Nach der Einnahme Bagdads

Hunderttausende demonstrieren in Rom

Unter dem Motto "Stellt das Feuer ein!" demonstrierten am Samstag mehrere Hunderttausend Menschen - nach Angaben der Veranstalter waren es eine halbe Million - in der italienischen Hauptstadt. Zu der Demonstration hatte das Komitee "Fermiamo la guerra" (Stoppt den Krieg) aufgerufen, ein loser Zusammenschluss von Nicht-Regierungsorganisationen, politischen Parteien, Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen. Der acht Kilometer lange Marsch führte an den wichtigsten Regierungsgebäuden und Vertretungen der USA und Großbritanniens vorbei, durch die ganze Innenstadt.

Die Teilnehmer waren Arbeiter und Jugendliche aus allen Regionen Italiens mit teilweise selbstgeschriebenen Slogans und Transparenten, die aber zum großen Teil hinter Transparenten politischer Parteien und Gewerkschaften marschierten. Die Hauptattraktion bildete eine ein-Kilometer-lange Regenbogenfahne, der sogenannte "Fluss des Friedens".

Auf den Transparenten stand oftmals: "Kein Krieg für Öl", "Irak - befreit oder besetzt?", "Brot statt Bomben, Leben statt Tod", "Für die Selbstbestimmung des irakischen Volkes". Es waren auch Forderungen für ein Wiederaufleben und eine Reform der UNO zu sehen.

Selbstgemachte Plakate lauteten: "Terrorist ist, wer Unschuldige mordet und fremde Länder besetzt - also sind Bush, Blair und Sharon die Terroristen", "Sie nennen es unglückliche Zwischenfälle - aber es sind Gemetzel", "Um den Krieg zu beenden, müssen wir Staaten und Mächtige von der Welt verjagen".

Ein Teilnehmer aus Florenz trug ein Plakat mit der Aufschrift: "Yankee, the same old stories". Wie er erklärte, war dies eine Anspielung darauf, dass der Yankee-Kapitalismus früher Indianer vertrieben hatte, um Land zu gewinnen, und heute, da er Öl braucht, Irak besetzt.

Die Demonstration führte zu einer Abschlusskundgebung auf dem Circo Massimo, wo jedoch die meisten Teilnehmer gar nicht hinkamen oder sich gleich wieder entfernten. Kein prominenter Politiker, Gewerkschaftsführer oder Parteisekretär war hier als Sprecher vorgesehen. Stattdessen gab es eine bunte Abfolge von Statements, sogenannten "Zeugenaussagen": Es sprachen Friedensaktivisten und Basisgewerkschafter, Mitglieder von Schüler- und Lehrerkomitees, eine Palästinenserin, Journalisten, eine Franziskanernonne, ein amerikanischer Kriegsgegner, Feministinnen, Teilnehmer der Aktionen zur Blockierung der Waffentransporte, etc.

Ein Arbeiter aus Caserta berichtete über einen Streik bei seiner Putzfirma namens "Splendor", die ihren Arbeitern nur 200 bis 300 Euro im Monat bezahlt und diejenigen, die sich beschweren oder sich organisieren, kurzerhand entlassen hat. Er sagte: "Wie uns geht es Millionen Arbeiter auf der ganzen Welt. Wir sind in Streik getreten, für einen vernünftigen Lohn, für unsere Rechte und für unsere Würde. Unser Streik richtet sich auch gegen den Krieg - ohne Wenn und Aber - und gegen alle Kriege. Um die Todesmaschine aufzuhalten, müssen weltweit alle Arbeiter sich erheben."

Ein Sprecher berichtete über das sogenannte "Trainstopping". Er sagte: "Die Regierung lügt. Artikel elf der Verfassung wird eklatant verletzt, denn die US-Armee führt von unserem Boden aus einen Angriffskrieg. Auf dem Schienennetz wurden Panzer, Soldaten und schwere Waffen transportiert, und jeder hat es gesehen. Camp Darby und Ederle [US-Militärstützpunkte in Norditalien] dienten als Drehscheibe für den Irakkrieg. Der Volkswille - wie er am 15. Februar zum Ausdruck gekommen ist, wird verletzt. Die Regierung sagt, sie wolle den Frieden aufrechterhalten, aber das einzige was sie wollen, ist ein größeres Stück vom Kuchen nach dem Kriegsende."

Auch ein Journalist richtete sich gegen die Lügen von Silvio Berlusconi und seines Verteidigungsministers Antonio Martino, die beide verfassungswidrig die Waffentransporte und Nutzung der US-Basen in Italien tolerieren, aber gleichzeitig behaupten, Italien habe nichts mit dem Krieg zu tun. Er erinnerte an die elf im Krieg ermordeten Journalistenkollegen und sagte: "Sie töten die Journalisten, weil sie die Wahrheit unterdrücken wollen; aber die Wahrheit ist stärker."

Schüler und Lehrer sprachen sich für das Recht auf Bildung aus und wandten sich gegen die Zerstörung von Schulen und Universitäten. Mehrere Unis waren in den letzten Wochen aus Protest gegen den Krieg besetzt worden. Wegen der massiven Kürzungen der Regierung im Hochschulwesen waren die Rektoren im Dezember zurückgetreten. Ein Lehrer sagte: "Nein zum Krieg, aber auch Nein zur Privatisierung unsrer Schulen. Gegen den permanenten Krieg fordern wir den permanenter Widerstand."

Eine Erzieherin sagte: "Dieser Krieg ist schmutzig und ungerecht. Aber mir fällt kein Krieg ein, der sauber und gerecht wäre. Dieses Kriegsende ‚Frieden’ zu nennen, ist eine Schande. Frieden ist nicht nur das Schweigen der Waffen, man muss auch eine Kultur der Solidarität entwickeln. Wer kann schon im Frieden leben, wenn er kein Wasser hat, nicht leben kann, oder in vollständiger Abhängigkeit leben muss?"

Ein Kriegsgegner aus der Toskana rechnete vor: "Pro Einwohner dieser Erde werden Waffen für 137 Dollar produziert. Der Waffenverkauf ist weltweit seit dem 11. September stark angestiegen, seitdem der ‚Kampf gegen Terrorismus’ geführt wird. Wenn Waffen produziert werden, kommen sie auch zur Anwendung."

Trotz der weiterhin großen Entschlossenheit der Teilnehmer war nicht zu übersehen, dass die Antikriegsbewegung von Ratlosigkeit beherrscht ist, da der Krieg letztlich nicht verhindert werden konnte.

Verschiedene Bestandteile von "Fermiamo la guerra" führen ihre eigenen Kampagnen, wodurch die Verwirrung noch verstärkt wird. Greenpeace und Grüne organisieren einen nationalen Boykott von Esso-Tankstellen, die der US-Ölgesellschaft ExxonMobil gehören. Sie fordern: "Halte den Krieg von deinen Einkäufen fern" und schüren die Illusion, dass Krieg eine Sache des bewussteren Einkaufens sei. Ihre Kampagne läuft auf einen Boykott amerikanischer Güter und auf Anti-Amerikanismus hinaus.

Reporter der WSWS verteilten an die Demonstranten einen Aufruf der Redaktion in italienischer Sprache, "Für eine internationale Arbeiterbewegung gegen den imperialistischen Krieg" und sprach mit Teilnehmern der Kundgebung.

Guido, ein Kaufmann aus Rom, erklärte: "Dieser Krieg ist eine Schande. Es herrscht das Faustrecht wie im Mittelalter, wo Imperien durch Gewalt aufgebaut wurden. Demokratien müssten Probleme durch Diplomatie lösen. Es ist ein Krieg ums Öl, und derjenige, der am Ölhahn sitzt, lässt seine Freunde dran. Ich hoffe es nicht, aber ich muss davon ausgehen, dass es in zwanzig Jahren auch zum Krieg ums Trinkwasser kommen wird." Er warf der italienischen Linken vor, nichts gegen den amerikanischen Unilateralismus zu unternehmen.

Ein älterer Arbeiter aus Mailand sprach sich gegen die Regierung aus und gab zu bedenken: "Es waren die Sozialisten, die als erste Berlusconi bei seinen Baugeschäften in Mailand unterstützten - Bettino Craxi hat ihm das Geld und die Möglichkeiten dazu verschafft."

Ein Mitglied einer Delegation aus Madrid berichtete, dass das Zentrum des Europäischen Sozialforums in der spanischen Hauptstadt polizeilich geschlossen worden sei. Sie sagte: "Die spanische Polizei bringt Leute auf offener Straße um." Alle Bevölkerungsschichten seien mittlerweile gegen diesen Krieg mobilisiert.

Während wie schon am 15. Februar auch diesmal kein einziger Parteiführer auf der Kundgebung selbst sprach, gaben sie in der Presse ihre Kommentare ab. Sie beschäftigten sich mit der Verschiebung der politischen Allianzen innerhalb von "Fermiamo la guerra".

Obwohl die Parteien der parlamentarischen Mitte-Links-Opposition, Olivenbaum und Margherita, sich anfangs mit "Fermiamo la guerra" identifizierten, haben sie sich seit der Einnahme von Bagdad davon distanziert und offiziell nicht zu dieser Demonstration aufgerufen. Die Oppositionsführer, Francesco Rutelli und Massimo D'Alema (Linke Demokraten, ehemals Kommunistische Partei Italiens) sind mittlerweile dabei, ihre angeschlagenen, früher guten Beziehungen zu Toni Blair wieder aufzufrischen. Fausto Bertinotti, der Sekretär von Rifondazione, kommentierte dies am Samstag mit den Worten: "Sie sind dem Sirenengesang des Blairismus erlegen."

Siehe auch:
10.000 demonstrieren in Berlin gegen Irakkrieg
(15. April 2003)
Protest in Kopenhagen gegen Bushs und Rasmussens Krieg im Irak
( 15. April 2003)
Kundgebung gegen den Krieg in Rotterdam
( 15. April 2003)
Weitere Berichte über die weltweiten Antikriegsdemonstrationen
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