Buchbesprechung

Grüner Militarismus

Peter Pilz: Mit Gott gegen alle - Amerikas Kampf um die Weltherrschaft, DVA 2003

In seinem jüngsten Buch Mit Gott gegen alle ruft der österreichische Grüne Peter Pilz unverhohlen zu einer europäischen Militarisierung als Antwort auf die USA auf. Pilz sitzt für die österreichischen Grünen seit 1986 im Parlament und zählt zu deren Gründungsmitgliedern. Als Sicherheitspolitischer Sprecher seiner Partei hat er sich vor allem auf Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik spezialisiert.

Das Buch sollte ursprünglich im Herbst dieses Jahres erscheinen. Die Veröffentlichung wurde aber vorgezogen, als sich der Irakkrieg immer deutlicher abzeichnete.

Eine große Anzahl von Autoren, Journalisten und Politikern beschäftigt sich seitdem mit der Frage, wie Europa auf die unilaterale Außenpolitik der Bush-Administration reagieren soll, die sich fest entschlossen zeigt, das Völkerrecht und internationale Institutionen wie die UNO nicht länger zu beachten. Trotz der Bemühungen um eine "Aussöhnung" in den transatlantischen Beziehungen, lässt der Kurs der amerikanischen Regierung einen Konflikt immer unvermeidlicher erscheinen.

In diesem Zusammenhang muss Peter Pilz’ Buch gesehen werden. Der Autor setzt sich darin kritisch mit der amerikanischen Außenpolitik auseinander, insbesondere mit der jüngeren Entwicklung unter Bush. Seine Antwort auf die imperialistische Machtpolitik der USA ist eine selbständigere Großmachtpolitik Europas. Er fordert ein verstärktes europäisches Eingreifen in der Weltpolitik, einschließlich militärischer Interventionen.

Im Laufe der letzten Jahre hat Pilz bereits mehrere Bücher verfasst. In den meisten vertrat er eine kritische Haltung gegenüber dem politischen und wirtschaftlichen Establishment Österreichs und Europas. Er berichtete beispielsweise über die Exporte der österreichischen Rüstungsindustrie (Die Panzermacher), die Verstrickung staatlicher Stellen mit Bauunternehmen, die mafiaähnliche Methoden anwenden (Das Kartell), oder über die Morde an drei Kurden 1989 in Wien, deren Mörder von Hintermännern in der Politik gedeckt wurden (Eskorte nach Teheran).

Im ersten Teil seines neuen Buches widmet sich der Autor den Lügen und Verdrehungen, mit denen die Bush-Regierung und ihre Verbündeten ihren Angriff auf den Irak gerechtfertigt haben, und kritisiert die Weltherrschaftsansprüche der USA.

Ausführlich und gut recherchiert zeigt Pilz auf, wie undemokratisch die Politik der herrschenden Kreise in den USA seit längerem ist und wie sich dies nach dem 11. September 2001 gesteigert hat. Er weist dabei nach, dass es Bush und Co. nicht um Freiheit und Frieden, sondern um die Interessen der reichen amerikanischen Führungsschicht geht, die hinter ihm steht. Das sind die besten Seiten des Buchs.

Im zweiten Kapitel versucht Pilz, Alternativen zur US-Politik aufzuzeigen. Hier wird deutlich, was von seiner Kritik an den USA zu halten ist.

So lehnt er militärische Angriffe auf wehrlose und verarmte Nationen keineswegs grundsätzlich ab. Sie sind nur dann zu verurteilen, wenn sie unter dem Diktat und zum Nutzen der USA durchgeführt werden. Erfolgen sie dagegen von europäischer Seite unter humanitärem Deckmantel, befürwortet er sie. Er schreibt: "Humanitäre Interventionen, wie sie in Bosnien stattgefunden haben und in Ruanda unterblieben sind, werden auch in Zukunft als letztes Mittel notwendig sein. Wenn die Realität 'Völkermord' und die Frage 'zusehen oder eingreifen' heißt, wird die Antwort im Sinne globaler Rechtsstaatlichkeit oft nur 'eingreifen' lauten können." (S.227)

Nachdem der Autor die verlogenen Argumente, mit denen die US-Regierung ihre Kriegspolitik begründet, auf zweihundert Seiten kritisiert hat, übernimmt er dieselben Argumente im Interesse der europäischen Regierungen. "Wenn der Kern der Menschenrechte in Zukunft immer und überall gelten soll, dann muss er auch durchgesetzt werden. In Fällen wie Saddam Hussein heißt das letzten Endes auch ‚militärische Intervention’." (S.229)

Zu diesem Zweck befürwortet Pilz, dass die europäische Sicherheitsunion "Interventionskräfte" aufstellt und ausrüstet. Er will - und hier folgt er den meisten europäischen Regierungen -den europäischen Militarismus unter dem Deckmantel der UNO entwickeln. "Das Versagen am Balkan war schlimm genug. Für zukünftige humanitäre Interventionen der UNO wird die EU relevante militärische Beiträge liefern müssen". (S.250) Dabei geht er selbst davon aus, dass die Folge davon "ein Hochrüsten zwischen den USA, der EU und China" sein könnte.

Im dritten Kapitel, das den bezeichnenden Titel "Die Stunde Europas" trägt, zeichnet Pilz ein idealisiertes Bild Europas, das mit der Wirklichkeit nichts gemein hat, und erläutert, warum nur Europa die führende Rolle in der Weltpolitik spielen könne.

Mit der Erweiterung der EU entstehe der größte Wirtschaftsraum der Welt und damit eine Wirtschaftsmacht, die in Konkurrenz zu den USA treten könne. Die Europäische Union, behauptet Pilz, basiere auf "Rechtsstaat und Demokratie". Daher scheut er sich auch nicht zu behaupten, dass das europäische Projekt "so revolutionär" sei, "wie es das amerikanische vor mehr als zweihundert Jahren war".

Pilz preist auch das soziale Netz in Europa. "Die Vorstellung, jeder einzelne habe das Recht auf ein anständiges Leben, ist neben Rechtsstaat und Demokratie die dritte Säule des europäischen Konsenses. Mit Ausnahme der Regierung Thatcher in Großbritannien haben bisher alle Staaten der EU auf den Import des amerikanischen Modells verzichtet. Sozialversicherung, öffentliche Gesundheitseinrichtungen, offener Zugang zu guten Schulen und Universitäten, Mindestlöhne und Mindestpensionen sind nach wie vor Sicherheiten, von denen dreißig Millionen verarmter US-Bürger nur träumen können. Massenverelendung wie in einem Entwicklungsland ist in Europa im Gegensatz zu den USA unbekannt." (S.243)

Selbst dem geneigten Leser drängt sich hier die Frage auf: In welcher Welt lebt Herr Pilz eigentlich? Er ignoriert einfach, dass sämtliche europäischen Regierungen - konservativ oder sozialdemokratisch - gerade dabei sind, die letzten Reste sozialer Absicherung zu beseitigen. Europäische Politiker verschiedener Couleur importieren die unsoziale Politik, die in den USA zu extremen Formen von Armut und Elend geführt hat, um europäischen Unternehmen auf dem Weltmarkt einen Vorteil zu verschaffen.

Auch die Zeiten, in denen Peter Pilz und seine Partei - Die Grünen - für soziale Gerechtigkeit eintraten, sind vorbei. Die Grünen betätigen sich seit Jahren als Motor für soziale "Reformen" und lassen dabei keinen Zweifel aufkommen, dass sie darunter Kürzungen in allen Sozialbereichen verstehen. Als Regierungspartei in Deutschland treiben sie den Abbau des Sozialstaats voran, und auch in Österreich, wo Pilz im Bundesvorstand sitzt, haben die Grünen nach den Parlamentswahlen eine Koalition mit den Konservativen angestrebt. Sie waren und sind durchaus bereit, die drastische Sparpolitik der Volkspartei mitzutragen.

Vor diesem Hintergrund kann Pilz auch nicht seine eigene Partei meinen, wenn er sagt: "Die Amerikanisierung der europäischen Politik ist noch nicht so weit, dass bei Wahlen keine Alternativen auf den Stimmzetteln stehen."

In den USA gibt es tatsächlich kaum einen Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten. Beide Parteien stützen sich auf denselben kleinen Kreis von Superreichen und sind von ihnen abhängig. Die arbeitende Bevölkerung wird weder von der einen noch von der anderen Partei vertreten. Aber anders als Pilz Glauben machen will, ist dies in Europa nicht viel anders. Welche etablierte Partei in Europa vertritt heute noch die Interessen breiter Bevölkerungsschichten? Die Wahlprogramme der konservativen, sozialdemokratischen oder grünen Parteien unterscheiden sich, wenn überhaupt, nur in Detailfragen. Alle verteidigen die Privilegien einer Elite und stellen die Profitinteressen der Wirtschaft höher, als die Bedürfnisse der Bevölkerung.

Pilz hat in seinem Buch jedoch auf jede Kritik an europäischen Regierungen oder auch nur an einzelnen Politikern verzichtet. Der starke Rechtsruck in der offiziellen Politik, die Tatsache, dass es heute europäische Regierungsparteien gibt, deren Wurzeln auf faschistische Bewegungen zurückgehen, wie die Alleanza Nazionale in Italien, erwähnt Pilz mit keiner Silbe.

Für mögliche Kritiker, die fragen könnten, ob eine Supermacht Europa nicht ähnlich handeln würde wie jetzt die USA - schließlich wurden die letzten beiden Weltkriege von Europäern losgetreten - hat Pilz die arrogante Antwort bereit: "Im Grunde ist die EU nichts anderes als der gelungene Versuch, aus dem Faschismus in Europa Lehren zu ziehen. Europa hat gelernt. Das amerikanische Lernen aus der eigenen Geschichte steht noch aus." (S.244)

Kritik übt er ausschließlich an militärisch neutralen Ländern wie Österreich und Schweden. Nach seiner Vorstellung darf sich kein EU-Mitglied weigern, einem militärischen Bündnis beizutreten und an Militärschlägen teilzunehmen.

Die bestehenden europäischen Armeen sollen den Bedürfnissen künftiger Militärkonflikte angepasst werden. Das vorhandene veraltete Kriegsgerät soll durch neue, hochtechnisierte Waffensysteme ersetzt werden, um den Ansprüchen einer "globalen Sicherheitspolitik" zu genügen. Im gleichen Atemzug tritt er für die Abschaffung der Wehrpflicht und den Aufbau von hochgerüsteten Berufsarmeen ein. Auch hier zeigt sich, wie wenig sich Pilz der Klassenstruktur der Gesellschaft bewusst ist. Denn eine Berufsarmee wird viel eher zu militärischen Abenteuern bereit sein, als eine Wehrpflichtarmee, deren Soldaten sich aus allen Bevölkerungsschichten rekrutieren und nach ihrer militärischen Ausbildung wieder in Fabriken und Büros zurückkehren.

Deutschland schreibt Pilz eine besondere Rolle zu. Es sei wirtschaftlich einflussreich und groß genug, um die Führungsrolle in einem Europa zu übernehmen, das sich von den USA militärisch und politisch getrennt habe. Genau das hatte im vergangenen Jahrhundert "Deutschland" zweimal versucht! Das Ergebnis waren Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs - vom Holocaust ganz zu schweigen.

Pilz’ Buch ist eine Reaktion auf den wachsenden Konflikt zwischen Amerika und Europa. Sein Versuch, dem brutalen, undemokratischen amerikanischen Imperialismus das Bild eines liberalen, zivilisierten Kapitalismus in Europa entgegenzusetzen, ist falsch und reaktionär. Er entwickelt so für die europäischen "Falken" die Argumente zur Militarisierung Europas.

Die Wandlung des Autors vom Pazifisten zum Militaristen und Euro-Chauvinisten hat nicht von heute auf morgen stattgefunden, sondern zog sich über zwanzig Jahre hin. Pilz verstand sich bis in die achtziger Jahre hinein als Marxist. Er gehörte der "Gruppe Revolutionärer Marxisten" an, der österreichischen Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats.

Das Vereinigte Sekretariat brach 1953 unter der Führung von Michel Pablo und Ernest Mandel mit dem Programm der Vierten Internationale. Angesichts der beginnenden Stabilisierung der Nachkriegsperiode verlor es jedes Vertrauen in eine sozialistische Perspektive und die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse als eigenständige gesellschaftliche Kraft im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und Krieg. Auf der Suche nach einem Ersatz für die Arbeiterklasse stützte es sich auf die stalinistische Bürokratien in der Sowjetunion und Osteuropa und auf kleinbürgerliche nationalistische Regime. Es glorifizierte Fidel Castro, Mao Tsetung, Ho Chi Minh und andere nationale Führer.

So entwickelte es eine zunehmend nationalistische Sichtweise der gesellschaftlichen Entwicklung, die heute - angesichts wachsender transatlantischer Spannungen - in offen eurochauvinistische Formen übergeht. Der politische Werdegang von Pilz - vom Pablisten über die Grünen zum Vertreter einer aggressiven europäischen Außenpolitik - ist typisch für eine ganze Schicht von ehemaligen Radikalen, die heute in vielen europäischen Ländern politischen Einfluss haben.

In Auseinandersetzung mit ihnen muss deutlich gemacht werden, dass sowohl die Einheit Europas, als auch der Kampf gegen die reaktionäre Politik der amerikanischen Regierung nur durch die politische Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung in Europa auf der Grundlage eines sozialistischen Programms erreicht werden kann. Nur so kann eine Verbindung und Zusammenarbeit mit den amerikanischen Arbeitern erreicht werden, anstatt erneut die Weichen der Weltpolitik in Richtung Chauvinismus und Krieg zu stellen.

Siehe auch:
Vom Pazifismus zum Militarismus
(17. Juni 2000)
Europa auf Ration: Der Krieg in Afghanistan und das Dilemma des europäischen Kapitalismus - Teil 1
( 22. März 2002)
Europa auf Ration: Der Krieg in Afghanistan und das Dilemma des europäischen Kapitalismus - Teil 2
( 23. März 2002)
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