Berlusconi verschärft Angriffe auf die Justiz

Mit heftigen Angriffen auf die Justiz hat der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu Beginn des Monats erneut für Schlagzeilen gesorgt. In einem Interview mit dem rechtslastigen britischen Magazin The Spectator, das er an seinem Urlaubsort auf Sardinien gab, sagte der amtierende EU-Ratsvorsitzende: "Diese Richter sind doppelt verrückt. Zuerst politisch. Und zweitens überhaupt. Um diese Arbeit zu machen, muss man geistig gestört sein, anthropologisch anders als der Rest der Menschheit."

Unmittelbar bezog sich Berlusconi auf die Prozesse gegen Giulio Andreotti, den siebenfachen christdemokratischen Ministerpräsidenten und Senator auf Lebenszeit, dem ein Gericht in Palermo diesen Sommer enge Verbindungen zur Mafia bescheinigt hat. Seine Äußerungen fügen sich aber lückenlos in die Vendetta ein, die der reichste Mann Italiens seit Jahren gegen Richter und Staatsanwälte führt, die er abwechselnd als "rote Roben" oder verkappte Kommunisten beschimpft.

Berlusconi verfolgt mit dieser Kampagne gegen die Justiz zwei Ziele. Zum einen versucht er, sich selbst und sein Firmenimperium Fininvest vor gerichtlichen Nachstellungen zu schützen. Gegen den Multimilliardär liefen bisher über ein Dutzende Verfahren wegen Bilanzfälschung, Steuerbetrug oder Bestechung, denen er nur dank Verjährung oder Gesetzesänderungen in letzter Minute entkam; dreimal wurde er sogar in erster Instanz zu insgesamt sechs Jahren Haft verurteilt. Zum andern will er die Gewaltenteilung aushebeln und das zunehmend willkürliche Handeln seiner Regierung jeder Kontrolle durch die Justiz entziehen, indem er die Richter einschüchtert und knebelt.

Erst in diesem Sommer verabschiedete die rechte Parlamentsmehrheit im Eiltempo ein ganz auf den Regierungschef zugeschnittenes Immunitätsgesetz, nachdem sich abzeichnete, dass ein Mailänder Gericht diesen möglicherweise wegen Richterbestechung verurteilen würde. Als dem Gericht auf diese Weise die Hände gebunden waren, schlug Berlusconi zurück und ließ eine parlamentarische Untersuchungskommission einsetzen, die - nach den Worten seines Parteisprechers Sandro Bondi - prüfen soll, ob es unter Richtern und Staatsanwälten eine "kriminelle Vereinigung mit dem Ziel gibt, die demokratischen Institutionen Italiens zu stürzen". Gleichzeitig leitete das Justizministerium Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs gegen die beiden Ankläger im Verfahren gegen Berlusconi ein.

Mailänder Richter hatten Berlusconis Fininvest-Konzern zuvor Korruption "ohne Beispiel in der italienischen Geschichte und vielleicht in der ganzen Welt" attestiert. Die Worte stehen in der Urteilsbegründung eines anderen Verfahrens, in dem Berlusconis engster Vertrauter Cesare Previti in erster Instanz zu elf Jahren Haft verurteilt wurde. Previti und seine Mitarbeiter, befanden die Richter, hätten "Korruption zum Lebensstil erhoben".

Hatte sich Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi bisher stets zurückgehalten, wenn Berlusconi die Justiz beschimpfte, so reagierte er auf die jüngsten Äußerungen im Spectator mit einer deutlichen Rüge des Regierungschefs. Ciampi, der zugleich Präsident des Obersten Richterrats ist, veröffentlichte eine Erklärung, in der er Richtern und Staatsanwälten sein "volles Vertrauen" aussprach.

Aber Berlusconi dachte gar nicht daran, zurück zu stecken. Er sei eben ein "Politiker, der den Mut hat, das zu sagen, was die Mehrheit der Italiener denkt", konterte Regierungssprecher Paolo Bonaiuti. Und das Sprachrohr von Forza Italia, Sandro Bondi, drohte: "Solange wir nicht den Teil der Richterschaft ausgelöscht haben, der politische Ziele verfolgt, können wir nicht sagen, dass wir in einem zivilen und demokratischen Land leben."

Mittlerweile spitzen sich die Konflikte zwischen den höchsten Vertretern von Staat und Politik immer mehr zu.

Berlusconi reagiert auf den wachsenden Druck, indem er seine politischen Widersacher im Vertrauen, etwas werde schon hängen bleiben, wahllos mit Dreck bewirf und sich selbst in die Pose der verfolgten Unschuld wirft. Die Opposition sei "undemokratisch" und "verleumde" die Regierung, klagte er. Die Medien seien "zu 80 Prozent linkslastig" - eine absurde Behauptung, wenn man bedenkt, dass Berlusconi selbst ein Monopol über das Fernsehen ausübt und mehrere Zeitungen kontrolliert.

Die vom Regierungschef kontrollierten Zeitungen und Fernsehanstalten führen seit Monaten eine intensive Kampagne gegen Romano Prodi, den Vorsitzenden der EU-Kommission, der als wahrscheinlicher Herausforderer Berlusconis bei den Parlamentswahlen im Jahr 2006 gilt. Sie behaupten, Prodi habe 1997 als italienischer Regierungschef Schmiergelder kassiert, als zwei staatliche italienische Gesellschaften bei der serbischen Telekom einstiegen - ein gigantisches Verlustgeschäft, wie sich später herausstellen sollte. Die Vorwürfe beruhen auf den Aussagen eines dubiosen Geschäftsmanns, der den gleichen Vorwurf auch gegen Piero Fassino erhebt, ohne dafür Beweise vorlegen zu können. Fassino war damals Staatssekretär im Außenministerium und führt heute die größte Oppositionspartei, die Linksdemokraten.

Am 1. September warf Fassino Berlusconi im Corriere della Sera vor, er persönlich sei der Drahtzieher hinter diesen Vorwürfen und führe "eine Art von schleichendem Bürgerkrieg" gegen die Opposition, um diese "als Feind niederzumachen". Er verglich Berlusconi mit Nazi-Propagandaminister Goebbels. Er benutze dessen "Technik: Verleumdung, Verleumdung". Berlusconi reagierte mit einer Verleumdungsklage gegen den Oppositionsführer und fordert 15 Millionen Euro Schadenersatz. Fassino nahm die Herausforderung an, indem er freiwillig auf seine parlamentarische Immunität verzichtete.

Dieser Schlagabtausch auf publizistischer und juristischer Ebene kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Opposition keine breitere Mobilisierung der Bevölkerung gegen Berlusconi will. Durch einen drastischen Sparkurs auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung hat sie in fünf Regierungsjahren selbst die Voraussetzungen für Berlusconis erneuten Wahlsieg geschaffen, nachdem dessen erste Regierung 1995 gescheitert war. Seither hat sie sich auffallend zurückgehalten, wenn immer wieder Millionen auf die Straße gingen, um gegen Sozialabbau, Angriffe auf demokratische Rechte und den Irakkrieg zu protestieren. Was die politischen Inhalte betrifft, hat sie keine grundlegenden Differenzen mit Berlusconi. Sie hofft, ihn bei der nächsten Wahl abzulösen - um dieselbe Politik fortzusetzen.

Berlusconi gibt allerdings nicht so leicht klein bei. Die Aufregung über seine Richterschelte hatte sich noch nicht gelegt, da veröffentlichte The Spectator den zweiten Teil des Interviews und löste einen weiteren Skandal aus. Berusconi äußerte sich darin in positiven Worten über Benito Mussolini. Der faschistische Diktator, behauptete er wieder alle historische Tatsachen, "hat niemanden getötet. Er hat Menschen in Urlaub geschickt, um sie festzuhalten."

Diese Worte sollten nicht als Ausrutscher, sondern als Warnung verstanden werden. Berlusconi, der mit Mussolinis Erben von der Nationalen Allianz in einer Regierung sitzt, wird sich nicht mit verbalen Angriffen auf die Justiz begnügen, wenn es um die Verteidigung seiner Macht und Interessen geht. Er wird auch vor weitergehenden Angriffen auf die Demokratie und vor diktatorischen Maßnahmen nicht zurückschrecken,

Bemerkungen des Mussolini-Biografen Nicholas Farrell, der Berlusconi für den Spectator interviewte, erlauben einen Einblick in die Auffassungen, die in diesen Kreisen herrschen. Er stimmt Berlusconi zu und begründet dies mit dem Argument, die italienischen Faschisten hätten gar nicht zum Mittel des Mords greifen müssen, um an der Macht zu bleiben. "Das war nicht nötig, denn, sehen sie, Mussolini war sehr populär - bis er begann, Schlachten zu verlieren." Dass die Fasci, die Stoßtrupps, die der Bewegung den Namen gaben, dem Duce den Weg an die Macht durch Mord und Terror gegen die Arbeiterbewegung bahnten, scheint dem "Historiker" Farrell ebenso entgangen zu sein, wie die vielen Tausend Widerstandskämpfer, die in der Resistenza gegen den Faschismus ihr Leben opferten.

Siehe auch:
Berlusconi und Europa
(9. Juli 2003)
Berlusconi attackiert Unabhängigkeit der Justiz
( 7. Mai 2003)
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