V-Mann Enthüllungen in Brandenburg ziehen immer breitere Kreise

Aus Brandenburg dringen ständig neue Enthüllungen über die enge Verflechtung von Sicherheitsbehörden und rechtsextremer Szene ans Licht. Ein halbes Jahr nach der Verurteilung des Neonazis Toni Stadlers, der vom Brandenburgischen Verfassungsschutz bei seinen rechtsextremen Aktivitäten aktiv unterstützt worden war, gerät die Behörde erneut in Erklärungsnot.

Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte ein V-Mann des Brandenburgischen Verfassungsschutzes die Gruppe "Nationale Bewegung" im Februar 2001 vor einer bevorstehenden Razzia des Landeskriminalamtes (LKA) gewarnt. Das LKA, das die Gruppe ebenfalls beobachtete, hatte über abgehörte Telefongespräche von der Warnung erfahren und die Durchsuchungsaktion vorverlegt. Dennoch fand es keinerlei belastendes Material mehr.

Die "Nationale Bewegung" war in hohem Grade gewalttätig. Sie hatte zwei türkische Imbissbuden überfallen und in Brand gesteckt und am 8. Januar 2001 einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verübt. Anschließend schickte sie der jüdischen Gemeinde ein Paket voller Schweinefleisch, verbunden mit einer Morddrohung. Daraufhin hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich gezogen.

Seit der misslungenen Razzia ist die Gruppe scheinbar spurlos verschwunden. Niemand wurde wegen den Brandanschlägen und Morddrohungen zur Rechenschaft gezogen.

Sicherheitsbehörden und Innenministerium haben diese Ereignisse mehr als zwei Jahre lang vor der Öffentlichkeit und der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) geheim gehalten. Sie wahrten das Geheimnis auch im letzten Herbst, als die Behörden wegen des Falls Stadler unter Druck gerieten und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ernste "Konsequenzen" ankündigte.

Der V-Mann, der die "Nationale Bewegung" gewarnt hatte, wurde erst eineinhalb Jahre nach den Vorfällen abgeschaltet - weil er wegen eines Einbruchs ins Visier der Polizei geriet. Zuvor hatte ihn der Verfassungsschutz nicht nur weiterhin großzügig honoriert, sondern ihm auch auf Staatskosten einen gebrauchten Golf GTI besorgt.

Bis heute nicht geklärt ist die Frage, wer den V-Mann über die Razzia informiert hatte. Laut offizieller Version soll er "zufällig" in einer Gaststätte davon gehört haben, als sich zwei anwesende Polizisten lautstark darüber unterhielten. Weit wahrscheinlicher ist, dass er direkt von seinem V-Mann-Führer informiert wurde, der inzwischen auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt worden ist.

Laut Spiegel wusste auch ein Mitbewohner des V-Manns und hoher Kader des bundesweiten "Blood & Honour"-Netzwerks über die Razzia Bescheid, der im Gegensatz zu seinem Kumpel nicht für den Verfassungsschutz, sondern für das LKA spitzelte. Das Nachrichtenmagazin zitiert einen Polizeibeamten mit den Worten, die Beziehung der LKA-Ermittler zu ihrer Klientel sei "fast schon symbiotisch" gewesen. Die Beamten der Potsdamer Kripo seien öfter mal auf einen Plausch vorbeigekommen und "bei den Glatzen ein- und ausgegangen".

Von Regierungsseite wird die Affäre wie gewohnt heruntergespielt. Der Vorsitzende der PKK, Christoph Schulze (SPD), zeigte sich zwar erst empört, dass das parlamentarische Kontrollgremium nicht informiert worden sei. Die PKK fühle sich vom Verfassungsschutz hinters Licht geführt, nachdem sie ihn erst letzten Herbst in der Affäre Stadler von jedem Fehlverhalten freigesprochen habe, sagte er.

Doch nach einer Sondersitzung mit Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin erteilte ihm die PKK erneut die Absolution. "Wir haben keinen V-Mann-Skandal", verkündete Schulze nach der Sitzung. Es sei kein Schaden entstanden, nur das Aufsichtsgremium sei eben nicht informiert worden, und dafür habe sich Wegesin entschuldigt. Die SPD regiert in Brandenburg in trauter Einheit mit der CDU des rechtslastigen Innenministers Jörg Schönbohm, kritische Fragen aus den Reihen des Parlaments sind daher nicht zu erwarten.

Schönbohm selbst spielte die Vorfälle herunter und verteidigte wie gewohnt den Einsatz von V-Leuten. Er habe die Pannen analysieren lassen und ein Maßnahmenbündel veranlasst, damit "unnötige Risiken vermieden werden". Bei seinem Amtsantritt habe es zahlreiche rechtsextremistische Gewalttaten, aber kaum Verbindungsleute in der Szene gegeben, erklärte er. Der Verfassungsschutz habe heute "einen besseren Zugang" zum rechtsextremistischen Spektrum. Das habe dazu beigetragen, die rechtsradikale Musikszene und die netzwerkartigen Strukturen der Skinheads zu zerschlagen. Rechtsextreme agierten heute "vor allem in einer Reihe zutiefst primitiver und brutaler Schlägertypen", so der Minister. Diese seien weniger ein Fall für den Verfassungsschutz, als für Polizei und Staatsanwaltschaft.

Der Verfassungsschutzbericht seiner eigenen Behörde für das Jahr 2002 spricht da eine ganz andere Sprache. Wurden in Brandenburg 2001 noch 356 rechtsextrem motivierte Straftaten registriert, waren es 2002 schon 744. Davon waren 78 (2001:67) Gewaltdelikte. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten liegt weiterhin deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Während die Anzahl Neonazis bundesweit um 200 Personen abgenommen hatte, verzeichnete die Brandenburgische Behörde sogar einen leichten Anstieg.

Siehe auch:
Die Verbindungen der CDU zur äußersten Rechten - Brandenburgs Innenminister Schönbohm äußert sich in der Jungen Freiheit
(4. Januar 2003)
Verfassungsschutz auf der Anklagebank - Berliner Landgericht verurteilt Neo-Nazi Toni Stadler
( 22. November 2003)
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