträge. Die Regierung selbst hat 750.000 Euro ausgegeben, um die positiven Seiten des Vertrags von Nizza herauszustellen. Im Gegensatz dazu verfügten die Vertreter eines Neins nur über 170.000 Euro.

Das Ziel des Vertrags von Nizza ist, die führende Position der EU in den ehemaligen stalinistischen Ländern Osteuropas zu sichern, und die Entwicklung einer europäischen Armee voranzutreiben. In ihrer Kampagne, den Wählern den Vertrag zu verkaufen, führte die Regierung eine ganze Reihe unehrlicher Argumente an, die wenig mit seinem Inhalt zu tun hatten; stattdessen appellierten sie an die wirtschaftlichen Ängste der Wähler, an ihre Großzügigkeit und ihre Sympathie gegenüber den Völkern Osteuropas und an traditionelle Patentrezepte der irischen Politik.

Taioseach (Ministerpräsident) Bertie Ahern sagte z. B. auf einer Kundgebung von Fianna Fail vor der Abstimmung in Dublin: "Als die Völker Zentral- und Osteuropas sich die Freiheit eroberten, wählten sie den Weg des Friedens und der Demokratie.... Die einzige Hürde, die sie jetzt noch überwinden müssen, ist die Ratifizierung des Vertrages von Nizza. Ich appelliere an das irische Volk, ihnen keine Steine in den Weg zu legen."

In Wirklichkeit bedeutet der Vertrag von Nizza das nächste Stadium der Unterordnung der Märkte und billigen Arbeitskräfte Osteuropas unter die europäischen Großmächte. Zwar hat die wirtschaftliche Integration des Kontinents objektiv einen progressiven Inhalt, unter der Vorherrschaft der europäischen Imperialisten bedeutet sie für die Bevölkerung der ehemaligen Ostblockländer aber die Fortsetzung der sozialen Polarisierung und des katastrophalen Verfalls der Lebensbedingungen, der den gesamten Prozess der kapitalistischen Restauration kennzeichnet. Unbegrenzt verfügbare billige Arbeitskräfte werden dazu beitragen, den Lebensstandard auf dem ganzen Kontinent herabzudrücken.

Die Osterweiterung droht Investitionen und EU-Fördermittel von Randregionen wie Irland abzuziehen - eine der Fragen, die die Gegner von Nizza motivierte. Die Befürworter setzten dem entgegen, dass eine Ablehnung der Erweiterung dazu führen werde, Irland von den politischen und ökonomischen Entwicklungen abzuschneiden.

Seit Irland 1973 gemeinsam mit Großbritannien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitrat, haben EWG- und später EU-Mittel für die am wenigsten entwickelten Regionen des Wirtschaftsblocks entscheidend dazu beigetragen, transnationale, vor allem amerikanische Investitionen in die irische Republik zu locken. Billige Arbeitskräfte und der Zugang zu den europäischen Märkten haben der irischen Wirtschaft in den 90er Jahren die höchsten Wachstumsraten in Europa beschert; obwohl die Wachstumsraten stark zurückgehen, sind sie immer noch relativ hoch. Daher gibt es in der Bevölkerung keine nationalistische Antipathie gegen Europa, wie zum Beispiel in Dänemark oder Norwegen.

In der Rolle der "guten Europäer" waren irische Regierungen in der Lage, ein gewisses Ansehen in Europa und bei Wirtschaftsführern zu erwerben. Ahern warnte: "Es unterliegt keinem Zweifel, dass unsere Verhandlungsposition enorm geschwächt würde, wenn wir uns gegen alle Mitglieder der Union und gegen alle Beitrittskandidaten stellen und die Ratifizierung von Nizza ablehnen. Eine Ablehnung wäre der sicherste Weg, die Sympathie, die viele Länder für uns hegen, nachhaltig zu beschädigen." Ahern wurde darin von den ehemaligen Taioseachs John Burton und Garret Fitzgerald unterstützt.

Die andere umstrittene Frage war die der Neutralität. Seit ihrer Gründung hat die irische Republik eine Position der militärischen Neutralität eingenommen, und dieser Standpunkt hat für einen großen Teil der Bevölkerung den Stellenwert eines Glaubensartikels. Die Republik hielt sich mit der Begründung aus dem zweiten Weltkrieg und aus der Nato heraus, nicht mit Großbritannien - der Macht, die Nordirland besetzt hält - militärisch kooperieren zu wollen.

Solange die EWG und die EU lediglich als Handels- und Wirtschaftsblöcke verstanden wurden, waren die wirtschaftlichen Beziehungen zu Großbritannien und Europa unproblematisch. Aber der Vertrag von Nizza beinhaltet die Entwicklung einer unabhängigen europäische Streitmacht. Das Land hat sich schon dem Nato-Programm "Partnerschaft für den Frieden" angeschlossen. Aber der Beitritt Irlands zum Vertrag von Nizza stellt unmissverständlich das Ende der Neutralität und die Möglichkeit einer militärischen Allianz mit Großbritannien auf die Tagesordnung. Um eine nationalistische Reaktion darauf zu vermeiden, fügte die Regierung eine Garantie ein, dass die Neutralität nicht ohne ein weiteres Referendum angetastet werde.

Die Gegenkampagne wurde auch dieses mal von Sinn Fein und den Grünen angeführt sowie von einigen Gewerkschaften, aber auch einige extrem rechte und religiöse Elemente beteiligten sich. Sie lehnten das zweite Referendum als undemokratisch ab, weil zum erstenmal unter der derzeit geltenden Verfassung von 1937 das Ergebnis eines früheren Referendums ignoriert wird. Die Gegner wiesen auch darauf hin, dass der eigentliche Zweck von Nizza die Vorherrschaft der großen Länder sei. Als Alternative boten die Gegner Wirtschaftsnationalismus oder die stärkere Betonung nationaler Interessen in der EU an. Nicht zum erstenmal in Europa argumentieren die extreme Rechte und Teile der kleinbürgerlich-radikalen Linken gemeinsam für die Verteidigung des Nationalstaats. Während der Referendumskampagne wurde bekannt, dass der Anti-Abtreibungsaktivist und Nizza-Gegner Justin Barnett an Kundgebungen der NPD in Deutschland und der neofaschistischen Forza Nuova in Italien teilgenommen hatte.

Die Nizza-Gegner hofften von der schnell wachsenden Enttäuschung über die erst kürzlich gewählte Koalitionsregierung von Fianna Fail mit den progressiven Demokraten zu profitieren. Bertie Aherns persönliche Popularität hatte nach der Veröffentlichung des Flood-Berichts stark gelitten, der das frühere Regierungsmitglied Ray Burke als korrupt entlarvte. Ahern wurde in dem Bericht zwar nicht persönlich beschuldigt, aber er hatte Burke zu dem Posten in der Regierung verholfen.

Auch die Verschlechterung der Staatsfinanzen unter dem Druck der Weltrezession machte Ahern zu schaffen. Fianna Fail verschleierte während der Parlamentswahlen das Ausmaß des Niedergangs der Staatsfinanzen. Jetzt werden drastische Sparmaßnahmen erwartet. Eine Umfrage ergab kürzlich, dass 84 Prozent der Befragten der Meinung sind, Finanzminister Charles McCreevy habe die Wähler über die wahre Lage der Staatsfinanzen getäuscht. Nur fünf Monate nach der Wahl vertrauten nur noch 33 Prozent der Regierung.

Am Ende aber schlug sich das Misstrauen gegen Ahern und seine Regierung nicht in Feindschaft gegen den Vertrag von Nizza nieder. Das ist nicht nur das Ergebnis des finanziellen Einsatzes und der Bemühungen der großen Parteien, sondern auch einer echten Unterstützung breiter Schichten des irischen Volkes für die europäische Einheit und der Unfähigkeit der Vertragsgegner, eine progressive Alternative für die Einigung des Kontinents aufzuzeigen, die nicht auf der Unterstützung der EU beruht.

Das Ergebnis des irischen Referendums wurde von den europäischen Regierungen und gesellschaftlichen Eliten begrüßt. Kommissionspräsident Romano Prodi lobte Aherns Kraftanstrengung im Einsatz für das Referendum. Phillip de Buck, Generalsekretär der Unice - eines europäischen Unternehmerverbandes -, nannte sie "eine historische Entscheidung, die endlich die Einigung Europas ermöglichen, und Stabilität, Wachstum, und Wohlstand für unseren ganzen Kontinent bringen wird". Die Währungs- und Aktienbörsen reagierten positiv. Der polnische Ministerpräsident Leszek Miller erging sich in lyrischen Betrachtungen über seine Vorliebe für Guinness und freute sich auf Polens Beitritt.

Nachdem die Euphorie etwas abgeebbt war, versuchten die europäischen Kommentatoren Lehren aus der Erfahrung zu ziehen. Niemals wieder solle ein so wichtiger Vertrag dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Die deutsche Frankfurter Rundschau meinte, in einem größeren europäischen Land hätte die Zustimmung nicht durchgesetzt werden können. Die rechte französische Tageszeitung Le Figaro schrieb: "Wenn jedes Land jeden Vertrag ratifizieren muss - wo soll das bei 25 oder 27 Mitgliedern hinführen?" In Großbritannien lamentierte der Labour-freundliche Independent. "Es ist sicherlich ein Zeichen, dass etwas grundlegend faul ist, wenn eine Organisation, die darauf angelegt ist, die Völker Europas ‚einander näher zu bringen’, eine Frage zweimal in einem Referendum vorlegen muss, um die ‚richtige’ Antwort zu bekommen."

Siehe auch:
Artikel über die Europäische Union
(25. Mai 2002)
Die Auswirkungen der bevorstehenden EU-Osterweiterung
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