Schröders Ultimatum - und eine Rebellion auf den Knien

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat die Durchsetzung tiefer Sozialkürzungen mit einem Ultimatum an die SPD verbunden. Entweder die Partei akzeptiere die Zerschlagung elementarer sozialer Rechte, die großteils auf bismarcksche Zeiten zurückgehen und von denen Millionen Menschen abhängig sind, oder der Kanzler werde sein Amt niederlegen. Für eine andere Politik stehe er nicht zur Verfügung.

Gegen Schröders Kahlschlag in der Sozialpolitik regte sich in den vergangenen Wochen auf verschiedenen Ebenen der Partei Widerstand. Neben der gewerkschaftsnahen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen und den Jungsozialisten hatten zwölf Bundestagsabgeordnete eine Mitgliederbefragung gefordert und begonnen, dafür innerhalb der SPD Unterschriften zu sammeln. Sie werden seitdem als "Parlamentsrebellen" bezeichnet.

Darauf meldete sich die sogenannte Parlamentarische Linke (PL) unter Leitung der beiden stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Müller und Gernot Erler zu Wort und legte ein "Kompromisspapier" vor, das darauf abzielt, Schröders "Agenda 2010", in der die Sozialkürzungen verpackt sind, nach einigen kosmetischen Korrekturen zu verabschieden.

Wenig später tat auch noch Andrea Nahles als Sprecherin der "Demokratischen Linken 21 in der SPD" ihre Kritik kund - natürlich wohl dosiert, um ihre Karrierepläne nicht zu gefährden - und schließlich stimmte der Kanzler der Forderung nach einem Sonderparteitag zu, der nun am 1. Juni stattfinden wird.

Es ist unschwer vorherzusagen, was am Ende herauskommen wird - Nichts! Die ganze vielstimmige Opposition wird wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen und Schröder wird seine reaktionären Maßnahmen durchsetzen. Während die SPD-Rechten an der Parteispitze aggressiv ihren Standpunkt vertreten und jeden Abweichler attackieren und beschimpfen, häufen sich aus den Reihen der Opposition die Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Kanzler. Unter keinen Umständen wolle man Schröders Kanzlerschaft in Frage stellen oder gefährden, es gehe lediglich um eine politische Kurskorrektur, so der Tenor. Unter den Bedingungen des Ultimatums bedeutet dies die Kapitulation, bevor auch nur die erste Runde der Auseinandersetzung begonnen hat.

Es ist nicht neu, dass die Wortgefechte der SPD-Linken etwas operettenhaftes, unernstes an sich haben und immer mit dem Sieg der Rechten enden. Doch diesmal nimmt der sozialdemokratische Sturm im Wasserglas außergewöhnlich abstoßende und jämmerliche Formen an. Keiner der Oppositionellen hat der Schröder-Politik etwas Ernsthaftes entgegenzusetzen. Alle stimmen mit den Eckdaten der rot-grünen Regierung überein: "Abbau der Sozialstaatsleistungen", "mehr Eigeninitiative", "mehr Entlastung für die Wirtschaft durch Billiglohnjobs und Kostensenkung", usw. Die Partei, die sich gerne auf eine "über hundertjährige Geschichte" beruft und sich nicht scheut, Bilder von August Bebel und Rosa Luxemburg in ihren Büros aufzuhängen, hat längst die Verteidigung der Profitinteressen zu ihrem obersten Prinzip erklärt.

Nicht die sozialen Rechte und Errungenschaften der Bevölkerung bilden das Anliegen der Opposition, sondern die Suche nach Formulierungen, mit deren Hilfe Kürzungen und Sparmaßnahmen an der Basis begründet und durchgesetzt werden können. Immerhin sind viele politische Ämter von Wahlen abhängig und die Funktionäre fürchten um ihre Posten.

Mit anderen Worten: Das Gejammer der Opposition bildet die Begleitmusik einer Partei, die zwischen den Interessen der großen Wirtschaftsverbände auf der einen Seite und der Opposition großer Teile der Bevölkerung auf der anderen Seite wie zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird.

Wie immer, wenn es um Kritik an Kanzler Schröder geht, meldete sich in den vergangenen Tagen auch Oskar Lafontaine zu Wort und erklärte zum hundertsten Male, die Regierung breche ihre Wahlversprechen. Doch was ist von jemandem zu halten, der aus dem Lehnstuhl heraus mehr Courage gegenüber den Wirtschaftsverbänden fordert, aber selbst bei der ersten Konfrontation gekniffen und die Flucht ergriffen hat. Der "Napoleon von der Saar" - wie sich Lafontaine gerne titulieren lässt - hat sein Waterloo längst hinter sich. Wobei man klarstellen sollte, dass das historische Vorbild im Kampf besiegt wurde und nicht davonrannte.

Vor allem Eines macht der gegenwärtige Streit in der SPD deutlich: Um ernsthaft gegen die Sozialkürzungen der Regierung anzukämpfen, bedarf es neuer Arbeiterführer, die sich nicht an die Bedingungen der Wirtschaftsverbände anpassen, sondern das Bedürfnis der Bevölkerung nach sozialer Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, Altersarmut und Krankheit zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Politik machen.

In diesem Zusammenhang müssen einige Dinge beim Namen genannt werden.

Erstens: Schröders Angriff auf die Schwächsten der Gesellschaft - Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kranke und Rentner - das heißt auf diejenigen, die ohnehin bereits am unteren Ende der Gesellschaft leben und keine Interessensvertretung haben, ist nicht nur in höchstem Maße unsozial, sondern politisch kriminell.

Während die offizielle Zahl der Arbeitslosen im Osten auf fast 20 Prozent gestiegen ist und in vielen Regionen noch weit höher liegt, bedeutet die zeitliche Begrenzung des Arbeitslosengeldes und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, dass viele Familien in den finanziellen Ruin getrieben werden. Anspruch auf Sozialhilfe setzt Bedürftigkeit voraus. Alle eigenen Ersparnisse und die der engsten Familienmitglieder müssen vorher aufgebraucht sein, und die Einkommen enger Familienmitglieder werden ebenfalls herangezogen.

Die finanzielle Not und Verzweiflung, die damit geschaffen wird, bildet den sozialen Nährboden, der schon einmal in diesem Land von rechten Demagogen ausgenutzt wurde, um die ganze Gesellschaft zu terrorisieren. Doch weder Kanzler Schröder noch sein Finanzminister Hans Eichel (SPD) sind an den politischen Implikationen ihrer Sozialpolitik interessiert. Nachdem ihre anfänglichen Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung längst widerlegt wurden und immer neue Hiobsbotschaften über sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit bekannt werden, sehen sie ihre Aufgabe darin, die Forderungen aus den Chefetagen der Banken und Konzerne möglichst rasch und rücksichtslos durchzusetzen.

Zweitens: Die Behauptung, die Sozialkassen seien leer, weil die Anspruchshaltung der Bevölkerung zu groß sei, ist reine Demagogie. In Wirklichkeit wurden die Sozialkassen in den vergangenen Jahren systematisch geplündert, vorwiegend um die Reichen zu entlasten, während die gesetzlichen Ansprüche der Bedürftigen in den vergangenen Jahren bereits drastisch reduziert wurden.

Ohnehin werden die Sozialkassen ausschließlich aus Arbeitseinkommen finanziert, während andere Einkommen - Spekulationsgewinne, Mieteinnahmen, Einkommen aus Vermögensanlagen usw. - dazu nicht herangezogen werden. Gleichzeitig steigt die Belastung der Sozialkassen durch die wachsende soziale Not. Niedriglöhne, von denen niemand leben kann und für die kein Unternehmen Steuern zahlt, führen zu staatlichen Mindereinnahmen und steigenden Sozialausgaben.

Ein weiterer Grund für die wachsenden Finanzierungsprobleme ist die Steuerpolitik der rot-grünen Regierung. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums sanken in der Zeit von 1999 bis 2002 die Unternehmenssteuern um 20,1 Prozent, während die Lohnsteuereinnahmen des Staates im gleichen Zeitraum um 2,4 Prozent und die Einnahmen aus Verbrauchssteuern um 8,9 Prozent anstiegen. Allein im Jahr 2001 sanken die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer von 23,6 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 1,7 Milliarden.

Drittens: Die Behauptung, eine andere Politik sei angesichts wachsender Wirtschaftsprobleme nicht möglich, ist schlicht unwahr. Das Volksvermögen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt und ist auf nahezu sieben Billionen Euro angestiegen. Aber die Verteilung hat sich drastisch verändert. Während die "oberen" zehn Prozent der Haushalte über fast die Hälfte des Gesamtvermögens verfügen, nehmen die Vermögensbestände in den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten deutlich ab.

Hinter Schröders Angriff auf die Schwächsten der Gesellschaft steht eine ganze Schicht aus Reichen und Superreichen. Viele von ihnen berauschten sich am Börsenboom der vergangenen Jahre und fühlen sich nun durch den wirtschaftlichen Rückgang bedroht. Aggressiv, rücksichtslos, und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, sind sie entschlossen, ihre privilegierte Stellung auf Kosten der Gesellschaft durchzusetzen und zu verteidigen.

Das ist der Grund, warum die Sozialangriffe nur durch eine breite politische Bewegung von unten gestoppt werden können. Als Mitte Februar mehrere Millionen Menschen überall auf der Welt gemeinsam gegen den Irak-Krieg demonstrierten, wurde eine politische Kraft sichtbar, die nun erneut aktiviert und entwickelt werden muss - die internationale Arbeiterklasse.

Alle großen gesellschaftlichen Probleme nehmen heute internationalen Charakter an. Überall ist die arbeitende Bevölkerung mit den selben Problemen konfrontiert und muss sich gemeinsam dagegen zur Wehr setzen. Das erfordert eine internationale politische Strategie, in deren Mittelpunkt die Forderung nach mehr sozialer Gleichheit steht.

Während der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Ottmar Schreiner, dem die Angst regelrecht ins Gesicht geschrieben steht, und andere SPD-"Rebellen" um Formelkompromisse ringen und vor sozialen Konflikten warnen, ist es notwendig, eine große politische Offensive vorzubereiten, um der rabiaten Oberschicht und ihren politischen Repräsentanten wirksam entgegenzutreten.

(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Mai bis August 2003 enthalten.)
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