UN-Bericht beziffert humanitäre Folgen eines Irakkriegs

Ein Bericht der Vereinten Nationen (UN) vom 10. Dezember 2002, der als "streng geheim" klassifiziert worden ist, schildert in schrecklichen Details die wahrscheinlichen Konsequenzen eines Kriegs gegen den Irak unter amerikanischer Führung.

Der Bericht, der von einem Planungsstab der UN zusammengestellt wurde, macht eingangs die zu erwartenden Unterschiede zwischen dem letzten Angriff gegen den Irak vor elf Jahren und dem kommenden Krieg deutlich. Der Golfkrieg von 1991 wird als "vergleichsweise kurze Luftangriffe auf Infrastruktur und Städte" beschrieben, während die westlichen Mächte jetzt "potentiell eine groß angelegte und anhaltende Bodenoffensive, unterstützt durch Luftangriffe und konventionelle Bombardements" planten. [Absatz 1]

Daher geht der Bericht davon aus, dass die möglichen Verwüstungen weitaus größer ausfallen werden als im Jahre 1991. Während damals die Mehrheit der 26,5 Millionen Menschen umfassenden Bevölkerung des Iraks über ein geregeltes Familieneinkommen, Bargeld und Rücklagen verfügte, ist dies heute nicht mehr der Fall.

Der Bericht hält es nicht für berechtigt, einen Vergleich mit den Resultaten des jüngsten Kriegs gegen Afghanistan anzustellen, wo die Bevölkerung hauptsächlich auf dem Lande lebt und es gewohnt ist "in stärkerem Maße auf sich selbst angewiesen" zu sein. Die irakische Bevölkerung lebt größtenteils in Städten und ist unter dem Sanktionsregime, das nach 1991 verhängt wurde, "in noch größerem Maße auf den Staat angewiesen, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen", wobei "etwa 60 Prozent (16 Millionen) in höchstem Maße abhängig sind" vom dem monatlichen "Lebensmittelpaket", das sie vom Staat erhalten [Absatz 3 und 11].

Weil die Möglichkeit besteht, dass sich der Konflikt über eine längere Zeit hinzieht, würde humanitäre Hilfe von außen "entweder durch die eine oder die andere Kriegspartei verweigert oder wegen Sicherheitsbedenken ernsthaft behindert" [Absatz 1]. Das Ergebnis wird eine unvorstellbare Notlage sein, und das in einer Situation, wo die Infrastruktur, von der die dringend notwendige staatliche Versorgung der Bevölkerung abhängt - Stromnetz, Eisenbahnsystem, Straßen, Brücken und Häfen - "ernsthaft beeinträchtigt" sein wird, wie es der Bericht ausdrückt.

Der skizzenhafte Bericht mit einer Reihe von Streichungen, durch die vermutlich die Quelle in der UN geschützt werden soll, wurde der Organisation Campaign Against Sanctions on Iraq (CASI) zugespielt, die ihren Sitz im englischen Cambridge hat. CASI stellte das Dokument am 7. Januar der Presse vor und hat es auf der Website der Organisation im PDF-Format veröffentlicht [http://www.casi.org.uk/info/war021210.pdf].

Obwohl im ersten Satz des Berichts festgestellt wird, der Krieg sei "nicht unvermeidbar", liegt ihm doch die Annahme zugrunde, dass sich die UN auf eine sehr umfangreiche humanitäre Katastrophe vorbereiten muss. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dieser Bericht lediglich ein "worst case scenario" darstellt und es sich nur um eine Planung für alle Eventualitäten handelt. Der Bericht weist vielmehr darauf hin, dass UN-Vertreter Kenntnis von den militärischen Plänen der Vereinigten Staaten haben.

Der UN-Bericht sagt voraus:

  • "In den frühen Phasen wird eine große Schicht der Bevölkerung wegen traumatischer Erfahrungen behandelt werden müssen" und "bis zu 500.000 Menschen könnten aufgrund von direkten oder indirekten Verletzungen in größerem oder geringerem Maße eine Behandlung benötigen" [Absatz 23]. Eine Fußnote erklärt, dass diese Zahlen auf Angaben der Weltgesundheitsorganisation beruhen, die von 100.000 direkt und 400.000 indirekt Verwundeten ausgeht.
  • Von "dem wahrscheinlichen Fehlen einer grundlegenden medizinischen Versorgung in einer Nachkriegssituation" werden vor allem die Menschen in den südlichen und zentralen Regionen des Iraks betroffen sein, unter ihnen vor allem 4,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren, eine Million schwangere Frauen und stillende Mütter, zwei Millionen innerirakische Flüchtlinge und eine unbekannte Zahl an gebrechlichen, chronisch kranken und alten Menschen.[Absatz 24].
  • "Es wird geschätzt, dass die Ernährungslage von etwa 3,03 Millionen Menschen katastrophal sein wird und dass diese [nach Schätzungen der UNICEF] einer Versorgung mit Mahlzeiten nach therapeutischen Maßstäben bedürfen. Diese Gruppe besteht aus 2,03 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die stark oder mittelmäßig unterernährt sind, und einer Million schwangerer Frauen." [Absatz 27]
  • "Schäden am Stromnetz werden dazu führen, dass die Kapazitäten aller Bereiche beeinträchtigt werden, besonders die Wasserversorgung, das Abwassersystem und der Gesundheitsbereich." In Folge werden "39 Prozent der Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt werden müssen." [Absatz 28]
  • "Es wird geschätzt, dass es auf lange Sicht 900.000 irakische Flüchtlinge geben wird, die Hilfe brauchen und von denen 100.000 sofortige Hilfe benötigen." [Absatz 35]

Es ist bemerkenswert, dass bis heute keine der großen englischen Nachrichtenquellen über die Pressemitteilung von CASI berichtet hat. Dies entspricht der Selbstzensur und der unkritischen Unterstützung der Regierung, die man bei den amerikanischen Medien beobachten kann und die auch für einen großen Teil der britischen Presse in Bezug auf die Kriegsvorbereitungen der letzten Monate zutrifft.

Die amerikanischen Medien funktionieren in zunehmenden Maße als Propagandawaffe der Bush-Regierung und des Pentagons. Sie haben ein eigenes Interesse daran, die schrecklichen Voraussagen der UN zu unterdrücken, die derart deutlich den offiziellen Verlautbarungen widersprechen, dass der Tod von Zivilisten auf ein Minimum begrenzt und ein massenhaftes Sterben durch den Krieg vermieden werden kann. Die kürzlich erfolgte Erklärung von Präsident George W. Bush, es würde einen "schwungvollen Übergang zur Demokratie im Irak" geben, erweist sich als lächerliche Lüge, wenn man sich anschaut, von welchem Ausmaß der Verwüstung die UN-Experten ausgehen.

In Großbritannien berichtete allein der Daily Mirror in einem sehr kurzen Beitrag über das Dokument. Den Medien lagen anscheinend seit mindestens zwei Wochen Details der UN-Notpläne vor, unter anderem dieser skizzenhafte Bericht. Ein kurzer Artikel - der auf der Website von CASI zitiert wird und den Titel "UN-Chef erteilt geheime Befehle für Irak-Krieg" trägt - erschien am 23. Dezember 2002 in der britischen Times des Mediengiganten Rupert Murdoch. Der Artikel, der sich ganz klar auf Teile des Berichts sowie andere "internen Dokumente" der UN stützt, macht deutlich, dass die Anweisung für heimliche Vorbereitungen von UN-Generalsekretär Kofi Annan kam.

Da CASI eine Gruppe mit Sitz in Großbritannien ist, scheint es noch erstaunlicher, dass der UN-Bericht in den britischen Medien so wenig Beachtung gefunden hat. Die Erklärung dafür liegt in dem Argument, das von der britischen Regierung ständig vorgetragen und von den Medien wiederholt wird: Premierminister Tony Blair habe die Vereinigten Staaten von der Notwendigkeit überzeugt, sich durch die UN internationale Unterstützung für den Krieg gegen den Irak zu sichern.

Der Bericht - das Ergebnis hochrangiger Diskussionen innerhalb der UN - straft die Behauptungen Lügen, die UN verkörperten die "internationale Gemeinschaft", die bei der Kriegsführung ein Mitspracherecht habe. Er zeigt vielmehr, dass die UN die Rolle spielen, welche die Vereinigten Staaten von ihr erwarten - die Organisation von Hilfe, nachdem die Truppen unter amerikanischer Führung die Infrastruktur des Iraks zerstört, die Städte des Landes dem Erdboden gleichgemacht und Tausende Iraker getötet oder verletzt haben. Kofi Annan und andere UN-Vertreter planen und organisieren bereits Hilfe für das verwüstete Land und UN-Vertreter haben bereits Gespräche mit der Europäischen Union geführt, um Gelder für ihre Linderungsmaßnahmen zu erhalten.

Siehe auch:
Weitere Artikel zum Krieg gegen den Irak
Loading