Die EU plant die Abschiebung von 100.000 Flüchtlingen nach Afghanistan

Die Innenminister der EU-Staaten wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, um Flüchtlinge rasch und effizient abzuschieben. Auf ihrem letzten Treffen, das Ende November in Brüssel stattfand, vereinbarten sie, verstärkt gemeinsam Charterflüge in die Herkunftsländer abgelehnter Asylbewerber zu organisieren.

Letzte Woche teilte die EU-Kommission mit, dass sie dieses Vorhaben mit Millionenbeträgen aus dem Flüchtlingsfonds der EU fördern wolle. Damit sollen Rückflüge finanziert und besonders kooperative Herkunftsländer "belohnt" werden.

Die Kommissare Chris Patten, zuständig für die Außenbeziehungen der EU, und Antonio Vitorino, verantwortlich für Innenpolitik und Justiz, legten dazu einige Zahlen vor. In den nächsten sieben Jahren sollen nahezu 935 Millionen Dollar für Länder zur Verfügung gestellt werden, die ihre geflohenen Staatsbürger zurücknehmen.

In diesem Jahr hat die EU-Kommission 13,7 Millionen Euro für entsprechende Charterflüge ausgegeben. Im vergangenen Jahr waren es 8,2 Millionen Euro. Darüber hinaus haben die 15 EU-Staaten 38 Prozent der Mittel aus ihrem gemeinsamen Flüchtlingsfonds für die "freiwillige" Rückkehr von Flüchtlingen genutzt. Dieser Fonds umfasst in diesem Jahr 45,8 Millionen Euro. Vitorino forderte eine Aufstockung dieser Mittel, um daraus auch Zwangsabschiebungen finanzieren zu können.

17 Millionen Euro wurden nun bereitgestellt, um 100.000 Flüchtlinge aus Afghanistan ab dem Frühjahr 2003 zur Rückkehr zu bewegen. Die Regierung in Afghanistan soll also 170 Euro pro zurückgenommenem Flüchtling erhalten. Mit diesem Geld, so behauptet die EU, sollten möglichst Arbeitsplätze oder Ausbildungsprogramme finanziert werden. Doch die lächerlich geringe Summe und die katastrophale Lage in Afghanistan machen solche Maßnahmen unmöglich. Die Finanzierung der Rückflüge sollen in diesem Fall die einzelnen EU-Staaten selbst tragen.

Derzeit verhandelt die EU-Kommission über weitere Rücknahmeabkommen mit Russland, Pakistan, Marokko und der Ukraine. Die EU-Innenminister forderten, dass die Kommission außerdem mit Albanien, Algerien, China und der Türkei entsprechende Verhandlungen aufnehmen solle.

Vitorino verwies des Weiteren auf zahlreiche Kooperationsabkommen gegen illegale Einwanderung in die EU. Dabei hob er besonders den Ausbau der Grenzkontrollen in Osteuropa und die Unterstützung Marokkos hervor, das aus dem Mittelmeerprogramm der EU 40 Millionen Euro erhält, um seine Außengrenzen besser zu überwachen.

Alle europäischen Länder stecken Milliarden in die Modernisierung ihrer Armeen und in den Ausbau der Polizei- und Überwachungsapparate. Doch für die Unterstützung von Flüchtlingen und die Integration von Einwanderern ist angeblich kein Geld vorhanden. Sogar Mittel aus dem Flüchtlingsfonds der EU, der angeblich der sozialen Unterstützung von Hilfesuchenden dienen soll, werden benutzt, um die Betroffenen möglichst schnell aus der EU hinauszuwerfen.

Der Plan für die Abschiebung von 100.000 Flüchtlingen nach Afghanistan zeigt, wie zynisch die europäischen Regierungen mit den Opfern der Politik umgehen, die von den imperialistischen Regierungen der USA und Europas betrieben wird. Zwei Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg - und der im Oktober 2001 von den USA angeführte Krieg im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus - haben dieses Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, weitgehend zerstört. Und während seit einem Jahr eine internationale Schutzmacht in Kabul stationiert ist, um den von den USA eingesetzten Präsidenten Hamid Karsai und seine Regierung zu stützen, und Spezialeinheiten der US-Armee im Land operieren, gibt es so gut wie keine Unterstützung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, für die Schaffung einer zivilen Infrastruktur, für Bildung und Gesundheit, Wohnungen und Nahrungsmittel.

Laut einer vor Kurzem vorgestellten Studie sterben in Afghanistan 16 von 1000 Müttern während der Schwangerschaft oder Geburt. Jedes vierte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Vier von zehn dieser Kinder sterben mangels ärztlicher Versorgung an leicht heilbaren Krankheiten.

Von der vor einem Jahr bei der ersten Petersberger Konferenz zu Afghanistan versprochenen Hilfe der Geberländer ist bisher fast nichts in Afghanistan eingetroffen - mit der Begründung, die Sicherheitslage lasse es nicht zu. Mangelnde Sicherheit und fehlende Versorgungsmöglichkeiten gelten aber nicht als Hinderungsgrund für Abschiebungen. So kritisierte Amnesty International die Abschiebungspläne der EU-Kommission, da die Sicherheitslage in Afghanistan noch viel zu labil sei.

In Deutschland können Tausende Asylsuchende und im letzten Jahr als asylberechtigt anerkannte Flüchtlinge von den Abschiebungen betroffen sein. Oftmals leben sie schon seit Jahren hier.

Während der Zeit der Taliban-Herrschaft wurde vielen Flüchtlingen aus Afghanistan mit der Begründung, dass es in ihrem Land keine staatliche Verfolgung gebe, das Asyl verweigert. In den Jahren 1999 und 2000 wurden nur 1,6 bzw. 0,9 Prozent der Asylsuchenden aus Afghanistan anerkannt. Das war bereits unter der Koalitionsregierung von SPD und Grünen.

Im Februar 2001 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es in Afghanistan doch eine quasistaatliche Verfolgung gebe. Ab Juni 2001 stieg die Anerkennungsquote kurzfristig an. Über 63 Prozent der Antragsteller aus Afghanistan wurde der Flüchtlingsstatus zuerkannt, viele von ihnen hatten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Folgeantrag gestellt.

Kurz danach begann der von den USA geführte Krieg gegen Afghanistan. Der Sturz des Taliban-Regimes und die Einsetzung der Karsai-Regierung gefährdeten den Status der Flüchtlinge in Deutschland erneut. So heißt es in dem Bericht von Pro Asyl zum Tag des Flüchtlings 2002:

"Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge in Deutschland müssen nun darum fürchten, dass das Bundesamt ihre Asylgründe entfallen sieht und Widerspruchsverfahren einleitet - für Menschen, die lange Jahre auf ihr Recht warten mussten, eine Katastrophe. Den vielen jahrelang Geduldeten droht die Abschiebung in ein offiziell befriedetes Land, in dem sie erneut vor dem Nichts stehen."

Siehe auch:
Afghanistan versinkt in Armut, Unsicherheit und despotischer Herrschaft
(11. Dezember 2002)
EU-Gipfel verschärft Angriffe auf Flüchtlinge und Ausländer
( 29. Juni 2002)
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