WTO-Welthandelskonferenz scheitert am einbrechenden Handelssystem

Das Scheitern der Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im mexikanischen Cancún hat der sogenannten Doha-Runde nahezu den Todesstoß versetzt und könnte zweifellos den Zusammenbruch der WTO selbst einleiten.

Die Gespräche, die bis 2005 zur Festlegung eines breiten Handelsrahmens führen sollten, scheiterten, als eine Gruppe asiatischer und afrikanischer Länder die Forderungen von EU, Japan und Südkorea zurückwies, Regelungen zu ausländischen Investitionen, Wettbewerbspolitik, Regierungsaufträgen und Handelsbegünstigungen in die Verhandlungen aufzunehmen.

Die Gruppe, die aus ärmeren Ländern besteht, bestand darauf, dass Fragen der Landwirtschaft, einschließlich der Reduzierung der über 300 Milliarden Dollar, die in den reicheren Ländern an wettbewerbsverzerrenden Subventionen gezahlt werden, zuerst geklärt werden. Viele Delegierte sahen in den Forderungen der EU und Japans ein Manöver, um eine Verpflichtung in Bezug auf die Landwirtschaft zu umgehen, die vorgeschlagene Investitionsregeln betrifft, von denen nur die großen transnationalen Unternehmen profitieren. Diese Fragen wurden erstmals 1996 auf der Konferenz in Singapur zur Sprache gebracht.

Kommentare von Delegierten und Experten im Nachgang von Cancún machten die bittere Feindschaft zwischen den reichen und den armen Ländern und zunehmende Tendenzen zu einer Ablösung des Multilateralismus hin zu bilateralen Vereinbarungen und Handelsblöcken deutlich.

Der kenianische Delegierte, George Oduor, kommentierte das Scheitern von Cancún gegenüber der Presse wie folgt: "Sie fragen mich, wer schuld ist. Ich würde sagen, dass das diejenigen sind, die den Prozess manipulieren wollten, diejenigen, die einen Konsens fabrizieren wollten. Wir glauben, die EU und die USA sind schuld. Zu den Fragen von Singapur konnte keine Einigung erzielt werden, zu keiner der Fragen. Die Entwicklungsländer sagen, dass sie dazu noch nicht bereit sind."

Der malaiische Minister für Welthandel und Investitionen, Rafidah Asis, bemerkte: "Wenn sie nicht auf die Länder hören, wenn sie nicht hören, welche Probleme wir bei der Erfüllung der Forderungen an die Entwicklungsländer haben, ist es genau das, was passieren wird. Die Entwicklungsländer sind sich darüber klar geworden. Cancún hat gezeigt, dass sich die Entwicklungsländer von niemandem etwas diktieren lassen."

Der europäische Handelskommissar, Pascal Lamy, sagte, dass er sich an Schuldzuweisungen nicht beteilige, und tat im folgenden aber genau das. Er kritisierte die ärmeren Nationen und erklärte dem Australien Financial Review : "Es kam zu einer Dynamik, die sie zu dem Fehlschluss leitete, dass sie das Boot ins Trudeln bringen müssten. Schließlich hatten sie schon ein Angebot gerade zum Handel mit Landwirtschaftsprodukten, das nun nicht mehr zur Debatte steht. Das ist Politik. Im Kollektiv sind Menschen manchmal nicht rational."

Lamy brachte seine Enttäuschung in Bezug auf die Organisation der WTO zum Ausdruck, die auf einvernehmlichen Vereinbarungen beruht, und bezeichnete sie als "mittelalterliche Organisation". "Die Prozeduren und Regeln dieser Organisation entsprechen nicht dem Gewicht ihrer Aufgaben."

Während die USA nicht direkt in die Auseinandersetzungen involviert waren, die zum Scheitern der Verhandlungen führten, erhoben zwei ihrer Delegierten schwere Vorwürfe gegen die Entwicklungsländer und verbanden sie mit wirtschaftlichen Drohungen.

Der Repräsentant für den US-Handel, Robert Zoellick, erklärte, dass "eine Reihe von Ländern einfach glaubte, das sei ein Werbegeschenk und dass sie sagen konnten, was sie wollten, und sich streiten, ohne etwas anzubieten oder zu geben. Nun müssen sie sich mit der kalten Realität dieser Strategie konfrontieren und mit leeren Händen nach Hause gehen."

Zoellick deutete an, dass diejenigen, die sich den USA widersetzt hatten, von den US-Märkten und Handelsabkommen ferngehalten und dass die USA sich auf verschiedene bilaterale und regionale Handelsvereinbarungen konzentrieren würden.

Der US-Senator, Charles Grassley, wurde sogar noch deutlicher: "Ich will offen sein. Ich werde meine Position als Vorsitzender des Finanzkomitees im Senat - dem Finanzkomitee unterliegt die Jurisdiktion zur Handelspolitik im US-Senat - dazu verwenden, genau nachzuvollziehen, welches WTO-Mitglied welche Position während der jüngsten Gespräche eingenommen hat. Die Vereinigten Staaten unterziehen ihre potentiellen Partner im Freihandel einer permanenten Bewertung."

"Ich werde feststellen, welche Nationen eine konstruktive Rolle in Cancún gespielt haben und welche eine negative", fügte er hinzu.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Treffen ist das Entstehen eines neuen Blocks, der sich der Dominanz der WTO durch die Großmächte - USA, Japan und EU - entgegenstellt. Diese Gruppe, auch bekannt als G23, wird von Brasilien, China und Indien angeführt und soll mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und 63 Prozent der Bauern weltweit repräsentieren.

Weitere Länder werden möglicherweise dazu kommen. Der sambische Handelsminister, Dipak Patel, sagte: "Wir arbeiten hart daran, uns der G23 anzunähern. Wir versuchen sie in eine G80 umzuwandeln."

Dem Guardian zufolge fand die Gruppe "War on Want" bei einer Befragung von 112 Delegierten aus Entwicklungsländern heraus, dass 82 Prozent denken, die WTO sei von den reichen Ländern monopolisiert, während 83 Prozent glauben, dass sie undemokratisch wäre.

Nach der Konferenz von Cancún feierten Delegierte der G23 und ihre Unterstützer ihre Fähigkeit, sich den Großmächten entgegenstellen zu können. Doch das gerade erkämpfte Selbstvertrauen könnte sich schon bald als kurzlebig erweisen, wenn bilaterale und regionale Vereinbarungen getroffen werden.

Der Guardian bemerkte dazu folgendes: "Bilaterale Handelsabkommen sind ein schlechtes Zeichen für die ärmsten Länder, die den großen Handelsmächten individuell kaum etwas zu bieten haben. Während die USA fieberhaft Handelspartner in Asien und Lateinamerika verpflichtet, sehen Experten mögliche Handelsblöcke zwischen China und den ASEAN-Staaten (Association of South East Asian Nations), Indien und ASEAN und Japan und ASEAN."

Eine solche Welt der Handelsblöcke würde "den afrikanischen Staaten keine Wahl lassen, als bilaterale und regionale Abkommen zu schließen, egal wie unattraktiv sie auch sein mögen".

Der Handelsminister von Singapur, Geroge Yeo, warnte vor Selbstzufriedenheit unter den reicheren Nationen. Die reichen Staaten würden die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der WTO gegen sie zu ihrem eigenen Schaden ignorieren.

"Es ist nicht im Interesse derjenigen von uns, denen es besser geht, dass die übrigen verarmt bleiben. Letztendlich werden deren Probleme die unseren - entweder durch Terrorismus oder Krankheit oder Auswanderung", sagte er.

Während die WTO in den kommenden zwei Jahren ein weiteres Ministertreffen in Hong Kong plant, wird für die Doha-Runde kein Fortschritt mehr erwartet. Tatsächlich wird die kommende Periode weniger von neuen globalen Vereinbarungen als von einer rapiden Desintegration des Multilateralismus geprägt sein, der die Grundlage des Nachkriegshandelssystem bildete.

Die Financial Times bemerkte: "Das Gespenst, das viele Handelsexperten umtreibt, ist, dass sich Staaten mit besonderer Vehemenz regionalen und lokalen Handelsabkommen zuwenden werden, für die der Enthusiasmus weltweit schon jetzt stark zunimmt. Das könnte die politische Aufmerksamkeit von den WTO-Verhandlungen nicht nur noch weiter ablenken, sondern die Einhaltung der Regeln untergraben, die das multilaterale System am Leben erhalten."

Es ist bedeutsam, dass sich zwei der internationalen Organisationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um jene Art von Konflikten zu verhindern, von denen die 30er Jahre geprägt waren, in einem derartig fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls befinden.

Im März versagten die Vereinten Nationen bei der Verhinderung eines Aggressionskrieges gegen den Irak, der von den USA und ihren Verbündeten geführt wurde, und sanktionierte die Anwendung militärischer Gewalt. Nun bricht die WTO, deren Vorgänger, das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), zur Abwendung von Handelskriegen und der Bildung von Handelsblocks geschaffen wurde, unter den Bedingungen sich verschärfender globaler Wirtschaftskonflikte auseinander.

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