Landtagswahlkampf in Bayern

Attentatspläne von Neonazis und Law-and-order-Kampagne

Als am Mittwoch vergangener Woche die Münchner Polizei bei einer Razzia in Wohnungen von Rechtsextremisten 1,7 Kilogramm TNT-Sprengstoff und fast 13 Kilogramm sprengstoffähnliches Material entdeckte, löste der Fund im In- und Ausland große Betroffenheit und zum Teil heftige Reaktionen aus. Während viele Kommentatoren das Vorgehen des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) und der Polizei, die einen oder mehrere rechte Anschläge vereitelt habe, lobend hervorhoben, warfen andere die Frage auf, ob die rechtsradikale Szene in Deutschland nicht sträflich vernachlässigt und unterschätzt werde.

Sechs Personen wurden seither festgenommen und die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen. Aufgrund des beschlagnahmten Materials und von Aussagen der Beschuldigten besteht der Verdacht, dass gewalttätige Nazi-Gruppen am 9. November, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht, einen Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in München verüben wollten. An diesem Tag ist die feierliche Grundsteinlegung zum Bau einer neuen Synagoge in der bayerischen Landeshauptstadt geplant.

Darüber hinaus gebe es Hinweise auf geplante Anschläge auf das Münchner Oktoberfest, zu dem jedes Jahr mehrere Hunderttausend Besucher anreisen. Auch führende Politiker, wie der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl am kommenden Sonntag, Franz Maget, seien "ausspioniert" worden, teilte der bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) mit.

Beckstein, der für seine Law-and-order-Kampagnen bekannt ist und ständig die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen und Polizeibefugnissen fordert, nutzte die Ereignisse sofort als Wahlkampfmunition. Es sei zwar noch nicht klar, "wer zu dieser terroristischen Zelle gehört" und woher sie Sprengstoff, Waffen und Geld bekommen habe, doch hätten die ihm unterstellten Sicherheitsbehörden "eines der empörendsten Verbrechen der deutschen Nachkriegszeit verhindert". Jetzt könne niemand mehr aus dem "rot-grünen Lager" ernstzunehmende Einwände gegen neue Polizeigesetze und stärkere elektronische Überwachungsmaßnahmen vorbringen.

Weiter sprach Beckstein von der "Struktur einer Braunen Armee-Fraktion", die durch die Ermittlungen sichtbar werde. Dieser Hinweis auf die Rote Armee-Fraktion (RAF) dient sowohl dem Schüren von Angst und Hysterie, als auch der Gleichsetzung von rechten und linken Gewaltaktionen. Während sich der Terror der RAF in den siebziger Jahren gegen Industrieelle wie Hans Martin Schleyer richtete, der als frühes NSDAP-Mitglied den Nazi-Terror in Osteuropa aktiv unterstützte und nach dem Krieg als Präsident des Unternehmerverbandes Karriere machte, greifen die Neonazis heute schutzlose Ausländer und jüdische Einrichtungen an.

Natürlich ist es durchaus möglich, dass sich in der rechten Szene terroristische Vereinigungen gebildet haben, die nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Politiker vorgehen und eine Destabilisierung der politischen Verhältnisse anstreben. Doch einige Dinge müssen in diesem Zusammenhang deutlich ausgesprochen werden.

Erstens ist das Anwachsen und die Bewaffnung der rechten Banden in Bayern - deren Aufdeckung Beckstein als Erfolg seiner Polizei feiert - das direkte Ergebnis der Politik der bayerischen Landesregierung, der Beckstein seit mehr als zehn Jahren als Innenminister angehört. Beckstein und die CSU haben immer den Standpunkt vertreten, dass eine rechtsradikale Partei am besten dadurch verhindert wird, dass man ihre politischen Inhalte übernimmt und sie dadurch überflüssig macht. So führte der ständige Rechtsruck in der Landespolitik mit immer schärferen Bestimmungen zur Abschiebung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu einem politischen Klima, in dem die rechten Gruppierungen ständig stärker und aggressiver wurden.

Zweitens ist es gänzlich unglaubwürdig, dass ausgerechnet die bayerische Landesregierung, die sich immer damit gebrüstet hat, die beste Überwachung der rechten Szene organisiert zu haben, von der Vorbereitung derartiger Anschläge nichts wusste. Die Ereignisse passen derart gut in die heiße Phase des Landtagswahlkampfs und unterstützen die Law-and-order-Kampagne des Innenministers, dass ein Zufall nahezu ausgeschlossen erscheint.

Folgende Fragen müssen gestellt werden: Wie viele V-Leute des Verfassungsschutzes oder einer anderen staatlichen Behörde arbeiten in der rechten Szene in Bayern? Wann war die Landesregierung oder eine andere staatliche Behörde über die Bewaffnung der Neonazis informiert? Gab es ein Hinauszögern der Veröffentlichung bis zum günstigsten Zeitpunkt für die Wahl und damit eine Zusammenarbeit zwischen Rechtsradikalen und Landesregierung? Waren V-Leute als Agents provocateurs oder in anderer Form an der Beschaffung des Sprengstoffs und der Vorbereitung von Anschlägen beteiligt?

Es wäre nicht zum ersten Mal, dass Innenminister Beckstein im Wahlkampf Angst vor wachsender Kriminalität schürt und Erfolge seiner Polizei feiert, die sich später als Inszenierung von Geheimdiensten herausstellen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den spektakulären Plutonium-Schmuggel von 1994.

Monatelang hatten damals staatliche Stellen und Massenmedien eine regelrechte Panikstimmung erzeugt und Deutschland als Drehscheibe des internationalen Plutonium-Schmuggels bezeichnet, um schärfere Grenzkontrollen und ein sogenanntes Verbrechensbekämpfungsgesetz mit weitgehenden Einschränkungen demokratischer Rechte durchzusetzen.

Mitte August 1994 - sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl, die damals mit der Bundestagswahl zusammenfiel - wurde dann am Münchener Franz-Josef-Strauß-Flughafen der Kolumbianer Justitiano Torres Bentes von einem Großaufgebot von Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes festgenommen. In seinem Gepäck fanden die Polizisten neben 100 Gramm Lithium 6 auch 360 Gramm bombenfähiges Plutonium 239.

Acht Monate später deckten Reporter des Spiegel auf, dass die ganze Sache von V-Leuten des Geheimdiensts eingefädelt worden war, was in einem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags weitgehend bestätigt wurde. Mittlerweile steht fest, dass die damaligen V-Leute des BND, Rafael Ferreras Fernandez, Deckname "Rafa", und Karsten Uwe Schnell, Deckname "Roberto", sowie Fernandez Martin, mutmaßlicher V-Mann der spanischen Polizei, diese "Operation Hades" in Madrid eingefädelt hatten.

Auch der deutsche Käufer des bombenfähigen Plutoniums war ein verdeckter Ermittler des Bayerischen Landeskriminalamtes namens Walter Boeden, und selbst der Übersetzer während den Verhandlungen war vom BND Referat 11 A (Drogen und Geldwäsche).

Wie heute feierte Beckstein damals den Erfolg seiner Polizei, und die CSU erhielt bei den Wahlen 52,8 Prozent der Stimmen.

Seitdem wurde die Arbeit von V-Leuten nicht nur im Bereich der organisierten Kriminalität, sondern vor allem in den rechtsradikalen Gruppierungen und Parteien weiter ausgedehnt. Im März diesen Jahres stellte das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen die rechtsradikale NPD ein, weil jeder siebte Führungskader der Partei auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes gestanden hat und man bei vielen Aktivitäten der NPD "von einer Veranstaltung des Staates" habe sprechen müssen, wie einer der Richter betonte.

Im vergangenen Herbst stellte der Nachrichtensender n-tv eine Liste einiger Geheimdienstagenten in der NPD zusammen und machte deutlich, wie stark die wichtigste rechtsradikale Partei vom Geheimdienstkreisen beeinflusst und gesteuert wurde.

Wolfgang Frenz hatte schon 1961 erste Kontakte zum Verfassungsschutz. Er war NPD-Gründungsmitglied und langjähriger Führungsfunktionär im Bundes- und im NRW-Landesvorstand. 1998 erschien sein antisemitisches Buch "Über den Verlust der Väterlichkeit oder Das Jahrhundert der Juden". In den Verbotsanträgen wurde gerade daraus weidlich zitiert.

Udo Holtmann, von 1978 bis 2002 in Diensten des Bundesamts für Verfassungsschutz, war langjähriger stellvertretender Bundesvorsitzender und NRW-Landesvorsitzender der NPD.

Tino Brandt wurde 1994 vom Thüringer Verfassungsschutz angeworben und 2000 zum NPD-Vize in Thüringen gewählt. Über Jahre wurde er vom Verfassungsschutz finanziell unterstützt und baute in dieser Zeit die rechte Schlägerbande "Thüringer Heimatschutz" auf, die sich zu einer der wichtigsten Nazi-Organisationen in Deutschland entwickelte. Er habe für seine Dienste einen "mehr als fünfstelligen Betrag" erhalten, erklärte Brandt später.

Mathias Meier soll die Mitgliederzeitschrift "Der Kamerad" (Mecklenburg-Vorpommern) verfasst haben und arbeitete zwischen Ende 1998 und Januar 2000 als Quelle für das BfV.

Carsten Szczepanski, verurteilt wegen versuchten Mordes, lieferte von 1997 an Informationen aus der militanten rechtsextremistischen Szene in Brandenburg und wurde im Sommer 2000 enttarnt.

Im November letzten Jahres wurde Toni Stadler wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Richter sah es als erwiesen an, dass Stadler seine Taten nicht ohne die ständige Unterstützung durch den brandenburgischen Verfassungsschutz hätte begehen können.

Die Liste ließe sich fortsetzen.

Dass einer der Drahtzieher der angeblich geplanten Anschläge, der nun festgenommene Martin Wiese, ein bekannter Neonazi, der lange Zeit die "Kameradschaft Süd" leitete und zahlreiche Kontakte zu anderen Nazi-Gruppen unterhielt, nicht überwacht wurde, ist nicht glaubwürdig.

Zwar steht der Wahlsieg der CSU am kommenden Sonntag außer Zweifel, aber etwas stinkt im Freistaat Bayern.

Siehe auch:
Verbotsverfahren gegen NPD eingestellt
(1. April 2003)
Die Verbindungen der CDU zur äußersten Rechten
( 4. Januar 2003)
Verfassungsschutz auf der Anklagebank - Berliner Landgericht verurteilt Neo-Nazi Toni Stadler
( 22. November 2002)
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