Europäische Reaktionen auf Bushs Rede

Deutschland und Frankreich stellen Bedingungen

Mit Zurückhaltung wurde die jüngste Rede von US-Präsident Bush und sein Appell für ein stärkeres internationales Engagement im Irak in den meisten europäischen Hauptstädten aufgenommen. Die Reaktionen in Berlin und Paris waren ausgesprochen kühl.

Regierungsvertreter machten deutlich, dass sie nicht ohne weiteres bereit sind, den USA mit Truppen und Geld aus einem Desaster zu helfen, vor dem sie zuvor vergeblich gewarnt hatten. Gleichzeitig ließen sie aber keinen Zweifel aufkommen, dass sie zu einem Engagement im Irak bereit sind, wenn die USA entsprechende Zugeständnisse machen. Sie treten nicht für den Abzug der Besatzungstruppen und das Selbstbestimmungsrecht des irakischen Volkes ein, sondern für ein Kolonial- oder Marionettenregime, auf das sie selbst - direkt oder über die Vereinten Nationen - maßgeblichen Einfluss haben.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) betonte, Voraussetzung für ein deutsches Engagement seien die volle Transparenz der Aktivitäten im Irak und die uneingeschränkte Kontrolle durch die UN. Eine militärische Beteiligung Deutschlands stehe gegenwärtig nicht zur Debatte, und direkte Zahlungen an die USA wie nach dem Golfkrieg 1991 werde es diesmal nicht geben. Die Zeiten der "Scheckbuch-Diplomatie" seien vorbei, ließ Fischer mitteilen. In Planung sei aber eine Art internationale Geber-Konferenz Ende Oktober in Madrid, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.

Der französische Außenminister Dominique de Villepin hatte bereits Ende letzter Woche in einem Interview mit der konservativen Tageszeitung Le Figaro auf eine Stellungnahme seines Ministeriums verwiesen, wonach die französische Regierung nicht bereit sei, im Irak den Feuerwehrmann zu spielen, nachdem "genau das eingetreten ist, wovor wir von Anfang an gewarnt haben".

Die französische Haltung sei bekannt und müsse nicht geändert werden, so de Villepin im Figaro. Trotz jüngster Spannungen sei Paris bereit zur Kooperation, die aber an klare Bedingungen gebunden sei. Dazu gehöre ein UN-Mandat für den Irak, mit eindeutig festgelegten Kompetenzen für die beteiligten Länder, und deren vollständige Gleichberechtigung. Eine von den USA angestrebte Vormachtstellung der amerikanisch-britisch geführten Koalition im Nachkriegs-Irak lehne Frankreich strikt ab.

Außerdem forderte de Villepin, dass der Irak schnellstmöglich seine Souveränität - unter dem Schutz der Vereinten Nationen - zurückerhalten müsse, einschließlich eines festgelegten Zeitplans für Wahlen noch vor Jahresende, und fügte hinzu: "Keine Kompromisse oder halbe Lösungen".

Auch in vielen europäischen Tageszeitungen stieß die Rede von Präsident Bush auf scharfe Kritik. So betont der britische Independent, Bush habe vieles gesagt, woran man Anstoß nehmen könne, "nicht nur die bewusst irreführende Verbindung zwischen den Anschlägen vom 11. September und dem Irak". Er habe die Staaten, die gegen den Krieg waren, "hinsichtlich ihrer derzeitigen Verpflichtungen belehrt". Dies sei "wohl kaum der richtige Ton, um andere Länder davon zu überzeugen, das Leben ihrer Soldaten auf dem gefährlichen irakischen Terrain zu riskieren".

Der Zürcher Tages-Anzeiger bemerkt, das Wichtigst an der Rede seien die Auslassungen gewesen. "Der Präsident sprach weder von den Versäumnissen, die seiner Regierung bei der Planung der Nachkriegszeit im Irak unterlaufen sind, noch davon, wie eine Abzugsstrategie am Golf aussehen könnte. Er erwähnte weder die erfolglose Suche nach Massenvernichtungswaffen noch die mitunter zweifelhaften Informationen der US-Geheimdienste vor dem Krieg... Allein ‚unsere Freunde’ aufzufordern, angesichts neuer Herausforderungen alte Zwiste zu vergessen, genügt wohl nicht."

Ähnlich sieht es die Frankfurter Rundschau, die unter der Überschrift "Bushs Patzigkeiten" von einem "Mea Culpa auf texanisch" spricht. Weder über die "noch immer nicht aufgetauchten Massenvernichtungswaffen, früher mal der offizielle Kriegsgrund", habe der Präsident gesprochen, noch seien irgendwelche ernsten selbstkritischen Töne zu hören gewesen.

Noch deutlicher hat die Neue Westfälische Zeitung in der vergangenen Woche den amerikanischen Vorschlag für eine Irak-Resolution kommentiert: "Was die US-Strategen jetzt dem UNO-Sicherheitsrat als Resolutionsentwurf vorlegen, um sich dieser ganzen Malaise zu entledigen, ist schlicht eine Frechheit. Die Weltgemeinschaft ist eingeladen, sich an einer so genannten multinationalen Friedenstruppe mit unabsehbaren Risiken zu beteiligen, ohne auf die Ziele und Umsetzung auch nur den geringsten Einfluss zu haben."

Trotz derart kritischer Stimmen sind die europäischen Regierungen in der Irak-Frage nach wie vor tief gespalten. Auf der einen Seite verabredeten der deutsche Bundeskanzler und der französische Präsident bei einem Treffen in Dresden Ende vergangener Woche, ihre enge Zusammenarbeit auch künftig fortzusetzen. Sie distanzierten sich mit deutlichen Worten von dem Resolutionsentwurf, den die US-Regierung den Vereinten Nationen vorgelegt hatte; dieser sei "von einer Linie, der Deutschland und Frankreich sich voll anschließen können, noch sehr, sehr weit entfernt". Auf der anderen Seite haben Großbritannien, Spanien, Italien und Polen bereits eigene Truppen im Irak stehen. Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi, der gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, lobte bei seinem jüngsten Amerikabesuch die Politik des US-Präsidenten in den höchsten Tönen.

Am vergangenen Wochenende konnten sich die fünfzehn Außenminister der Europäischen Union und die zehn Ressortchefs der Mitgliedskadidaten bei einem informellen Treffen am italienischen Gardasee nur auf sehr vage und allgemeine Erklärungen einigen. Wichtigstes Ziel müsse es sein, dem irakischen Volk "so schnell wie möglich" die Regierungsgewalt zu übertragen und die "territoriale Integrität" des Irak zu erhalten, hieß es in anschließenden Stellungnahmen.

Während Deutschland und Frankreich am Gardasee erneut Nachbesserungen an der UN-Resolution verlangten und Bedingungen für ein Engagement im Irak stellten, hatte die Regierung in London gerade ihre Truppenstärke im Irak erhöht und Polen erstmals eigene Streitkräfte entsandt.

Doch auch in Deutschland und Frankreich dreht sich das Tauziehen über die UN-Resolution nicht um die Frage, ob, sondern wie und unter welchen Bedingungen sie sich an der Besetzung des Irak beteiligen. Neben kritischen sind auch sehr moderate Töne in Richtung USA zu hören. So bezeichnete Kanzler Schröder am Sonntag den amerikanischen Resolutionsentwurf als "Schritt in die richtige Richtung", der nur noch nicht weit genug gehe. Gleichzeitig gab er zu verstehen, dass Deutschland sehr wohl bereit sei, "Hilfe beim Wiederaufbau im Irak" zu leisten. Denkbar sei etwa die Ausbildung irakischer Polizisten und Soldaten in Deutschland. Auch eine multinationale Friedenstruppe befürwortete der Kanzler, wenn diese durch ein UN-Mandat gedeckt sei.

Der Streit dreht sich vor allem um die Frage, wer im Nachkriegs-Irak das Sagen hat. Deutschland und Frankreich versuchen, die wachsende militärische und politische Krise der amerikanischen Regierung zu nutzen, um deren Machtbefugnisse einzuschränken, über die UN selbst mehr Einfluss auf das politische Geschehen im Irak zu nehmen und europäischen Firmen Zugang zum irakischen Öl und den lukrativen Aufträgen zum Wiederaufbau des Landes zu verschaffen. Die USA dagegen brauchen zwar dringend internationale Unterstützung in Form von Soldaten und Geld, wollen aber ihre militärische, wirtschaftliche und politische Macht nicht einschränken.

Bis Anfang der neunziger Jahre waren Deutschland und Frankreich die beiden wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner des Irak. Erst der Krieg von 1991und die nachfolgenden Sanktionen beschnitten ihren wirtschaftlichen Einfluss. Nach intensiven Bemühungen hatten beide Länder in den letzten Jahren die Sanktionen gegen den Irak so gestaltet, dass sie wieder enge Wirtschaftsbeziehungen aufbauen konnten, die nun durch den jüngsten Krieg vollständig zunichte gemacht wurden. Das war ein Motiv, weshalb sie sich im vergangenen Herbst und Winter gegen den Krieg wandten.

Mittlerweile fürchten Paris und Berlin, dass sich der Irak in ein Pulverfass verwandelt, das den ganzen Nahen Osten in Brand setzt. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb sie grundsätzlich zu einem Engagement im Irak bereit sind.

Die Stimmen mehren sich, die eine Beteiligung deutscher Truppen im Irak fordern. So warnte der außenpolitische Sprecher der CDU, Wolfgang Schäuble, die Bundesregierung davor, einen Einsatz der Bundeswehr im Irak generell abzulehnen. Der Welt am Sonntag sagte er: "Wenn sie davon überzeugt ist, dass es einen Wiederaufbau unter einem UNO-Mandat geben muss, dann darf die Bundesregierung eine Beteiligung nicht grundsätzlich ablehnen. Wir sollten den jetzt eingetretenen Meinungswandel der Amerikaner unterstützen."

Ähnlich argumentiert der Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz. Die Bundesregierung könne seiner Meinung nach einen Einsatz deutscher Soldaten im Irak auf Dauer nicht vermeiden. Sollten die Vereinten Nationen ein so weit gehendes Mandat für den Irak beschließen, wie es Deutschland fordere, "wird die Bundesregierung ihre Haltung nicht durchstehen können", sagte Gertz dem Nachrichtenmagazin Focus.

Ein Einsatz deutscher und französischer Truppen im Irak würde aber - ungeachtet aller humanitären Begründungen und Propaganda - die Situation im Nahen Osten nicht stabilisieren und auf heftigen irakischen Widerstand stoßen. Diese Truppen würden sich an einem Besatzungsregime beteiligen, das den Irak kolonial unterdrückt, um seinen Ölreichtum zu plündern.

Schon jetzt ist klar, dass hinter den demagogischen Phrasen über die Einführung von Demokratie und Freiheit eine brutale Diktatur vorbereitet wird. Der Gastkommentar eines amerikanischen Akademikers in der Financial Times vom Montag lässt in dieser Hinsicht keine Zweifel offen. Harvard-Dekan Stephen Walt empfiehlt der Bush-Regierung, den europäischen Forderungen nachzugeben und irakische Streitkräfte auf die Übernahme der Kontrolle vorzubereiten. "Das Ziel sollte nicht die Schaffung von Demokratie sein," schreibt er. "[...] Notwenig ist lediglich eine Regierung von minimaler Effektivität, die den Platz zusammenhalten kann. Leider wird das vermutlich ein autoritäres Regime sein, weil es das braucht, um eine Desintegration des Irak zu verhindern."

Auch die Spannungen mit den USA würden durch eine deutsch-französische Beteiligung an der Besatzung nicht abnehmen. Im Gegenteil. Der Kampf um wirtschaftlichen Einfluss und Macht in dieser strategisch wichtigen Region nimmt weiter zu.

Siehe auch:
Anschlag auf UN wirft Frage nach internationalem Truppeneinsatz auf
(26. August 2003)
Regierung Schröder schließt Bundeswehreinsatz im Irak nicht mehr aus
( 19. August 2003)
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