Italien

Heftige Proteste gegen Entlassungen bei Fiat

Mit Arbeitsniederlegungen, Werks- und Straßenblockaden sowie Demonstrationen haben in den vergangenen Tagen Tausende Belegschaftsangehörige gegen Massenentlassungen beim Automobilkonzern Fiat protestiert. Die Gewerkschaften drohen mit einem Generalstreik.

Die Regierung Berlusconi hatte am Donnerstag dem Sanierungsplan des Konzerns zugestimmt, der die Stillegung zweier Werke - Termini Imerese auf Sizilien und Arese bei Mailand - und weitere Entlassungen im Turiner Stammwerk vorsieht. Am Montag wurden 5.600 Arbeiter auf die Straße gesetzt, Mitte nächsten Jahres sollen 2.500 weitere folgen.

Der hochverschuldete Automobilkonzern, der seit Jahresbeginn starke Absatzeinbußen verzeichnet, hatte den Sanierungsplan bereits am 9. Oktober vorgelegt und damit heftige Proteste ausgelöst. Darauf hatte sich die Regierung eingeschaltet. Regierungschef Silvio Berlusconi kritisierte den Sanierungsplan heftig und sprach zeitweilig von einer Verstaatlichung des Konzerns. Sein Stellvertreter, der Chef der Nationalen Allianz Gianfranco Fini, forderte ein Verbot der Werksstillegung im strukturschwachen Sizilien.

Das erwies sich alles als heiße Luft. Als sich die Gewerkschaften am Donnerstag zu Verhandlungen im Amtssitz des Regierungschefs einfanden, wurde ihnen ein Vorschlag unterbreitet, der bereits die Unterschrift der Geschäftsleitung trug und mit deren ursprünglichem Konzept weitgehend identisch war. Der Arbeitsplatzabbau wird wie geplant durchgeführt.

Als einziges Zugeständnis wird die Fiktion aufrecht erhalten, die Betroffenen könnten zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingestellt werden. Sie werden formell nicht entlassen, sondern wechseln in die staatliche Lohnausgleichskasse (Cassa Integrazione), die maximal ein Jahr lang für ihr Einkommen aufkommt. Die Höchstgrenze beträgt dabei 776 Euro monatlich, was zum Leben nicht ausreicht.

Ministerpräsident Berlusconi empfahl den betroffenen Arbeitern am Wochenende in einem Fernsehinterview, sie könnten sich ja "eine zweite Arbeit suchen, um zusätzliches Geld für ihre Familien zu verdienen; gerne auch unter der Hand und inoffiziell". Dieser Aufruf zur illegalen Schwarzarbeit aus dem Mund des Regierungschefs heizte die Empörung zusätzlich an.

2.400 Betroffene können - ebenfalls mit staatlicher Unterstützung - ab 57 in Frührente gehen. Die Regierung will außerdem die Nachfrage nach Autos stimulieren. Fiat hat sich verpflichtet, das Werk in Termini Imerese ab September 2003 wieder zu öffnen, allerdings nur noch mit einer Schicht am Tag.

Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass die jetzt Entlassenen jemals an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden. Wirtschaftsexperten halten den Sanierungsplan für unzureichend und betrachten ihn lediglich als ersten Schritt zu weiteren Einschnitten. "Was Fiat braucht, ist eine radikale Umstrukturierung zu wettbewerbsfähigen Produkten und Preisen", kommentierte der Fondsmanager Giulio Brunetta. Im Gespräch ist auch eine Übernahme von Fiat durch den US-Konzern General Motors, der in seinen europäischen Werken massiv Arbeitsplätze abbaut.

Das Einschwenken der Regierung auf die Linie des Konzerns löste heftige Proteste aus.

Bereits am Donnerstag hatten Ehefrauen von betroffenen Arbeitern aus Termini Imerese vor dem römischen Amtssitz des Ministerpräsidenten ein Sit-in organisiert. Als das Ergebnis der Verhandlungen bekannt wurde, skandierten sie: "Hanswurste, Schwindler. Eine Schande."

Am Freitag wurden dann alle Fiat-Werke, auch die nicht unmittelbar betroffenen, sowie mehrere Zulieferbetriebe den ganzen Tag über bestreikt. In der Nähe von Neapel blockierten wütende Arbeiter die Nord-Südautobahn, in Turin mehrere Hauptstraßen und ein großes Fiat-Werk. Auf Demonstrationszügen warfen sie der Regierung vor, sie habe sie verraten und vor Fiat kapituliert.

Selbst die Saisoneröffnung am Mailänder Opernhaus Scala, eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse Italiens, geriet in den Strudel der Proteste. Gewerkschafter verlasen auf der Bühne Resolutionen, während sich vor dem Haus die Demonstranten drängten.

Am Montag gingen die Proteste weiter. Die drei großen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL riefen die Fiat-Belegschaften zu einem vierstündigen Streik und zu weiteren Demonstrationen auf. Hatten CISL und UIL im Sommer noch einen "Pakt für Italien" mit der Regierung Berlusconi unterzeichnet, so sind sie sich diesmal gegen die Regierung einig.

Die Auseinandersetzungen bei Fiat finden vor dem Hintergrund wachsender Proteste gegen die rechte Regierung statt, die vor zweieinhalb Jahren ins Amt kam. Nach Angaben des Statistischen Amts sind in Italiens Großindustrie seit Jahresbeginn 33.600 Arbeitsplätze verloren gegangen. Die steigende Arbeitslosigkeit, der ständige Sozialabbau und Berlusconis Angriffe auf Justiz und Pressefreiheit stoßen auf den Widerstand breiter Schichten von Arbeitern und Intellektuellen.

Schon im Frühjahr war es in zahlreichen Städten zu Demonstrationen gegen die Regierung gekommen, die schließlich am 23. März in einer Massenkundgebung in Rom gipfelten, zu der zwei bis drei Millionen Teilnehmer kamen. Am 16. April beteiligten sich 13 Millionen Arbeiter an einem eintägigen Generalstreik gegen den Abbau von Arbeitnehmerrechten. Und am 9. November gingen in Florenz über ein halbe Million gegen die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak auf die Straße.

Der Bewegung fehlt es allerdings an einer politischen Orientierung und Führung. Die offizielle Opposition, das Parteienbündnis "Olivenbaum", hält sich auffallend zurück. Es betrachtet die Bewegung eher mit Schrecken als mit Begeisterung, hatte es in seiner fünfjährigen Regierungszeit doch selbst massive Angriffe auf soziale Errungenschaften durchgeführt.

Siehe auch:
Massenproteste gegen Arbeitsplatzabbau in Italien
(24. Oktober 2002)
Achtstündiger Generalstreik in Italien
( 18. April 2002)
Millionen demonstrieren gegen Berlusconi
( 26. März 2002)
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