"Streik" in Venezuela: Anatomie einer von den USA gestützten Provokation

Die Führer des rechten Bündnisses, das Venezuelas Präsident Hugo Chavez stürzen will, haben die Forderung aufgegeben, Chavez müsse sofort zurücktreten, damit sie ihre mehr als sechs Wochen alte Blockade der Wirtschaft abbrechen.

Vertreter der Demokratischen Koordination deuteten außerdem an, dass es Ärzten, Restaurantbesitzern und anderen kleinen Geschäftsleuten frei stehe, ihre Teilnahme am so genannten Generalstreik, der am 2. Dezember begann, zu beenden. Rafael Alfonzo, ein Führer der Fedecamaras, der venezolanischen Handelskammer, sagte, dass viele Geschäfte vor dem Bankrott stünden, wenn sie geschlossen blieben. "Wir sind der Ansicht, dass es nicht die richtige Entscheidung ist, wenn der private Sektor eliminiert wird", sagte er. Die Frage ob wieder geöffnet werde, liege "jetzt überwiegend im individuellen Ermessen".

Die sporadischen Aussperrungen durch Unternehmer, die die Anti-Chavez-Kampagne unterstützen, hatten relativ geringe Auswirkungen auf die venezolanische Wirtschaft. Viel schwerwiegender ist die Schließung der Ölindustrie durch Vorstände und Manager der PDVSA, der staatlichen Gesellschaft, auf deren Konto der größte Teil der venezolanischen Exporte und die Hälfte der Staatseinnahmen gehen.

Die PDVSA-Manager, meist durch rechte Vorgängerregierungen eingesetzt und Chavez feindlich gesonnen, wurden von den Gewerkschaften der Angestellten und des niederen Managements unterstützt. Viele Arbeiter blieben dagegen am Arbeitsplatz und drückten ihre Opposition gegen die Schließung aus.

Der Chavez-Regierung gelang es, die Ölproduktion trotz der Sabotage an der Spitze in begrenztem Umfang wieder in Gang zu bringen, als Arbeiter der unteren Ebene ihre Bosse an den Schalthebeln der drei Hauptraffinerien des Landes ersetzten. Die Produktion hat ein Niveau von 400.000 Barrels am Tag erreicht, genug um den Eigenbedarf des Landes zu decken, aber nicht genug, um den Export in ernsthafter Größenordnung wieder aufzunehmen. Diese Anstrengungen wurden ergänzt durch Ölhilfslieferungen aus Brasilien, Russland und anderen Ländern, die die von den USA unterstütze Kampagne gegen den venezolanischen Präsidenten ablehnen.

Die wirklichen Klassengegensätze im Öl-"Streik" machte ein Artikel der New York Times vom 29. Dezember deutlich, eine der wenigen ehrlichen Reportagen über die Ereignisse in Venezuela, die in der amerikanischen Presse erschienen. Der Times -Reporter Ginger Thompson besuchte die PDVSA-Raffinerie in Puerto La Cruz und schrieb:

"Beinahe einen Monat nach Beginn von Venezuelas verheerendem nationalen Streik, liefen diese Woche alle Systeme hier in der Raffinerie, die die östliche Hälfte des Landes mit Benzin versorgt, fast wieder normal. Nachtschichtarbeiter platzten fast vor Stolz, als wären sie Kriegshelden.

Félix Deliso, der bei Petroleos de Venezuela, der staatlichen Öl-Gesellschaft, seit zwölf Jahren arbeitet, stand über einer Konsole mit so vielen blinkenden Knöpfen und Computer-Bildschirmen Wache, dass es aussah wie auf der Brücke eines Raumschiffs. Herr Deliso überwacht 3.000 Maschinen und Prozesse, die Rohöl in Benzin verwandeln. Obwohl er Gymnasialbildung hat, wurde er hier als Spezialist ausgebildet und sieht seine Aufgabe als so heikel an, wie das Entschärfen einer Bombe.

Mit Rumpfbelegschaften, die sehr viele Überstunden machen, gelingt es Herrn Chavez tröpfchenweise wieder Benzin in Venezuelas Pumpen zu bekommen. Spitzenkräfte hier sagten, dass diese Raffinerie seit Beginn letzter Woche 60.000 Barrel Benzin am Tag produzierte, ungefähr 70 Prozent ihrer normalen Kapazität und beinahe ein Viertel der 225.000 Barrel, die das Land täglich verbraucht...

Die Raffinerie hier im lieblichen Puerto La Cruz wurde zum Schaufenster für das Wiedererstarken der Regierung. Beinahe alle höheren Führungskräfte der Fabrik haben sich dem Streik angeschlossen. Aber Spitzenkräfte hier sagten, dass weniger als 20 Prozent der Maschinisten, Mechaniker und Techniker ihre Arbeitsplätze verließen. ‚Wir sind jetzt stolzer als jemals zuvor', sagte Wifredo Bastardo, ein 17-jähriger Ölveteran. ‚Wir haben unseren Chefs gezeigt, dass wir diese Fabrik ohne sie betreiben können'."

Chavez hat 1000 Angestellte der PDVSA, die meisten von ihnen aus der mittleren und höheren Ebene, entlassen. Er kündigte an, dass die Gesellschaft in zwei Teile aufgeteilt wird, um das verbohrte Management zu erschüttern, das die Gesellschaft lange als Schmiergeldkasse für Venezuelas herrschende Elite benutzt und Milliarden für Bestechungen und Mauscheleien verteilt hat.

Die Wiederaufnahme der Öl-Verarbeitung und das Scheitern des "Generalstreiks" außerhalb der überwiegend von der Oberschicht bewohnten Gegend auf der Ostseite von Caracas ermöglichten es Chavez, das Land zu verlassen, ohne unmittelbar einen Staatsstreich befürchten zu müssen. Er reiste zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Luis Inacio "Lula" da Silva am 2. Januar nach Brasilien und brandmarkte dort die rechte Kampagne als "Staatsstreichsversuch in Verkleidung eines Streiks", organisiert von "Terroristen, die die Öl- und Lebensmittelverteilung blockieren und Raffinerien sabotieren".

Es gab mehrere ernsthafte Versuche, die Anti-Chavez-Kampagne wiederzubeleben. Am 3. Januar wurden zwei Männer während einer Konfrontation zwischen Chavez-Gegnern- und Befürwortern auf den Straßen der Hauptstadt erschossen. Die venezolanischen Medien, die völlig von den Rechten kontrolliert werden, brandmarkten die Morde als einen grausamen Akt der Repression durch die Regierung. Es stellte sich jedoch später heraus, dass beide Opfer Unterstützer von Chavez waren, Sicherheitsmitarbeiter im Erziehungsministerium der eine, armer Straßenhändler mit zwei Kindern der andere.

Am 8. Januar, als viele Geschäfte wieder öffneten, kündigte die Demokratische Koordination einen 48-stündigen Streik der Bankangestellten an, um die Anti-Chavez-Proteste zu verstärken. Jedoch nur eine Gewerkschaft, die 30 Prozent der Bankangestellten vertritt, segnete die Aktion ab. Der Rest der Bankangestelltenorganisationen widersetzte sich dem Ausstand, der vom höheren Management der Banken, einschließlich US-Finanz-Instituten wie der Citybank, angeordnet wurde.

Die Bankenaussperrung untergrub die rechte Kampagne eher, als sie zu stärken, da sie kleineren Geschäftsleuten und Teilen der Mittelklasse den Zugang zu ihren Konten versperrte, während sie wenig Auswirkungen auf die Bargeldwirtschaft der Barrios hatte.

Die Rolle der Vereinigten Staaten

Sowohl beim Anwachsen als auch im Niedergang der Anti-Chavez-Kampagne spielte die US-Regierung eine entscheidende Rolle. Die Ankündigung der Demokratischen Koordination, den "Generalstreik" zurückzufahren, erfolgte unmittelbar, nachdem US-Stellen ihre Besorgnis über die lange Schließung der venezolanischen Ölindustrie geäußert hatten, die 1,3 Millionen Barrel pro Tag auf den US-Markt liefert.

Die Bush-Regierung hat die Anti-Chavez-Kampagne im vergangen Jahr zweimal offen unterstützt. Während eines Staatsstreichs des Militärs im April unterstützten die USA als einzige westliche Regierung den Sturz des gewählten Präsidenten und seine Ablösung durch eine Junta. Das neu installierte Staatsoberhaupt Pedro Carmona, der Präsident von Venezuelas Handelskammer, kündigte sofort die Auflösung der Nationalversammlung an und wollte auf Grundlage von Dekreten regieren. Innerhalb von 48 Stunden brachte das Militär Chavez angesichts von Volksaufständen gegen den Staatsstreich wieder an die Macht.

Seine rechten Gegner jedoch formierten sich neu und organisierten die Aussperrung durch die Unternehmen vom 2. Dezember. Die Darstellung der venezolanischen und nordamerikanischen Medien, diese Aktion sei ein Streik, wurde ansonsten nur von der rechten CTV-Gewerkschaftsföderation gestützt - einer gelben Gewerkschaft, die von der amerikanischen AFL-CIO und dem US State Department finanziert wird.

Am 13. Dezember drückte die Bush-Regierung erneut ihre Unterstützung für verfassungswidrige Aktionen in Venezuela aus. Pressesprecher Ari Fleischer erklärte, dass das Weiße Haus Neuwahlen unterstütze, obwohl Chavez' Amtszeit erst 2006 endet. Drei Tage später änderte die Regierung ihre Haltung und forderte eine nicht näher spezifizierte "Wahllösung" für die venezolanische Krise, ließ aber die Forderung nach Chavez Rücktritt, wie von der rechten Opposition gefordert, fallen.

Mehrere außenpolitische Erwägungen führten zu diesem vorsichtigeren Weg. Die USA waren bereit, eine Lahmlegung der Ölindustrie durch die Opposition zu unterstützen, falls sie zur schnellen Entmachtung von Chavez führte. Aber als es der venezolanischen Regierung gelang, die unmittelbare Versorgungskrise durch das Wiederanfahren der Produktion und durch Notimporte zu entschärfen, wirkte sich dies in erster Linie auf den Ölmarkt in den USA aus. Dort zogen die Preise rasch an, als das Angebot sank. Der Ausfall venezolanischer Lieferungen über einen langen Zeitraum würde die erwarteten Auswirkungen auf den US-Öl-Markt durch die bevorstehende US Invasion des Irak bei weitem übersteigen.

Wie im Falle Nordkoreas versucht die Bush-Administration einen unmittelbaren politischen Showdown in Venezuela zu vermeiden, da sie sich derzeit ganz auf den Krieg gegen den Irak konzentrieren möchte. Weil darüber hinaus Brasilien, Ecuador und andere lateinamerikanische Ölproduzenten einsprangen, um eine Notversorgung für Venezuela zu gewährleisten, drohte die Kampagne gegen Chavez die Beziehungen der USA mit ganz Südamerika ernsthaft zu belasten.

Die Washington Post berichtete am 10. Januar, dass die Regierung nun bemüht sei, die Krise in Venezuela zu entschärfen, um "einer sich abzeichnenden Venezuela-Initiative durch Brasiliens neue linkslastige Regierung zuvorzukommen". Die Zeitung sagte, dass dem US-Außenministerium "größere Nebenwirkungen der dortigen Unruhen mehr Kopfzerbrechen bereiten als Chavez' Politik". Ein Regierungsvertreter sagte gegenüber der Zeitung offen: "Wir bekamen 1,5 Millionen Barrel pro Tag, und wir bekommen sie jetzt nicht."

Chavez und das Militär

Dieser Rückzug bedeutet in keiner Weise, dass die Bush-Administration einen rechten Umsturz in Venezuela aufgegeben hätte. Aber weil es der Opposition offensichtlich nicht gelang, die Öffentlichkeit gegen die Chavez-Regierung zu mobilisieren, werden das Weiße Haus und das Außenministerium zu ihrer ersten Variante zurückkehren, hinter den Kulissen mit Teilen des Militärs zu konspirieren.

Während dieses Zeitraums wurde im Verborgenen ein Kampf um die Unterstützung durch Polizei und Militär geführt. Mehr als hundert hohe Offiziere wurden nach dem Zusammenbruch des US-gestützten Putschversuchs letzten April ihrer Posten enthoben und dazu gezwungen, in Rente zu gehen. Obwohl die Demokratische Koordination zu einem zweiten Staatsstreich gegen Chavez aufrief, haben ihm während der jüngsten Krise keine Militäreinheiten die Gefolgschaft verweigert.

Die Polizei von Caracas wurde jedoch vom Bürgermeister der Stadt, Alfonso Pena, einer führenden Figur in der Demokratischen Koordination, gegen Pro-Chavez-Demonstranten mobilisiert. Nach den Schüssen vom 3. Januar, die die Polizei von Caracas entweder abfeuerte oder zuließ, durchsuchten Soldaten, die loyal zu Chavez stehen, das Hauptquartier der Polizei. Sie beschlagnahmten schwere Waffen, darunter Maschinenpistolen und Schrotflinten, und ließen der Polizei nur leichte Pistolen.

Chavez - ein ehemaliger Fallschirmjäger, der selbst 1992 einen gescheiterten Staatsstreichsversuch gegen eine rechte Regierung führte - sucht nach einem politischen Ausgleich zwischen seiner Unterstützung bei den Armen und Unterdrückten und seinen Gefolgsleuten innerhalb des Militärs. 1998 von einer ansehnlichen Mehrheit gewählt und 2000 bestätigt, führte er seinen Wahlkampf auf populistischer Grundlage und stellte das Militär als Instrument des Volkes zur Durchführung sozialer Reformen dar, einschließlich der Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur.

Chavez ist kein Sozialist sondern ein venezolanischer Nationalist und Unterstützer des Kapitalismus, dessen Reformpolitik ihn in Konflikt mit den angestammten Privilegien der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite gebracht hat.

Der Hass von Teilen dieser Elemente auf Chavez wurde von einem amerikanischen Beobachter der politischen Szene gut beschrieben, der schrieb: "...viel Hass auf Chavez erwächst aus eingefleischter Klassenantipathie. Als Sohn eines Kleinstadtlehrerpaares ist Chavez ein kräftig gebauter Mestize mit einem breiten, beinahe fleischigen Gesicht und dicken Händen. Er gehört zu der Sorte, von denen Oberklasse-Venezolaner erwarten, dass sie Zementsäcke auf einer Baustelle schleppen oder einen Bus fahren und nicht das Land regieren. Viele weigern sich, im selben Raum wie Chavez zu sitzen, geschweige denn mit ihm über die Einzelheiten der makroökonomischen Politik zu diskutieren oder über die Aufteilung des kargen Staatsvermögens." (Barry C. Lynn, ein früherer Korrespondent der Agence France Presse in Venezuela, in der jüngsten Ausgabe des Mother Jones Magazins).

Korrupte US-Medien

Die amerikanischen Medien haben in den venezolanischen Ereignissen eine besonders widerwärtige und kriminelle Rolle gespielt. Die Washington Post, die New York Times, die Los Angeles Times und Associated Press unterhalten alle Korrespondenten in Caracas, die mit eigenen Augen die gesellschaftlichen Gruppen sehen können, die hinter der rechten Kampagne gegen Chavez stehen. Aber alle haben über einen "Generalstreik" berichtet, als hätte es einen Massenaufstand von unten gegen das Regime gegeben und nicht eine Mobilisierung der oberen Ränge der venezolanischen Gesellschaft.

Wie in den Vereinigten Staaten so sind auch in Venezuela die Medien von einer Handvoll wohlhabender Familien monopolisiert. Gustafo Cisneros von dem angenommen wird, dass er der reichste Mann des Landes mit einem Vermögen von über 5,3 Milliarden Dollar ist, ist ein Medienmogul - und ein prominenter Chavez-Gegner.

Die New York Times heuerte einen Vertreter der Opposition, Francisco Toro, einen Wirtschaftsanalysten der Firma Veneconomica, als Korrespondent an. Toro kündigte den Korrespondentenposten bei der New York Times diese Woche, nachdem er sich geweigert hatte, eine von ihm unterhaltene Anti-Chavez-Website zu schließen. In seinem Kündigungsschreiben an den Times -Herausgeber Patrick J. Lyons gibt er "Interessenkonflikte" zu, die mit seinem "Lebensstil verbunden mit oppositionellen Aktivitäten" zusammenhängen.

Teile der extrem rechten Medien in den USA setzen sich weiterhin für einen umfassenden Angriff auf das Chavez-Regime ein. Die National Review, ein einflussreiches Organ der Ultra-Rechten, veröffentlichte am 8. Januar einen Online-Bericht mit der Behauptung, Chavez habe dem Taliban-Regime in Afghanistan nach den Angriffen des 11. September in den USA finanzielle Mittel zukommen lassen, in der Absicht Al Quaida zu helfen. Dieser Bericht ist das Echo auf eine Falschmeldung, die die Chicago Tribune während des misslungenen Aprilumsturzes veröffentlichte und später zurücknahm, Chavez habe sich positiv über Osama bin Laden geäußert.

Die Gefahr eines faschistischen Putsches durch die Rechte in Venezuela ist noch lange nicht vorbei. Die Ölindustrie wird mehrere Monate brauchen, um sich von der gegenwärtigen Unterbrechung zu erholen, und die Verluste beim Nationaleinkommen und der Wirtschaftsleistung sind jetzt schon schwerwiegend. Ein Wirtschaftswissenschaftler warnte diese Woche, dass die venezolanische Wirtschaft im ersten Viertel dieses Jahres um 40 Prozent und im ganzen Jahr um 9 Prozent schrumpfen werde.

Chavez Mischung aus populistischer Demagogie und bescheidenen Sozialreformen kann weder die sozialen Interessen der Massen der venezolanischen Arbeiter und Bauern in bedeutendem Umfang befriedigen, noch auf Dauer eine weitere Runde US-gestützter Subversion und Gewalt abwehren. Die unerbittliche Opposition der venezolanischen herrschenden Klasse und der amerikanische Imperialismus können nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse - in Venezuela, Latein-Amerika und den USA selber - auf der Grundlage eines gemeinsamen, internationalen sozialistischen Programms überwunden werden.

Siehe auch:
Venezuela: Bereitet die CIA einen neuen Putschversuch vor?
(17. Dezember 2002)
Gescheiterter Staatsstreich in Venezuela war von den USA vorbereitet
( 18. April 2002)
Die Vereinigten Staaten nehmen Venezuela ins Visier
( 6. Januar 2001)
Loading