Bundesregierung beharrt auf Lohnstopp im öffentlichen Dienst

Vieles deutet darauf hin, dass es die Bundesregierung im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes auf einen Streik ankommen lassen will.

In der Vorweihnachtswoche waren die Tarifverhandlungen in Kassel gescheitert. Nach 14-stündigem Verhandlungsmarathon hatte Innenminister Otto Schily (SPD) als Verhandlungsführer der öffentlichen Arbeitgeber erstmals ein Angebot vorgelegt. Es beinhaltet eine minimale Lohnerhöhung, die noch nicht einmal die Inflationsrate ausgleicht und durch eine Verlängerung der Arbeitszeit nahezu vollständig kompensiert werden soll.

Im Einzelnen sieht das von der Gewerkschaft Verdi als Provokation bezeichnete Angebot folgendes vor: 0,9 Prozent Lohnerhöhung für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst ab Januar 2003. In den alten Bundesländern sollen danach die Löhne und Gehälter ab Oktober nächsten Jahres, in den neuen erst ab Januar 2004 um weitere 1,2 Prozent steigen. In den alten Bundesländern soll die Wochenarbeitszeit um eine halbe Stunde verlängert werden und wieder 39 Stunden betragen. Begründet wird dies mit der Angleichung der unterschiedlichen Arbeitszeiten in Ost und West.

Bei einer vorgeschlagenen Laufzeit bis Juni 2004 bedeutete dieses Angebot eine eindeutige Reallohnsenkung für die knapp 3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Als der Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Franz Bsirske, die Verhandlungen daraufhin für gescheitert erklärte, begann auf allen Regierungsebenen ein wahres Trommelfeuer gegen die Beschäftigten. Innenminister Schily bezeichnete das Verhalten der Gewerkschaft als "völlig starr" und unannehmbar. Verdi nehme "keine Rücksicht auf die leeren Kassen bei Bund, Ländern und Gemeinden", rügte Schily.

Als Verhandlungsführer der Kommunen drohte der Bochumer Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber (SPD) im Falle eines Streiks mit Aussperrung und kündigte an, es werde "mit harten Bandagen gerungen". Es ist zum ersten Mal in der Geschichte der Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, dass die Arbeitgeber mit Aussperrung drohen. Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU), der Vertreter der Bundesländer, warf der Gewerkschaft "Erpressung" vor. Faltlhauser wörtlich: "Wir werden nicht nachgeben - keinen Millimeter." (Süddeutsche Zeitung)

Hauptargument der öffentlichen Arbeitgeber und vieler Medienkommentare sind die "leeren öffentlichen Kassen". Bund, Länder und vor allem die Kommunen, die die meisten Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigen, seien restlos überschuldet und daher schlicht unfähig, höhere Löhne und Gehälter zu zahlen.

Kaum jemand stellt die Frage, wer die öffentlichen Kassen geleert hat. Dabei liegen die Fakten auf der Hand. Allein die rot-grüne Steuerreform im Jahr 2000 hat Milliarden in die Kassen der großen Unternehmen gespült. Die vom Bund kassierten Gewinnsteuern sanken im folgenden Jahr von 76,7 Milliarden Euro auf knapp 56 Milliarden Euro, die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer sogar von 23,6 Milliarden Euro auf 1,7 Milliarden.

Die Steuerpolitik im Interesse der Reichen nimmt immer groteskere Formen an. Während den Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit dem Hinweis auf leere Kassen eine Nullrunde verordnet wird, werden Kapitalerträge demnächst nur noch zu einem Pauschalsatz von 25 Prozent versteuert, statt wie bisher nach dem Einkommenssteuertarif, der im Höchstfall 48,5 Prozent beträgt.

Auch das Argument, die Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst rechtfertige Lohneinbußen, stimmt nicht. Obwohl in den vergangenen zehn Jahren die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst deutlich hinter jenen der Privatwirtschaft zurückblieben, wurde von 1991 bis 2001 mehr als jeder fünfte Arbeitsplatz bei Bund, Ländern und Gemeinden abgebaut - insgesamt 1,6 Millionen Arbeitsplätze.

Angesichts dieser Situation ist die Verbitterung unter den Beschäftigten sehr groß und die Bereitschaft, sich gegen die unsoziale Politik der Regierung zur Wehr zu setzen, nimmt deutlich zu. Nach Angaben der Gewerkschaft beteiligten sich überraschend viele an den Warnstreiks der vergangenen Wochen.

Am 2. Januar beginnt nun das Schlichtungsverfahren. Von Verdi wurde der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Hans Koschnick, und von Arbeitgeberseite der frühere Leipziger Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (beide SPD) berufen. Beide sind keine Neulinge auf diesem Gebiet, sie waren bereits vor zweieinhalb Jahren als Schlichter im öffentlichen Dienst tätig. Damals wurde ihr Schiedsspruch, der mit 2,2 Prozent weit unter der ursprünglichen Forderung von fünf Prozent lag, von den Beschäftigten abgelehnt. Erst als die damalige ÖTV-Führung starken Druck auf die Gewerkschaftsmitglieder ausübte, konnte er schließlich durchgesetzt werden.

Die Rolle von Verdi

Frank Bsirske ist der erste Vorsitzende einer großen Gewerkschaft, der nicht der SPD, sondern den Grünen angehört. Er trat auf Protestkundgebungen während der Warnstreiks mit scharfen Worten gegen die öffentlichen Arbeitgeber auf. Auch gegen die Bundesregierung richtete er zum Teil heftige Angriffe. Es sei ein "sozialer Skandal", wenn die Regierung einerseits die "Klammheit der öffentlichen Kassen" beklage, andererseits aber den Reichen im Land durch den Verzicht auf Vermögenssteuer Milliarden geschenkt würden, tönte er auf Streikversammlungen.

Doch seine kritischen Worte können nicht darüber hinweg täuschen, dass Bsirske vor allem versucht, den Protest der Beschäftigten unter Kontrolle zu halten, und die Regierung davor warnt, die Stimmung unter den Lehrern, Krankenschwestern, Straßenreinigern und anderen Berufsgruppen des öffentlichen Diensts zu unterschätzen.

Im Bundestags-Wahlkampf hatte Bsirske die Schröder-Regierung unterstützt. Er gehört zu den Verfechtern der Vorschläge der Hartz-Kommission und hat den Koalitionsvertrag der neuen Regierung uneingeschränkt begrüßt. Nach der Wahl war er als möglicher vierter grüner Minister im Kabinett Schröder im Gespräch. Doch dann wurde entschieden, dass er an der Spitze von Verdi eine für die Regierung gegenwärtig noch wichtigere Funktion ausübe.

Anfang November setzte er gegen erheblichen Widerstand von unten die Tarifforderung von nur drei Prozent durch. Neun der 13 Landesverbände von Verdi hatten Forderungen in einer Größenordnung von 5,5 bis 6,5 Prozent aufgestellt.

Doch der gegenwärtige Tarifkampf ist nicht auf die Lohnfrage beschränkt. Während Bsirske und Schily sich über die Einkommensfrage eine heftige Schlacht liefern und es möglicherweise zum Streik kommen lassen, findet im Hintergrund eine Zusammenarbeit statt, die darauf abzielt, das bisherige Tarifgefüge im öffentlichen Dienst auszuhebeln.

So sollen in Zukunft nicht nur "Sparten- und Branchentarifverträge" im öffentlichen Dienst eingeführt werden, sondern auch Öffnungsklauseln. Dabei ist vorgesehen, den bundesweiten Vertrag auf einen Manteltarif zu beschränken, in dem nur die "Eckpunkte" festgelegt werden, während in Sparten und Branchen eigene Entscheidungen getroffen werden, die vom Mantel stark abweichen können.

Diese Tarifreform, die gegenwärtig zu heftigen Auseinandersetzungen in der Gewerkschaft führt, ist für die öffentlichen Arbeitgeber nicht weniger wichtig als die Einkommenshöhe. Denn sie spielt eine Schlüsselrolle in der Vorbereitung auf weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst. Bisher haben private Investoren ein Engagement nicht selten mit Hinweis auf die starre Tarifform abgelehnt, und kommunale Unternehmen fühlen sich im Wettbewerb mit privaten Anbietern durch die bestehenden Tarife behindert.

Dass Verdi bereit ist, eine Öffnung der Tarife und damit verbundene Verschlechterungen für die Beschäftigten auch gegen Widerstand in den eigenen Reihen durchzusetzen, zeigt folgendes Beispiel: Für die Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr der Ruhrmetropole Essen hat Verdi vor einem Jahr mit der Essener Verkehrs AG einen Spartentarifvertrag ausgehandelt. Das führte zu erheblichen Lohneinbußen für die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe. Sie müssen seitdem auf etwa 250 Euro Grundlohn, den Kinderzuschlag und mehrer freie Tage verzichten. Als sich Beschäftigte dagegen zur Wehr setzten und sich einer innergewerkschaftlichen Oppositionsgruppe "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi" anschlossen, wurden sie von der Gewerkschaftsführung heftig attackiert und mit Ausschluss bedroht.

Siehe auch:
Beschäftigten im öffentlichen Dienst droht Nullrunde
(26. Oktober 2002)
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