Vorsitzender des DGB will Mehrwertsteuer erhöhen

Landtagskandidat der Partei für Soziale Gleichheit antwortet DGB-Chef Sommer

Am 15. Januar lud der hessische Gewerkschaftsbund zu einer Veranstaltung in das Frankfurter DGB-Haus ein, um seine Funktionäre auf die bevorstehende Hessenwahl einzustimmen und zu einer Stimmabgabe für die SPD zu motivieren.

Hauptsprecher auf dem Podium waren Michael Sommer, der Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), sowie der IG-Metall-Bezirksvorsitzende Klaus Mehrens, der im Falle eines SPD-Wahlsiegs als Superminister für Wirtschaft und Arbeit vorgesehen ist.

Sommer begründete auf der Versammlung seinen Vorschlag, die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent anzuheben, um eine Senkung der Lohnnebenkosten zu finanzieren und so den Arbeitsmarkt zu beleben.

Er hatte diesen Vorschlag erstmals am Vortag auf einer Pressekonferenz des DGB gemacht. Danach soll bei Löhnen und Gehältern ein monatlicher Freibetrag von 250 Euro eingeführt werden, für den keine Sozialabgaben abzuführen sind und der sich paritätisch auf Arbeitnehmer und Unternehmer verteilt. Der dadurch entstehende Fehlbetrag bei Renten-, Arbeitslosen- und Krankenkassen soll durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden.

Zusätzlich schlägt Sommer vor, dass alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Prozent mehr Steuer auf das Brutto-Einkommen zahlen. Arbeiter und Angestellte müssten zu finanziellem Verzicht bereit sein und aus Solidarität mit den Arbeitslosen auch mehr Teilzeitarbeitsplätze als bisher akzeptieren, forderte der DGB-Chef.

Im Frankfurter DGB-Haus warf Sommer die Frage auf: "Wie wird der Sozialstaat auf Dauer finanziert?" Er gestand ein, dass die finanzielle Last hauptsächlich von Arbeitnehmern und personalintensiven Unternehmen, wie Handwerksbetrieben, getragen werde, während hoch rationalisierte Betriebe wenig oder nichts beitragen. Doch anstatt für eine gerechtere Verteilung der Lasten einzutreten, stimmte er in die Unternehmerklage über zu hohe Lohnnebenkosten ein. Er sagte, man müsse der Tatsache ins Auge sehen, dass die Lohnnebenkosten auf 42 Prozent geklettert seien und dies für die Unternehmer ein bedeutendes Beschäftigungshindernis sei.

Um seinen Vorschlag nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zu begründen, stellte Sommer den Begriff der sozialen Gerechtigkeit auf den Kopf. Er warf rhetorisch die Frage auf: "Die Mehrwertsteuer, ist das denn nicht die ungerechteste Steuer überhaupt?" und fuhr fort: "Was ist überhaupt ungerecht? Ungerecht ist es, wenn nur bestimmte Personen belastet werden. Ich versuche, möglichst viele an der Steuererhöhung zu beteiligen. Und die Mehrwertsteuer trifft alle."

Bisher hatte die Arbeiterbewegung unter einer gerechten Steuer immer eine Steuer verstanden, die hohe Einkommen stärker belastet als niedrige - und gerade deshalb die Erhöhung von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer abgelehnt. Diese trifft in der Tat alle "gleich"; sie ist daher für Leute mit niedrigem Einkommen - Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener - viel schlechter zu verkraften als für zahlungskräftige Schichten. Im Gegensatz zu anderen Steuerarten, wie der Einkommenssteuer, lässt sie weder eine Steuerprogression noch Freibeträge zu.

Mit der Forderung nach einer Mehrwertsteuererhöhung lässt Sommer eher beiläufig auch die alte reformistische These fallen, eine Belebung der Wirtschaft erfordere vor allem eine Erhöhung der Massenkaufkraft.

Der zweite prominente Sprecher im Frankfurter DGB-Haus, Klaus Mehrens von der IG Metall, begrüßte Sommers Ausführungen als "durchaus ernst zu nehmenden Vorschlag".

Mehrens, SPD-Kandidat für das Wirtschafts- und Arbeitsministerium in Wiesbaden, konzentrierte sich in seiner Rede auf den eigenen Wahlkampf und pries sich selbst als "fähigen Kopf" an. Er beklagte, dass die Wahlbeteiligung so stark abgenommen habe und gerade SPD-Wähler zu Hause blieben. Dies habe Roland Koch bei der letzten Wahl zum Sieg verholfen, obwohl die absolute Zahl der Stimmen für die CDU 1999 gar nicht so stark angestiegen sei.

Mehrens verzichtete darauf, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Politik der SPD in Bund und Land und der wachsenden Zahl von Stimmenthaltungen zu stellen, sonst hätte er feststellen müssen, dass die unsoziale und arbeiterfeindliche Politik der SPD, die sein Vorredner eben so demonstrativ zur Schau gestellt hatte, Wasser auf die Mühlen der CDU ist.

Die anschließende Diskussion drehte sich hauptsächlich um Sommers Steuervorschläge. Einige Gewerkschaftsfunktionäre im Saal übten Kritik, ohne jedoch Konsequenzen zu ziehen.

Der Landesvorsitzende von Ver.di, Karl-Heinz Häuser, belegte in seinem Redebeitrag mit ausführlichen Zahlen, wie die Steuerlast in den letzten 15 Jahren zugunsten der Reichen umverteilt wurde. Ein Vertreter des stalinistischen "Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD" übte wortradikale Kritik an verschiedenen Aspekten von Sommers Vorschlag - um seinen Beitrag dann mit der Versicherung abzuschließen, er werde "natürlich" die SPD wählen, um Koch zu verhindern: "Lieber Klaus, natürlich werde ich dich wählen..."

Der Wahlkandidat der Partei für Soziale Gleichheit, Helmut Arens, meldete sich ebenfalls zu Wort und sagte: "Steuerpolitik ist Klassenpolitik. In den letzten zwanzig Jahren sind die Lebensbedingungen der Arbeiter und Angestellten gerade dadurch verschlechtert worden, dass mittels der Steuerpolitik systematisch eine Umverteilung des Reichtums von unten nach oben betrieben wurde. Aber man muss ganz klar sagen, dass für diese Politik nicht nur die CDU steht, sondern genauso die SPD. Keine Regierung hat in solchem Umfang die Reichen und die Wirtschaft begünstigt, wie die rot-grüne Bundesregierung in den letzten vier Jahren. Der Grund dafür ist der: Sie verteidigt genau wie die CDU ein Wirtschaftssystem, das die ganze Gesellschaft der Erzielung privaten Profits unterwirft.

Auf diesem Hintergrund sind die Vorschläge zu sehen, die Herr Sommer hier vorbringt. Sie bedeuten doch, dass die Senkung der Lohnnebenkosten erneut durch eine Belastung der breiten Bevölkerung finanziert werden soll.

Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass die Arbeiterbewegung eine neue politische Orientierung braucht, die die Lebensinteressen der Menschen über die Profitinteressen der Unternehmer stellt. Das heißt eine sozialistische Perspektive. Um deutlich zu machen, dass eine solche Perspektive möglich ist, kandidiere ich bei den Landtagswahlen für die Partei für Soziale Gleichheit."

Während es bei der Diskussion lebhaft und unruhig zuging, wurde es während Helmut Arens‘ Beitrag plötzlich so ruhig, dass man eine herunterfallende Stecknadel hätte hören können. Bei der Erwähnung der Verantwortung der SPD kam es zu spontanem Beifall einiger Teilnehmer im Saal, die anerkennend auf die Tische klopften.

Nach der Veranstaltung äußerten sich einige Teilnehmer zustimmend zum Beitrag von Helmut Arens. Ein älterer Funktionär, der ehrenamtliche DGB-Kreisvorsitzende von Hersfeld-Rothenburg, erkundigte sich nach der Landesliste der PSG und erklärte, er sei seit 35 Jahren SPD-Mitglied, sehe sich aber diesmal nicht in der Lage, SPD zu wählen. Der Grund sei erstens die wachsweiche Haltung der Bundesregierung zum Irak-Krieg, und zweitens die systematische Umverteilung von unten nach oben während der letzten vier Jahre, für die er keine Worte mehr habe.

Siehe auch:
Wahlaufruf der Partei für Soziale Gleichheit zur hessischen Landtagswahl
(20. Dezember 2002)
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